BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. II. Abtheilung.

 

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[182]

Fünftes Capitel.

 

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Klopstock.

 

Es gab in Deutschland viel mehr bemerkenswerthe Schriftsteller von der Englischen, als von der Französischen Schule. Unter denen, die durch die Englische Literatur gebildet worden, ist zuerst der bewundernswürdige Haller zu nennen, dessen poetisches Genie ihm als Weltweisen so wirksame Dienste leistete, indem es ihn mit einem höhern Enthusiasmus für die Natur und allgemeinern Ansichten über ihre Erscheinungen begeisterte; dann Geßner, an dem man in Frankreich selbst größern Geschmack als in Deutschland gefunden; Gleim, Ramler, u. s. w.; und vor ihnen allen Klopstock.

Sein Genie war durch Milton und Young entzündet, aber mit ihm nimmt eigentlich erst die wahre Deutsche Schule ihren Anfang. In einer seiner Oden drückt er auf eine sehr glückliche Weise den Wettstreit der Englischen und Deutschen Muse aus.

 

Die beiden Musen.

 

Ich sah, o sagt mir, sah ich, was jetzt geschieht?

Erblick't ich Zukunft? Mit der Britannischen

Sah ich in Streitlauf Deutschlands Muse

Heiß zu den krönenden Zielen fliegen.

 

Zwei Ziele gränzten, wo sich der Blick verlor,

Dort an die Laufbahn. Eichen beschatteten

Des Hains das eine; nah dem andern

Weheten Palmen im Abendschimmer.

 

Gewohnt des Streitlaufs, trat die von Albion

Stolz in die Schranken, so wie sie kam, da sie

Einst mit der Mäonid', und jener

Am Kapitol in den heißen Sand trat. [183]

 

Sie sah die junge bebende Streiterin;

Doch diese bebte männlich, und glühende

Siegswerthe Röthen überströmten

Flammend die Wang', und ihr goldnes Haar flog.

 

Schon hielt sie mühsam in der empörten Brust

Den engen Athem; hing schon hervorgebeugt

Dem Ziele zu; schon hub der Herold

Ihr die Drommet', und ihr trunkner Blick schwamm.

 

Stolz auf die Kühne, stolzer auf sich, bemaß

Die hohe Brittin, aber mit edlem Blick,

Dich Thuiskona: «Ja bei Barden

Wuchs ich mit dir in dem Eichenhain auf;

 

Allein die Sage kam mir, du seyst nicht mehr!

Verzeih, o Muse, wenn du unsterblich bist,

Verzeih, daß ichs erst jetzo lerne;

Doch an dem Ziele nur will ichs lernen!

 

Dort steht es! Aber siehst du das weitere,

Und seine Kron' auch? – Diesen gehaltnen Muth,

Dies stolze Schweigen, diesen Blick, der

Feurig zur Erde sich senkt, die kenn' ich!

 

Doch wäg's noch Einmal, eh zu gefahrvoll dir

Der Herold tönet. War es nicht ich, die schon

Mit der am Thermopyl die Bahn maß?

Und mit der hohen der sieben Hügel?»

 

Sie sprachs. Der ernste richtende Augenblick

Kam mit dem Herold näher. «Ich liebe dich!

Sprach schnell mit Flammenblick Teutona:

Brittin, ich liebe dich mit Bewundrung!

 

Doch dich nicht heißer, als die Unsterblichkeit

Und jene Palmen! Rühre, dein Genius

Gebeut er's, sie vor mir; doch faß' ich,

Wenn du sie fassest, dann gleich die Kron' auch.

 

Und, o wie beb' ich! o ihr Unsterblichen!

Vielleicht erreich' ich früher das hohe Ziel!

Dann mag, o dann an meine leichte

Fliegende Locke dein Athem hauchen!»

 

Der Herold klang! Sie flogen mit Adlereil.

Die weite Laufbahn stäubte, wie Wolken, auf.

Ich sah: Vorbei der Eiche wehte

Dunkler der Staub, und mein Blick verlor sie! [184]

 

So schließt die Ode, und es ist fein, daß keine als Siegerin genannt wird.

ErfüllungsgehilfeIch verweise die Prüfung der Werke Klopstocks in literarischer Hinsicht zu dem Capitel über die deutsche Poesie, und beschränke mich hier bloß darauf, sie als Thaten seines Lebens zu betrachten. Alle diese Werke hatten keine andere Zwecke, als die Erweckung der Liebe zu seinem Vaterlande, oder den Preis der Religion. Hätte die Dichtkunst ihre Heiligen, Klopstock würde zu den ersten darunter gezählt werden müssen.

Die mehrsten seiner Oden sind christliche Psalmen; Klopstock ist der David des neuen Testaments. Was aber vorzüglich seinem Character – abgesehen von seinem Genie – die höchste Ehre bringt, ist sein großer religiöser Hymnus in der Form des Epos, ein Werk, an welches er zwanzig Jahre seines Lebens gesetzt, sein Messias. Es gab vor ihm zwei christliche Gedichte: Dante's Hölle, und Miltons verlorenes Paradies: das erste voll von Bildern und Wundererscheinungen, wie die äußerliche Religion der Italiener; das andere, hervorstechend in der Characterzeichnung: der Dichter hatte mitten unter bürgerlichen Unruhen gelebt, und sein Satan ist ein gigantischer Aufrührer, der gegen die Monarchie des Himmels die Waffen ergreift. Klopstock dagegen hat das christliche Gefühl in seiner ganzen Reinheit aufgefaßt, nur dem göttlichen Erlöser ist seine Seele geweiht. Dante war durch die Kirchenväter, Milton durch die Bibel begeistert, die größten Schönheiten in Klopstock's Gedichte haben ihre Quelle im Neuen Testament, er weiß aus der himmlischen Einfalt des Evangeliums einen dichterischen Zauber zu entwickeln, der dessen Reinheit keinen Eintrag thut.

Es ist einem, wenn man dies Gedicht [185] anfängt, zu Muthe, wie wenn man in eine große Kirche tritt, aus deren Mitte eine Orgel tönt, und die Rührung und Sammlung des Gemüths, welchen die Tempel des Herrn einflößen, bemeistern sich der Seele, wenn man den Messias liest.

Klopstock hatte, seit seiner Jugend, dies Gedicht zu seines Lebens Zweck gemacht; die Menschen würden die Schuld gegen das Leben wohl auf eine würdige Weise abtragen, wenn sie ihr flüchtiges Erscheinen auf der Erde durch irgend einen edlen Gegenstand, eine große Idee, bezeichneten; immer ist eine es ehrenvolle Bürgschaft für den Character, die zerstreuten Strahlen seiner Eigenschaften und die Resultate seiner Arbeiten nach Einer Unternehmung hinzurichten. Welch ein Urtbeil man über die Schönheiten und Fehler des Messias fällen möge, es wäre gut, wenn man häufig einige Verse daraus läse; das Ganze durchzulesen, kann ermüdend scheinen, aber man kehrt nicht dazu zurück, ohne eine Art von Seelenbalsam einzuathmen, der für alle himmlische Dinge Reiz in die Seele gießt.

Nach langer Arbeit und einer großen Reihe von Jahren, beendigte Klopstock endlich sein Gedicht. Horaz, Ovid, und andere Dichter haben auf verschiedene Weise den edeln Stolz ausgesprochen, der ihnen für die unsterbliche Dauer ihrer Werke Bürgschaft leistete: Exegi monumentum aere perennius der Eine, Nomenque erit indelebile nostrum der Andere. Ein Gefühl ganz andrer Gattung durchdrang Klopstocks Seele, als er den Messias vollbracht. Er drückt es folgendergestalt aus, in der am Schluß desselben sich befindenden [186]

 

Ode an den Erlöser.

 

Ich hofft' es zu dir! und ich habe gesungen,

Versöhner Gottes, des neuen Bundes Gesang!

Durchlaufen bin ich die furchtbare Laufbahn;

Und du hast mir mein Straucheln verziehn.

 

Beginn den ersten Harfenlaut,

Heißer, geflügelter, ewiger Dank!

Beginn, beginn, mir strömet das Herz!

Und ich weine vor Wonne!

 

Ich fleh' um keinen Lohn; ich bin schon belohnt,

Durch Engelfreuden, wenn ich dich sang!

Der ganzen Seele Bewegung

Bis hin in die Tiefen ihrer ersten Kraft!

 

Erschüttrung des Innersten, daß Himmel

Und Erden mir schwanden!

Und flogen die Flüge nicht mehr des Sturms; durch sanftes Gefühl,

Das, wie des Lenztags Frühe, Leben säuselte.

 

Der kennt nicht meinen ganzen Dank,

Dem es da noch dämmert,

Daß, wenn in ihrer vollen Empfindung

Die Seele sich ergeußt, nur stammeln die Sprache kann.

 

Belohnt bin ich, belohnt! Ich habe gesehn

Die Thräne des Christen rinnen;

Und darf hinaus in die Zukunft

Nach der himmlischen Thräne blicken!

 

Durch Menschenfreuden auch. Umsonst verbürg ich vor dir

Mein Herz der Ehrbegierde voll.

Dem Jünglinge schlug es laut empor; dem Manne

Hat es stets, gehaltner nur, geschlagen.

 

Ist etwa ein Lob, ist etwa eine Tugend,

Dem trachtet nach! Die Flamm' erkor ich zur Leiterin mir!

Hoch weht die heilige Flamme voran, und weiset

Dem Ehrbegierigen besseren Pfad!

 

Sie war es, sie that's, daß die Menschenfreuden

Mit ihrem Zauber mich nicht einschläferten;

Sie weckte mich oft der Wiederkehr

Zu den Engelfreuden![187]

 

Sie weckten mich auch, mit lautem durchdringenden Silberton,

Mit trunkner Erinnrung an die Stunden der Weihe,

Sie selber, sie selber die Engelfreuden,

Mit Harf' und Posaune, mit Donnerruf!

 

Ich bin an dem Ziel, an dem Ziel! und fühle, wo ich bin,

Es in der ganzen Seele beben!l So wird es (ich rede

Menschlich von göttlichen Dingen) uns einst, ihr Brüder Deß,

Der starb! und erstand! bei der Ankunft im Himmel seyn!

 

Zu diesem Ziel hinauf hast du,

Mein Herr und mein Gott!

Bei mehr als Einem Grabe mich,

Mit mächtigem Arme, vorübergeführt!

 

Genesung gabst du mir! gabst Muth und Entschluß

In Gefahren des nahen Todes!

Und sah ich sie etwa die schrecklichen unbekannten,

Die weichen mußten, weil du der Schirmende warst?

 

Sie flohen davon! und ich habe gesungen,

Versöhner Gottes, des neuen Bundes Gesang!

Durchlaufen bin ich die furchtbare Laufbahn!

Ich hofft' es zu dir!

 

Diese Vermischung des poetischen Enthusiasmus und des religiösen Vertrauens erfüllt zu gleicher Zeit mit Minderung und Rührung. Sonst weihte sich das dichterische Talent den Gottheiten der Fabel; Klopstock bringt es Gott selber dar, und zeigt den Deutschen durch seine glückliche Verschmelzung der christlichen Religion und Poesie, daß sie schöne Künste zu besitzen fähig sind, die sie ihr Eigenthum nennen können, und nicht bloß, nachahmende Vasallen der Alten, als Lehn von ihnen zu empfangen brauchen.

Die Klopstock persönlich kannten, verehrten ihn eben so sehr, als sie ihn bewunderten. Religion, Freiheit und Liebe füllten alle seine Gedanken aus: seine Religion that er durch die Erfüllung aller seiner Pflichten dar; von der Sache der Freiheit [188] selbst sah man ihn sich lossagen, als unschuldiges Blut sie befleckt hatte; und Treue heiligte die Neigungen seines Herzens. Nie hat er sich auf seine Einbildungskraft berufen, um irgend eine Abweichung dadurch zu rechtfertigen; sie erhob seine Seele, ohne sie auf Irrwege zu leiten.

Man erzählt, daß seine Unterhaltung voller Geist und selbst Geschmack war; daß er das Gespräch mit Frauen, vorzüglich mit Französinnen, geliebt, und ein richtiges Urtheil über die Gattung von Vergnügungen gehabt habe, welche die Pedanterie zu verwerfen pflegt. Ich glaube das gerne; denn im Genie liegt immer etwas Allgemeines, und vielleicht hängt es durch geheime Bande mit der Anmuth, wenigstens mit der, welche die Natur giebt, zusammen.

Wie mußte ein solcher Mann vom Neide, von dem Egoismus, von der Wuth der Eitelkeit entfernt seyn, für welche mehrere Schriftsteller, um ihrer Talente willen, Entschuldigung forderten. Hätten sie diese in größerem Maaße besessen, so hätten jene Fehler sie nicht gequält. Stolz, reizbar, in Selbstbewunderung befangen, sind nur solche, in denen ein geringes Maaß von Verstand mit Schwäche des Characters sich vereinigt; wahres Genie flößt Erkenntlichkeit und Bescheidenheit ein; wer es besitzt, fühlt, wer es ihm verliehen, und welche Schranken der, der es ihm verliehen, ihm gezogen hat.

Im zweiten Theile des Messias findet sich eine sehr schöne Stelle über den Tod der Maria, Schwester der Martha und des Lazarus, die das Evangelium als das Bild der beschaulichen Tugend bezeichnet. Lazarus, dem von Christus das Leben zum zweitenmal geschenkt worden, nimmt Abschied von seiner Schwester mit einem tiefen Gefühl, [189] gemischt aus Schmerz und Vertrauen. Klopstock hat in den letzten Augenblicken Maria's den Tod des Gerechten dargestellt. Als er selbst sich auf dem Todbette befand, wiederholte er mit erlöschender Stimme diese seine Verse über Maria, sie dämmerten ihm durch die Schatten des Grabes hindurch, und er sagte sie leise sich vor, als eine Ermahnung an sich selbst, schön zu sterben; so bewahrten die Gefühle, die der Jüngling ausgesprochen, sich noch in einer Reinheit, daß sie dem Greise zum Troste dienen konnten.

Wie erhaben ist das Talent, wenn man es nie entweiht, es nie einem andern Zwecke dienstbar gemacht hat, als unter dem anziehenden Gewande der schönen Künste den Menschen die edlen Gefühle und religiösen Hoffnungen zu offenbaren, die im Grunde ihres Herzens, in Nacht gehüllet, schlummern!

Der nämliche Gesang vom Tode der Maria wurde bei Klopstocks Begräbniß verlesen. Der Dichter war alt, als er aus diesem Leben schied; aber der tugendhafte Mensch in ihm hatte schon die unsterblichen Palmen erfaßt, die das Daseyn verjüngen und über den Gräbern blühn. Alle Bewohner Hamburgs bezeigten dem Patriarchen der Literatur die Ehren, die man sonst nur dem hohen Range oder der Macht zugesteht, und Klopstocks Manen ward der Lohn, dessen sein schönes Leben würdig war.