BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Zweiter Theil. I. Abtheilung.

 

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Siebenzehntes Capitel.

 

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Die Räuber und Don Carlos, von Schiller.

 

In seiner ersten Jugend schlug in Schiller eine Talentader, waltete in ihm ein Gedankenrausch, [24] die ihn irre leiteten. Die Verschwörung des Fiesko, Cabale und Liebe, die Räuber (letzteres ist auch auf die französische Bühne gebracht worden), sind Werke, die vor dem Richterstuhl der Kunst, wie vor dem der Moral, verwerflich seyn dürften. Aber seit dem fünfundzwanzigsten Jahre war alles, was aus Schillers Feder floß, lauter und streng. Die Erziehung durch das Leben verschlechtert die leichtsinnigen Gemüther, und vervollkommnet die Denker.

Die Räuber sind ins Französische übersetzt, aber mit seltsamen Veränderungen; denn erstlich, hat man auf die Zeit keine Rücksicht genommen, und somit ist alles historische Interesse verschwunden. Das Stück spielt im fünfzehnten Jahrhundert, in dem Zeitpunkt, wo im deutschen Reiche das Edikt zum ewigen Frieden gegeben wurde, welches alle besondere Fehden verbot. Dieses Edikt trug zur inneren Ruhe von Deutschland nothwendig viel bei; aber der junge Adel, gewohnt, sich auf seine eigene Kraft zu verlassen, und in Fehden und Gefahren zu leben, glaubte in eine Art schimpflicher Unthätigkeit gesunken zu seyn, als er sich dem neuen Gesetze unterwerfen mußte. Nichts war ungereimter als diese Ansicht der Dinge; da nun aber einmal die Menschen sich von der Gewohnheit beherrschen lassen, so ist nichts natürlicher, als sie selbst gegen das Bessere empört zu sehen, weil dieses Bessere eine Neuheit, eine Veränderung ist.

Schillers Räuberhauptmann ist im fünfzehnten Jahrhundert nicht so gräßlich als er es in unseren Zeiten seyn würde; denn zwischen dem Faustrecht seiner Zeit, und dem Räuberhandwerk, das er ergreift, war der Unterschied eben nicht groß, nur hat diese Art von Entschuldigung, die der [25] Verfasser seinem Helden unterlegt, das Stück für die Moralität gefährlicher gemacht. Es ist nicht zu läugnen, daß es in Deutschland eine nachtheilige Wirkung hervorbrachte. Junge Leute, enthusiastisch in den Charakter und in die Lebensweise des Räuberhauptmanns verliebt, haben es versucht, ihn nachzuahmen, haben ihren Hang zum Libertinerleben mit dem ehrenvollen Namen der Freiheitsliebe belegt, und sich beredet, wenn sie ihrer persönlichen Lage überdrüßig waren, es sey der gerechte Unwille gegen die Mißbräuche der Gesellschaft, den sie in sich fühlten. Ihre Versuche, in die Böhmischen Wälder zu ziehen, blieben beim Lächerlichen stehen; gleichwohl haben Romane und Schauspiele in Deutschland weit mehr zu bedeuten, als in jedem andern Lande. Alles wird hier ernsthaft betrieben, und ein Buch oder ein Stück haben Einfluß auf ein ganzes Leben. Was man als Werk der Kunst bewundert, will man sogleich als Handlung in das Leben einführen. Werther hat mehr Selbstmorde veranlaßt, als das schönste Weib; und Dichtkunst, Philosophie, Ideal, vermögen oft mehr über deutsche Gemüther, als Natur und Leidenschaften.

Der Stoff der Räuber, wie so viel anderer Dichtungen, ist ursprünglich aus dem verlornen Sohn entnommen. Franz, ein Heuchler, führt sich, dem Anscheine nach, gut auf. Carl, ein Libertiner, hat, bei seinen Fehlern, einen guten Grund. Dieser Gegensatz ist in religiöser Hinsicht, sehr schön, und lehrt uns, daß Gott die Herzen durchschaue; er hat aber große Nachtheile, sobald er für den Sohn, der das Vaterhaus verließ, zu viel Theilnahme erregen soll. Alle junge Leute von verkehrtem Kopfe maßen sich ein gutes Herz an, und doch ist nichts ungereimter, als sich gute Eigenschaften [26] zuzuschreiben, weil man Fehler in sich fühlt; diese negative Bürgschaft ist nichts weniger als zuverläßig, denn daraus, daß es uns an Vernunft fehlt, folgt keinesweges, daß man Empfindung besitze; oft ist die Thorheit nichts weiter als ein stürmischer Egoismus.

Die Person des Heuchlers, wie Schiller ihn gezeichnet hat, ist gar zu gräßlich. Junge Schriftsteller fallen oft in den Fehler, mit abstoßenden Zügen zu malen; halten die Farbenmischungen in den Gemälden für Zaghaftigkeit des Charakters, da sie doch der Beweis der Talentreife sind. Wenn aber, in diesem Stücke, die Personen zweiter Ordnung nicht mit gehöriger Wahrheit ausgemalt sind, so sind es die Leidenschaften des Räuberhauptmanns mit bewundernswürdiger Kunst. Die Kraftäusserung dieses Charakters zeigt sich wechselsweise im Unglauben, in der Religiosität, in der Liebe, in der wildesten Roheit; da für ihn auf dem Wege der Ordnung nicht fortzukommen ist, so bricht er sich durch das Laster Bahn; das Leben ist für ihn eine Art von Wahnsinn, der sich bald durch Wuth, bald durch Reue Luft macht.

Die Liebesscenen zwischen dem jungen Mädchen und dem Räuberhauptmann, für den sie bestimmt war, sind Meisterstücke des Enthusiasmus und der Empfindsamkeit; es giebt wenig interessantere Lagen, als die der tugendhaften Amalia, deren Herz noch immer für den schlägt, den sie liebte, als er noch ihrer Liebe werth war. Die Verehrung, woran sich ein Frauenzimmer gegen denjenigen gewöhnt, dem sie ihr Herz geschenkt hat, verwandelt sich hier in eine Art von Schrecken und Mitleid, und man sollte glauben, die unglücklich Liebende schmeichle sich, noch einst im Himmel der Schutzengel ihres gefallenen Freundes zu werden, [27] dessen glückliche Gattin sie hier auf Erden nicht mehr zu seyn hoffen darf.

Das Schillersche Stück läßt sich in der französischen Uebersetzung nicht beurtheilen. Hier hat man bloß, wenn ich mich so ausdrücken kann, die Pantomime der Handlung beibehalten; die Urfarbe der Charaktere ist verschwunden, sie, die allein einer Dichtung Leben giebt; die schönsten Tragödien würden zu Melodramen herabsinken, wenn man ihnen die lebendige Schilderung der Gefühle und der Leidenschaften nehmen wollte. Die Macht der Ereignisse reicht nicht hin, den Zuschauer an die handelnden Personen zu ketten; diese Personen mögen sich lieben oder sich ermorden; gleichviel, wenn der Verfasser das Mitgefühl für sie nicht rege gemacht hat.

Don Carlos ist ebenfalls eine Jugendarbeit Schillers, und gleichwohl achtet man dieses Werk als eines von der ersten Classe. Don Carlos ist ein so dramatischer Stoff, als je die Geschichte ihn darbieten konnte. Eine junge Prinzessin, Tochter Heinrichs II. von Frankreich, verläßt den glänzenden ritterlichen Hof ihres Vaters, um einem alten Tyrannen ihre Hand zu geben, dessen finstere, störrische Herzlosigkeit sogar das Gemüth der Spanier ergriff, und der Nation während seiner Regierung, und eine geraume Zeit nachher, ihren Stempel aufdrückte. Don Carlos, früherhin mit Elisabeth verlobt, liebt sie noch, obgleich sie seine Stiefmutter geworden. Zwei große politische Ereignisse, die Reformation und der Aufstand in den Niederlanden, greifen in die tragische Catastrophe des Sohnes, den sein Vater zum Tode verdammt, ein. Das persönliche Interesse ist in diesem Trauerspiele mit dem öffentlichen Interesse im höchsten Grade vereint. [28]

Mehrere Dichter haben diesen Stoff in Frankreich bearbeitet; keiner von ihnen konnte es aber, unter der alten Regierung erlangen, daß sein Stück aufgeführt würde. Man glaubte es dem spanischen Throne schuldig zu seyn, diesen Zug der spanischen Geschichte nicht auf die Bühne zu bringen. Als man einmal bei dem Grafen von Aranda, diesem durch die Unbiegsamkeit seines Willens und seinen beschränkten Verstand so berühmten Gesandten am französischen Hofe, um die Erlaubniß nachsuchte, Lemerciers Trauerspiel, Don Carlos, aufführen zu lassen, welches so eben fertig geworden, und von dem sich der Verfasser viel versprach, antwortete der Graf: «Warum wählte er kein ander Süjet?» – Aber bedenken Ew. Excellenz, daß sein Stück fertig ist, daß er drei Jahre darauf verwendet! – «Aber, mein Gott, gab der Botschafter zur Antwort, giebt es denn in der Geschichte keine andere Begebenheit? Er darf ja nur ein ander Süjet wählen.» Und vergebens suchte man ihn aus diesem Schlußkreise zu bringen, in welchen ein fester Wille ihn gebannt hielt.

Die historischen Stoffe sind für das Talent eine Uebung von ganz verschiedener Art, als die reinen Erdichtungen; vielleicht erfordert es noch mehr Einbildungskraft, die Geschichte in einer Tragödie vorzustellen, als Lagen und Personen nach Gefallen zu schaffen. Thatsachen, die man auf die Bühne bringt, lassen sich nicht wesentlich verändern, ohne ein unangenehmes Gefühl zu erregen; man ist auf Wahrheit vorbereitet, und wird peinlich berührt, wenn der Verfasser dem Erwarteten irgend eine Dichtung unterschiebt. Gleichwohl bedarf die Geschichte einer künstlichen Behandlung, um auf der Bühne Wirkung zu machen, und die Tragödie muß zugleich das doppelte Talent in sich schließen, die [29] Wahrheit zu malen und sie poetisch darzustellen. Schwierigkeiten einer andern Gattung entstehen, wenn die dramatische Kunst sich in das weite Feld der Erfindung wagt; es scheint anfangs, der Geist sey freier, gleichwohl ist nichts seltener als die Kunst, unbekannten Personen einen so bestimmten Charakter zu geben, daß sie sich berühmten Namen zur Seite stellen können. König Lear, Othello, Orosman, Tancred, haben von Shakespeare und Voltaire die Unsterblichkeit erhalten, ohne je gelebt zu haben; nichts desto weniger sind erdichtete Stoffe die gewöhnliche Klippe des Dichters, eben weil sie ihn gar zu unabhängig machen. Historische Stoffe scheinen Zwang anzulegen; hat man aber einmal den Stützpunkt ergriffen, den gewisse Gränzen hinstellen, ist man in die Bahn eingetreten, die sie vorzeichnen, hat man den Anlauf genommen, den sie verstatten, so sind eben diese Gränzen dem Talente zuträglich und günstig. Die treue Poesie läßt die Wahrheit hervorspringen, wie der Sonnenstrahl die Farben heraushebt; sie giebt den Begebenheiten, die sie schildert, den Glanz zurück, den ihnen der finstre Schleier der Zeit geraubt hatte.

In Deutschland giebt man den historischen Trauerspielen den Vorzug, wenn sich die Kunst, wie ein rückwärts gekehrter Prophet 1), darin offenbaret. Der Verfasser, der ein Werk dieser Art liefern will, muß sich ganz in das Jahrhundert und in die Sitten der Personen versetzen, die er darstellt; ein Anachronismus in den Gesinnungen und in der Sinnesart verdiente strengere Rüge, als einer in der Jahres- und Tageszahl. [30]

Nach diesen Grundsätzen haben Einige Schillern getadelt; den Charakter des Marquis Posa, eines spanischen Grande, eines warmen Anhängers der Freiheit, der Toleranz, eines leidenschaftlichen Begünstigers der neuen Ideen, die zu seiner Zeit in Europa zu gähren anfingen, gedichtet zu haben. Ich, für meinen Theil, würde es Schillern eher zum Vorwurf machen, daß er dem Marquis seine eigne Meinungen in den Mund gelegt; doch muß man nicht hinzusetzen wollen, wie es Manche gethan, daß er den Geist des achtzehnten Jahrhunderts aus ihm sprechen ließ. Der Marquis Posa, wie ihn Schiller gezeichnet, ist ein deutscher Enthusiast; und dieser Charakter ist unserer Zeit so fremd, daß man ihn eben so wohl im sechszehnten Jahrhundert als im gegenwärtigen finden kann. Ein größerer Mißgriff ist vielleicht die Voraussetzung, daß ein König wie Philipp II. dem Marquis Posa so lange zuhören, ja ihm nur einen Augenblick sein Zutrauen schenken konnte. Mit Recht sagt Posa von Philipp:

 

Den König geb' ich auf. Was kann ich auch

Dem König seyn? In diesem starren Boden

Blüht keine meiner Rosen mehr.

 

Aber ein Philipp II. würde nie mit einem jungen Mann wie Posa eine Unterhaltung gehalten haben. Der alte Sohn Carls V. konnte in der Jugend und im Enthusiasmus nichts anders sehen, als das Unrecht der Natur und das Verbrechen der Reformation; sich nur auf einen Tag einem edeln Charakter anvertrauen, hätte seinen Charakter verläugnen, und auf die Verzeihung der Jahrhunderte Anspruch machen, geheißen.

Es giebt Inconsequenzen im Charakter aller Menschen, selbst der Tyrannen; aber ihre Absprünge und Folgewidrigkeiten hängen durch unsichtbare [31] Bande mit ihrer Natur zusammen. Im Don Carlos wird einer dieser Scheinwidersprüche auf eine sinnreiche Art aufgegriffen. Der Herzog von Medina-Sidonia, ein alter Admiral, der die unüberwindliche Flotte anführte, die von den Stürmen und den Engländern zerstreut wurde, kommt nach Madrid zurück, und Alles glaubt, Philipps Zorn werde ihn zernichten. Die Hofleute drehen ihm den Rücken zu, keiner wagt es, ihn anzureden: er kniet vor dem Könige nieder, mit gesenktem Haupte, und spricht:

 

Das, großer König,

Ist alles, was ich von der span'schen Jugend

Und der Armada wiederbringe.

Der König (nach einem langen Stillschweigen)

Gott

Ist über mir – Ich habe gegen Menschen

Nicht gegen Stürm' und Klippen Sie gesendet.

(Reicht ihm die Hand zum Kusse)

Seyd mir willkommen in Madrid. – Und Dank,

Daß Ihr in Euch mir einen würd'gen Diener

Erhalten habt!

 

Hier ist wahre Geistesgröße; aber worin liegt sie? In einer Art von Achtung vor dem Alter, von Seiten eines Monarchen, der darüber erstaunt, daß die Natur ihn selbst alt machen durfte. Ferner, in dem Stolze Philipps, der ihm nicht erlaubt, sich selbst seine Unfälle schuld zu geben, indem er sich einer schlechten Wahl anklagt; in der Nachsicht, die er für einen Mann empfindet, den das Geschick niederschlug, weil er es im Grunde gern sieht, daß jeder Stolz, nur nicht der seine, unter das Joch der Nothwendigkeit gebeugt werde; endlich in dem Charakter eines Despoten selbst, den natürliche Hindernisse weniger empören, als der geringste absichtliche Widerstand. Dieser Auftritt wirft ein tief eindringendes Licht auf Philipps Charakter. [32]

Unstreitig läßt sich die Rolle des Marquis Posa als die Schöpfung eines jungen Dichters ansehen, der das Bedürfniß in sich fühlt, sein Gemüth der Lieblingsperson seines Stücks einzuhauchen. Inzwischen ist dieser rein-überspannte Charakter an einem Hofe, wo die Grabesstille, das Schweigen und Zittern, nur von dem unterirdischen Treiben der Ränkesucht unterbrochen wird, an sich eine große Schönheit des Stücks. Don Carlos kann kein großer Mann seyn; seinem Vater mußte es gelingen, ihn schon in der Kindheit niederzudrücken; der Marquis Posa ist ein nothwendiges Mittelwesen zwischen Philipp und ihm. Don Carlos hat allen Enthusiasmus, der aus den Affecten des Herzens entspringt; Posa, den, der aus den öffentlichen Tugenden fließt; er hätte einst der König, jener der Freund seyn müssen; und diese Versetzung der Charaktere ist eine der sinnreichsten Ideen; denn wie wäre es möglich, daß der Sohn eines finstern, grausamen Despoten je Held und Bürger seyn könnte? wo könnte er es gelernt haben, Menschen zu achten? Etwa von seinem Vater, der sie verachtet, oder von den Höflingen seines Vaters, die diese Verachtung verdienen? Don Carlos muß schwach seyn, um gut zu seyn, und die Stelle selbst, die seine Liebe in seinem Leben einnimmt, schließt jeden Gedanken an Politik von seinem Gemüthe aus. Ich sage es noch einmal, die Dichtung des Marquis Posa scheint mir nothwendig, um im Schillerschen Stücke das große Interesse der Nationen und jene ritterliche Kraft anzudeuten, die sich plötzlich, als Folge der damaligen Aufklärung, in Freiheitsliebe verwandelte. So sehr man auch diese Gefühle und Triebe modificirt hätte, um sie dem Thronerben von Spanien anzupassen, so wenig würde sie [33] ihn gekleidet haben; man hätte sie nur für gespielten Edelmuth halten können; und nie darf die Freiheit als ein Geschenk der Macht dargestellt werden.

Der steife, feierliche Hofzwang, hinter den sich Philipp II. verschanzt, wird in einem Auftritt der Königin Elisabeth mit ihren Ehrendamen lebendig geschildert. Sie frägt ihre Oberhofmeisterin, welchen Aufenthalt sie vorziehe, Aranjuez oder Madrid? Die Herzogin erwiedert:

 

Ich bin

Der Meinung, Ihro Majestät, daß es

So Sitte war, den einen Monat hier,

Den andern in dem Pardo auszuhalten,

Den Winter in der Residenz, so lange

Es Könige in Spanien gegeben.

 

Sie erlaubt sich nicht das geringste Zeichen der Vorliebe für den einen oder den andern Aufenthalt; sie ist nicht dazu gemacht, (glaubt sie) irgend etwas zu fühlen, was ihr nicht vorgeschrieben ward. – Elisabeth wünscht ihre Tochter zu sehen; die Oberhofmeisterin versetzt, indem sie auf die Uhr sieht:

 

Es ist

Noch nicht die Stunde, Ihro Majestät. –

 

Endlich erscheint der König, und giebt einer andern Hofdame, weil sie die Königin eine halbe Stunde allein ließ,

 

Zehn Jahre Zeit

Fern von Madrid, darüber nachzudenken,

 

daß sie so strafbar sey.

Philipp II. söhnt sich auf einige Augenblicke mit seinem Sohne aus; ein Wort der Güte von seinen Lippen giebt ihm die ganze väterliche Herrschaft zurük; Don Carlos bricht in die Worte aus: [34]

 

Der ganze Himmel beugt

Mit Schaaren froher Engel sich herunter,

Voll Rührung sieht der Dreimalheilige

Dem großen, schönen Auftritt zu! – Mein Vater!

Versöhnung! –

 

Es ist auch ein schöner Moment, wo der Marquis Posa, als er der Rache Philipps nicht mehr entgehen kann, Elisabeth bittet, die von ihnen entworfenen Pläne zum Glück und Ruhme der spanischen Nation dem Prinzen Don Carlos zur Ausführung zu empfehlen.

 

Sagen Sie

Ihm, daß er für die Träume seiner Jugend

Soll Achtung tragen, wenn er Mann seyn wird.

 

So viel ist gewiß, daß je weiter man im Leben fortschreitet, desto mehr die Klugheit sich herausnimmt und den Vortritt vor allen übrigen Tugenden haben will; sie möchte es uns glauben machen, dem Feuer der Jugend und des Gemüths läge nichts als Thorheit zum Grunde; und gleichwohl, könnte der Mensch nur diese Glut noch behalten, wenn die Erfahrung ihn weise gemacht hat; könnte er nur das Erbe der Zeit einsammeln, ohne sich unter der Last dieses Erbtheils zu krümmen; gewiß er würde nie der überspannten Tugenden spotten, deren erster Rath immer ist: Opfere dich selbst auf!

Der Marquis Posa hat sich in eine Menge spitzfindiger Umstände verwickelt. Er wollte den Schein haben, Don Carlos der Wuth seines Vaters Preis zu geben, um ihn desto sicherer beschützen zu können. Es ist ihm mißlungen; der Prinz ist in Verhaft; der Marquis besucht ihn im Gefängniß, setzt die Gründe seines seltsamen Betragens auseinander, aber während der Rechtfertigung trifft ihn der Schuß eines Meuchelmörders, den Philipp abgeschickt hat, und er fällt todt zu den [35] Füßen seines Freundes nieder. Don Carlos Schmerz ist unübertreffbar; von seinem Vater, der dazu kömmt, fordert er den Freund seiner Jugend zurück, als wenn es von dem Mörder abhinge, seinem Schlachtopfer neues Leben einzuhauchen. Die Blicke auf den leblosen Leichnam geheftet, den vor kurzem noch so viel rege Gedanken beseelten, lieset Don Carlos, selbst zum Tode verurtheilt, in den kalten Zügen seines Freundes, alles, was der Tod ist.

In diesem Trauerspiel kommen auch zwei Mönche vor, deren Charaktere und Lebensarten mit einander contrastiren; der eine, Domingo, des Königs Beichtvater; der andre, Prior eines Karthäuserklosters vor den Thoren von Madrid. Domingo ist ein ränkevoller, verrätherischer, höfischer Mönch, Vertrauter des Herzogs von Alba, dessen Charakter nothwendig gegen den des Königs Philipp im Schatten steht, denn Philipp nimmt alles Schöne im Schrecklichen für sich. Der Prior empfängt, ohne sie zu kennen, den Marquis und Don Carlos, die in seinem Kloster eine Zusammenkunft verabredet hatten; sie sind lebhaft bewegt und erschüttert, der Prior kalt und gelassen. Beide Gemüthsarten bilden einen rührenden Gegensatz. «Die Welt,» sagt der Prior, «hört auf in diesen Mauern.»

Aber nichts im ganzen Stück kommt dem Originellen in der vorletzten Scene des fünften Acts, zwischen dem Könige und dem Großinquisitor, bei. Philipp, den Haß und Eifersucht wider seinen Sohn, den der Abscheu vor dem Verbrechen foltert, das er zu begehen im Begriff steht: Philipp beneidet die Edelknaben, welche ruhig am Fuße seines Bettes schlafen, während die Hölle in seinem Busen jede Ruhe von ihm scheucht. Er läßt den Großinquisitor rufen, um sich mit ihm über [36] die Verdammung Don Carlos zu berathen. Dieser Cardinal ist neunzig Jahre alt, noch älter als es Carl V. seyn würde, dessen Lehrer er war; er ist blind, lebt in gänzlicher Abgeschiedenheit; die Späher der heiligen Inquisition allein hinterbringen ihm, was auf der Erde vorgeht; und er forschet bei ihnen nach nichts, als nach Verbrechen, Fehlern, Gedanken, um sie zu bestrafen. In seinen Augen ist der sechzigjährige Philipp II. noch ein Knabe. Der finsterste, der behutsamste aller Despoten ist ihm ein unbedachtsamer Regent, dessen Toleranz die Reformationslehre über Europa bringen wird. Der Greis ist ohne Arg, aber dergestalt durch das Alter eingeschrumpft, daß er wie ein lebendes Gespenst auftritt, das der Tod vergessen zu haben scheint, weil er es schon längst im Grabe vermuthete.

Er fordert Philipp dem II. Rechenschaft über den Tod des Marquis Posa ab, wirft ihm diesen Tod vor, weil es der Inquisition zukomme, ihn zu tödten, und wenn er das Opfer zu bedauern scheint, so ist es, weil man ihn des Vorrechts beraubte, es zu schlachten. Philipp befragt ihn über die Verdammung seines Sohns:

 

Kannst du mir einen neuen Glauben gründen,

Der eines Kindes blutigen Mord vertheidigt?

 

Der Großinquisitor antwortet:

 

Die ewige Gerechtigkeit zu sühnen,

Starb an dem Holze Gottes Sohn.

 

Welche Worte! welche blutdürstige Anwendung der rührendsten Lehre!

Mit diesem blinden Greise tritt ein ganzes Jahrhundert auf. Das erschütternde Entsetzen, welches mit der Inquisition und mit dem Fanatismus der Zeit damals schwer auf Spanien lastet, malt der schnelle laconische Auftritt; die [37] Kunst des größten Redners bliebe, wenn sie eine solche Menge solcher Gedanken auszudrücken hätte, weit hinter der Geschicklichkeit zurück, mit welcher sie hier in die Handlung verwebt sind.

Es ist mir nicht unbewußt, daß man in Don Carlos eine Menge Unschicklichkeiten und Uebelstände aufdecken könnte: ich mag mich aber mit einem Geschäft nicht befassen, in welchem ich so viel Mitarbeiter haben würde. Ganz mittelmäßige Literatoren können in Shakespear, Göthe, Schiller Fehler wider den guten Geschmack rügen; so lange man in Kunstwerken nur das Mangelhafte aufsucht, das Unpassende trennt, ist die Arbeit leicht: was aber die Critik weder geben noch nehmen kann, ist Genie und Talent: diese muß man verehren, wo man sie findet, sollten auch ihre himmlische Strahlen von einigen Wolken verdunkelt seyn. Weit entfernt, über die Verirrungen des Genies zu frohlocken, sollte man schmerzhaft fühlen, daß sie das Erbtheil des Menschengeschlechts und die Ansprüche auf Ruhm, die es stolz machen, vermindern. Der Schutzgeist, den Sterne mit so viel Anmuth schildert, sollte eben so wohl auf die Mängel eines schönen Werks, als auf die Fehler eines edeln Lebens, eine Thräne fallen lassen, um das Andenken an beide Unvollkommenheiten zu verwischen.

Ich will nicht länger bei Schillers literärischen Jugendproducten stehen bleiben, theils weil sie ins Französische übersetzt sind, theils weil sie noch nicht den historischen Genius athmen, der ihn in seinen reifern Tragödien so bewundernswürdig macht. Don Carlos selbst, obschon auf historischen Grund gebaut, ist mehrentheils ein Werk der Phantasie. Die Intrigue ist zu verwickelt; der Marquis Posa, eine reine Schöpfung der Einbildungskraft, [38] spielt eine zu große Rolle; man sollte sagen, diese Tragödie geht zwischen Poesie und Geschichte mitten inne, ohne dieser und jener zu genügen: ein Vorwurf, der gewiß keines der Schillerschen Stücke trifft, von denen ich noch zu reden habe.

 

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1) So nennt Friedrich Schlegel einen Historiker von durchdringendem Geiste.