BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. II. Abtheilung.

 

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Dreizehntes Capitel.

 

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Von der deutschen Poesie.

 

Die kleinen zerstreuten deutschen Gedichte sind, wie mir scheint, merkwürdiger als die größern Werke der Dichtkunst: denn man findet, daß jenen besonders der Stempel der Originalität aufgedrückt ist; auch gehören die berühmtesten Verfasser derselben, Göthe, Schiller, Bürger u. s. w. zur modernen Schule, und diese allein hat einen wahrhaften Nationalcharacter. Göthe besitzt mehr Einbildungskraft, Schiller mehr Gefühl, und Bürger von ihnen allen die meiste Popularität.

Bei der nachstehenden Prüfung einiger Gedichte dieser drei Männer, wird man sich einen besseren Begriff davon machen können, was sie von einander unterscheidet. Schiller hat zwar Aehnlichkeit mit dem französischen Geschmacke, allein man findet in seinen zerstreuten Gedichten doch nichts, was den zerstreuten Gedichten von Voltaire gleiche; diese Eleganz der Conversation und der Manieren selbst, in die Poesie verpflanzt, gehörte bloß Frankreich an, und in Ansehung der Grazie war Voltaire der erste französische Schriftsteller. Es würde interessant seyn, Schillers Stanzen über den Verlust der Jugend, die Ideale überschrieben, mit Voltaire's Stanzen zu vergleichen:

 

Si vous voule que j'aime encore,

Rendez-moi l'age des amours.

 

Man findet in dem französischen Dichter den Ausdruck einer liebenswürdigen Sehnsucht, deren Gegenstand [250] die Freuden der Liebe und die Genüsse des Lebens sind; der deutsche Dichter beweint den Verlust der Begeisterung und der unschuldsvollen Reinheit der Ideen des ersten Lebensalters, und schmeichelt sich, seine sinkenden Tage noch durch Poesie und Denken zu verschönern. In Schillers Stanzen findet sich nicht jene leichte und glänzende Klarheit, welche eine für Jedermann faßliche Darstellungsart erlaubt, allein es lassen sich Tröstungen daraus schöpfen, welche auf das Innerste der Seele wirken. Schiller stellt die tiefsten Betrachtungen und Ideen immer unter edlen Bildern dar, er spricht zu dem Menschen wie die Natur selbst, denn die Natur ist Denker und Dichter zugleich. Um die Idee der Zeit zu mahlen, läßt sie die Fluthen eines unerschöpflichen Stromes vor unsern Augen vorüberfließen, und damit ihre ewige Jugend uns an unser flüchtiges Daseyn erinnere, bekleidet sie sich mit Blumen, welche verwelken müssen; sie läßt im Herbste die Blätter der Bäume fallen, welche der Frühling in vollestem Glanze sah: die Poesie soll der irdische Spiegel der Gottheit seyn, und in Farben, Tönen und Rhythmen alle Schönheiten des Universums zurückstrahlen.

Schillers Gedicht von der Glocke, besteht aus zwei besondern Theilen; die wiederkehrenden Strophen drücken die Arbeiten beim Gießen der Glocke aus, und zwischen jeder dieser Strophen sind entzückend schöne Verse über die feierlichen Vorfälle oder die außerordentlichen Begebenheiten angebracht, welche durch die Glocken verkündigt werden: z. B. die Geburt, die Hochzeit, der Tod, eine Feuersbrunst, Aufruhr u. s. w. Man könnte wohl die erhabenen Gedanken, die schönen und rührenden Bilder, welche die großen Zeitabschnitte des menschlichen Lebens Schillern einflößten, ins [251] Französische übertragen; allein es ist unmöglich, auf eine edle Art die Strophen nachzuahmen, welche aus kleinen Versen und Worten bestehen, deren seltsamer und schneller Tonfall die verdoppelten Schläge und die eiligen Schritte der Arbeiter hören läßt, welche den glühenden Fluß des Erzes leiten. Kann man durch eine Uebersetzung in Prosa einen Begriff von einem Gedichte dieser Art bekommen? Das hieße Musik lesen statt sie zu hören; und immer noch ist es leichter, sich durch Einbildungskraft die Wirkung der Instrumente vorzustellen, welche man kennt, als die Accorde und Contraste eines Rhythmus und einer Sprache, welche man nicht kennt. Bald macht die regelmäßige Kürze des Metrums die Thätigkeit der Arbeiter und die beschränkte aber unausgesetzte Energie fühlbar, welche bei den materiellen Beschäftigungen Statt findet, bald vernimmt man neben diesem rauhen und lauten Geräusch die ätherischen Gesänge des Enthusiasmus und der Melancholie.

Die Originalität dieses Gedichts geht verloren, wenn man es trennt von dem Eindrucke, den ein geschickt gewähltes Versmaaß und die Reime hervorbringen, die sich wie verständige Echo's antworten, nach Maßgabe des Gedankens verändert; doch würden diese mahlerischen Wirkungen der Töne im Französischen äußerst gewagt seyn. Das Unedle bedroht uns unaufhörlich; wir haben nicht, wie fast alle andere Völker, zwei Sprachen, eine der Prosa und eine der Poesie. Es geht mit den Worten wie mit den Personen, da wo die Stände gemischt sind, ist Vertraulichkeit gefährlich.

Ein anderes Gedicht von Schiller: Cassandra, ließe sich leichter in's Französische übersetzen, obgleich der poetische Ausdruck darin von großer Kühnheit ist. Cassandren ergreift in dem Augenblicke, [252] wo das Hochzeitfest Achill's und der Polyxena beginnen soll, ein Vorgefühl des Unglücks, das aus diesem Feste hervorgehn wird. Sie schreitet traurig und in sich gekehrt in Apollons Hain umher, und klagt über ihre Kenntniß der Zukunft, die alle ihre Genüsse stört. Man sieht in diesem Gedicht das Unglück, das auf dem Menschen lastet, dem göttliche Voraussehung verliehen ist. Fühlen aber den Schmerz der Prophetin nicht alle, die mit einem hervorragenden Geiste einen leidenschaftlichen Character verbinden? Schiller hat hier unter einer ganz poetischen Form eine große moralische Idee ausgesprochen: daß nämlich das wahre Genie, das Genie der Empfindung, sich selbst zum Opfer wird, wenn es dies nicht von andern ist. Für Cassandra giebt es keine Ehe, nicht als ob sie unempfindlich oder verschmähet wäre, nein, ihr durchdringendes Gemüth schreitet in wenigen Augenblicken dem Leben wie dem Tode zuvor, und kann allein im Himmel Ruhe finden.

Ich würde nicht fertig werden, wenn ich aller Gedichte von Schillern erwähnen wollte, welche neue Gedanken und neue Schönheiten enthalten. Er hat auf die Abreise der Griechen nach der Einnahme von Troja eine Hymne gemacht, welche man einem damaligen Dichter zuschreiben könnte, so treu ist der Character der Zeit darin beobachtet. Ich werde in Hinsicht der dramatischen Kunst das bewundernswürdige Talent der Deutschen untersuchen, sich in Jahrhunderte, Länder und Charactere zu versetzen, welche von den ihrigen ganz verschieden sind: eine herrliche Fähigkeit, ohne welche die Personen, die man auf die Bühne bringt, Marionetten gleichen, welche durch einen Faden bewegt werden, und die nur durch eine Stimme, nämlich die des Verfassers, sprechen. Schiller verdient vorzüglich [253] als dramatischer Dichter Bewunderung; Göthe behauptet einzig den obersten Rang in der Kunst, Elegieen, Romanzen, Stanzen u. s. w. zu verfertigen.

Göthe's zerstreute Gedichte haben ein von den Voltaire'schen sehr verschiedenes Verdienst. Der französische Dichter wußte den Geist der glänzendsten Gesellschaft in Verse zu bringen; der deutsche Dichter erweckt durch einige schnellwirkende Züge, tiefe und der Einsamkeit angehörige Eindrücke.

Göthe ist, in dieser Gattung von Werken, im höchsten Grade natürlich; nicht nur natürlich, wenn er nach seinen eigenen Empfindungen spricht, sondern auch, wenn er sich in ganz neue Gegenden, Sitten und Situationen versetzt; seine Poesie nimmt leicht den Anstrich der fremden Länder an, mit einem ganz einzigen Talente ergreift er das Gefällige in den Nationalgesängen jedes Volks; er wird, wenn er will, zum Griechen, Indier oder Morlacken. Wir haben oft von dem gesprochen, was die nordischen Dichter auszeichnet, der Melancholie und dem Tiefsinn; Göthe vereinigt, wie jedes Genie, erstaunenswürdige Gegensätze in sich; man findet in seinen Gedichten viele Spuren des Characters der Bewohner des Südens; er ist befreundeter mit dem Leben als die Nordländer; er empfindet die Natur mit mehr Kraft und Heiterkeit, sein Geist hat jedoch deshalb nicht weniger Tiefe, allein sein Talent hat mehr Leben; man findet bei ihm eine gewisse Naivetät, welche eine Erinnerung an die antike Einfachheit, und an die des Mittelalters zugleich erweckt: es ist nicht die Naivetät der Unschuld, sondern die der Kraft. Man bemerkt in Göthe's Poesieen, daß er eine Menge Hindernisse, conventioneller Gesetze, Kritiken und [254] Bemerkungen, welche man ihnen entgegenstellen könnte, verachtet. Er folgt seiner Einbildungskraft, wohin sie ihn führt, und ein gewisser Stolz im Großen befreit ihn von den Bedenklichkeiten der Eigenliebe. Göthe ist in der Poesie ein Künstler, der der Natur im hohen Grade Meister ist, und noch bewundernswerther, wenn er seine Gemälde nicht vollendet: denn alle seine Skizzen enthalten den Keim einer schönen Dichtung; allein seine vollendeten Dichtungen setzen nicht immer eine glückliche Skizze voraus.

In seinen Römischen Elegieen muß man keine Beschreibungen Italiens suchen. Göthe thut fast nie das, was man von ihm erwartet, und wenn Pracht in einer Idee liegt, so mißfällt sie ihm; er will durch einen Umweg, und gleichsam ohne daß der Verfasser und Leser darum zu wissen scheinen, Wirkung hervorbringen. Seine Elegieen malen den Eindruck Italiens auf seine ganze Existenz, jene glückliche Trunkenheit, womit ihn ein glückliches Clima erfüllte. Er erzählt seine Vergnügungen, selbst die gemeinsten, nach Art des Properz, und von Zeit zu Zeit geben einige schöne Erinnerungen an die weltbeherrschende Stadt der Einbildungskraft einen um so lebhaftem Schwung, je weniger sie darauf vorbereitet war.

Einmal erzählt er, wie er in der Campagna di Roma einer jungen Frau begegnete, auf den Trümmern einer antiken Säule sitzend, ihr Kind säugend: er will sie über die Ruinen befragen, die ihre Hütte umgeben; sie weiß nicht, wovon er redet, ganz dem Triebe hingegeben, der ihre Seele erfüllt, liebt sie, und so existirt nur der gegenwärtige Augenblick für sie.

Ein griechischer Schriftsteller erzählt, daß ein junges Mädchen, geschickt in der Kunst, Blumen [255] zu flechten, mit ihrem Liebhaber wetteiferte, der sie zu malen verstand. Göthe hat hieraus ein reizendes Sujet geschaffen. Der Verfasser dieses Gedichts ist auch der Author Werthers. Von dem Gefühl an, welches Anmuth giebt, bis zu der Verzweiflung, die das Genie exaltiert, hat Göthe die Liebe in allen ihren Schattirungen durchlaufen.

Nachdem er im neuen Pausias zum Griechen geworden, führt uns Göthe, durch eine Erzählung voll Reiz, nach Indien. Ein indischer Gott (Mahadöh) nimmt die sterbliche Form an, um über die Freuden und Leiden der Menschen, nachdem er sie selbst erprobt, urtheilen zu können. Er durchstreift Asien, beobachtet die Großen und das Volk; als er eines Tages an den Ufern des Ganges auf und niedergeht, hält ihn ein[e] Bajadere an, und ladet ihn ein, in ihrer Wohnung zu ruhen. In dem Gemälde der Tänze dieser Bajadere, der Düfte und Blumen, mit denen sie sich schmückt, ist so viel Poesie, es trägt ein so orientalisches Gepräge, daß man nach unsern Sitten diese ihnen so durchaus fremde Darstellung nicht beurtheilen kann. Der indische Gott flößt diesem verirrten Weibe wahrhafte Liebe ein, und gerührt von ihrer Rückkehr zum Guten, die eine aufrichtige Anhänglichkeit immer zur Folge hat, beschließt er, das Herz der Bajadere durch Unglück zu läutern.

Bei ihrem Erwachen findet sie ihren Geliebten todt an ihrer Seite: die Priester Brama's tragen den leblosen Körper weg, den der Scheiterhaufen verzehren soll. Die Bajadere will sich zugleich mit dem Geliebten darauf stürzen, aber die Priester stoßen sie zurück, weil sie, nicht seine Gattin, nicht das Recht habe, mit ihm zu sterben. Sie, nachdem sie alle Schmerzen der Liebe und der Scham durchgefühlt, springt wider den Willen [256] der Braminen, in die Flammen, aus denen sie der Gott nun, nachdem er sie zu einem würdigen Gegenstande seiner Liebe gemacht, mit feurigen Armen zum Himmel emporträgt.

Zelter, ein origineller Componist, hat zu diesem Gedichte eine Musik gesetzt, die abwechselnd wollüstig und feierlich, in besonders gutem Einklang mit den Worten steht, so daß man sich dabei mitten nach Indien unter dessen Wunder versetzt glaubt. Man sage mir nicht, daß eine Romanze ein zu kurzes Gedicht sey, um eine solche Wirkung hervorzubringen: die ersten Noten einer Arie, die ersten Verse eines Gedichts verpflanzen die Einbildungskraft in die Gegend und Zeit, die man darstellen will; wenn aber einige Worte diese Macht haben, so können einige Worte auch leicht diesen Zauber zerstören. Zauberer thaten, oder hemmten, sonst Wunder durch Hülfe einiger magischen Worte. Der gleiche Fall ist es mit dem Dichter, der die Vergangenheit heraufbeschwört, oder die Gegenwart wiedererscheinen läßt, je nachdem er Ausdrücke gebraucht, die für die Zeit oder das Land, die er besingt, passen, oder nicht, und die Localfarben und kleinen sinnreich erfundenen Umstände benutzt, die den Geist, in der Dichtung, wie in der Wirklichkeit, üben, die Wahrheit, ohne daß man sie, ausspreche, zu finden.

Ein anderes Gedicht Göthe's, der Fischer, bringt eine herrliche Wirkung durch die einfachsten Mittel hervor. Ein Fischer sitzt an einem Sommerabende an dem Ufer eines Flusses, und schaut, indem er die Angel auswirft, in die klaren und durchsichtigen Fluthen, die seine nackten Füße sanft bespülen. Die Nymphe des Flusses ladet ihn ein, zu ihr nieder zu tauchen, sie mahlt ihm die Wonne des Aufenthalts im Wasser während der Hitze, die [257] Labung, die die Sonne empfindet, wenn sie sich ins Meer senkt, die Ruhe des Mondes, wenn seine Strahlen auf den Wellen spielen und darauf entschlummern; der Fischer fühlt sich angezogen, verführt, hinunter gelockt, er nähert sich der Nymphe und verschwindet auf ewig. Der Stoff dieser Romanze ist nur geringfügig, aber die Art, die geheimnißvolle Gewalt, welche die Naturerscheinungen auf die Seele ausüben können, darzustellen, wahrhaft bezaubernd. Es giebt, sagt man, Personen, die in der Erde tief verborgene Quellen, durch die Nervenerschütterung, die sie ihnen verursachen, fühlen können; und in der deutschen Poesie glaubt man oft diese Wunder der Sympathie zwischen dem Menschen und den Elementen zu erkennen. Der deutsche Dichter versteht die Natur, nicht bloß als Dichter, sondern als ein Bruder, man mögte sagen, daß die Familienverhältnisse in seinem Herzen für die Luft, das Wasser, die Blumen und Bäume, kurz für alle Urschönheiten der Schöpfung sprechen.

Es giebt wohl keinen, der nicht den unerklärlichen Reiz empfunden hätte, den die Wellen erregen, sey es durch die liebliche Kühlung, oder durch das Uebergewicht, welches eine gleichförmige und unaufhörliche Bewegung unbemerkt über eine vorübergehende, dem Untergang unterworfene Existenz gewinnen muß. Göthe's Romanze drückt auf wunderbare Weise das immer steigende Vergnügen aus, mit welchem man in die reinen Wellen eines Flusses schaut. Das Gleichgewicht des Rhythmus und der Harmonie ahmt dem Wellenschlage nach, und bringt auf die Einbildungskraft eine gleiche Wirkung hervor. Die Seele der Natur stellt sich uns von allen Seiten und unter tausendfältig verschiedenen Gestalten dar. Der fruchtreiche Acker, wie die Wüste, das Meer wie die Sterne, alle sind gleichen Gesetzen [258] unterthan; und der Mensch verschließt in der eignen Brust Gefühle und verborgene Mächte, die mit dem Tage, der Nacht und dem Sturm in Beziehung stehen; diese geheime Verbindung unsers innersten Wesens mit den Wundern der Welt ist es, was der Dichtkunst ihre wahre Größe giebt. Der Dichter stellt die Einheit her zwischen der physischen und der moralischen Welt: seine Einbildungskraft knüpft zwischen beiden das Band.

Mehrere einzelne Gedichte Göthe's sind voll Heiterkeit; selten aber nur findet man darin die Gattung des Scherzes, an welche wir gewöhnt sind: es sind komische Bilder, nicht Lächerlichkeiten, die seine Einbildungskraft anregen; so weiß er mit einem besonderen Instinkt die Originalität der Thiere, die immer neu und immer die nämliche ist, darzustellen. Lilis Park, das Hochzeitlied im alten Schlosse malen die Thiere nicht wie Menschen nach Lafontaine's Art, sondern wie wunderbare Geschöpfe mit denen die Natur ein heitres Spiel treibt. Auch aus dem Quell des Wunderbaren lockt Göthe Scherze, die um so liebenswürdiger erscheinen, als sich kein ernsthafter Zweck dabei erkennen läßt.

Sein Zauberlehrling verdient in dieser Hinsicht eine besondere Erwähnung. Der Schüler eines alten Hexenmeisters hat von ihm einige magische Worte murmeln hören, durch die er einen alten Besen zwingt, ihn zu bedienen; er behält sie, und befiehlt dem Besen, ihm aus dem Flusse Wasser zu holen, um das Haus zu scheuern. Der Besen geht und kömmt, und bringt einen Eimer Wasser nach dem andern, und hört nimmer auf. Der Lehrling will ihm nun Einhalt thun, aber er hat die dazu nöthigen Worte vergessen; und der Besen, seiner Pflicht getreu, steigt immer wieder zum Flusse hinab, schöpft immer neues Wasser, und [259] begießt, oder überschwemmt damit das ganze Haus. In seinem Zorn ergreift der Lehrling ein Beil und haut den Besen mitten durch, aber was geschieht? – Die beiden Enden des Stiels werden zwei Knechte statt Eines, und laufen nun beide nach Wasser, und gießen es um die Wette mit mehr Eifer als je, in den Stuben umher. Der Lehrling mag die dummen Stöcke ausschelten, so kräftig er will, sie treiben ihr Gewerbe ohne Unterlaß, und, das Haus ist im Begriff zu sinken, als der Meister noch zur rechten Zeit dem Lehrling zu Hülfe kömmt und ihn wegen seiner lächerlichen Anmaßung verspottet. Die ungeschickte Nachahmung der großen Geheimnisse der Kunst ist in dieser kleinen Scene vortrefflich dargestellt.

Noch müssen wir einer unerschöpflichen Quelle poetischer Wirkung in Deutschland gedenken, des Graulichen. Zauberer und Gespenster gefallen dem Volke, wie den aufgeklärten Menschen. Das ist noch ein Ueberrest der nordischen Mythologie; es ist eine Stimmung, welche erweckt wird durch die langen Nächte des nördlichen Himmels: überdies behält der Volks-Aberglaube, obgleich das Christenthum alle grundlose Schrecknisse bestreitet, immer Ähnlichkeit mit der herrschenden Religion. Fast alle wahre Vorstellungen haben einigen Irrthum in ihrem Gefolge; er stellt sich in der Einbildungskraft, wie der Schatten zur Seite der Wirklichkeit; es ist ein Glaubensluxus, der sich gewöhnlich mit der Religion, wie mit der Geschichte verbindet, und ich wüßte nicht warum man ihn nicht benutzen sollte. Shakespeare hat durch Gespenster und durch Zauberei bewundernswürdige Wirkungen hervorgebracht, und die Poesie kann nicht populär werden, wenn sie dasjenige verschmäht, was eine unwillkührliche Gewalt über die [260] Einbildungskraft ausübt. Genie und Geschmack können die Benutzung solcher Mährchen regeln: allein es gehört um so mehr Talent zu ihrer Behandlung, je gemeiner der Inhalt ist, vielleicht aber besteht die große Gewalt eines Gedichts nur allein in dieser Vereinung. Wahrscheinlich wurden die in der Ilias und der Odyssee erzählten Begebenheiten lange zuvor von Ammen gesungen, ehe Homer seine Meisterwerke daraus machte.

Bürger ist unter allen Deutschen derjenige, der diese Ader des Aberglaubens, welche so tief in das menschliche Herz hinabreicht, am besten zu benutzen gewußt hat. Daher sind auch seine Romanzen in Deutschland von jedermann gekannt. Die berühmteste unter allen, Lenore ist, so viel ich weiß, noch nicht ins Französische übersetzt, wenigstens würde es sehr schwer seyn, alle ihre Einzelnheiten durch unsere Prosa oder unsere Verse wiederzugeben.

Ein junges Mädchen ist in Angst, von ihrem, in den Krieg gezogenen, Geliebten keine Nachricht zu haben. Der Friede wird abgeschlossen, alle andere Soldaten kehren in ihre Heimath zurück. Mütter finden ihre Söhne, Schwestern ihre Brüder, Gattinnen die Gatten wieder, Kriegstrommeten begleiten die Friedensgesänge, und Freude herrscht in Aller Herzen. Lenore durchläuft umsonst die Reihen der Krieger, sie findet ihren Geliebten nicht, niemand kann ihr sagen, was aus ihm geworden. Sie verzweifelt, ihre Mutter sucht sie zu beruhigen, aber Lenorens junges Herz empört sich gegen ihren Schmerz, und in ihrer Verirrung hadert sie mit der Vorsehung. In dem Augenblick, wo die Gotteslästerung ausgestoßen wird, fühlt man etwas Unheilbringendes durch das Gedicht hinziehn, und von diesem Augenblick an bleibt auch die Seele in fortwährender Erschütterung. [261]

Um Mitternacht hält ein Reiter vor Lenorens Thür; sie hört Pferdegewieher und Sporengeklirre, der Reiter klopft an, sie steigt hinab, und erkennt ihren Geliebten. Er fordert von ihr, daß sie ihm sogleich folge, denn er habe keinen Augenblick zu verlieren, um zur Armee zurückzukommen. Sie fliegt auf ihn zu, er hebt sie hinter sich auf's Pferd und reitet mit Blitzesschnelle von dannen. Nun streift er im Galopp durch die Nacht hin mit ihr über öde und wüste Steppen; das junge Mädchen, von Grausen erfüllt, fragt ihn unaufhörlich nach der Ursache der Schnelligkeit des Ritts, aber der Reiter beschleunigt die Schritte des Rosses noch durch ein dumpfes und tiefes Geschrei, wobei er mit leiser Stimme ruft:

 

Hurrah, die Todten reiten schnell!

 

worauf Lenore antwortet:

 

Ach, laß sie ruhn, die Todten!

 

So oft sie ihm ihre unruhigen Fragen wiederholt, so oft erfolgt die nämliche unheilschwangre Erwiederung.

Wie er sich endlich der Kirche naht, wohin er, wie er ihr sagt, sie führt, um sich mit ihr zu vermählen, scheinen Winter und Reif die Natur selbst zu einer traurigen Vorbedeutung umgestaltet zu haben. Priester tragen in Trauerpomp einen Sarg herbei, und ihre schwarzen Gewänder schleppen langsam über den Schnee hin, der wie ein Leichentuch die Erde deckt; die Furcht des jungen Mädchens steigt, und ihr Geliebter sucht sie immer in einem Tone zu beruhigen, in dem sich Ironie und Sorglosigkeit vermischen, und der wahrhaft Schauder-erregend wirkt. Alles, was er sagt, trägt das Gepräge einer einsylbigen Eile, als ob seine Sprache schon nicht mehr die Accente des Lebens an sich trüge; [262] er verspricht ihr, sie in ein stilles kleines Kämmerlein zu führen, wo ihre Hochzeit Statt finden solle. Aus der Ferne erblickt man den Kirchhof, zur Seiten der Kirchpforte; der Reiter berührt diese Pforte mit einer schwanken Gerte, stürzt mit verhängtem Zügel hindurch, über Gräber hin, und verliert nun plötzlich stufenweise das menschliche Ansehen, verwandelt sich in ein Todtengerippe, und die Erde thut sich auf, ihn und sein Liebchen zu verschlingen.

Ich schmeichle mir gewiß nicht, durch diesen Auszug das außerordentliche Verdienst dieser Romanze dargestellt zu haben: alle Bilder, alle Eindrücke der Schreckenstöne, sind in Bezug auf die Gemüthslage auf eine wunderbare Weise durch die Poesie ausgedrückt: Sylben, Reime, die ganze Kunst mit Worten und mit ihrem Schall zu malen, sind aufgewandt um Schauder zu erregen. Die Schnelligkeit der Hufschläge erscheint feierlicher und dumpfer, als selbst die Langsamkeit eines Trauermarsches. Die Gewalt, womit der Reiter seinen Lauf beschleuniget, dieser Uebermuth des Todes, verursachen eine nicht auszudrückende Angst, und man glaubt sich selbst von dem Phantom ergriffen, wie die Bejammernswürdige, die er mit sich in den Abgrund zieht.

Es giebt vier Englische Uebersetzungen der Lenore, unter denen unstreitig die beste die des Herrn Robert Spencer ist, der unter allen Englischen Dichtern den wahren Geist der fremden Sprachen am tiefsten kennt. Die Aehnlichkeit des Englischen mit dem Deutschen erlaubt es, in dieser Sprache die Eigenthümlichkeit des Stils und der Versification Bürgers auszudrücken, und man findet in der Uebersetzung nicht nur die Idee des Originals, sondern auch die nämlichen Sinneseindrücke wieder: [263] ein unerlaßliches Erforderniß, um ein Werk der Kunst Ausländern kenntlich zu machen. Es würde schwer seyn. eine gleiche Wirkung im Französischen hervorzubringen, wo nichts was seltsam ist, natürlich scheint.

Bürger hat noch eine andere Romanze gedichtet, die minder berühmt, aber auch sehr eigenthümlich ist: der wilde Jäger. Im Gefolge seiner Dienerschaft und einer zahlreichen Meute, geht dieser eines Sonntags, in dem Augenblick, wo die Dorfglocken den beginnenden Gottesdienst verkünden, auf die Jagd. Ein Ritter in weißer Rüstung gesellt sich zu ihm, und beschwört ihn, den Tag des Herrn nicht zu entheiligen; ein andrer Ritter, in schwarzer Rüstung, spottet darüber, daß er Vorurtheilen Gehör geben solle, die nur Greisen und Kindern ziemten. Der Jäger horcht den bösen Eingebungen; er zieht fort, und kömmt an das Feldstück einer armen Wittwe: sie wirft sich ihm zu Füßen, um ihn zu bitten, nicht mit seiner Schaar durch das Getreide zu reiten und ihre Ernte zu zerstören. Der weiße Ritter ermahnet die Stimme des Mitleids zu hören, der schwarze Ritter spottet über dies kindische Gefühl: der Jäger nimmt die Rohheit für Kraft, und läßt seine Rosse die Hoffnung der Armen und der Waisen mit den Füßen zerstampfen. Endlich rettet sich der verfolgte Hirsch in die Hütte eines alten Einsiedlers, der Jäger will Feuer daran legen, um seine Beute herauszutreiben; der Einsiedler umfaßt seine Knie, er will den Rasenden besänftigen, der sein niedres Dach bedroht; noch zum letzten Male spricht ihm sein guter Geist, unter der Gestalt des weißen Ritters, zu, aber der böse Geist, der schwarze Ritter, behält die Oberhand: der Jäger tödtet den Einsiedler, wird aber augenblicklich in ein Gespenst verwandelt, das die eignen Hunde verschlingen [264] wollen. Ein Volksglaube hat zu dieser Romanze die Veranlassung gegeben. Man will nämlich zu gewissen Jahreszeiten um Mitternacht über dem Walde, wo die Geschichte sich ereignet, einen Jäger sehen, der bis zum Anbruch des Tages von seinen wüthenden Hunden durch die Wolken gehetzt wird.

Das wahrhaft Schöne in diesem Bürgerschen Gedichte ist das Gemälde des heftigen Willens des Jägers, der erst unschuldig war, wie alle Gemüthskräfte, aber immer tiefer sinkt, so oft er seinem Gewissen Widerstand leistet und seinen Leidenschaften folgt. Zuerst treibt ihn nur der Rausch der Kraft; von da geht er zum Verbrechen über, und nun kann die Erde ihn nicht ferner tragen. Die guten und bösen Triebe im Menschen sind durch die weißen und schwarzen Ritter sehr gut characterisirt, und die immer in gleichen Ausdrücken wiederkehrende Abmahnung des weißen Ritters vortrefflich gefaßt. Die Alten und die Dichter des Mittelalters verstanden sich vollkommen auf das Furchtbare, das, unter gewissen Umständen, die Wiederholung der nämlichen Worte mit sich führt; es ist, als ob dadurch das Gefühl der unbeugsamen Nothwendigkeit erweckt würde. Schatten, Orakel, alle übernatürliche Mächte, müssen eintönig reden; was unwandelbar ist, ist einförmig, und bei gewissen Dichtungen liegt eine große Kunst darin, durch Worte die feierliche Stetigkeit nachzuahmen, wie sie die Einbildungskraft sich in dem Reich der Finsternisse und des Todes mahlt.

Noch läßt sich von Bürger eine gewisse Vertraulichkeit im Ausdruck bemerken, die der Würde der Poesie keinen Eintrag thut und ihre Wirkung ausgezeichnet vermehrt. Wenn man uns den Schrecken oder die Bewunderung näher bringt, ohne eine [265] oder die andere zu schwächen, so werden diese Gefühle nothwendigerweise viel stärker; in der Malerei vermischt man auf diese Weise das, was wir täglich sehen, mit dem, was wir nie erblicken, und das, was wir kennen, flößt uns Glauben ein an das, was wir anstaunen.

Auch Göthe hat sich an einem dieser Gegenstände versucht, die sowohl Kinder als Erwachsene erschrecken; aber er hat tiefe Ansichten hineingelegt, die auf lange Stoff zum Denken geben. Ich will von derjenigen seiner Gespensterdichtungen reden, die am meisten Ruf in Deutschland hat, der Braut von Corinth. Indessen will ich gewiß auf keine Weise die Vertheidigung des Zwecks dieses Gedichtes, noch des Gedichtes selbst, übernehmen, aber es scheint mir schwer, nicht von der Einbildungskraft angeregt zu werden, die es hervorbringen konnte.

Zwei Freunde, einer aus Athen, der andre aus Corinth, haben beschlossen, Sohn und Tochter mit einander zu vermählen; der Jüngling reiset nach Corinth ab, um seine Braut, die er noch nicht kennt, zu sehen. Die Handlung fällt in die Zeit der ersten Ausbreitung des Christenthums: die Familie des Atheniensers hat ihre alte Religion beibehalten; die des Corinthers den neuen Glauben angenommen, und die Mutter, während einer langwierigen Krankheit, ihre ältere Tochter dem Altar gelobt. Die jüngere Schwester ist bestimmt, jene, die zur Nonne gemacht worden, zu ersetzen.

Der Jüngling kommt spät im Hause seiner Schwiegereltern an, die ganze Familie schläft, bis auf die Mutter; man bringt ihm Speisen auf sein Zimmer, und läßt ihn allein; kurze Zeit darauf tritt ein seltsamer Gast zu ihm ein: ein junges Mädchen mit weißem Schleier und Gewand, die Stirn [266] mit einem schwarz und goldnen Bande umgeben, schreitet bis in die Mitte des Zimmers vor, und als sie den Jüngling erblickt, fährt sie erschrocken zurück, und ruft, eine weiße Hand zum Himmel hebend:

 

Bin ich denn so fremd im Hause,

Daß ich von dem Gaste nichts vernahm?

Ach, so hält man mich in meiner Klause!

 

Sie will fliehen, der Jüngling hält sie auf:

 

Bleibe schönes Mädchen, ruft der Knabe,

Rafft von seinem Lager sich geschwind:

Hier ist Ceres, hier ist Bachus Gabe;

Und du bringst den Amor, liebes Kind.

Bist vor Schrecken blaß!

Liebe, komm und laß,

Laß uns sehn, wie froh die Götter sind.

 

So beschwört er sie, sich ihm zu ergeben, doch sie antwortet ihm:

 

Ferne bleib', o Jüngling! bleibe stehen;

Ich gehöre nicht den Freuden an;

Schon der letzte Schritt ist, ach! geschehen,

Durch der guten Mutter kranken Wahn,

Die genesend schwur:

Jugend und Natur

Sey dem Himmel künftig unterthan.

 

Und der alten Götter bunt Gewimmel

Hat sogleich das stille Haus geleert;

Unsichtbar wird Einer nur im Himmel,

Und ein Heiland wird am Kreuz verehrt;

Opfer fallen hier

Weder Lamm noch Stier,

Aber Menschenopfer unerhört.

 

Und sie kommt und wirft sich zu ihm nieder:

Ach! wie ungern seh' ich dich gequält!

Aber, ach! berührst du meine Glieder,

Fühlst du schaudernd, was ich dir verhehlt.

Wie der Schnee so weiß, [267]

Aber kalt wie Eis,

Ist das Liebchen, das du dir erwählt.

 

Um die Geisterstunde scheint die Jungfrau wohlgemuther zu werden, sie schlürft gierig dunkel blutgefärbten Wein, ähnlich dem, den die Schatten in der Odyssee tranken, um sich ihre Erinnerungen wieder hervorzurufen;

 

Doch vom Weizenbrod,

Das er freundlich bot,

Nahm sie nicht den kleinsten Bissen ein.

 

Sie reicht dann ihrem Verlobten eine goldne Kette dar, und verlangt von ihm eine Locke; der Jüngling, hingerissen von der Schönheit des Mädchens, schließt sie mit Inbrunst in seine Arme:

 

Hoffe doch bei mir noch zu erwarmen,

Wärst du selbst mir aus dem Grab gesandt!

 

ruft er aus, und

 

Seine Liebeswuth

Wärmt ihr starres Blut,

Doch es schlägt kein Herz in ihrer Brust.

 

Dies ist die ungeheuerste Scene, die eine fieberhafte Phantasie sich malen konnte, ein Gemisch von Lieb' und Grausen, eine furchtbare Ehe zwischen Leben und Tod. Es ist eine Art von Leichen-Wollust in diesem Gemälde, wo die Liebe mit dem Grab ein Bündniß schließt, und die Schönheit selbst nur wie eine Schauder erregende Erscheinung auftritt.

Endlich kommt die Mutter hinzu, und in der Meinung, daß eine ihrer Sclavinnen zu dem Fremden eingedrungen ist, will sie sich ihrem gerechten Zorn überlassen; aber die Tochter

 

– – – windet gleich sich selbst hervor;

Wie mit Geist's Gewalt,

Hebet die Gestalt,

Hoch und langsam sich im Bett empor. [268]

 

Mutter! Mutter! spricht sie hohle Worte:

So mißgönnt Ihr mir die schöne Nacht!

Ihr vertreibt mich von dem warmen Orte.

Bin ich zur Verzweiflung nur erwacht?

Ist's Euch nicht genug,

Daß in's Leichentuch,

Daß Ihr früh mich in das Grab gebracht?

 

Aber aus der schwerbedrängten Enge

Treibet mich ein eigenes Gericht.

Eurer Priester summende Gesänge,

Und ihr Segen haben kein Gewicht;

Salz und Wasser kühlt

Nicht, wo Jugend fühlt;

Ach! die Erde kühlt die Liebe nicht.

 

Dieser Jüngling war mir erst versprochen,

Als noch Venus heitrer Tempel stand.

Mutter! habt Ihr doch das Wort gebrochen,

Weil ein fremd, ein falsch Gelübd' Euch band!

Doch kein Gott erhört,

Wenn die Mutter schwört,

Zu versagen ihrer Tochter Hand.

 

Schöner Jüngling! kannst nicht länger leben;

Du versiechest nun an diesem Ort.

Meine Kette hab' ich dir gegeben;

Deine Locke nehm' ich mit mir fort.

Sieh sie an genau,

Morgen bist du grau,

Und nur braun erscheinst du wieder dort.

 

Höre, Mutter! nun die letzte Bitte:

Einen Scheiterhaufen schichte du;

Oeffne meine bange kleine Hütte,

Bring' in Flammen Liebende zur Ruh.

Wenn der Funke sprüht,

Wenn die Asche glüht,

Eilen wir den alten Göttern zu.

 

Allerdings muß ein reiner und strenger Geschmack viel an diesem Stücke zu tadeln finden, aber liest man es im Original, so ist es unmöglich, die Kunst nicht zu bewundern, mit welcher jedes Wort [269] ein steigendes Entsetzen erregt, und das Schrecklich-Wunderbare der Situation andeutet, ohne sie zu erklären. Eine Geschichte, wovon nichts eine Idee geben kann, erscheint, mit so treffenden und natürlichen Details ausgemalt, wie eine wirklich sich ereignende Thatsache, und die Neugier wird immer reger, ohne daß man einen einzigen Umstand aufopfern möchte, sie früher, befriedigt zu sehen.

Dessen ungeachtet ist dies Stück unter den kleineren Werken der berühmten deutschen Dichter wohl das einzige, gegen welches der französische Geschmack etwas zu erinnern haben dürfte: in allen andern scheinen beide Nationen gleicher Meinung. Der Dichter Jacobi hat in seinen Versen beinahe das Pikante und Leichte Gressets. Matthisson hat der beschreibenden Poesie, deren Züge oft zu unbestimmt waren, den Charakter eines Gemäldes gegeben, das eben so sehr durch Colorit als durch Aehnlichkeit überrascht. Der eindringliche Reiz von Salis Gedichten erweckt eine Liebe für den Verfasser, als ob man zu seinen Freunden gehörte. Tiedge ist ein moralischer, reiner Dichter, dessen Schriften die Seele zum religiösesten Gefühl erheben. Endlich müßte ich hier noch eine große Menge von Dichtern anführen, wenn es möglich wäre, alle die lobenswürdigen Namen aus einem Lande zu nennen, wo die Poesie allen gebildeten Geistern so natürlich ist.

A. W. Schlegel, dessen literarische Meinungen in Deutschland so viel Aufsehn erregt haben, erlaubt sich in seinen Poesieen nicht den geringsten Ausdruck, nicht die kleinste Wendung, welche die strengste Geschmacks-Theorie tadeln könnte. Seine Todtenopfer, sein Bund der Kirche mit den Künsten, seine Elegie Rom, sind mit der gehaltensten Zartheit und mit gleichem Adel geschrieben. [270] Die nachstehenden Proben können dazu dienen den Charakter dieses Dichters zu bezeichnen. Die Idee des Sonnets scheint mir überaus reizend.

 

Anhänglichkeit.

 

Oft will die Seele ihre Flügel dehnen,

Gestärkt von der Betrachtung reiner Speise:

Ihr dünkt, im engen wiederholten Gleise,

Ihr Thun vergeblich, und ihr Wissen Wähnen.

Sie fühlet tief ein unbezwinglich Sehnen

Nach höhern Welten, frei vom Thatenkreise,

Und glaubt am Schluß der Bahn nach ird'scher Weise,

Roll' erst der Vorhang auf zu lichtern Scenen.

Doch rührt der Tod den Leib ihr, daß sie scheide,

So schaudert sie, und sieht zurück mit Zagen

Auf Erdenlust, und sterbliche Gespielen.

Wie einst Proserpina, von Enna's Weide

In Pluto's Arm entführt, kindlich im Klagen,

Um Blumen weinte, die dem Schooß entfielen.

 

In dem jetzt folgenden Gedichte Lebensmelodieen werden der Schwan und der Adler einander entgegengesetzt, der eine als Sinnbild des beschaulichen, und der andre, des thätigen Lebens; die wahrhaften Schönheiten der Harmonie finden sich auch in diesem Gedichte, nicht der nachahmenden Harmonie, sondern der inneren Musik der Seele. Die Rührung trifft diese ohne das Nachdenken, und das denkende Talent macht Poesie daraus.

 

Der Schwan.

Auf den Wassern wohnt mein stilles Leben,

Zieht nur gleiche Kreise, die verschweben,

Und mir schwindet nie im feuchten Spiegel

Der gebogne Hals und die Gestalt.

 

Der Adler.

Ich haus' in den felsigen Klüften,

Ich braus' in den stürmenden Lüften

Vertrauend dem schlagenden Flügel

Bei Jagd und Kampf und Gewalt. [271]

 

Der Schwan.

Mich erquickt das Blau der heitern Lüfte,

Mich berauschen süß des Kalmus Düfte,

Wenn ich in dem Glanz der Abendröthe

Weich, befiedert wiege meine Brust.

 

Der Adler.

Ich jauchze daher in Gewittern,

Wenn unten den Wald sie zersplittern;

Ich frage den Blitz, ob er tödte,

Mit fröhlich vernichtender Lust.

 

Der Schwan.

Von Apollo's Winken eingeladen,

Darf ich mich in Wohllautströmen baden,

Ihm geschmiegt zu Füßen, wenn die Lieder

Tönend wehn in Tempe's Mai hinab.

 

Der Adler.

Ich throne bei Jupiters Sitze;

Er winkt und ich hol' ihm die Blitze,

Dann senk' ich im Schlaf das Gefieder

Auf seinen gebietenden Stab.

 

Der Schwan.

Von der sel'gen Götter Kraft durchdrungen,

Hab' ich mich um Leda's Schooß geschlungen;

Schmeichelnd drückten mich die zarten Hände,

Als ihr Sinn in Wonne sich verlor.

 

Der Adler.

Ich kam aus den Wolken geschossen,

Entriß ihr den blöden Genossen:

Ich trug in den Klauen behende

Zum Olymp Ganymeden empor.

 

Der Schwan.

So gebahr sie freundliche Naturen,

Helena und euch, ihr Dioskuren,

Milde Sterne, deren Brüdertugend

Wechselnd Schattenwelt und Himmel theilt.

 

Der Adler.

Nun tränkt aus nektarischem Becher

Der Jüngling die ewigen Zecher;

Nie bräunt sich die Wange der Jugend,

Wie endlos die Zeit auch enteilt. [272]

 

Der Schwan.

Ahndevoll betracht' ich oft die Sterne,

In der Flut die tiefgewölbte Ferne,

Und mich zieht ein innig rührend Sehnen

Aus der Heimath in ein himmlisch Land.

 

Der Adler.

Ich wandte die Flüge mit Wonne

Schon früh zur unsterblichen Sonne,

Kann nie an den Staub mich gewöhnen.

Ich bin mit den Göttern verwandt.

 

Der Schwan.

Willig weicht dem Tod ein sanftes Leben;

Wenn sich meiner Glieder Band' entweben,

Lös't die Zunge sich: melodisch feiert

Jeder Hauch den heil'gen Augenblick.

 

Der Adler.

Die Fackel der Todten verjünget;

Ein blühender Phönix, entschwinget

Die Seele sich frei und entschleiert,

Und grüßet ihr göttliches Glück.

 

Es verdient bemerkt zu werden, daß der Geschmack der Nationen im Allgemeinen, in der dramatischen Kunst verschiedenartiger ist, als in jedem andern Zweige der Literatur. Ich werde die Gründe dieser Verschiedenheiten in den folgenden Capiteln untersuchen, aber bevor ich zu der Prüfung der deutschen Bühne übergehe, scheinen mir einige allgemeine Bemerkungen über den Geschmack nöthig. Ich werde ihn nicht abstract, wie ein intellectuelles Vermögen betrachten, denn mehrere Schriftsteller, und insbesondere Montesquieu, haben diesen Gegenstand erschöpft; sondern bloß andeuten, warum die Begriffe vom Geschmack in der Literatur bei den Franzosen und den germanischen Völkern so sehr von einander abweichen.