Clemens Brentano
1778 - 1842
Gedichte 1804 - 1815
1814Januar/Februar: Theaterkritiken im Wiener «Dramaturgischem Beobachter». 18. Februar: «Valeria oder die Vaterlist» fällt bei der Uraufführung durch. September: Besuch bei Achim von Arnim in Wiepersdorf. Oktober: «Die Gründung Prags» erscheint, vordatiert auf 1815. November: Brentano reist gemeinsam mit Arnim nach Berlin.
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Nachklänge Beethovenscher Musik
1.
Einsamkeit, du Geister Bronnen,Mutter aller heilgen Quellen,Zauberspiegel innrer Sonnen,Die berauschet überschwellen,Seit ich durft in deine WonnenDas betrübte Leben stellen,Seit du ganz mich überronnenMit den dunklen Wunderwellen,Hab' zu tönen ich begonnen,Und nun klingen all die hellenSternenchöre meiner Seele,Deren Takt ein Gott mir zähle.Alle Sonnen meines Herzens,Die Planeten meiner Lust,Die Kometen meines Schmerzens,Klingen hoch in meiner Brust.In dem Monde meiner Wehmut,Alles Glanzes unbewußt,Kann ich singen und in DemutVor den Schätzen meines Innern,Vor der Armut meines Lebens,Vor der Allmacht meines StrebensDein, o Ewger, mich erinnern!Alles andre ist vergebens.
2.
Gott, dein Himmel faßt mich in den Haaren,Deine Erde zieht mich in die Hölle,Gott, wie soll ich doch mein Herz bewahren,Daß ich deine Schätze sicher stelle,Also fleht der Sänger und es fließenSeine Klagen hin wie Feuerbronnen,Die mit weiten Meeren ihn umschließen;Doch in Mitten hat er Grund gewonnen,Und er wächst zum rätselvollen Riesen.Memnons Bild, des Aufgangs erste Sonnen,Ihre Strahlen dir zur Stirne schießen,Klänge, die die alte Nacht ersonnenTönest du, den jüngsten Tag zu grüßen:Auserwählt sind wen'ge, doch berufenAlle, die da hören, an die Stufen. –
3.
Selig, wer ohne SinneSchwebt, wie ein Geist auf dem Wasser,Nicht wie ein Schiff – die FlaggenWechslend der Zeit, und SegelBlähend, wie heute der Wind weht.Nein ohne Sinne, dem Gott gleich,Selbst sich nur wissend und dichtendSchafft er die Welt, die er selbst ist,Und es sündigt der Mensch drauf,Und es war nicht sein Wille!Aber geteilet ist alles.Keinem ward alles, denn jedesHat einen Herrn, nur der Herr nicht;Einsam ist er und dient nicht,So auch der Sänger!
4.
Nichts weiß ich von dir, o Wellington,Aber die WelleTönt deinen Namen so britisch.Kleinod der Erde, EnglandEiland, vom Meere gegürtetJungfräulich, Arche auf grünendenHügeln ruhend, der SündflutBist du entrücket, dich lieb ich,Nicht um handelbequemeGestalt in mancher Vollendung,Nein um dich nur, denn heiligSind wohl die Inseln. Die SterneGürtet umsonst nicht das Blau,Und die sehenden Augen,Wunderinseln des Lichtes,Schwimmen umsonst nicht im Glanz;Was umarmt ist, ist Tempel,Freistatt des Geistes, der die Welt trägt.Wer möchte sonst leben?
5.
Wer hat die Schlacht geschlagen,Wer hat die Schlacht getönt,Wer hat den Sichelwagen,Der über das Blutfeld dröhnt,Harmonisch hinüber getragen,Daß sich der Schmerz versöhnt?Wen hat in heißen TagenEin solcher Kranz gekrönt,Wer darf so herrlich ragen,Von Sieg und Kunst verschönt.Wellington in Tones WelleWoget und wallet die Schlacht,Wie eines Vulkanes Helle,Durch die heilige Sternennacht.Er spannt dir das Roß aus dem Wagen,Und zieht dich mit WunderakkordenDurch ewig tönende Pforten.Triumph, auf Klängen getragen!Wellington, Viktoria!Beethoven, Gloria!
7. Januar 1814 (Frühwald 1968)
*
Selig, wem in unendlicher Einsamkeit die Natur sich auftut wie ein Brunnen, der tiefere Quellen trinket, als die des Meeres, das eine Oberfläche umgibt, seinesgleichen, die Erde, also nennet der Mensch die Rinde des Kernes, auf der er stolz ist und demütig, gefaßt von dem Himmel in den Haaren, an sich gerissen von der Hölle, die im Kern ist der Erde mit der Pein des Gewichtes und dem Tod. Selig, wer ohne Sinnen schwebt wie ein Geist über den Wassern, nicht wie ein Schiff, das Flagge trägt und Waren der Zeit, nein ohne Sinnen wie ein Gott, der sich selbst fühlt und sich dichtet, und eine Welt schafft zur Lust und Anbetung, worauf der Mensch sündigt - das hat er nicht gewollt, aber alles ist geteilt, und keinem ist alles und jegliches hat einen Herrn, nur der Schöpfer hat keinen, er ist einsam, und dient nicht – also der Dichter. – Ich weiß nichts von dir o Wellington, aber die Welle tönet in deinem Namen so britisch, Kleinod der Welt, Eiland gerettet vom Element vor der läufigen Hoffart, England! Wie lieb ich dich, nicht um Vollendung, und Handel, bequeme Gestalt aller Dinge, nein ich lieb dich du Meer umkränzte! O ihr seid nicht umsonst gegürtet ihr Sterne vom Blau, die Inseln sind heilig, und was umfaßt ist von anderm ist gerettet, ist ein Tempel, ein Tempel aber umfaßet Gott, und dieser die Welt, wer möchte sonst leben! –
Entstanden 1814 (Boëtius 1985)
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Klage eines vertriebenen Hamburger Bootsmannsum seine gescheiterte Vaterstadtnach ihrer Wiedereinnahme durch Davoust
Hamburg, o Hamburg!Du treue deutsche Stadt,Fluch dem TyrannenDer dich zertreten hat,Jeder Deutsche soll dir singen,Und für deine Freiheit ringen,Hamburg o HamburgDu treue deutsche Stadt.
Hamburg du HamburgHast alles dran gesetzt,Gen deine FeindeDas Bürgerschwert gewetzt,Bist den Drachen kühn entsprungen,Deren Rachen dich verschlungen,Der seinen Knecht nunAuf deinen Hals gehetzt.
Hamburg o Hamburg!Wer deutsch, klagt deinen FallWas dich betroffenDas drohte Deutschen all,Weiber, Greise, müssen schanzenFür den übermütgen Franzen,Gärten und HäuserSind deines Feindes Wall.
Hamburg o Hamburg!Deutschland klagt dein LosDenn in deinem BluteSäuft sich der Drache groß.Deine Güter zu erlangenLäßt er deine Kinder fangenReißt sie als GeiselAus ihrer Mütter Schoß!
Hamburg o Hamburg!Wie warst du froh und frei,Nun heben deine FähnleinUm Hülfe ein Geschrei,Deinen Turm hat dir zerbrochen,Der einst vor der Welt gesprochen,Daß er ein KämpferFür Menschenrechte sei!
(Hamburg o HamburgNicht gut hast du trassiertEs haben deine WechselDie Dänen protestiertSie teilen deine Masse,Gestürzt ist deine KasseWeil alle deine SoueSich früher retiriert.)
Hamburg o Hamburg!Du Wrack auf hoher See,Dein Notschuß war vergebens,Du unterliegst dem Weh,In dem Räume hundert LeckeZwingt dein Feind auf dem VerdeckeDich für ihn zu pumpenDaß er nicht untergeh!
Hamburg o Hamburg!Beneide Moskaus Not,O hättst du dich gerettet,Doch in der Russen Boot,Und mit deiner PulverkammerAufgesprenget deinen JammerGerettet war die FlaggeDer Kompaß und das Lot!
Hamburg o Hamburg!Der jetzt dein Steur ergriff,Versenkt in deinem HafenDich selbst du teures Schiff,Schmiedet dich zu einer KetteSchließet mit dir selbst dein Bette,O wärst du doch gescheitertIm Sturm am Felsenriff.
Hamburg o Hamburg!Dein Tau ist ruiniertDu wirst von falschen BootenAm Schleppseil nun buxiertWeh dein Besam ging verloren,Man will in den Grund dich bohren,Weil du Englands FlaggeIn offner Schlacht geführt.
Hamburg o Hamburg,Du alte deutsche Stadt,Zerrissen ist dein Segel,Das dich ernähret hat,Auf den sturmgekappten Masten,Sieh den Leichenadler rasten,Hungrig aufkrächzend,Wer macht mit Blut mich satt?
Schreie nur Schreie!Dir wird noch Blut genug,Blut das dir fluchetUm Falschheit, Lug und Trug,Sieh, drei Sonnenadler schwingenÜber dir, dir Blut zu bringen,Einhorn und LöwenFolgen ihrem Zug.
Taube! o Taube!Dich und der Friedenszweig,Hat nun der zerrissen,Der einem Raben gleich,Adler, der so tückisch hocket,Friß nun was du eingebrocketDem Preußen, dem Reußen,Dem alten Österreich!
Hamburg o Hamburg!O hebe deinen MutDenke deines HeilandsUnd seiner Märtrer Blut,Wer ein Heide, muß verderbenHeil wird heilger Kampf erwerben,Kämpfer für Heilges,Heiligt Gottes Hut.
Heilig o heilig!Ist alte deutsche Zeit,Ordnung und Treue,Und fleißge Heiterkeit,Herr, dann läßt sich freudig betenUnd mit Ernst zum Kampfe treten,Wenn der Väter SitteUns Schwert und Tempel weiht.
Schaue o schaue,Nun Gott auf unser Schwert,Das sich erbaueDer Deutsche sichern Herd,Aus dem deutschen Tempel treibe,Daß kein Lügenwuchrer bleibe,Herr, den Versucher,Der nach dem Tod begehrt!
Entstanden um 1814 (Boëtius 1985)
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Kosakisches Volksliedvom König Antiochus in Persienaus dem neunten Kapiteldes zweiten Buchsder Macabäergezogen.
Vers 1Wohl um dieselbe Zeit, he, he!Habt ihr mich wohl verstanden?Zog der Antiochus, o weh!Aus Persien mit Schanden.
Vers 2Denn zu Persepolis, he, he!Habt ihr mich wohl verstanden?Hat er die Tempel sich, o weh!Zu plündern unterstanden.
Die Bürger waren auf, he, he,Habt ihr mich wohl verstanden?Und wehrten sich gen ihn, o weh!Man trieb ihn aus den Landen.
Vers 3Und zu Ekbatana, he, he!Habt ihr mich wohl verstanden?Hört er, daß schlecht auch Timothee,Und Nikanor bestanden.
Vers 4Und da ergrimmte er, he, he!Habt ihr mich wohl verstanden?Er fuhr wohl Tag und Nacht, o weh!Und schickte viel Gesandten.
Denn ihn trieb Gottes Zorn, he, he,Habt ihr mich wohl verstanden?Er schwur, Jerusalem, o weh!Zum Grabe zu verwandeln.
Vers 5Doch für den bösen Schwur, he, he,Habt ihr mich wohl verstanden?Ihr Majestät, Kolik, o weh!In dero Leib empfanden.
Vers 6Und es geschah ihm recht, he, he,Habt ihr mich wohl verstanden?Weil viele andre Leut, o weh!Durch ihn in Marter standen.
Vers 7Da ward er wütger noch, he, he,Habt ihr mich wohl verstanden?Vom Wagen stürzten sie, o weh!Weil sie so heftig rannten.
Vers 8Froh war ihr Majestät, he, he,Habt ihr mich wohl verstanden,Die Berg und Meer versetzt, o weh!Daß sie Portschaißen fanden.
Vers 9Und Maden wuchsen ihm, he, he!Habt ihr mich wohl verstanden?Die Nasen hielten zu, o weh!Die um den König standen.
Vers 12Und da kroch er zu Kreuz, he, he,Habt mir mich wohl verstanden?Als ihre Majestät, o weh!Den eignen Stank empfanden.
Vers 13Sie beteten zu Gott, he, he,Habt ihr mich wohl verstanden,Doch weil sies grob gemacht, o weh!Sie kein Erbarmen fanden.
Vers 28Dann starb Antiochus, he, he,Habt ihr mich wohl verstanden,Der Gottes Lästerer, o weh!Elend in fremden Landen.
Entstanden um 1814 (Boëtius 1985)
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Preussens Dank an ihr Volk. – Moreaus Tod.
Nach dem ernsten NachtgesichteSaß ich in dem Prater hin,Aß und trank weit mehr GerichteAls ich sonst gewohnet bin.
Rechts und links hab ich gesungenWohl von unserm tapfern (Streit)Bis mir trocken ganz die LungenUnd mir lüstete nach Wein.
Unterm Arm zwei volle FlaschenGing ich einsam in den WaldWeil ich einsam gern wollt naschenDoch die Lust tat mir Gewalt.
Da befiel mich MißbehagenDenn ich hörte, fern und nah,Den und jenen sich befragenDresden haben wir, ja, ja!
Haben wir die Altstadt? freilichUnd die Neustadt? Glaub es kaum,Ach da ging es abscheulich –Unser Sieg war nur ein Traum.
Lasen heute sie die Zeitung,Ja, doch steht gar nichts darin,Freiend, das ist sehr von BedeutungEs liegt Trauriges mein Sinn –
Nun? Ich hörte – doch sie müssenSagen nicht, daß es von mir,Denn die Polizei, sie wissen,Schrecklich, Schrecklich bitten wir.
40 000 blieben liegen,20 000 fingen wir,Aber trotz den großen Siegen,Wo ist unser Hauptquartier.
Nun bei Gott, das heiß ich lügen,Wissen sie wohl wer ich bin –Lange habe ich geschwiegen,Sie empören meinen Sinn!
Wissen sie, von unserm KaiserAn die Kaiserin ein Brief –Schreien sie sich nur nicht heiserJa ein Brief bei Hof einlief.
Daß man noch bei Dresden stürme,Daß man in der Altstadt sei,Daß man Schanz auf Schanze türme,Daß es war noch nicht vorbei –
Von der Oder aber eileJetzt zur Stadt Napoleon,Vor dem Briefe kleine WeileWar er auch in Dresden schon.
Nun und war er auch darinnen,Sind darum nicht mehr dreinWas wir also hart gewinnen,Muß doch gleich verloren sein –
Wie sie wieder heftig schreien,Lieber Freund, gemach, gemach,Gott woll uns den Sieg verleihenStark ist Wille, Fleisch ist schwach.
Also schrien sie durcheinander,Jeder wie er bestens kann,Da tritt her ein wohlbekannterAuserwählter Ehrenmann.
Was gibts neues, hochgeschätzterDeutscher treuer Patriot,Doch bedächtig spricht da letzterTreiben sie mit mir nicht Spott?
Nein! Wir sind in Dresden blieben –Wie man sagt – ein hoher Brief –Der von Teplitz war geschriebenJa von hoher Hand einlief –
Doch wir haben einen zweiten,Der von Lahn – daß wir gesiegt?Da sprach er mit viel Bedeuten –Wissen sie, wo Lahn auch liegt?
Meine Herrn ich bin ihr Diener,Also ging er schnell davonUnd es schwiegen alle WienerÜber seiner Worte Ton.
Und ich nahm das Glas vom Munde,Gallenbitter war der Wein,Schlug im Zorn nach meinem Hunde,Und er floh von mir mit Schrein –
Einsam ward der Wald, und drückend,Dann die liedervolle Luft,Die vor kurzem so erquickend,Ward wie eine Totengruft.
Das Getöse in der RundeUnd des Laubes SchattenspielUm mich auf dem RasengrundeWar mir wie Schlachtgewühl
Die verirrten LiebespaarenSchienen schwer blessieret mirUnd in frohen Schlemmer Scharen,Nachzügler . . . . . . . . . . . . . .
All die drehenden RingelspieleSchien VerfolgungsreitereiUnd ich danke Gott, denn VieleStachen an dem Ziel vorbei.
Und der auf dem Schaukel-RosseGegen einen Hanswurst brachRief ich zu, o KampfgenosseLasse ab, du bist zu schwach.
Denn der Knecht durch dessen StrickeHin und her die Schaukel flogSchien mir schon ein Weltgeschicke,Das ihnen auf nieder zog.
Ließ ein Rasseln mit der SchelleEinmal der Hanswurst ergehnGlaubt ich in PolischinelleDen Beobachter zu sehn.
Wunderbar (?) schien vor der BudeMir des Gauklers TrommeltonMit der Welt hier unterm HuteDacht ich, spielt Napoleon
Bei der Rußschen Schaukel dachteIch Europas Gleichgewicht,Einer stieg und sank und lachte,Andre schnitten ein Gesicht.
Eine Jungfer trieb der Schwindel,Von der Schaukel sehr geschwind,Eine Amme ließ die WindelSchmutzig wehn, es schrie das Kind.
Doch sie hielt es ohn ErbarmenWie sie auf nieder fliegt,Schläft ein in ihren Armen,Und sie schrie ich hab gesiegt.
Doch als sie herunter steigetUnd dem Kind die Brüste bot,Hat es blaß das Haupt geneiget,Und das arme Kind war tot.
Und sie ließ sichs gar nicht merken,Ging getrost zum Wald hinein,Kam zu mir, und sprach: zum StärkenGebet mir ein Gläschen Wein.
Wie ich ihr den Becher reiche,Sprach sie, nimm den Hurensohn,Wirft mir zu die zarte LeicheUnd ist in dem Wald entflohn.
Und als ich ihr nachgelaufen,Hinkte einer quer herbei,Und wir fielen übern HaufenMeine Flasche brach entzwei.
Doch als er das Kind erschauetWeinte er, das ist mein Sohn,Daß ich frech dem Glück vertrauet,Wohin ist die Hur entflohn.
Sprachs, und sah noch im GesträucheDie beschmutzte Windel wehn,Rafft sich auf, floh durch die Zweige,Ließ mich bei der Leiche stehn.
Einen Stützelfuß im FliehenSah ich ihm am linken Bein,Setzte mich und auf den KnienHielt ich nun das Knabelein.
Goldgelb waren seine Locken,Seine Äuglein waren blau,Und rings alle BlumenglockenFüllten sich mit Tränentau.
Ach ich war dem Kind gewogen,Als wenn es das meine war,Das ich rettend tot gezogenAus dem wilden Sündflutmeer.
In den Mantel eingeschlagenHub ichs durch die lustge Welt,Nach St. Stephan hingetragen,Dort sei ihm ein Grab bestellt.
Während durch das Volk ich schreite,Hörte ich noch hier und dort,Von dem schwer mißlungnen StreiteManch ein sehr bedenklich Wort,
Moreau ließ die beiden BeineSpricht man – er ist schwer blessiert –Nein gewißlich nur das Eine,Ach er ist schon amputiert –
Ei da kan (?) ist zu gesetzetDenn der Rußsche Genral MoorIsts, ein andrer nun verhetzet,Der die Beine dort verlor.
Und ein andrer sprach, das SterbenDieses auserwählten Manns,Zeiget mir, daß wir verderben,Gibt dem Feinde neuen Glanz!
Überall wird er trompeten,Der Verräter ein FranzoßDer zu Frankreichs Feind getretenFand im ersten Kampf sein Los.
Gräßlich wars, bei meiner EhreJa es schiene ein GedichtSprach ein andrer, ja es wäre,Wie ein göttliches Gericht.
Was man will darf man mir sagen,Er steht in des Teufels Bund,Wird die ganze Welt geschlagen,Bleibet er allein gesund.
Schon entwisch ich dem Gedränge,Mit der Bürde unterm Arm,Ward mit schwerer in die LängeUnd mir ward gewaltig warm.
Als ich schon St. Stephan nahte,Hört ich wieder andern Ton,Singend kreuzte meine PfadeEine lange Prozession.
Knaben, Mägdlein, alte FrauenGreise zogen (singend) hinGott die Not recht zu vertrauenWollte das besorgte Wien.
Endlich in der langen ZeileFand ich eine Lücke nunIch durchdringe sie und eileIn der Kirche auszuruhn.
Und ich trat mit meiner Bürde,In das alte Steingezellt,Wo gefesselt ruht in WürdeEine kräftge alte Welt.
Und in einsamer KapelleWo es still und düster warSaß ich nieder auf der SchwelleAn verlassenem Altar.
Jetzt erst wieder könnt ich wagenNach dem Kinde aufzuschaunDoch den Mantel aufgeschlagenFaßte mich ein ängstlich Grau'n.
Denn es waren seine Beine,Abgerissen überm Knie,Daß es hallte im GesteineLaut aufjammernd weh ich schrie!
Selbst der Prozession GesängeÜbertönte mein Geschrei,Und es strömte rings die MengeUm mich und das Kind herbei.
Und es hob sich ein Geklage,Ein Gejammer, ein VerdachtEin mitleidig wild Gefrage,Wer nur hat es umgebracht.
Mörder, Mörder, hört ich schallen,Und es hob sich ein Gebraus,Tausend streckten ihre Krallen,Nach mir als dem Mörder aus.
Und schon zerrte mich die MengeMich, und schrien Polizei!Da durchdrangen zwei die MengeMachten mich bald wieder frei.
Eine war des Kindes Amme,Einer war der Hinkebein,Dieser sprach: her mit dem Lamme,Denn der kleine Schelm ist mein.
Und nun ward der Drang noch wilder,Jeder fragte, wer er sei,Selbst die alten Heilgenbilder,Neigten mit dem Kopf herbei!
Wart, ich will zur, Kanzel steigen,Daß mich jeder hören kann,Sprach und dann gebot ein SchweigenRings der wunderbare Mann.
Doch vor allem in die MitteSei ein Katafalk gestellt,Und darauf nach frommer SitteAusgestreckt der tote Held.
Tote Held? hör rings ich fragen,Doch er winkt und das GerüstWird stillschweigend aufgeschlagenWie es sonst gebräuchlich ist –
Stiller wird der himmelgleicheFeierliche KirchenbauUnd man stellt des Kindes LeicheÖffentlich nun aus zur Schau,
Und nun nach der Kanzel schreitetDer Kumpan, o du mein Gott,Geflüster sich verbreitetAch er ist der Hinkebott.
Doch er ließ sich gar nicht stören,Stieg hinauf, und redet laut.Nun sollt ihr wahrhaftig hören,Wer die Leiche, die ihr schaut.
Seht ich bin (die) bange Sorge,Ich bin (der) betrübte Mann,Der an allen Türen horche,Nie die Wahrheit finden kann.
Und mein Weib (hat mir) geborenEin klein Kerlchen sehr kuriosJa ich hätte drauf geschworenDaß er eines Baders Sohn.
Er war voller toller Quinten,Ein gar gründlicher FantastUnd man konnte an ihm findenWenn man gründlich Ader laßt.
Täglich ward er mir elender,Weil er sehr am Blutfluß littUnd sein Bruder der KalenderTrug ihn auf dem Rücken mit.
Frankfurt wars, wo er gelebet,Bis zu Deutschlands Untergang,Als das freie Reich erbebetAls das franke Reich uns zwang.
Frei und frank das läßt sich hörenAber ohne frei, nur frank,Das mag Gott bald von uns kehren,. . . . . . .
Und mit meinem VaterlandeKam ich aus der Mode sehr,Männer von Verstand und StandeWollten meinen Sohn nicht mehr.
Denn man ließ nicht mehr zur AderSo im kleinen, zu ParisBildete sich ein RiesenbaderDer das Blut im Großen ließ.
So kam nun der hinkende BoteDer von uns den Namen trugRannte sich gar bald zu TodeUnd ich hatte Not genug.
Denn man fand es unanständig,Daß er sein klein BrüderleinSo lebendig außen wendigNackicht auf dem Leibe trug.
Meine gute Frau SibylleSetzte man ins Arbeitshaus,Denn sie sagte in der StilleManches Mißgeschick voraus.
Einsam war ich und verarmet,Ging ich an dem Bettelstab,Wenge (haben) sich mein erbarmet,Weil ich schlechte Nachricht gab.
Und so hab ich viel gefahren,Bis zu dieser bösen Zeit,Wo ich in den alten JahrenNochmals eine Frau gefreit.
Als der große fürchterlicheNeue Bader aus Paris,Den Balbiersack in dem SticheVor Kosakenspießen ließ.
Kannst du heut nicht kannst du morgen,Hieß mein Vater grad und schlicht,Meine Mutter, ohne Sorgen,Meine Amme Zuversicht.
Dieser ward ich ausgetauschet,Als ein neugebornes Kind,Denn sie war sehr oft berauschet,Und gar obendrein stockblind,
Weiter hab ich einen Bruder,Den bekannten Übermut,Der führt ein gar breites Ruder,Und bezwingt doch keine Flut.
Niemals lebten wir vertraulich –Er war immer oben aus,Ich war innerlich beschaulichUnd besorgte still das Haus.
Und wenn er geprahlt von Siegen,Kam ich oft mit ihm zugleich,Straft ihn stante pede Lügen,Vor dem ganzen römschen Reich.
Oft eh er sich könnt verschnaufen,War ich auch schon auf dem PlanWarf sein Wunder übern HaufenUnd zerstreute seinen Wahn.
Dieses hat er lang gelitten,Doch er kam in ein böß Geschrei,Und hat einst mich überritten,Da brach ich ein Bein entzwei.
Hinkte aber sorgend weiter,Unglück kommt stets früh genug,Merkt ihn oft nicht der HochzeiterMerkt der Mann doch den Betrug.
Doch ich war nie gern gesehen,Nirgends ein willkommner Gast,Weil das Unglück schon geschehen,War ich allen stets verhaßt.
Drum zog ich mich still zurücke,Legte mich auf Astronomie,Wer zum Himmel hebt die BlickeWahrlich der verlieret nie –
Weil das hinten nach mein Mangel,Nahm ich mir dann eine Braut,Und fing eine an der AngelDie gewaltig vorausgeschaut.
Eine alte Weltsibylle,Eine Wettermacherin,Und wir trieben in der Stille,Manches liebe Jahr so hin.
Machten einen HauskalenderNach mir Hinkender Bot genannt,Und das ging so seinen Schlender,Durch die Zeit und durch das Land.
Und in solchen guten TagenFühlt ich nicht mein kurzes Bein,Meine Grillen zu verjagen,Allzuvielen Brandewein.
Und so kam ich gut zugedecket(In ein. . . Haus und sank)Hab mich lustig hingestrecketHinterm Ofen auf die Bank.
Als ich tief im Traum ertrunken,Sprach die Bank, nun höre mich,Weist du, auf wen du gesunkenSieh die lange Bank bin ich.
Ich stamme aus vornehmem Bette,Von dem alten Schlendrian,Und der hohen Etikette,Hebt sich meine Herkunft an.
Ach wenn ich zurückgedenkeAlle meine Schwestern durch,All die Fürst und GrafenbänkeIn dem selgen Regenspurch,
Waren einstens wie besessenVielen hohen Herren lieb,Doch sie wurden all vergessen,Ich allein nur übrig blieb.
Ohne mich darum zu loben,Was nur irgend gut, das wardAuf mich lange Bank geschoben,Denn ich war bequemer Art.
Und es wäre so kein Wunder,Weil so manches Bankbein ichHab geboren, das herunterDu als Bierbank findest mich.
Und nun haben mir die PolochenGar die Preußen mir drei BeinSich zum Streite ausgebrochen,Drum schau ich so elend drein!
Sieh mir kommt da ein GedankeMein herzlieber Stützelfuß,Unter dem ich zärtlich wankeGebe du mir einen Kuß.
Wahrlich herrlich zueinanderPassen wir, ein PaarJa kann es nicht charmanterIch hink Hott, und du hinkst Haar.
Ich verdiene manchen Gulden,Denn ich werde frequentiertDoch ich bin von vielen SchuldenAuch ein wenig derangiert.
Aber du du heißest SorgeDer das Geld zusammen hält,Daß ich nicht zu viel mehr borge,Wärst du gut mir zugesellt.
Wenn der liebe Gott uns segnet,Wirds vielleicht von guter Art,Oft ist Menschliches begegnet,Daß der Welt zum Heile ward.
Also sprach sie, und wir wurdenSo im Rausche Mann und Weib –Wunderliche AusgeburtenBrachte mir ihr träger Leib!
Alle schickt ich ins GefechteGen den großen Bader aus,Doch noch keiner war der Rechte,Alle schickt er lahm nach Haus!
Und die Waffen standen stille,Auf der langen Bank ich lag,Da trat zu mir die Sibylle,Ach ich dacht, mich träf der Schlag.
Doch die gute Alte lachte,Sprach mein Freund erschrecke nicht,Deine Schwachheit Lieber brachteÜber dich manch schwer Gericht.
Ich komm nicht hieher zum Strafen,Nein ich bin wie du nicht rein,Als die Freiheit mich beschlafen,Bracht ich ihr dies Söhnelein.
Und noch viele andre KinderDir sie selbst gefressen hat,Bis der blutge Menschenschinder,Sie sich unterjochet hat.
Du kennst ihn, den großen BaderDer uns selbstens bankerottEr ist auch mein Sohn, mein Vater,Kannte mich vor dir, mein Bott.
Diesen hier hat er verstoßenUnd ich bringe dir ihn her,Daß er gen den blutig großenBader führe seinen Speer.
Denn ich muß dir nun bekennen,(Daß ich) eine Hexe war,Und nach teuflischem ErkennenJenen Bader einst gebar.
Um das Blut der Welt zu dämpfenMuß ich gen des Teufels BrutMit dem eignen Blute kämpfen,Der doch auch Sibyllen Blut.
Sieh das ist das Los der SündenGen den babilonschen Turm,Den wir selbsten helfen gründen,Läuft die Zeit einst mit uns Sturm.
Doch nur der kann Heil erwerben,Der gen Sünde streitend fällt,Gegen Tod im Kampf zu sterben,Lebt ein jeder hohe Held.
Und so geb ich dir den KnabenLeg ihn an des Weibes Brust,Er scheint großen Durst zu haben,Und nach deutscher Amme Lust.
Also sprach sie, gab den JungenMir, und eilte dann davon,Und die lange Bank umschlungenHat den kleinen Pflegesohn.
Sie ward stolz ganz aus dermaßen,Pralte mit dem klugen Kind,Und begann herum zu rasen,Auf der rußschen Schaukel blind.
Und ist so herumgelümmeltBis der Trost der neuen Zeit,Gleich im Anfang ward verstümmeltWer weiß unser tiefes Leid.
Seht dort mit gespreizten BeinenSteht sie frech und ungerührt,Ach die Steine möchten weinen,Und sie lacht und caressiert.
Auf dies Wort sah gleich erbittertAlles nach der langen Bank,Und sie ward so stark berittenDaß sie schier der Last ersank.
Auf ihr machten die VelitenUnd die Insurektion,Die Reserven sich beritten,Und sie droht zu brechen schon.
Doch man durfte sie nicht schmähenDenn kaum hob sich ein Geschrei,Als man rings um sie erstehenSah die edle Polizei –
Und ein Bänklein adjungieretWard sogleich der kleinen Bank,Und dann jedem publizieret,Dieses ist die Wiener Bank –
Einer sprach, die Bank hier pflanz ich,Wer hier machet ein Gerauf –Für Hundert, FünfundzwanzigAntizipations Streich auf,
Und so ward es wieder stille,Jeder zog die Flügel ein,Auch nicht einer hatte WilleAuf der Bank bezahlt zu sein.
Aber durch die Stille schalltePlötzlich wieder PeitschenknallUnd der weite Dom erhallte,Von unzählichem Posthornsschall.
Und ein Vivat, Vivat, draußenRauschet wie ein Wasserfall,Alles sah hinaus ich brausenWie die Schafe aus dem Stall.
Von der Kanzel SteuerruderFloh der Stützelfuß mit Schrein,Ach der Übermut mein Bruder,Reitet als Kurier nun ein.
Und er flieht von Eck zu Ecke,Weil ihn keiner recht versteckt,Bis des Katafalkes DeckeIhn in seiner Angst bedeckt.
Selbst mich drängt ich aus der TüreSah als treuer Untertan,Was so großen Lärm verführeAuch das blaue Wunder an.
Peitschen knallen, Hörner schallenÜberall von Feld und Wall,Uns der Sieg ist zugefallenIn drei Schlachten Knall und Fall.
Sieh es bahnen die UlanenEinen Weg dem frohen Zug,An den Speeren ihre FahnenHaben einen freudgen Flug,
Vierundzwanzig Postillione,Knallen, blasen herzhaft drein,Daß von hohem Freuden ToneSich empöret Stein und Bein.
Der Kurier Graf Paar gefahrenBringt den Adler und die Fahn,Wie viel tausend StarenscharenFahren vivat himmelan.
Tückisch, kautzenhaft gekauertHockt fatal in sich gebockt,so der Totenkau und lauert,Wie die Menge rings frohlockt.
Und als ich ihn recht anblicke,Lief mir es durch Mark und Bein,Und so kalt bis ins Genicke,Und ich könnt nicht Vivat schrein.
Es gibt Dinge gründlich greulich,Sie entsetzen jedes Kind,Wem sie jemals nicht abscheulich,Waren, der ist geistig blind.
Mir ist teuflisch stets gewesen,Dieses Leichenadlers Bild,Wie das Mondkalb, das erlesenIhn in seiner Dummheit Schild.
Dumm ist er und bös und niedrig,Ein Gespenst der untern Welt,Allen Engeln falsch und widrig,Die den Thron des Lichts umstellt.
Ja mit einer HurenleicheHat der Satan den erzeugt,Dem sich bang die menschengleicheBabilonsche Hur gebeugt.
Entstanden vermutlich 1814 in Wien (Boëtius 1985)
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Eksteins Sturm von Pisa
Wer, Teufel, hat die Jamben dir erfunden,Du herrlich Roß, an dem Gebisse knarrend,Gedanken musklend, Rosenstrickumwunden,Und Seelen Knochen Splitter im Gehirne sparrend,Unbändger Roßschweiß, Zunder unterbunden,Doch eingeklemmt, zum Schulsteiß, karrendSchlägst du lebendig aus, mit goldnen HufenPrägst du des Genius Wappen in die Marmor Stufen.
Die Hosen, Wämser, Mäntel und TalareDie Panzer, Schäfertaschen, Nonnenschleier,Die aufgeblasen vom romantschen Wind der Bahre,Die Poesie begleiten, mit der KlimperleierAusrufend ihre Lumpenware,Wehn hin wie Windelwäsche, vor dem Geier,Der an das Herz des Feuerdiebes fliegtDer dir am Felsen noch gefesselt liegt.
Unschuldig in den Zeitsack mit der KatzenDer Sprache eingenäht, die menschlich maut,Erkenn ich dich du Held, aus all den FratzenDie kämpfend du ausfaltest in der Haut,Ich sehe Nacken, Lenden, sehe Pratzen,Auf, munter, munter, dein wird noch die Braut,Brich Sack, laß deine Löwenaugen glutenEh dich der Kritiker wirft in die Fluten!
Der erste, Kräftger, bist du von den Letzten,Die sich beliebend, und bespeiend grüßen,Dem nicht Tanzmeister . . . . . . . . . . . . setzten,Wie sie es treiben auf den Spindelfüßen,Dem nicht Sprachschneider fein die Zunge wetzten,Mit Zuckerbrot (?) Oblaten zu versüßen,Den Aftergott satanischer Monstranzen,Empfängst du nicht, der Lade vorzutanzen.
Entstanden vielleicht 1814 nach der Veröffentlichung von Ferdinand Ecksteins Trauerspiel «Kampf um Pisa» 1813 (Boëtius 1985) |