BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Walther von der Vogelweide

nach 1170 - um 1230

 

Sprüche und Lieder

in chronologischer Anordnung

 

Der Leich

(1213/15)

 

Einleitung (3,1)

Erster Hauptteil, erste Hälfte (3,13)

Erster Hauptteil, zweite Hälfte (4,2)

Mittelteil (5,19)

Zweiter Hauptteil, erste Hälfte (6,7)

Zweiter Hauptteil, zweite Hälfte (6,28)

Schluß (7,25)

 

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A

Einleitung

I,1 (L 3,1)

Got, dîner trinitâte,

die beslozzen hâte

dîn fürgedanc mit râte,

der jehen wir: mit drîunge

5

diu drîe ist ein einunge,

ein got der hôhe hêre;

 

I,2 (L 3,7)

Sîn ie selbwesende êre

verendet niemer mêre,

der sende uns sîn lêre.

10

die sinne ûf menge sünde

der fürste ûz helle abgründe.

uns hât verleitet sêre

 

 

B

Erster Hauptteil, erste Hälfte

II,1 (L 3,13)

Sîn rât und blœdes fleisches gir,

die hânt geverret, hêr, uns dir.

15

sît disiu zwei dir sint ze balt

und dû der beider hâst gewalt,

 

II,2 (L 3,17)

Sô tuo daz dînem namen ze lobe

und hilf uns, daz wir mit dir obe

geligen, und daz dîn kraft uns gebe

20

sô starke stæte widerstrebe,

 

III,1 (L 3,21)

Dâ von dîn name wirt gêret

und ouch dîn lop gemêret.

 

III,2 (L 3,23)

Dâ von wirt er geunêret,

der uns dâ sünde lêret

 

IV,1 (L 3,25)

25

Und der uns ûf unkiusche jaget.

sîn kraft von dîner kraft verzaget,

des sî dir iemer lob gesaget,

 

IV,2 (L 3,28)

Und ouch der reinen süezen maget,

von der uns ist der sun betaget,

30

der ir ze kinde wol behaget.

 

 

B

Erster Hauptteil, zweite Hälfte

V,1 (L 4,2/3)

Maget und muoter, schouwe    der kristenheite nôt,

dû blüende gert Aarônes,    ûf gênder morgenrot!

 

V,2 (L 4,6/7)

Ezechiêles porte,    diu nie wart ûf getân,

dur die der künig hêrlîche    wart ûz und in gelân!

 

V,3 (L 4,10/11)

35

Als diu sunne schînet    durch ganz gewürhtez glas,

alsô gebar diu reine Krist,    diu magt und muoter was.

 

VI,1 (L 4,13/14)

Ein bosch der bran,    dâ nie niht an

besenget noch verbrennet wart:

 

VI,2 (L 4,16/17)

Breit unde ganz    dâ beleib sîn glanz

40

vor fiures flamme unverschart.

 

VI,3 (L 4,19/20)

Daz was diu reine    magt aleine

diu mit megetlîcher art

 

VII,1 (L 4,22)

Kindes muoter worden ist

ân aller manne mitewist,

15

wider menschlîchen list

den wâren Krist

gebar, der uns bedâhte.

 

VII,2 (L 4,27)

Wol ir, daz si den ie getruog,

der unsern tôt ze tôde sluog!

50

mit sînem bluote er ab uns twuog

den unfuog,

den Even schulde uns brâhte.

 

VIII,1 (L 4,32/33)

Salomônes    hôhen thrônes

bist dû, frouwe, ein selde hêre und ouch gebieterinne.

 

VIII,2 (L 4,35/36)

55

Balsamite    margarîte,

ob allen megden bist dû, maget, ein magt, ein küneginne!

 

VIII,3 (L 4,38/39)

Gotes lambe    was dîn wambe

ein palas reine,    da er eine    lag beslozzen inne.

 

IX,1 (L 5,9/10)

Daz lambe ist Krist,

60

der wârer got ist.

dâ von dû bist

gehœhet und gêret.

Dem lambe ist gar

gelîch gevar

65

der megde schar.

nû nemt sîn war

und kêret, swâr ez kêret!

des bist dû, frouwe, gêret.

nû bitte in, daz er uns gewer

70

durch dich, des unser dürfte ger.

dû sende uns trôst von himel her,

des wirt dîn lob gemêret.

 

 

C

Mittelteil

X,1 (L 5,19)

Dû maget vil unbewollen,

der Gedêônes wollen

75

gelîchest dû bevollen,

die got selbe begôz mit sîme touwe.

 

X,2 (L 5,23)

Ein wort ob allen worten

entslôz dînr ôren porten:

des süeze ob allen orten

80

dich hât gesüezet, süeze himelfrouwe.

 

XI,1 (L 5,27)

Daz ûz dem worte erwahsen sî,

daz ist von kindes sinnen frî:

ez wuohs ze worte und wart ein man.

dâ merket alle ein wunder an:

85

ein got, der ie gewesende, wart

ein man nâch menschlîcher art.

 

XI,2 (L 5,33)

Swaz er noch wunders ie begie,

daz hât er überwundert hie.

des selben wunderæres hûs

90

was einer reinen megde klûs

wol vierzig wochen und niht mê,

âne alle sünde und âne wê.

 

XII,1 (L 5,39)

Nû bitten wir die muoter

und ouch der muoter barn,

95

si reine und er vil guoter,

daz si uns tuon bewarn,

 

XII,2 (L 5,43)

Wan ân si kan nieman

hie noch dort genesen.

widerred daz ieman,

100

der muoz ein tôre wesen.

 

 

B

Zweiter Hauptteil, erste Hälfte

II,1a (L 6,7)

Wie kunde des iemer werden rât,

der umbe sîne missetât

niht herzelîcher riuwe hât,

sît got enheine sünde lât,

 

II,2a (L 6,11)

105

Die niht geriuwent zaller stunt

hin abe unz ûf des herzen grunt?

dem wîsen ist daz allez kunt,

daz niemer sêle wirt gesunt,

diu mit der sünden swert ist wunt,

110

sin habe von grunde heiles funt.

 

III,1a (L 6,17)

Nû ist uns riuwe tiure:

si sende uns got ze stiure

 

III,2a (L 6,19)

Bî sînem minnefiure!

sîn geist, der vil gehiure

 

IV,1a (L 6,21)

115

Der kan wol herten herzen geben

wâre riuwe und reinez leben.

swâ er die riuwe gernde weiz.

 

IV,2a (L 6,25)

Dem machet er die riuwe heiz.

ein wildez herze er alsô zamt,

120

daz ez sich aller sünden schamt.

 

 

B

Zweiter Hauptteil, zweite Hälfte

V,1a (L 6,28/29)

Nû sende uns, vater unde sun, den rehten geist her aben,

daz wir mit dîner süezen fiuhte ein dürrez herze erlaben!

 

V,2a (L 6,30/31)

Unkristenlîcher dinge ist al diu kristenheit sô vol!

swâ kristentuom ze siechhûs lît, dâ tuot man im niht wol.

 

VI,1a (L 6,32/33)

125

In dürstet sêre    nâch der lêre,

als er von Rôme was gewon:

 

VI,2a (L 6,35/36)

Der im dâ schancte    und in dâ trancte

als ê, dâ wurd er varnde von.

 

VII,1a (L 6,38)

Swaz im dâ leides ie gewar,

130

daz kam von symonie gar.

und ist er dâ sô friunde bar,

daz er engetar

niht sîn schaden gerüegen.

 

VII,2a (L 7,3)

Kristentuom und kristenheit,

135

der disiu zwei zesamne sneit,

gelîch lanc, gelîch breit,

liep unde leit,

der wolte ouch, daz wir trüegen

 

VIII,1a (L 7,8)

In Kriste kristenlîchez leben.

140

sît er uns hât ûf eine gegeben, sô suln wir uns niht scheiden.

 

VIII,2a (L 7,11)

Swelch kristen kristentuomes pfliht

an worten – und an werken niht, der ist wol halb ein heiden.

 

VIII,3a (L 7,14)

Daz ist unser meiste nôt:

daz eine ist ân daz ander tôt. nû stiure uns got an beiden,

 

IXa (L 7,17/18)

145

Und gebe uns rât,

sît er uns hât    sîn hantgetât

geheizen offenbâre.

Nû senfte uns, frouwe, sînen zorn,

barmherzig muoter ûz erkorn,

150

dû frîer rôse sunder dorn,

dû sunnevarwiu klâre!

 

 

D

Schluß

XIII,1 (L 7,25)

Dich lobet der hôhen engel schar,

doch brâhten si dîn lob nie dar,

daz ez volendet wurde gar.

155

daz ez ie wurde gesungen

in stimmen oder von zungen

ûz allen ordenungen

ze himel und ûf der erde, –

ich mane dich, gotes werde:

 

XIII,2 (L 7,33)

160

Wir bitten umb unser schulde dich,

daz dû uns sîst genædeclîch,

sô daz dîn bete erklinge

vor der barmunge urspringe.

sô hân wir des gedinge,

165

diu schulde werde ringe,

dâ mit wir sêre sîn beladen.

hilf uns, daz wir sie abe gebaden

 

V,1b (L 8,1)

Mit stæte wernder riuwe umbe unser missetât,

die nieman âne got und âne dich ze gebenne hât!