BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. I. Abtheilung.

 

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Siebzehntes Capitel.

 

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Berlin.

 

Berlin ist eine große Stadt, mit breiten geraden Straßen, schönen Häusern, und von regelmäßiger [127] Bauart. Da sie größtentheils neu gebaut ist, so finden sich wenige Spuren älterer Zeiten. Unter den modernen Gebäuden erheben sich keine gothische Monumente, und das Neue wird in diesem neugebildeten Lande auf keinerlei Weise durch Altes unterbrochen und eingezwängt. Was kann aber, wird man sagen, sowohl in Hinsicht der Gebäude, als der öffentlichen Einrichtungen, besser seyn, als durch Ruinen nicht gehemmt zu werden? Ich, für meinen Theil, würde mir in America neue Städte und neue Gesetze wünschen; dort sprechen Natur und Freiheit laut genug zur Seele, um die Erinnerungen entbehrlich zu machen; aber auf unserem alten europäischen Boden müssen wir auf Spuren der Vergangenheit stoßen. Berlin, diese ganz moderne Stadt, so schön sie immer seyn mag, bringt keine feierliche, ernste Wirkung hervor, sie trägt das Gepräge weder der Geschichte des Landes noch des Characters der Einwohner; und die prächtigen neu aufgebauten Gebäude scheinen bloß für die bequeme Vereinigung der Vergnügungen und der Industrie bestimmt zu seyn. Die schönsten Palläste von Berlin sind von gebrannten Steinen; kaum wird man in den Portalen und Triumphbögen Quaderstücke auffinden. Preussens Hauptstadt gleicht Preussen selbst; Gebäude und Einrichtungen zählen nur ein Menschenalter, und nichts darüber, weil sie einen Menschen zum Urheber haben.

Der Hof, dem eine schöne tugendhafte Königin vorstand, war zu gleicher Zeit impos[a]nt und einfach; die königl. Familie theilte sich gern der Gesellschaft mit, mischte sich mit Würde in die Zirkel der Nation, und fand in alle Herzen Eingang, weil sie mit dem Begriff des Vaterlandes zusammenschmelzen. Der König hatte Männer, [128] wie J. von Müller, Ancillon, Fichte, Humboldt, Hufeland und eine Menge anderer, die sich in allen Gattungen auszeichneten, in Berlin vereinigt; alle Elemente einer liebenswürdigen Gesellschaft, einer starken Nation, waren da; aber noch waren diese Elemente nicht gegen einander abgewogen, nicht mit einander verbunden. Gleichwohl galt der Geist, mehr und allgemeiner in Berlin als in Wien; der Held des Landes, Friedrich II. war zu seiner Zeit ein unendlich geistreicher Kopf gewesen; und so kam es, daß der Abglanz seines Namens noch alles schätzen und lieben ließ, was ihm ähnlich seyn konnte. Maria Theresia ließ zu ihrer Zeit keinen solchen Eindruck in Wien zurück, und was bei ihrem Nachfolger Joseph für Geist hätte gelten können, schreckte sie von der Sucht ab, geistreich seyn zu wollen.

Dem Schauspiel, das Berlin gewährte, kam in Deutschland kein andres gleich. Berlin, im Mittelpunkt des nördlichen Deutschlands, kann sich als den Brennpunkt der Aufklärung und des Lichts betrachten. Wissenschaften und Künste sind im Flor, und bei den Mittagstafeln, wozu bloß Männer geladen werden, bei Ministern, Gesandten etc. findet die Abstufung des Ranges, die dem Verkehr in Deutschland so nachtheilig ist, nicht statt; Männer von Talent aus allen Classen treffen hier zusammen. Dieses glückliche Gemisch erstreckt sich aber noch nicht bis auf die Frauen; es giebt mehrere unter ihnen, deren Reize und Seeleneigenschaften alles an sich ziehen, was sich, in Berlin auszeichnet; aber hier sowohl, als im übrigen Deutschland, ist die Gesellschaft des weiblichen Geschlechts mit der männlichen noch nicht innig genug verwebt. Der größte Reiz des Lebens besteht in Frankreich, in der Kunst, die Vorzüge [129] vollkommen in einander zu fügen, die aus der Verbindung des männlichen und weiblichen Geistes für den gesellschaftlichen Verkehr entspringen können. In Berlin schränkt sich die Unterhaltung der Männer fast bloß auf Männer ein; der Kriegsstand theilt ihnen eine Art von Rauheit mit, die es ihnen zum Bedürfniß macht, sich dem Zwang einer Gesellschaft mit Frauen nicht zu unterwerfen.

Wenn es, wie in England, große politische Gegenstände abzuhandeln giebt. waltet in männlichen Zirkeln immer ein edles allgemeines Interesse ob; aber in Ländern, wo es keine repräsentative Regierung giebt, ist die Gegenwart der Frauen nothwendig, um die Gefühle zart und rein zu erhalten, denn ohne diese Zartheit und Reinheit geht die Liebe zum Schönen verloren. Der Einfluß der Frauen ist für die Krieger noch dienlicher als für die Bürger; die Gesetze können ihrer eher entbehren, als die Ehre; sie allein erhalten in einer rein militärischen Monarchie den Geist des Ritterthums. Das alte Frankreich verdankte seinen ganzen ehemaligen Glanz jener Gewalt der öffentlichen Meinung, die sich auf das Uebergewicht der weiblichen Urtheile und Aussprüche gründet.

Die Gesellschaft in Berlin bestand nur aus wenig Männern; und gerade die kleine Anzahl derselben dient dazu, sie zu verwöhnen, denn sie benimmt ihnen den Antrieb, das Bedürfniß, die Unruhe zu gefallen. Die Militärs, die einen Urlaub von einigen Monaten erhielten, und diese in der Hauptstadt zubrachten, waren mehrentheils auf Bälle bedacht, oder am Spieltisch beschäftigt. Die Vermischung beider Sprachen war der Unterhaltung nachtheilig, und die großen Assembleen hatten nicht mehr Interesse in Berlin als in Wien; ja, in allem, was Bezug auf das Aeußere der Hofsitte hat, [130] muß man Wien den Vorzug vor Berlin einräumen. Dagegen machte in den letzten Jahren die Preßfreiheit, der Verein geistreicher Männer, die Kenntniß der deutschen Sprache und Literatur, die sich allgemein verbreitet hatte, Berlin zur wahren Hauptstadt des neuern, des aufgeklärten Deutschlands. Die französischen Religions-Flüchtlinge schwächten zum Theil die vollkommen deutsche Richtung, deren Berlin fähig ist; in ihnen fand sich noch eine abergläubische Ehrfurcht vor dem Jahrhundert Ludwigs XIV.; ihre Begriffe von Literatur, anstatt aus dem fernen Lande Zuwachs zu erhalten, aus welchem ihre Väter sie mitgebracht hatten, schrumpften ein und trockneten aus. Dessen ungeachtet würde Berlin eine bedeutende Herrschaft über den öffentlichen Geist in Deutschland gewonnen haben, wenn, ich wiederhole es, man nicht gegen die Verachtung, die Friedrich der deutschen Nation bewiesen, Empfindlichkeit im Herzen bewahret hätte!

Philosophische Schriftsteller haben sich häufig Vorurtheile gegen Preussen erlaubt; sie nannten Preussen eine geräumige Caserne, und unter diesem Gesichtspunkte konnte es unmöglich Werth für sie haben; was in Preussen wahrhaft interessirt, ist die Aufklärung, das Gefühl des Rechts, der Geist der Unabhängigkeit, die man in einer Menge Menschen von allen Classen antrifft; noch waren aber diese schönen Eigenschaften nicht eng mit einander verbunden. Der neu zusammengesetzte Staat beruhete weder auf der Zeit, noch auf dem Volke.

Die in Deutschland allgemein eingeführten erniedrigenden körperlichen Strafen im Militär, erstickten den Keim der Ehre im Herzen des Kriegers; alles, was im Kriegsstand zu Gewohnheit geworden, ist dem preußischen Kriegsgeiste eher nachtheilig als gedeihlich gewesen; diese Gewohnheiten [131] beruhten auf alten Grundsätzen, die das Heer von der Nation trennten, da es in unsern Zeiten keine wahrhafte Kraft, als im Nationalcharacter, giebt. Dieser Character ist in Preussen edler und hochfliegender, als man es aus den letzten Ereignissen schließen sollte; und „der glühende Heldenmuth des unglücklichen Prinzen Louis läßt auf seine Waffenbrüder noch einige Stralen von Ruhm zurückfallen.“ 1)

 

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1) Von der Censur gestrichen. Ich widerstand mehrere Tage, und kämpfte um die Erlaubniß, dem Prinzen Louis diesen Zoll der Achtung darbringen zu können. Ich stellte vor, der Ruhm der Franzosen gewönne dabei, wenn man der Tapferkeit der Ueberwundenen Gerechtigkeit widerfahren ließe; allein die Censoren fanden es bequemer, in dieser Hinsicht nichts zu erlauben.