Clemens Brentano
1778 - 1842
Gedichte 1834 - 1842
1838Beiträge zu den «Historisch-politischen Blättern». Beginn der Arbeit an der «Legende von der heiligen Marina» November bis März 1839: Luise Hensel in München.
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[Fortsetzung der Marina-Legende]
So fruchtete Marinas Büßerweise,Daß Viele duldeten auf gleicher Bahn,Sie ebnete den Pfad, in ihrem GleiseZog mancher Pilger hier den Berg hinan.
Und da ein solcher nach viel hundert Jahren,Der aller Wüste Sehnsucht, Durst und GlutVon Babel bis Jerusalem erfahren,Am neunzehnten Oktober hier geruht.
Ward, was Conscientia in letzter StundeGeweissagt, hier erfüllt an seinem SchmerzMild öffnete sich seines Lebens Wunde,Wehklagend überfloß sein sehnend Herz.
Hier, wo die Unschuld schweigend hat getragen,Hier, wo die Schuld bekennend ward gesund;Ward seiner Lieb es leicht, zu Weheklagen,Bis Trost ihm lächelte ein Kinder-Mund.
Der Balsamstrauch weint mit ihm süße TränenDen bei des Vaters Grab Marina zog,Als wiegend sich in ihrer Liebe SehnenDie Wüstennachtigall ihn niederbog.
Das Leid fließt in der Lilie Kelch zusammenDie herrlich ist bekleidet und nicht spinnt,Sie strahlt's fern hin, ihr Duften wird ein Flammen,Und weit hin trägt das Doppellied der Wind.
O Traum der Wüste, Liebe endlos Sehnen,Blau überspannt vom Zelte Stern an SternO Wüstenglut voll Tau, o Lieb voll Tränen,Weil sich unendlich Nahes ewig fern.
O Wüstentraum, wo Lieb' auf Herzschlag lauschet,Wenn flücht'gen Wildes Huf die Wüste drischt,O Traum, wo der Geliebten Schleier rauschet,Wenn Geierflug im Sandmeer Schlangen fischt.
O Wüstentraum, wo Liebe träumt zu fassenJetzt Josephs Mantelsaum mit durst'ger Hand,Da geisselt wach, verhöhnt halb, ganz verlassenIhr Herz, der Wüste Geißel, glüher Sand.
O Liebe, Wüstentraum der Sehnsuchtspalme,Die blütenlos Gezweig zum Himmel streckt,Bis segnend in des höchsten Liedes PsalmeDer Engel sie mit heil'gem Fruchtstaub weckt.
O Wüste, Traum der Liebe, die verachtetVom Haus verstossen mit der Hagar irrt,Wo schläft der Quell? Da Ismael verschmachtet,Bis Deine Brust ihm eine Amme wird.
O Wüstentraum der Liebe, die dich sehnet,Steigt nie ein Weiherauch aus Dir empor?Geht duftend auf den Bräutigam gelehnetNie meine Seele heil aus Dir hervor?
O Wüste, wo das Wort der ew'gen LiebeIm unversehrten Dorn vor Moses flammt,Ein Zeugniß, daß die Mutter Jungfrau bliebe,Aus deren Schoß der Sohn der Gottheit stammt.
Lieb', Wüstentraum, so laut des Rufers Stimme,«Bereit den Weg des Herrn»! Dir mahnend schallt,«Summt in des Löwen Schlund Dir noch die Imme,Die Süßes baut im Rachen der Gewalt.
O Durst der Liebe, Wüstentraum, wenn spaltetDer Herr den Fels, daß Wasser gibt der Stein,Wenn deckt in Dir den Tisch, der gütig waltet,Wenn sammle ich das Himmelbrod mir ein?
Durst, Liebe, Wüstentraum, dort scheint am HügelDer Morgenstrahl ein Hirtenfeuer weiß;Wo Durst gewähnt des Wasserfalles Spiegel,Fand Liebe ein Geschiebe Fraueneis.
O Liebe, Wüstentraum des Heimatkranken.Ihr Paradiese schimmernd in der Luft,Ihr Sehnsuchtsströme, die durch Wiesen ranken,Ihr Psalmenhaine lockend in dem Duft.
O Liebe, Wüstentraumquell, beim ErwachenRauscht Dir kein Quell, es wirbelt glüher Sand,Es saußt das Haus der Schlangen und der DrachenUnd prasselt nieder an der Felsenwand.
O Wüstentraum, wo Sehnsucht Feuer trinketUnd Liebe angehaucht von gift'gem SmumOhn Trost und Hoffnung tot zur Erde sinket,O Tod ohn Liebe, Hoffnung, Ehr und Ruhm!
O Wüstentraum der Lieb! in der OaseLabt Dich am Quell, der zwischen Palmen glänzt,Ein schlankes Kind – die Schlange ist's im Grase,Der Räuber Kundschaftrin, ein Truggespenst.
O Liebe, Wüstentraum! nach kurzem GastenSprengt Dich der Räuber gastfrei an mit Hohn,«Mein Brüderchen! entlaste Dich zum Fasten,Wo denkest Du hinaus mein lieber Sohn!»
O Liebe, Wüstentraum, Du mußt verbluten,Beraubt, verwundet, trifft der Sonne Stich,Der Wüste Speer Dich, und in SandesglutenBegräbt der Wind Dich und Gott findet Dich.
So singend wollt der Pilger jetzt verendenDen Wüstentraum, sein Leben und sein Lied,Die Seele wollte sich zum Garten wenden,Wo seiner Sehnsucht Wunderblume blüht.
Er ruft dem Tod, es sauset durch die WüsteZwei Eulenflügel schatten übern SandUnd eine Taube ihn mit Frieden grüßte,Die an sein Herz sich flüchtet ins Gewand.
Ein Brieflein trägt das Täubli unterm Flügel,Des Siegels Schild ein Heueli verschließt,Der Totenvogel seines Lebens Siegel!Der kann nicht sterben, den sein Leben grüßt.
Es sei gewagt – Den Brief liest der Verwegne,Den er mit heißen Tränen überstreut!
Mein Lieber Freund! Gott grüße Sie und segneSie tausend Mal! Wie haben Sie mich heut
So schön beschenkt, vergelts Gott tausendfaltig,Was recht gerühret und beschämt mich hat,Marinas Zeichnung freut mich ganz gewaltig.Wie schön ist sie, ich sehe mich nicht satt.
Das alles ist so stille zugegangen,Als ich heut Morgen aus dem Schlaf erwacht,Hab ich so recht von Traurigkeit umfangenAn vierzig Jahre ohne Wert gedacht,
Ach immer muß ich nun zurücke sehen,Wie zeigte Gott mir so barmherzig sich,Und ach wie wenig ist durch mich geschehen,Wie viel geschah an mir, Gott bessre mich!
Beim Morgenbrot ich dicht vor meinem SitzeIn Mitten eines schönen Sträußchens fandEin Stäbchen grün und weiß mit goldner Spitze,«Emilien segne Gott!» mit Goldschrift stand
Auf weißen Fähnlein dran. – Das gute Wesen,Die liebe Appel ließ auch heut für michAm Morgen eine heil'ge Messe lesen,Und in der Kirche beten auch für mich.
Nun öffnen Ihre Rolle meine Hände,Und o! Wie schön! Gleich halt' ich da ein LichtWarum sie mir gelesen die Legende:All schön und gut, doch ich verdien es nicht!
Mehr Ehre blieb dem Tag noch anzufügen,Babette machte mir ein schön Gedicht,Ich hoffe, es soll höchlich Sie vergnügen,Kommts bei der Heimkehr Ihnen zu Gesicht.
Vergelt es Gott! Ich werde unterbrochen,Wir leben traulich, Ihrer wird gedacht,Ich schreibe wieder in der nächsten WochenSie haben große Freude mir gemacht.
Mein Freund, wie's scheint, so halten Sie sich strengeAn des Nichtschreibens ausgesprochen Wort,Froh, daß kein Wort, kein Ausspruch mich beenge,Schreib einfach ich mein zweites Briefchen fort.
Beginnen darf ich nicht, wie geht es Ihnen?Denn sie antworten mir nicht, wie es steht,Doch fragen Sie mich so, dann kann ich dienen,Daß mir bei Appelchen es ganz vortrefflich geht.
Bis in das Innerste geht Ruh und FriedenMir hier ins Herz vom Morgen bis zur NachtIch bitte Gott, einst Ihnen zu vergüten,Daß Sie zu mir das Appelchen gebracht.
Die Fürstin schrieb ein Briefchen von viel SeitenEs scheint, daß sie's noch gut mit Ihnen meint,Sie sagt, sie habe Lust mich zu beneidenUm Sie, als einen offenherzgen Freund,
Rosalie schrieb ein Briefchen, Minna eines,Die Phillips ist das allerlieb'ste HerzAuf Gottes Erde gibt es liebres keines,Selbst meines nicht, noch das des Herrn von Kerz
Mit meinem Bilde geht mir's miserabelDie Farben trocknen unterm Pinsel ein,Sie zu vertreiben bin ich nicht kapabelDas Bild bleibt fleckicht und das darf nicht sein.
Mit zäher Farbe malet sich so sauerObs von der Leinwand, obs vom Öl entstehtOb von dem Ofen, fragen sie SchlotthauerWas ich soll tun in der Kalamität.
Nun Grüß Sie Gott! – und was dergleichen mehreVon Fried und gutem Mut zu wünschen sindWünscht ihnen reichlich nebst felice sere!Auf acht Tag mehr. Addio das arm Lind
Als nun ans Herz den Brief der Pilger drücketEin selig Flüstern durch die Blumen zieht,Und alles Leben rings fragt still entzücket,Sag, welche Blume sang dies hohe Lied?
Der Pilger sprach: «Nach meiner Sehnsucht Garten,Der Wunderblume sehnt ich mich so sehr,Das ließ die treue Blume mich nicht warten,Und duftete das Brieflein zu mir her.
Die Blume, deren Engel dies geschrieben,Blüht an dem Herzen, wo das Täubchen schlief.Der Duft ist im Gefieder ihm geblieben,Die Eule trieb es zu mir mit dem Brief.
Im armen Garten duftet jene Blume,Den Kreuzweg ziehend trinkt der Sonne StrahlDen Tau des Kelches, dem Zum HeiligtumeSie schüchtern hebt mit banger Sehnsucht Wahl.
Der Samu raubet von des Pilgers KleideDen Wohlgeruch und wirft ihn in die Gruft,Doch nie von einem Herzen, das zur WeideDer Blume ging, den zauberischen Duft.
Der Scheich, der vor des Feindes Lanzes fliehetAuf schnellem Roß mit Wasserfalles Hast,Hält ein gebannt, und atmet, wo sie blühet,Den süßen Duft, des Friedens trunkner Gast.
Bei ihrem Wohlgeruch kommt Saul zu Sinnen,Daß David seines Speeres Zorn entrinntUnd schlummert in dem Schoße der ErinnenOrest der Muttermörder wie ein Kind.
Ja könnt' selbst Ahasver der irre Jude,Der ewig Ruh und Tod vergeblich sucht,Je atmen dieser Blume Duft, er ruhteVon süßen Kinderträumen heimgesucht.
Sie senkt das Köpfchen so wie PhilomeleVom schlanken Zweig ins liebe Nestchen schautUnd sinnt und blickt wie eines Engels SeeleStill sinnend blickt ins Herz der Himmelsbraut.
Sie wiegt auf feinem Stiel das zarte KnöpfchenDie Augen blinken lieb und kinderschlauWie in der Primel Kelch zwei klare TröpfchenSinds Perlen, Tränchen? ist(s) ein bitzli Tau?
Argloser, als das Veilchen, das im SchoßeDer dichten Blätter ein Versteck sich sucht,Zieht kaum berührt, ohn Vorbedacht, MimoseGleich Zweig und Blättchen ein in keuscher Flucht
Und sorgend, ob sie stets geschlossen bliebeDemütig neben ihr im Grase kniet,Das Zitterli, das zittert bang vor Liebe,Bis durch die Fingerchen sie wieder sieht
Bald öffnet doch nach Außen hin von InnenDie Blättchen neu das Blumen Jungferli,Da tanzt um sie, haßt sie gleich alle Spinnen,Die Tarantela froh das Gümperli.
Wachs, Honig sucht in ihrem Kelch die Imme,Und wird auf ihren Zweiglein je gesehnEin Wachsstöckli, spricht gleich der Blume StimmeEin bitzli muß ich erst spazieren gehn
Zu überschatten sie mit FarbenminneHat sie im Traume einst dem Licht erlaubt,Und spricht im Regenbogen mitten inneVom Farbensinn geküßt: Selig wer glaubt!
Die Engel schweben nieder in den GartenUnd zünden Lichter in den Lilien an,Der Blume meiner Sehnsucht aufzuwartenUnd huld'gen ihr und sind ihr Untertan.
Und als zur Feier sie der Nacht gesungenHeil dir, o Stern und Blume, Geist und KleidIst aus der Blume Kelch das Wort erklungenHeil dir Lieb' Leid und Zeit und Ewigkeit
Und in der Christnacht, wenn die dürre RoseVon Jericho sich öffnet zäh und krausErschließet sich die Blume lind und lose,Wird aller Gaben blühnder Kinderstrauß.
Und auf dem Ästchen wie im WeihnachtsbaumeEntzünden viele Freudenlichtchen sich,Da wird die Blume gleich zum KindertraumeEin Bäumchen rüttle dich und schüttle dich.
O Blumenzartgefühl leicht zu besudeln,Der Jungfer Untat brächte mir den TodDie Nudelsuppe, und Gemüses NudelnDie zweimal Nudeln ihren Gästen bot.
Die Blume pünktlich folgt der SonnenstundeWie Klytia zum Sonnengott sich kehrtUnd so auch folgt ihr meines Herzens WundeDas Ewiges sich in der Zeit bewährt.
Wie aus dem Paradies vier Ströme fließenVom Lebensbaum, so meine Augen beidVier Tränenquellen um die Blume gießenAus Dank und Sehnsucht und aus Freud und Leid.
Nur eines Fehls in ihr ich mich beschwere,Nicht jeden Wunsch gestehet Gott ihr zu,Denn wünschet sie mir je felice Sere!Dann gute Nacht, auf lange Fried und Ruh!
Frag um der Blume Namen nicht, o LilieDer du geleuchtet, als sie vor dir standIn deines Namens edler ReimfamilieIst keine Blume dir so klangverwandt.
Löst mir der Blumen Rätselnamen, KinderWas duftet honigsüß und saust im WindSprecht ihr: die Linde, sag ich, ratet linderJa also lind, das Reich hart mir arm Lind
So sang der Pilger und die Sterne zogenSo klar herauf am blauen HimmelsschildDa kam ein Klang, ein Glanz von hohen BogenWie Segen aus dem Paradiese quillt
Es kam die Seligste aus allen NächtenDa Himmelsfrucht die edle Rebe gab,Die Himmel tauten nieder den Gerechten,Es regneten die Wolken ihn herab.
Die Hirten wachten auf bei ihren HerdenDie Engel schwebten her und sangen lind:Gott in den Höhen Ehr und auf der ErdenDen Menschen Fried, die guten Willens sind!
Und wie Gesang von heimatkranken SchwänenKlang auf der Pilgerstraße her von fernDas Lied der Könige voll freudgem Sehnen,Nach Betlehem geleitet sie der Stern.
Und ihnen folgend tönte durch die WüstenMarinas und Conscientias Gesang,Und alle folgten singend die hier büßten,Es war ein Lied, wie dieses Lied so lang.
Und als der Knabe nun sein Lied anstimmetVom Kindlein, das er trug, gleich bis zum SaumDie Wüste rings von Lichtern freudig glimmet,Und alles Leben schien ein Weihnachtsbaum.
Und wie am Schluß von allen ProzessionenEin armes Weib mit blauer Schürze geht,Die als Standarte selbst der AmazonenIm letzten Zug der Kavalkade weht.
So hinkte hier im Hetsche betsche RöckchenMit schwarzem Schurz die Blume hinterdrein,Die Hühneraugen weinen durch die SöckchenEs brennt der Wüste Sand der Elfe Bein.
Um endlich die Bescherung zu vollendenWar sie verschnupft vom Kopf bis zu den Zehn,Das Wachsstöckli brannt aus auf ihren HändenSie mußt im Dunkeln schier spazieren gehn
Sie schwieg, es war verschnupft hier nicht zu singenUnd ohn Herrn Ett gen alle Etiquett,Denn dieser läßt jetzt bei den Hirten klingenDen Dudelsack und gehet dann zu Bett
Doch Solo bricht sie aus (in) JammertönenO weh, weh, weh! O je je ju ju ju!Und ganz voll Schnupfen und voll KindertränenIch armer Schelm! Ich armer Schelm dazu!
Ich hab der Post drei Schachteln unterschriebenUnd doch empfing ich erst der Schachteln zweiDie Schachtel ist nun auf der Mauth gebliebenWie krieg ich nur die Schachtel jetzt herbei.
Und alles Leid mit Kichern zugedecketHi hi hi hi, ich hab den kleinen ZehIn einen Handschuhfinger eingestecketMit Froschlaichpflaster, hi hi, weh, weh weh!
Doch mit geschloßnen und mit offnen HändenSchlug vor der Brust sie wie ein Kind den Takt,Und schüttelt sich und zankte von VerschwendenUnd schlug den armen Esel schwer bepackt,
Da seufzte tief, wußt nicht wohin sich wendenDer arme Esel, der die Laute schlug,Das rührt den Pilger, und er konnt vollendenDies Lied conscientia, er sang im Zug
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Weich Wüstentraum, der Liebe die sich sehnetEin Weihrauchwölkchen stieg aus dir emporUnd dorten auf den Bräutigam gelehnetGeht eines Liedes Seele still hervor.
Entstanden 1838/39 (Boëtius 1985)
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Engel, die Gott zugesehnSonn und Mond und Sterne bauen,Sprachen: Herr, es ist auch schön,Mit dem Kind ins Nest zu schauen.
Entstanden nach 1837, Widmungsverse in einem Exemplar des Gockelmärchens (Schultz 1995) |