Germaine de Staël
1766 -1817
Über Deutschland
Dritter Theil. II. Abtheilung.
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Eilftes Capitel.
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Von dem Einfluß des Enthusiasmusauf die Aufklärung.
Dies Capitel ist in einiger Hinsicht das Hauptcapitel meines ganzen Werks; denn da der Enthusiamus die unterscheidende Eigenschaft der deutschen Nation ist, so kann man aus dem Einfluß, welchen er auf die Aufklärung ausübt, über die Fortschritte des menschlichen Geistes in Deutschland urtheilen. Der Enthusiasmus leiht dem Unsichtbaren Leben, und dem, was nicht unmittelbar auf unser Wohlseyn in dieser Welt abzweckt, Interesse. Es giebt also kein Gefühl, welches zur Auffindung abstracter Wahrheiten mehr geeignet wäre. Auch werden diese in Deutschland mit bemerkenswerther Liebe und Rechtlichkeit angebaut.Die Philosophen, welche der Enthusiasmus begeistert, sind vielleicht von allen die, welche in ihre Arbeiten die meiste Genauigkeit und Geduld bringen; zu gleicher Zeit die, die am wenigsten glänzen wollen. Um ihrer selbst willen lieben sie die [305] Wissenschaft, und rechnen sich für nichts, sobald von dem Gegenstande ihrer Verehrung die Rede ist. Die physische Natur verfolgt auf eine unveränderliche Weise ihre Bahn durch die Zerstörung der Individuen; der Gedanke des Menschen nimmt einen erhabenen Charakter an, wenn er dahin gelangt, sich selbst aus einem universellen Gesichtspunkte zu betrachten. Schweigend dient alsdann der Mensch zu den Triumphen der Wahrheit, und die Wahrheit ist wie die Natur: eine Kraft, die nur in fortschreitender und regelmäßiger Entwickelung wirkt.Mit Wahrheit kann man sagen, daß der Enthusiasmus zu dem System-Geiste führt. Hängt man sehr an seinen Ideen, so möchte man Alles an dieselben anknüpfen; aber im Allgemeinen ist es leichter, mit aufrichtigen Meinungen, als mit solchen zu thun zu haben, welche die Eitelkeit angenommen hat. Hätte man in den gesellschaftlichen Verhältnissen immer nur mit dem zu schaffen, was die Menschen wirklich denken, so würde man sich leicht verstehen können. Nur das, was sie zu denken sich den Anschein geben, führt die Zwietracht herbei.Vielmals hat man den Enthusiasmus beschuldigt, daß er in Irrthum führe. Aber ein oberflächliches Interesse betrügt weit mehr; denn zum Eindringen in das Wesen der Dinge bedarf es eines Antriebs, der uns aufgelegt macht, uns eifrig damit zu beschäftigen. Faßt man außerdem das menschliche Geschick allgemeiner auf: so glaube ich behaupten zu können, daß wir dem Wahren nur durch Erhebung des Gemüths begegnen. Alles, was darauf abzweckt, uns herabzusetzen, ist Lüge, und, was man auch dagegen sagen möge, nur auf Seiten gemeiner Gesinnung ist der Irrthum. [306]Der Enthusiasmus – ich wiederhole es – hat mit dem Fanatismus nichts gemein und kann nicht, wie dieser, in die Irre führen. Der Enthusiasmus ist duldsam, nicht aus Gleichgültigkeit, sondern weil er macht, daß wir das Anziehende und Schöne in allen Dingen fühlen. Die Vernunft gewährt kein Glück an der Stelle dessen, was sie nimmt; der Enthusiasmus findet in der Träumerei des Herzens und in dem Umfange des Gedankens, was Fanatismus und Leidenschaft in eine einzige Idee oder in einen einzigen Gegenstand einschließen. Durch seine Allgemeinheit ist dies Gefühl dem Gedanken und der Einbildungskraft höchst günstig.Die Gesellschaft entwickelt den Verstand, aber nur die Beschaulichkeit bildet das Genie. Die Eigenliebe ist die Triebfeder der Länder, wo die Gesellschaft herrscht und die Gesellschaft führt notwendig zu der Spötterei, welche allen Enthusiasmus zerstört.Leugnen läßt sich nicht, daß es sehr ergötzlich ist, das Lächerliche aufzufassen und mit Anmuth und Fröhlichkeit zu malen. Vielleicht würde man besser daran thun, sich dieses Vergnügen zu versagen; indeß ist diese Art von Spötterei nicht die, deren Folgen am meisten zu fürchten sind: Die, welche sich an Ideen und Gefühle hängt, ist die schädlichste von allen; denn sie schleicht sich in die Quelle starker und hochherziger Gesinnungen. Der Mensch übt eine große Herrschaft über den Menschen, und von allen Uebeln, die er seinem Nächsten zufügen kann, ist das größte vielleicht, wenn er das Phantom des Lächerlichen zwischen großmüthige Bewegungen und die Handlungen stellt, welche jene einflößen.Die Liebe, das Genie, das Talent, der Schmerz [307] sogar – alle diese heiligen Dinge sind der Ironie ausgesetzt, und es läßt sich nie berechnen, wie weit die Herrschaft der Ironie sich erstrecken kann. In der Bosheit liegt etwas Reizendes; so wie in der Güte etwas Schwaches liegt. Die Bewunderung für das Große kann durch die Spötterei außer Fassung gebracht werden, und wer auf nichts eine Wichtigkeit legt, gewinnt das Ansehn, als sey er über Alles erhaben. Vertheidigt also der Enthusiasmus weder unser Herz noch unseren Geist; so lassen sie sich durch diese Anschwärzung des Schönen fangen, welche die Unverschämtheit mit der Fröhlichkeit vereinigt.Der Gesellschaftsgeist ist so geeignet, daß man sich bisweilen zum Lachen zwingt, und daß man sich noch weit öfter schämt zu weinen. Woher das? Daher, daß die Eigenliebe sich weit mehr in der Spötterei als in der Rührung gesichert glaubt. Man muß schon sehr auf seinen Geist rechnen, wenn man gegen einen Spott ernsthaft zu bleiben wagen will; es gehört viel Kraft dazu, um Gefühle zu zeigen, welche ins Lächerliche gezogen werden können. Fontenelle sagte: ich bin achtzig Jahre alt, ich bin Franzose, aber mein ganzes Leben hindurch habe ich nie die unbedeutendste Tugend auf irgend eine Weise lächerlich gemacht.“ Fontenelle war kein gefühlvoller Mann, aber er hatte viel Verstand; und so oft man mit irgend einer Ueberlegenheit ausgerüstet ist, fühlt man das Bedürfnis des Ernstes in der menschlichen Natur. Nur die Mittelmäßigen möchten, daß der Grund von Allem Sand wäre, damit niemand auf Erden eine dauerhaftere Spur zurücklassen möge, als die ihrige ist.Bei sich selbst haben die Deutschen nicht zu ringen [308] mit den Feinden des Enthusiasmus; und dies ist ein Hinderniß weniger für ausgezeichnete Männer. Der Geist wird schärfer im Kampfe; aber das Talent bedarf des Vertrauens. Glauben muß man an Bewunderung, an Ruhm, an Unsterblichkeit, um die Eingebung des Genies zu erfahren; und was den Unterschied der Jahrhunderte ausmacht, ist nicht sowohl die Natur, die immer gleich verschwenderisch mit ihren Gaben ist, als vielmehr die herrschende Meinung in den Zeiten, worin man lebt. Geht die Tendenz dieser Meinung auf Enthusiasmus, so erheben sich große Männer von allen Seiten; wird hingegen die Muthlosigkeit proklamirt, wie man sonst zu edlen Anstrengungen anregte: so bleibt von der Literatur nichts weiter übrig, als Richter der Vergangenheit.Die furchtbaren Begebenheiten, deren Zeugen wir gewesen sind, haben die Gemüther zu Grunde gerichtet, und alles, was Gedanke heißt, ist verwittert und verbleicht neben der Allmacht des Handelns. Mannichfaltige Umstände haben die Geister bestimmt, alle Seiten derselben Fragen zu vertheidigen, und hervorgegangen ist daraus, daß man nicht mehr an Ideen glaubt, oder daß man sie höchstens als Mittel zum Zweck betrachtet. Die Ueberzeugung scheint unserem Zeitalter nicht anzugehören; und wenn Jemand sagt, er sey der oder der Meinung, so deutet man dies so, als zeige er auf eine zarte Weise an, daß er dies oder das Interesse habe.Die ehrlichsten Menschen machen sich alsdann ein System, welches ihre Trägheit in Würde verwandelt; sie sagen, daß man gegen nichts nichts ausrichten kann; sie wiederholen mit dem Einsiedler von Prag im Shakespear, daß das, was ist, ist, und daß [309] die Theorieen keinen Einfluß auf die Welt haben. Zuletzt machen sie wahr, was sie sagen; denn mit einer solchen Denkungsweise kann man nicht auf Andere wirken, und wenn der Verstand allein darin bestände, das Für und Wider von Allem zu sehen, so würden die Gegenstände um uns her uns bald so umtanzen, daß es unmöglich würde, sicheren Schritts auf einem wankenden Boden zu gehen.Man sieht sogar junge Leute, welche, voll von dem Ehrgeiz, in Hinsicht des Enthusiasmus enttäuscht zu scheinen, eine erkünstelte Verachtung für exaltirte Gefühle zur Schau tragen. Sie glauben, eine frühreife Kraft der Vernunft zu zeigen; aber sie rühmen sich nur eines frühzeitigen Verfalls und sind in Hinsicht des Talents dem Greise ähnlich, welcher fragte: ob man denn noch Liebe fühlte? Der von der Einbildungskraft entblößte Verstand möchte selbst die Natur abschätzig behandeln, wenn sie nur nicht stärker wäre, als er.Man thut ganz unstreitig Denjenigen, welche von edlen Wünschen belebt sind, sehr wehe, wenn man ihnen unabläßig alle die Argumente entgegen stellt, die selbst die vertrauensvollste Hoffnung verwirren möchten. Indeß der gute Glauben läßt sich nicht ermüden; denn er beschäftiget sich nicht mit dem, was die Dinge scheinen, sondern mit dem, was sie sind. Von welchem Dunstkreise man auch umgeben sey, nie ist ein aufrichtiges Wort verloren gegangen, und wenn es für den glücklichen Erfolg nur Einen Tag giebt, so giebt es Jahrhunderte für das Gute, was die Wahrheit wirken kann.Die Einwohner von Mexiko tragen, indem sie die Landstraße entlang gehen, Jeder einen kleinen Stein zu der großen Pyramide, welche sie in der Mitte ihrer Gegend errichten. Keiner wird ihr seinen [310] Namen geben; aber alle werden zu diesem Denkmal beigetragen haben, das sie Alle überleben soll. |