BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gedichte 1797 - 1803

 

1803

April: «Die lustigen Musikanten» werden in Düsseldorf uraufgeführt.

14. Mai: Wiedersehen und Versöhnung mit Sophie Mereau.

Mai: Beginn der Arbeiten an den «Romanzen vom Rosenkranz».

Herbst: «Ponce de Leon» erscheint.

29. November: Heirat mit Sophie Mereau in Marburg.

 

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Ab, ab, Kameraden, vom Pferd, vom Pferd,

Die Clique hat schändlich gelogen

Die neue Morgenröte war nicht viel wert,

Sie war nur ein Regenbogen.

Die Herrn nur die armen Tropfen sein,

Herr(n) Göthes, er scheinet nur kräftig drein.

 

Alarkos *) mit seinem lahmen Roß,

Das sind mir gar tragische Gäste,

Der Kuckuck, er leget dem Aeschylos

Die schmierigen Eier ins Neste,

Gotteswunder er brauchet nicht Silber nicht Gold,

Die Jüdin **) gibt gratis den Minnesold.

 

Was härmst du dich Schüler und grämest dich schier,

Laß schmieren dahin, laß schmieren,

Die Erde sie ist ja ein schlechtes Quartier,

Europen ***) muß neu er edieren,

Und wenn sich ihr Schöpfer nicht selbst bald ermord't,

So weht dem Erdkreis sein Wind noch einst fort.

 

Ach wenns nur recht klappert, so ist(s) doch gereimt,

. . .

 

*) Friedrich Schlegels brot-trockenes Drama «Alarkos» (1802) 

**) Schlegels Frau Dorothea Veit 

***) Schlegel war Herausgeber der Zeitschrift «Europa»

 

Entstanden nach 1802 (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Kaum hörst Du auf, so fang ich an,

Dich erst recht zu vermissen,

Ich habe ein Gelübd getan,

Kein andres Weib zu küssen

 

Gewaltig, regt es sich in mir,

Zu leben und zu lieben,

O süße Frau wär ich bei Dir,

Ich wollt' Dich nicht betrüben.

 

Du letzter Preis von Lieb und Lust,

Wie konnte ich Dich quälen,

Ach hätt' ich jemals was gewußt,

Wie könnt ich dann erzählen.

 

Die Lippe schließt der Liebe Kuß,

Ich hab ihn nie empfangen,

Es rühmt sich nur der Überdruß,

Es seufzt nur das Verlangen.

 

Kaum hörst Du auf, so fang ich an

Versäumnis muß ich büßen,

O wandelte die Lust mich an

Ein andres Weib zu küssen.

 

Mein Kuß ist jung, mein Kuß ist alt,

Ich küß mit weisen Listen,

Es würde Liebe und Gewalt

Die Untreu Dir nicht fristen

 

So lebe wohl, verzeihe Dir!

Die keusche Bahn zu wandlen,

Ich lebe wohl, verzeihe mir,

Im Traum Dich zu – mißhandlen.

 

10. 1. 1803 (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Es setzten zwei Vertraute

Zum Rhein den Wanderstab,

Der braune trug die Laute,

Das Lied der blonde gab.

 

6. 2. 1803, Erinnerung an die Rheinreise mit Arnim im Juni 1802 (Schultz 1995)

 

 

*

 

Es stehet im Abendglanze,

Ein hochgeweihtes Haus

Da sehen mit schimmernden Augen

Viel Knaben und Jungfraun heraus,

Dort hab ich mein Liebchen gesehen,

Ein freundliches zierliches Kind,

Sie konnte wohl schweben, und drehen,

Wie fallende Blüten im Wind

 

Und die in dem Hause wohnen

Sind heilig und wissen es nicht,

Sie leben mit Kränzen und Kronen

Alltäglich ein neues Gedicht.

Sie sind gleich den Göttern und handlen

Wohl täglich in andrer Gestalt,

Mein Liebchen wird auch sich verwandlen

as tut meinem Herzen Gewalt.

 

O Liebchen, wo bist du geblieben,

Ich steh vor dem schimmernden Haus,

Und will dich bescheiden nur lieben,

O Liebchen, o sehe heraus,

Ich will dein pflegen und warten,

im Herzen so treu, als ich kann;

Da seh ich dich sitzen im Garten,

Wohl bei einem reichen Mann.

 

So kauf ich mir Rechen und Spaten,

Bind mir ein grün Schürzelein vor,

Und poche wohl als ein Gärtner

An des reichen Mannes Tor,

Tu auf, tu auf den Garten

Ich will dir wohl ohne Sold

Die Blumen all pflegen und warten,

Sie sind ja mein Silber und Gold.

 

So sei mir o Gärtner willkommen,

Zieh höher die Blumen mir

Zieh hoch sie zu Kränzen und Lauben

Ich habe ein Vogelchen hier,

Zieh hoch und dichte die Laube,

Zieh mir ein Gitterhaus

Daß keiner das Vogelchen raube,

Daß es nicht fliege aus.

 

Da klingt wohl sanft und süße,

Im Garten ein heilig Lied,

Die Bäume senden Grüße,

Die Blume lauschend blüht,

Da seh ich mein Liebchen so weinen,

Sie sieht zu mir herauf,

Die Sonne will nicht mehr schein(en)

Die Blumen sie gehen nicht auf

 

So hast du dann verlassen

Der Götter freies Haus,

Der Locken Gold muß blas(sen)

Der Augen Licht geht aus,

O Liebchen o sei nicht so munter,

Du hast vergeudet dein Los,

Dein Sternlein es gehet unter

Wohl in des Meeres Schoß

 

Ans Meer will ich mich stellen,

Wohl in dem Abendschein,

Und sehen wie in die Wellen

Versinkt dein Sternelein,

Und niedersehn und weinen

Die Tränen all hinab,

Sie sollen sich vereinen,

Mit deines Sternes Grab.

 

Dies Lied hab ich ersonnen,

Wohl vor dem Zauberhaus

Das glänzt in der Abendsonnen,

Wo du nicht siehst heraus

Als Jugend um Liebe brennte

in irrem Liebeswahn

Und ihn nicht konnte erkennen,

Und hell ihn blickte an.

 

10. 5. 1803 (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Süßer Mai du Quell des Lebens

Bist so süßer Blumen voll

Liebe sucht auch nicht vergebens

Wem sie Kränze winden soll

 

Süßer Mai, mit Blumen-Glocken

Läutest du das Fest mir ein

Ich bekränze ihre Locken,

Will ein frommer Gast auch sein

 

Süßer Mai, zum Liebesmahle

Trägst du Blumen-Kelche ein

Blüten-Säulen stehn im Saale

Drüber wölbt sich Sonnenschein

 

Süßer Mai, in deinen Kelchen

Küssen fromme Bienen sich

Aber unter allen welchen

Hast du eingefüllt für mich!

 

Süßer Mai! du bringest nieder

Blume, Blüte, Sonnenschein,

Daß ich wisse, wem die Lieder,

Wem das Herz, das Leben weihn.

 

15. 5. 1803 an Sophie (Schultz 1995)

 

 

*

 

Ich wohnte unter vielen vielen Leuten

Und sah sie alle tot und stille stehn,

Sie sprachen viel von hohen Lebensfreuden

Und liebten, sich im kleinsten Kreis zu drehn;

So war mein Kommen schon ein ewig Scheiden

Und jeden hab ich einmal nur gesehn,

Denn nimmer hielt mich's, flüchtiges Geschicke

Trieb wild mich fort, sehnt ich mich gleich zurücke.

 

Und manchem habe ich die Hand gedrücket,

Der freundlich meinem Schritt entgegensah,

Hab in mir selbst die Kränze all gepflücket,

Denn keine Blume war, kein Frühling da,

Und hab im Flug die Unschuld mit geschmücket,

War sie verlassen meinem Wege nah;

Doch ewig ewig trieb mich's schnell zu eilen,

Konnt niemals nicht des Werkes Freude teilen.

 

Rund um mich war die Landschaft wild und öde,

Kein Morgenrot, kein goldner Abendschein,

Kein kühler Wind durch dunkle Wipfel wehte,

Es grüßte mich kein Sänger in dem Hain;

Auch aus dem Tal schallt keines Hirten Flöte,

Die Welt schien mir in sich erstarrt zu sein.

Ich hörte in des Stromes wildem Brausen

Des eignen Fluges kühne Flügel sausen.

 

Nur in mir selbst die Tiefe zu ergründen,

Senkt ich ins Herz mit Allgewalt den Blick;

Doch nimmer konnt es eigne Ruhe finden,

Kehrt trübe in die Außenwelt zurück,

Es sah wie Traum das Leben unten schwinden,

Las in den Sternen ewiges Geschick,

Und rings um mich ganz kalte Stimmen sprachen:

«Das Herz, es will vor Wonne schier verzagen.»

 

Ich sah sie nicht die großen Süßigkeiten,

Vom Überfluß der Welt und ihrer Wahl

Mußt ich hinweg mit schnellem Fittich gleiten.

Hinabgedrückt von unerkannter Qual,

Konnt nimmer ich den wahren Punkt erbeuten

Und zählte stumm der Flügelschläge Zahl,

Von ewigen unfühlbar mächtgen Wogen

In weite weite Ferne hingezogen.

 

1803 (Schultz 1995)

 

 

*

 

Gesang der Liebe als sie geboren war

 

O Mutter halte dein Kindlein warm

Die Welt ist kalt und helle,

Und leg es sanft in deinen Arm

An deines Herzens Schwelle.

 

Leg still es wo dein Busen bebt

Und hold herabgebücket,

Harr liebvoll, bis es die Äuglein hebt,

Zum Himmel selig blicket.

 

Du strahlender Augenhimmel du,

Du taust aus Mutteraugen

Ach Herzenspochen, ach Lust, ach Ruh!

An deinen Brüsten saugen.

 

Ich schau zu dir, so Tag als Nacht

Muß ewig zu dir schauen

Du mußt mir, die mich zur Welt gebracht,

Auch eine Wiege bauen.

 

Um diese Wiege laß Seide nicht,

Laß deinen Arm sich schlingen

Und nur deiner milden Augen Licht

Laß zu mir nieder dringen.

 

Und in deines keuschen Schoßes Hut

Sollst du dein Kindlein schaukeln,

Daß deine Worte so mild so gut

Wie Träume es umgaukeln.

 

Da träumt mir, wie ich so ganz allein,

Gewohnt dir unterm Herzen

Wie nur die Freuden und Leiden dein

Mich freuten und mich schmerzten.

 

Oft rief ich dir, komm! o Mutter komm!

Kühl dich in Liebeswogen,

Da fühltest du dich so sanft, so fromm

Zu dir hinabgezogen,

 

Mit meiner Seele hielt treu und warm

Ich dich in dir umschlungen,

Und hab dir kindisch Sorg und Harm

In Liedern weggesungen.

 

Was heilig in dir zu aller Stund,

Das bin ich all gewesen

O küß mich süßer Mund gesund,

Weil du an mir genesen.

 

So lallt zu dir mein frommes Herz,

Und nimmer lernt es sprechen,

Blickt ewig zu dir, blickt himmelwärts

Und möcht in Freude brechen,

 

Bricht's nicht in Freud', bricht's doch in Leid,

Bricht es uns alle beiden

Denn Wiedersehn geht fern und weit,

Und nahe geht das Scheiden.

 

O Mutter halte dein Kindlein warm

Die Welt ist kalt und helle

Und leg es leis, bist du zu arm,

Hin an des Grabes Schwelle.

 

Leg es in Linnen, die du gewebt,

Zu Blumen, die du gepflücket,

Stirb mit, daß wenn's die Äuglein hebt,

Bei Gott es dich erblicket.

 

August/Oktober 1803 (Schultz 1995)

 

 

*

 

Der Jäger an den Hirten

 

Durch den Wald mit raschen Schritten

Trage ich die Laute hin,

Freude singt, was Leid gelitten,

Schweres Herz hat leichten Sinn.

 

Durch die Büsche muß ich dringen

Nieder zu dem Felsenborn,

Und es schlingen sich mit Klingen

In die Saiten Ros' und Dorn.

 

In der Wildnis wild Gewässer

Breche ich mir kühne Bahn,

Klimm' ich aufwärts in die Schlösser,

Schaun sie mich befreundet an.

 

Weil ich alles Leben ehre,

Scheuen mich die Geister nicht,

Und ich spring durch ihre Chöre

Wie ein irrend Zauberlicht.

 

Haus' ich nächtlich in Kapellen

Stört sich kein Gespenst an mir,

Weil sich Wandrer gern gesellen,

Denn auch ich bin nicht von hier.

 

Geister reichen mir den Becher,

Reichen mir die kalte Hand,

Denn ich bin ein frommer Zecher,

Scheue nicht den glühen Rand.

 

Die Sirene in den Wogen,

Hätt sie mich im Wasserschloß,

Gäbe, den sie hingezogen,

Gern den Fischer wieder los.

 

Aber ich muß fort nach Thule,

Suchen auf des Meeres Grund

Einen Becher, meine Buhle

Trinkt sich nur aus ihm gesund.

 

Wo die Schätze sind begraben

Weiß ich längst, Geduld, Geduld,

Alle Schätze werd ich haben

Zu bezahlen alle Schuld.

 

Während ich dies Lied gesungen,

Nahet sich des Waldes Rand,

Aus des Laubes Dämmerungen

Trete ich ins offne Land.

 

Aus den Eichen zu den Myrten,

Aus der Laube in das Zelt,

Hat der Jäger sich dem Hirten,

Flöte sich dem Horn gesellt.

 

Daß du leicht die Lämmer hütest

Zähm ich dir des Wolfes Wut,

Weil du fromm die Hände bietest,

Werd ich deines Herdes Glut.

 

Und willst du die Arme schlingen

Um dein Liebchen zwei und zwei,

Will ich dir den Fels schon zwingen,

Daß er eine Laube sei.

 

Du kannst Kränze schlingen, singen,

Schnitzen, spitzen Pfeile süß,

Ich kann ringen, klingen, schwingen

Schlank und blank den Jägerspieß.

 

Gib die Pfeile, nimm den Bogen,

Mir ists Ernst und dir ists Scherz,

Hab die Senne ich gezogen

Du gezielt, so triffts ins Herz.

 

August/Oktober 1803 (Frühwald 1968)

vgl. die Spätfassung 1817

 

 

*

 

[Parodie auf Goethes Gedicht

«Es war ein König in Thule»]

 

 

Es saß der Meister vom Stuhle,

Gar frech im eignen Kot,

Wer wagt sich zu dem Pfuhle,

Es tun ihm Prügel not,

 

Wer schmeißt mich über und über,

Wer bläst das Licht mir aus,

Wer giebt mir Nasenstüber,

Wer schickt mich recht nach Haus.

 

Und kömmt er einst zum sterben,

So stirbt sein ganzes Reich,

Die Frösche all verderben,

Krepiert er in dem Teich.

 

Er saß einst an der Saale,

Nun sitzt er auf dem Sand,

Und hat bei seinem Mahle

Die Esel all zur Hand.

 

Da sitzt er, keiner frecher,

Und platzet fast vor Wut,

Und reicht den giftigen Becher

Sich selbst und seiner Brut.

 

Wir sehn ihn platzen, sinken

Und stinken in eigner Schmer,

Laßt ihn nur aus sich stinken,

Dann stinkt es nimmermehr.

 

Entstanden 1803 (Boëtius 1985)

 

__________

 

Goethe

Der König in Thule

 

Es war ein König in Thule

Gar treu bis an das Grab,

Dem sterbend seine Buhle

Einen goldnen Becher gab.

 

Es ging ihm nichts darüber,

Er leert' ihn jeden Schmaus;

Die Augen gingen ihm über,

Sooft er trank daraus.

 

Und als er kam zu sterben,

Zählt' er seine Städt im Reich,

Gönnt' alles seinem Erben,

Den Becher nicht zugleich.

 

Er saß beim Königsmahle,

Die Ritter um ihn her,

Auf hohem Vätersaale,

Dort auf dem Schloß am Meer.

 

Dort stand der alte Zecher,

Trank letzte Lebensglut,

Und warf den heil'gen Becher

Hinunter in die Flut.

 

Er sah ihn stürzen, trinken

Und sinken tief ins Meer.

Die Augen täten ihm sinken;

Trank nie einen Tropfen mehr.

 

 

*

 

[Parodie auf Goethes Gedicht

«Das Veilchen»]

 

 

Ein Gänschen auf dem Teppich stand

In Erdmannsdorf gar wohl bekannt

Es war ein herzig Gänschen

Ein fremder Maler kam dahin,

Mit schwarzem Bart und leichtem Sinn

Dahin, dahin,

Nach Erdmannsdorf er ging.

 

Ach! denkt das Gänschen, wär ich nur

Die schönste Gans in der Natur,

Ach! nur ein kleines Weilchen.

Bis mich der Maler hätt gemalt,

Ich ihn durch einen Kuß bezahlt,

Mit meinem, mit meinem,

Mit meinem breiten Schnabel.

 

Ach! aber ach! der Maler kam

Und nicht in acht das Gänschen nahm,

Er trat das arme Gänschen.

Es fuhr schnell auf und flatterte,

Sperrt auf den Schnabel und schnatterte:

Und tritts du mich, so schnattr' ich doch

Für dich, für dich

Du schwarzer Rabe doch.

 

Entstanden 1803 ? (Boëtius 1985)

 

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Goethe

Das Veilchen

 

Ein Veilchen auf der Wiese stand,

Gebückt in sich und unbekannt,

Es war ein herzig's Veilchen.

Da kam eine junge Schäferin

Mit leichtem Schritt und munterm Sinn

Daher, daher,

Die Wiese her, und sang.

 

Ach! denkt das Veilchen, wär' ich nur

Die schönste Blume der Natur,

Ach, nur ein kleines Weilchen,

Bis mich das Liebchen abgepflückt

Und an dem Busen matt gedrückt!

Ach nur, ach nur

Ein Viertelstündchen lang!

 

Ach, aber ach! Das Mädchen kam

Und nicht in acht das Veilchen nahm,

Ertrat's, das arme Veilchen.

Und sank und starb und freut sich noch:

Und sterb' ich denn, so sterb ich doch

Durch sie, durch sie,

Zu ihren Füßen doch!