Clemens Brentano
1778 - 1842
Gockel, Hinkel, Gackeleia
Blätter aus dem Tagebuch der Ahnfrau
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Aus dem Tagebuchder Ahnfrau.(Vom Charfreitag bis Sonnenwende 1317).
Der fromme und gelehrte Jakob von Guise ermahnte in dieser heiligen Fastenzeit die Frauen und Jungfrauen des Landes Hennegau gar eindringlich, sie möchten, statt ihre Zeit mit Lesung tiefsinniger Bücher zu verlieren, doch den elenden Stand der verlassenen armen Kinder, von denen alle Straßen wimmelten, zu Herzen ziehen, und sich Gott durch Barmherzigkeit an diesen gefällig machen. Seine Worte rührten mein Herz, jede Noth, jede Unart eines Kindes, die mir bekannt ward, fühlte ich wie eine Beschuldigung. Ich dachte nach, wie ich, als die Erste des Landes, mit einem Beispiele vorgehen sollte. – Ich sprach darüber mit acht meiner adeligen Gespielinnen, und forderte sie zum Gebet auf, daß Gott mir die rechten Wege dazu zeige.
Charfreitag
Jakob von Guise, mit dem ich von meinen guten Wünschen für die armen Kinder gesprochen hatte, hielt uns heute noch eine Ermahnung, nie der Armen, welche Gott mit vielen Kindern gesegnet, zu spotten. – Er gab uns diese Warnung, weil Gott heute vor 42 Jahren solchen Spott an Margaretha, Gräfin von Holland strafte, indem er ihr eine große Zahl kleiner Kinder bescheerte, welche, vom Bischof Guido in zwei Becken, die Knaben Johannes, die Mägdlein Elisabeth getauft, nebst der Mutter schnell gestorben und in der Kirche zu Leusden begraben sind. – Er erzählte auch von der großen Gefahr der aufsichtslosen Kinder ein erschreckliches Beispiel. – Im Jahre 1284 kam gen Hammeln ein Rattenfänger, der hieß Bundting, seines buntgefleckten Gewandes wegen, der ward mit dem Rathe einig, um ein gewisses Geld alle Ratten und Mäuse der Stadt mit seiner Pfeife hinaus in die Weser zu locken. Er hielt auch sein Wort, den Rath aber gereute der Lohn, und hielt er sein Wort nicht. Darob erbitterte der Bundting und als am 26. Juni Morgens 7 Uhr Alles in der Kirche war und die Kinder auf der Straße spielten, kam er wieder als ein Jäger mit schrecklichem Angesicht und einem rothen wunderlichen Hut und pfiff durch die Straßen, da zogen ihm viele Knaben und Mägdlein vom vierten Jahr an und darunter des Bürgermeisters schon erwachsenes Töchterlein nach und er führte sie hinaus in einen Berg und verschwand mit 130 Kindern in demselben. Ein stummes Kind hatte sich verspätet, denn es führte ein blindes Kind dem Zuge nach, das stumme zeigte den Ort, wo sie alle verschwunden, das blinde sprach von dem wunderlichen Ton der Pfeife, dem sie alle gefolgt. Ein Knäblein, das im Hemd mitgelaufen, kehrte um, seinen Rock zu holen, und da es mit diesem den Andern nachlief, waren alle schon verschwunden; so ward es gerettet und konnte von Allem den Eltern berichten. Diese waren in großem Leid, suchten und forschten aller Orten, sendeten Boten zu Wasser und zu Land nach den Kindern, aber vergeblich; und sind ihrer auch mehrmalen bei uns im Lande Hennegau gewesen. Die Trauer der unglückseligen Leute ist noch also groß um ihre Kinder, daß in der Straße ihres Auszugs weder Trommelschall noch Saitenspiel, noch Tanz, auch selbst bei Brautzügen seyn darf. – Der liebe Herr Jakob von Guise legte diese wahre Geschichte aus gleich einer Parabel auf die Gefahren der verlassenen Kinder, und fügte noch eine Betrachtung hinzu über die Worte des Herrn: «Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel versammelt u. s. w.» dann sagte er: «wen sollte das tiefer treffen, als uns, die wir hier im Lande Hennegau leben; aber wie steht es mit den Küchlein, o gäb' ihnen Gott eine Henne, die sie unter ihre Flügel versammelt. – O gnädige Gräfin Amey gedenket der armen Kinder!» – Da sagte ich: «Habt Dank hochwürdiger Herr! ja so Gott Segen giebt, will ich ihnen eine Henne werden und meine hier anwesenden Gespielinnen werden mir helfen;» da erhoben diese sich sämmtlich und sprachen: «ja mit Gottes Gnade, das soll wahr seyn!» Da segnete Jakob von Guise neun Schaupfennige und gab sie uns am Rosenkranz zu tragen. Es ist aber auf der einen Seite eine Gluckhenne abgebildet, welche ihre Küchlein mit den Flügeln decket und auf der andern Seite stehen die Worte: Nähre und schirme. Diese Pfennige hatte der gute Mann uns zur Mahnung prägen lassen, denn er hatte im Gebet erkannt, mein Herz sey kein steiniger Acker, wenn gleich hie und da eine Heerstraße; darum wollte er es einzäunen. Gott segne seinen Willen an mir! – Ich entschloß mich nun fest, gleich nach Ostern eine Ordnung mit meinen Gespielen zum Besten der armen Kinder zu treffen.
Charsamstag
Heute sprach ich nochmals mit Jakob von Guise über mein Vorhaben und er ermahnte mich, daß doch Alles, was ich hiezu verordne, einfältig, demüthig, fromm und freudig seyn möge; ich solle mich mit meinen Andachten und Lesungen an das halten, was die Kirche das Jahr hindurch feiere, und alles Besondere ablegen, dieses sey das geistliche Brod, das ich den armen Kindern täglich gehörig zertheilet spenden solle, außerdem solle ich ihnen auch mit dem leiblichen Brod treue Vorsorge thun. Er machte mir hiebei eine gar rührende Auslegung des Vaterunsers, welche die ganze Regel des weltlichen Ordens enthält, den ich stiften will unter dem Namen der freudigen, frommen Kinder. Dessen Aufgabe aber soll seyn, daß die Kinder von Hennegau freudig und fromm werden; dazu aber gehöret alle Christentugend, zu der helfe mir Gott und lege mir eine treue, freigebige, fleißige Hand auf das Herz und ein aufrichtig wahres Herz auf die Hand und auf die Zunge! – Heut brachte mir auch Meister Andreas der Goldschmied die Ordenszeichen, die ich bei ihm bestellt, und war auf der einen Seite ein Windelkindlein, auf der andern ein Lerchlein, das singend zum Himmel fliegt, abgebildet. Ich befestigte sie an amarantfarbige Bänder und zeigte sie meinen Gespielen noch nicht. Wir giengen heut alle zur Kirche und versprachen einander, morgen bei dem Feste Gott unser Vorhaben demüthig aufzuopfern.Heut auch besuchte ich nach meinem jährlichen Gebrauch die gottselige Jungfrau Verena und das fromme Hühnlein; und da mich Jakob von Guise ermahnt hat, in Allem so zu schreiben, daß es auch die Nachwelt verstehen könne, will ich hier kürzlich von Verena und dem Hühnlein sprechen. – Vor vielen hundert Jahren kam ein römischer Soldat von Pilati Leibwache hier in die Lande; er hieß Salmo und war nach dem ersten Pfingstfest in Jerusalem getauft durch Petrus. Er hatte sich zum ewigen Andenken ein Hühnlein aus Jerusalem mitgebracht, das von dem Hahn abstammte, der bei Petri Verläugnung gekräht. Es war aber hier noch Alles wilder Wald und hie und da ein Edelhof mit Feldern und einigen Bauern umher. Auf einem solchen Hofe saßen dann Kriegsleute, die sich häuslich niedergelassen, die lebten von der Jagd, und machten sich so viel Landes unterthan, als sie umreiten wollten. Belgius, ein solcher Kriegsmann hatte sein Haus hier, wo jetzt mein Schloß steht, und da er in den Wald ritt zu jagen, sah er eine schöne weiße Henne, deren Art er hier zu Land nie gesehen, im Walde laufen. Da folgte er dem Hühnlein tief in den Wald bis in eine Höhle, darin ein Mann gar elendiglich lag. Das war aber Salmo, der römische Soldat, der war im Walde verirrt und schier Hungers gestorben, und war sein frommes Hühnlein fortgelaufen, ihm Hülfe zu suchen. Da labte Belgius den Salmo und nahm ihn sammt dem Hühnlein auf sein Roß und führt ihn in sein Haus, und er und sein Weib pflegten ihn, bis er gesund war. Salmo aber erzählte ihnen, was er in Jerusalem erlebet, und vom Tod, Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn, und von St. Petrus, der ihn getaufet und auch von dem Hühnlein, darob sie groß Wunder hatten. Während dem aber legte das Hühnlein ein Ei, und sie ließen den Salmo nicht fort, bis es ausgebrütet war, da schenkte er ihnen das ausgebrütete junge Hühnlein und zog weiter. Wann er nicht wußte wohin, ließ er sein Hühnlein laufen und folgte ihm. So kam er bis an einen Bach in einer lustigen Gegend, und da sein Hühnlein sehr durstet und hungert, kam ein Hahn aus dem Walde geflogen und lockte es bis zu dem Bach, und sie tranken daraus; da sagte Salmo: «das ist der Hahnebach» und der Hahn lockte wieder und scharrte einen Weizenkern aus dem Boden, den fraß das Hühnlein und war wohlgemuth. Da aber Salmo weiter reisen wollte, denn er war aus Savoyer Land, wollt das Hühnlein nicht von dannen, und so blieb Salmo hier, und baute sich ein Haus an dem Hahnebach und nannte es Kern wegen dem Weizenkern. Er nahm auch ein Weib und sind die Grafen Salm daraus worden und die Stadt Kern oder Kyrn am Hahnebach. – Das Hühnlein aber, das hier im Hause des Belgius geblieben, ward gar gut gehalten und ward Gallina genannt. Belgius aber war ein Heide und ein abergläubischer Mann, und nahm er allerlei Wahrzeichen an der Henne in Acht; nachdem sie fraß und froh oder traurig war, darnach handelte er. Nun war er schon bejahrt und hatte viel Kinder und Leute und wollte sich ein Land gründen und das auf seinem Pferd umreiten; da sah er, wie die Henne fraß, und da sie gar lustig gefressen, war es ihm ein gutes Zeichen, und er setzte sich mit seiner Frau und seinen Söhnen und Töchtern zu Pferd, und sie ritten in den wilden Wald nach dem Ort, wo er den Salmo gefunden hatte. Da ließ er das Hühnlein laufen, und wo es hinlief, ritten sie nach wohl vier Tage lang und kamen sehr durstig an ein Brünnlein, daran saß Lucius, ein König von England, der war ein Christ worden und reiste nach Augsburg, das Christenthum zu verkünden und hielt hier Ruhe an dem Brünnlein. Das Hühnlein Gallina aber lief auf ihn zu und fraß ihm das Brod aus den Händen. Deß wundert sich Belgius sehr, da Gallina sonst nicht also kühn war und ein gar blöd züchtiges Hühnlein. Da gedachte Belgius, das muß ein frommer, heiliger Mann seyn, weil das Hühnlein ihn so lieb hat. Als sie aber miteinander sprachen, sagte Belgius dem Lucius Alles von dem Hühnlein und dem Salmo, und Lucius sprach so eindringlich mit Belgius, daß er sich mit Weib und Kind von ihm in der Quelle taufen ließ. Darnach reiste Lucius weiter gen Räthien, und Belgius ritt dem Hühnlein Gallina nach, bis sie dahin kamen, wo sie ausgezogen, und nahm Belgius alles das Land in Besitz und nannte es das Hennegau, weil die Henne es umlaufen hatte. – Von dieser Henne Gallina nun ist von damals immer das erstgebohrne Hühnlein bei den Grafen von Hennegau aufbewahret und im Schlosse gefüttert worden, und nennt man es im Lande allgemein Gallina, das fromme Hühnlein und hält es gar hoch. Es ist ihm eine eigne Pflegerin bestellt, wozu immer die älteste tugendlichste Magd aus dem Frauenzimmer der Gräfinnen genommen wird, und nennt man diese Pflegerin selbst das fromme Hühnlein. Dieses Ehrenamt versieht heut zu Tage Jungfer Verena, eine gar gottselige Jungfrau. Sie war oben von dem Rheine her und schon als Wärterin meiner Großmutter in Vadutz gewesen. Es besteht aber das Hühnerhaus des Belgius mit seinem Hof und Gärtchen noch, worin die erste Gallina gelebt und gestorben und ist ein feines Stübchen darüber erbaut, worin Verena wohnet, und heißt diese Wohnung das Gallinarium. Es ist auch ein alt Herkommen, daß das fromme Hühnlein nicht mit erkauftem, sondern nur mit erbetteltem Weizen zur Ehre Gottes ernährt werden darf, und so wandelt Jungfer Verena mit ihrem langen Korbe am Arm von Haus zu Haus und bittet um Nahrung für das fromme Hühnlein. Es ist dieß aber eine mühselige Arbeit, denn sie nimmt nirgend mehr, als drei und dreißig Weizenkörner zu Ehren der Lebensjahre des wahren Weizenkörnleins. Alle diese Körnlein zählet sie nach unter Gebet, und da es für die Nahrung des Hühnleins und seiner vielen Nachkommen, denn es sind sehr viele in dem Gallinarium, doch immer zu vieler Weizen ist, so theilet sie die Körnlein in drei gleiche Theile; den geringsten zum Futter, den bessern, um ein Feld für die Armen damit zu besäen, die allerreinsten Körnlein aber läßt sie mahlen und siebt das Mehl selber, und backt selbsten die reinsten, weißesten Hostien daraus für die Pfarrkirche. Gott segnet ihr Thun, und so bringt ihr Feld immer gar reichlich, und hat sie viel Arme ersättiget in Hungerjahren. Es ist ein Glaube in Hennegau, wer ein Hühnlein von dieser Zucht, ja nur ein Federlein davon in seinem Stall habe, dem gedeihen die Hühner über die Maßen. – Heute gieng ich aber zu Verena, weil sie Ostereier bunt färbte, um ihr zu helfen. Sie wußte sie gar schön mit Blumen, Kreuzlein, Gotteslämmlein u. dgl. zu verzieren und hatte deren eine große Menge zu bereiten für die besonderen Wohlthäter des frommen Hühnleins. Jenes Osterei, das sie mir besonders bereitete, werde ich erst morgen zu sehen bekommen. Alle meine Gespielen waren gestern und heute schon bei ihr zur Hülfe gewesen und zwar nacheinander, denn ihr Stübchen neben der kleinen Küche ist gar enge und nichts darin, als links von der Thüre ein Kasten mit Schiebladen, ein Stuhl und das Bett, rechts ein Tisch, ein Stuhl und ein Spinnrad und bei dem Bette noch eine Truhe und der Ofen. Man schreitet auf einer schmalen offnen Treppe, wie auf einer Hühnerleiter zu ihr hinauf und trifft dann auf die kleine arme Küche, neben welcher ihre Stubenthüre. Das Gallinarium ist unter ihrer Wohnung; da lebet das Hühnlein Gallina und seine große Familie und hat dasselbe sein Nest, seine Stange, sein Freß- und Sauftröglein, alles abgesondert und von Verena besonders gepflegt. Hier unten ist ein kleiner Garten und Hühnerhof, und dem Gallinarium gegenüber ein Behälter für das Holz und in weiteren alten Gewölben sind die Räume, wo die Wäsche des Schlosses besorgt wird. Dieser ganze Theil des Schlosses von Hennegau ist sehr alt und etwas wüste; man hat ihn nie erneuert aus Achtung für das Gallinarium, weil Gallina, das erste fromme Hühnlein, welches das Werkzeug zur Bekehrung des Belgius und zur Benennung des ganzen Landes gewesen, hier gewohnt hatte. Ich gieng aber immer von Kind auf mit einem heiligen Grauen in das Gallinarium; es war da einsam und gar ernsthaft; an der einen Seite liegt St. Petri Münster, die erste Kirche des Landes, die auch durch das fromme Hühnlein veranlasset worden, und um das Gallinarium her läuft der Kreuzgang von dem ehemaligen Kirchhof St. Peters, worin alte Todtentragen und schwarze Sargdecken und Flitterkränze und Kreuze stehen. An dem Treppchen zu Verenas Stübchen eilte ich immer schnell und scheu hinauf, denn die Wäscherinnen sagten mancherlei Unheimliches von dem Gewölbe bei dem Gallinarium, und wußte Verena Vieles davon zu erzählen, aber wollte nie recht damit heraus. Immer wußte ich nicht recht, was das heißen sollte, daß meine Mutter oft zu ihr zu sagen pflegte: «Verena, was macht das Büblein?» worauf sie jedesmal ernst und bedenklich erwiederte: «es macht sein Sach!» – und doch war es von Kindheit auf meine Gewohnheit, wenn ich sie sah, diese Frage an sie zu wiederholen und dieselbe Antwort von ihr zu erhalten, ohne daß sie je meine heimliche Neugierde, was und wo dieß Büblein sey, und was es eigentlich thue, befriedigt hätte. Verena war mir auch durch eine eigne Gewohnheit, die sie wie eine strenge Pflicht in meiner Jugend übte, eine sehr geheimnisvolle Person. Mir wurde immer empfohlen, auf der rechten Seite liegend zu schlafen, und oft wurde ich Nachts aufgeweckt und sah dann Verena an meinem Bettchen, die mich von der linken auf die rechte Seite legte, und dann mit dem Finger drohend sagte: «das fromme Hühnlein schickt mich, es weiß Alles.» – Dann fragte ich gewöhnlich: «Vrenchen, was macht das Büblein?» und sie antwortete ihre ewige Antwort: «es macht sein Sach» und kehrte ins Gallinarium zurück. Besonders aber war mir auch der Gang zu Verena feierlich, weil sie mich zu meiner ersten Buße vorbereitet hatte, und ich mich immer bei solcher Gelegenheit von ihr ermahnen ließ. Da nun das fromme Hühnlein vom Hahne Petri abstammte, der bei dessen Schuld gekräht hatte, so glaubten wir Kinder, das Hühnchen wisse Alles, und wenn wir es im Vorübergehen gacksen hörten, meinten wir, es mahne, oder beschuldige uns, und so erforschten wir unser Gewissen mit größerem Ernste. Einigemahl in meiner Jugend kam Verena sogar plötzlich zu mir, während ich in Versuchung zu irgend einem Vergehen war, und immer sagte sie: «das fromme Hühnlein hat mich gesendet.» Durch Alles das ist sie mir selbst bis jetzt in mein erwachsenes Alter eine sehr achtbare, geheimnisvolle Person geblieben, und da ich heute mit meinen Gespielen zur Kirche gehen wollte, um morgen das hohe Fest zu halten, so schlüpfte ich mit meiner gewöhnlichen Scheu der Wohnung des frommen Hühnleins vorüber die kleine Treppe zu Verena hinauf. – Die fromme Seele war gar lieb und freundlich, sie war ganz wie neubelebt und rüstig in ihrem Bereiten der Ostereier, und ich half ihr nach Kräften. Dann erzählte ich ihr von den Ermahnungen des Jakob von Guise, und wie ich entschlossen sey, am Ostermontag mit meinen Gespielen einen Orden zum Besten der Kinder zu stiften. Da küßte Verena mir mit Freudenthränen die Hände und sagte: «Schön Dank, tausend Dank für's fromme Hühnlein!» ich aber fragte mit lächelnder Neugierde: «und fürs Büblein?» – Da sammelte sich Verena, ward ernsthaft und sagte wie ehedem: «das thut sein Sach!» – Dann sprach ich noch mit ihr von meinem ersten Kirchengang und auch von meinem jetzigen Gewissenszustand. Sie wiederholte mir wie gewöhnlich alle meine Hauptfehler von Kind auf und dankte Gott mit mir, wie er mich gehütet, und mir Gnade gegeben, Manches zu bessern, und betete mit mir für die Zukunft. Ich kann nicht sagen, wie ihr Wesen mich immer rührte; als ich von ihr gierig, sagte sie: «Gnädigste Gräfin, o meine goldene Amey, ich danke viel tausendmahl, daß du noch immer so redlich zu mir kömmst, dein armes Herz zu erweichen, ehe du es mit Reuethränen vor Gott reinigest. – Ja es ist hier bei mir nicht vergebens das Waschhaus! – Morgen in aller Frühe werden in St. Peter die Ostereier gesegnet, und dann werde ich der gnädigen Amey das goldene Osterei unterthänigst überreichen.» – Hierauf verneigte sie sich tief und wollte den Saum meines Rockes küssen; aber ich schloß sie in die Arme und lud sie auf den Ostermontag in den Garten zu der Ordensstiftung ein. Sie lehnte es ab und sprach: «es ist besser, daß ich zurückgezogen für euch bete.» Sie gab mir darin noch mancherlei Rath in dieser Sache und wir trennten uns mit dem gegenseitigen Wunsche eines gesegneten Osterfestes. Sie geleitete mich bis zur Wohnung des frommen Hühnchens. Mir war Angst und bang, es möge sich rühren, auch vor dem Büblein war mir bang; aber alles war still, und Verena flüsterte: «Gottes Segen mit dir, goldene Amey! Gallina mahnet nicht, du wirst nichts auf deinem Herzen behalten;» da gieng ich zur Kirche, wo meine Gespielen mich erwarteten, und behielt nichts auf meinem Herzen; o es war mir so leicht, so leicht, daß ich auf dem Rückweg ohne Scheu nochmals in das Gallinarium schlich, und vor das Hühnchen trat, es saß auf seiner Stange, den Kopf unter dem Flügel und rührte sich nicht. – Droben lischt Verena das Lämpchen, gute Nacht Verena! – Hierauf kehrte ich in meine Stube und schrieb dieses nieder; da schlägt es Mitternacht – ich höre meine Gespielen nahen, die feierliche Auferstehungsglocke ruft. Es erleuchten sich alle Fenster; Jakob von Guise trägt das Kreuz aus der Kirche um den Kirchhof, alles Volk zieht mit ihm und singt mit lautem Jubel: «Christ ist erstanden aus seinen Todesbanden!» – Wir ziehen mit.
Ostermontag
Heute nach der Kirche las ich meinen Gespielinnen im Garten die Regel des Ordens der freudig frommen Kinder vor, und da sie Alles mit großer Freude angenommen, und nun auch gern Ordensnamen gehabt hätten, sagte ich zu ihnen: «Weil ich eure Oberin, die Henne von Hennegau bin, so suchet euch Pflanzen, welche ihren Namen von dem Hühnergeschlecht haben; wir wollen sie mischen, daß jede sich einen Namen durchs Loos ziehe.» So thaten sie und brachten acht verschiedene Pflanzen solcher Namen; ich faßte sie alle in meine Schürze und sie zogen sich nach der Reihe ihre Namen. – So hießen dann die ersten Ordensgespielinnen – Ornitogalia von Hühnermilch – Osterluzia von Hahnensporn – Cretelina von Hahnenkamm – Serpoleta von Hühnerklee – Morgellina von Hühnerbiß – Moscatellina von Hahnenfuß – Cornelia von Hahnenpfötchen – Esparsetta von Hahnenkämmchen. – Sie gelobten mir alle Gehorsam und ich nahm als ihre Oberin den Namen an: «das arme Kind von Hennegau,» worauf ich ihnen allen das Ordensband umhängte. – Hierauf vertheilten wir unter uns die Gegenden der Stadt, worin eine jede sich der Nothleidenden und besonders der Kinder annehmen sollte. Auch erwägten wir nach dem Kalender die altherkömmlichen Volks- und Kinderfeste, welche wir in aller guten Weise aufrecht erhalten wollten.
Osterdienstag
Nach alter Landessitte hielten wir an diesem Tag den Wiegenzug zu den Eheleuten, auf deren Hochzeit wir gewesen waren. Wir trugen eine schön geschmückte Wiege, eine Rassel und allerlei Kindergeräthe bei uns. Die Wiege ward in die Stube gestellt, um sie her gesungen und gereiht, und darüber gesprungen. Alle opferten etwas an Geld oder Flachs oder Linnen, oder Früchten in die Wiege, und da sie wohl angefüllt war, wickelten wir alle Gegenstände in eine Puppe zusammen und spendeten es sammt der Wiege der ärmsten Familie.
Quasimodo geniti. Weißer Sonntag
Heute hatten wir die erste Ordensversammlung. Wir theilten weiße Taufhemden und Decken aus an arme Wöchnerinnen. Ornitogalia wiederholte uns gar anmuthig, was Jakob von Guise über die Worte geprediget: «Wie neugeborne Kindlein ohne Trug begehret nach der Milch, daß ihr durch sie zum Himmel aufwachset.» – Ich schenkte ihr dafür das Recht, eine Anzahl Kühe, Schaafe und Ziegen auf meinen Wiesen weiden zu lassen, wofür sie bei Braut- und Leichenzügen meiner weiblichen Nachkommen ein Hirtenhuhn zu entrichten hat.
Mayentag.
Wir Gespielinnen zogen mit den armen Kindern hinaus in den grünen Mayen, speisten sie, spielten und tanzten mit ihnen im Kreis und sangen die Weise:
Grase, grase, grüne,Sieben junge Hühner,Gläschen Wein,Bretzelchen drein.Sitz nieder!
Ich gieng mit Osterluzia in den Wald und suchte Waldmeisterlein und andere Kräuter zum Maytrank. – Sie war Abends bei mir und sprach so lieblich von der Waldeinsamkeit und wie sie eine Einsiedlerin werden möchte, daß ich ihr ein schönes Stück Wald schenkte, wofür sie ein Waldhuhn bei Braut- und Leichenzügen zu entrichten hat.
Sonntag Misericordias
Da man liest vom guten Hirten. Ordensversammlung. Wir führten die Kinder in die Kinderlehre und hielten hierauf einen Schäferzug. Mit Hirtenstäben in der Hand, geschmückte Schaafe und Lämmer führend, giengen wir zu den Armen, die viele Kinder hatten, beschenkten die Eltern mit den Schaafen und führten die Kinder, die wir neu kleideten, auf die Wiese, wo wir sie speiseten und mit ihnen spielten. Abends waren die Ordensgespielinnen bei mir im Garten, wir tranken Maiwein, und da wir fröhlich waren wie Kinder, setzte mir Cretellina einen dichten Kranz von Maiglöckchen auf das Haupt, als die weisen Glöckchen mir zwischen den Locken nieder in die Augen sahen, ward ich wunderbar freudig und sang unter Thränen:
«Kling, kling GlöckchenWeis durch braune Löckchen,Das Huhn sitzt auf dem OsternestUnd brütet auf das Pfinsterfest,Zum Segen über Land und HausDrei schöne Seidenpüppchen aus.Eins spinnt Seiden,Eins flicht Weiden,Eins thut den Himmel auf.Läßt ein Bischen Sonn heraus,Läßt ein Bischen drinnen,Draus will Maria spinnenEin goldig PfinsttagsröckeleinFür ihr holdselig Kindelein.»
Cretellina hatte mir mit dem Kranze etwas Liebes angethan, ich umarmte sie und schenkte ihr, weil sie die Blümchen weit im Walde zusammensuchte, das Recht, ihre Heerde in meinem Walde grasen zu lassen, wofür sie und ihre Nachkommen bei Braut- und Leichenzügen ein Grashuhn zu entrichten haben.
Sonntag Jubilate
Wenn man singt: jauchzet Gott alle Lande. Ordensversammlung. Es war eine Rede in Hennegau, der ewige Jude sey gesehen worden und glaubte selbst Serpoleta ihn gestern im Walde gesehen zu haben und beschrieb ihn gar kläglich und irrend und wollte nicht sagen, was sie mit ihm gehabt. Ich erzählte aber, wie mein seeliger Herr Vater in England einen gelehrten Mönch Mathias Paris besucht, sey zu diesem ein reisender Bischof aus Armenien gekommen und habe erzählt, daß er den ewigen Juden selbst gesprochen, der den kreuztragenden Herrn nicht bei sich ruhen lassen und nun ewig ohne Ruh und Rast zur Warnung herumziehen und suchen müsse. Da sprach Serpoleta: «ja zur Warnung, denn er sprach zu mir, da ich ihm ein Almosen bot:
«Schön Dank! ich brauch nicht Gut noch Geld,Mir fehlt, was ich versaget,Hab Müdem keinen Sitz gestellt,Werd ruhlos umgejaget.Kömmt je mit seinem Kreuz zu dirEin müder Mann gegangen,Laß ruhen ihn und schenke mirDie Lieb, die er empfangen,Sitz zu ihm, hör ihn an mit Huld,In ihm dem Herrn dies thue,Dann zahlst du mild an meiner SchuldUnd hilfst zu meiner Ruhe!»
Er sah mich scharf und traurig dabei an und eilte durch die Büsche weg. Ich höre sie noch hinter ihm rauschen. Mir ward so bang seit seinem Blick, ich fühlte mich ohne Ruhe, bis ich den ersten besten Kreuzträger eingeladen, bei mir zu ruhen und mir sein Leid zu klagen, da ward mir besser. Ich bitte das arme Kind von Hennegau ein Ordensgesetz hierauf zu gründen.» Mich rührte die Erfahrung Serpoleta's, und ich willfahrte ihr mit dem Gesetze, die Bedrängten bei uns ruhen zu lassen und huldvoll anzuhören. Da Serpoleta mir sagte, ihre und vieler Armen Schornsteine rauchten nicht, gab ich ihr das Recht, in dem Wald, wo ihr Asverus begegnet, alle ihren Holzbedarf zu schlagen, wofür sie bei Braut- und Leichenzügen ein Rauchhuhn zu entrichten hat.
St. Sophientag
Heute hatte ich einen lieben stillen Tag, das treue Mutterherz, das Rothkehlchen unter meinem Dach weckte mich gar früh mit seinem Liedchen, ich streckte den Kopf durchs Fenster und belauschte es, wie es mit dem ersten Sonnenstrahl oben am Giebel gar einfältiglich in Muttersorgen überlegte, wo und wie es sein Nestchen am sichersten bauen solle; da fiel mir mein Herzgespann ein, dessen Fest heut war und ich lief an einen schattigen feuchten Ort der Wiese, wo das Sophienkräutlein, Sonnenthau, Sonnenbraut stand, dessen große Heilkraft mir wohl bekannt ist, und flocht ich ein Kränzlein daraus und kaufte zwei gleiche seidne Tüchlein, eins für sie und eins für mich und brachte Kranz und Tüchlein meinem lieben Herzgespann und war seelig mit ihr den ganzen Tag. Das Verslein aber, das ich ihr schrieb lautete also:
«Dies Kränzlein von Sophienkraut,Weil's deinen Namen führet,Und weil es heißet Sonnenbraut,Dir liebstes Herz gebühret,Steht sonnig es in offner Au,Steht schattig es verhüllet,Heißt immer es doch Sonnenthau,Weil milder Thau es füllet.Der Thau aus seinem Innern quillt,Er ist nicht drauf geregnet,Drum ist, lieb Herz, dein EbenbildMir segnend drin begegnet.Wer Sonnenthau im Herzen trägt,Hat Schutz vor Zaubereien,Und muß, eh er sich schlafen legt,Wie du dem Feind verzeihen.Auch heute den SophientagKann schöner ich nicht weihen,Als daß, verzeih uns Gott, ich sag,Wie Allen wir verzeihen.»
Sonntag Cantate
Da man liest: singet dem Herrn ein neues Lied. – Ordens-versammlung. Es sollte ein neues Lied gesungen werden, da war das Lied der Morgelina das neueste und schönste:
Es hat einmal geregnet,Die Laübli tröpflen noch;Ich hab einmal Gott recht geliebt,Ich wollt, ich thät es noch.
Wir sangen das Lied alle in großen Freuden und ich schenkte Morgelina das Recht in allen meinen Wäldern Laub zur Streu zu sammeln, wofür sie bei Braut- und Leichenzügen ein Lauberhuhn zu entrichten hat.
Sonntag Rogate.
Vor der Bittwoche, Ordenssitzung. – Wir überlegten, wie wir die armen Kinder an den drei folgenden Tagen durch die Felder führen sollten, um Segen für die Ernte zu erflehen. Jede der acht Gespielinnen sollte der Schaar ihrer Pflegekinder ein Fähnlein, worauf ein Schutzengel im Korn abgebildet, vortragen, und Moskatellina hatte dazu folgendes Lied gedichtet, was wir den Kindern lehrten:
«Engel segnet uns das Korn,Laßt es golden reifen,Hütet es vor Wetterzorn,Bis wir Aehren streifen.Wiegt ihr unser täglich BrodGolden auf den Halmen,Singen frei vor HungersnothWir euch Dankespsalmen.Wollen treu das zehnte KornUnsern Hirten bieten,Die vor Distel und vor DornSchwache Schäflein hüten.Schützet uns vor Hagelnoth,Gebet Sonn und Regen,Bis wir tragen Wein und BrodUnserm Hirt entgegen.Gebt, daß Alles leben kann,Und daß keiner darbe,Selbst dem aller ärmsten MannEine feine Garbe.Wenn wir durch die Stoppeln ziehnUnd die Aehren lesen,Danken Gott wir auf den Knie'n,Der so treu gewesen.»
Ich schenkte Moskatellina ein schönes Getreidefeld, wofür sie bei Braut- und Leichenzügen ein Aehrenhuhn zu entrichten hat.
St. Nicomedestag
Heute stand ein Storch auf dem Thurm meines Schlosses und klapperte. Ich hörte ein Glöckchen läuten, wußt' nicht, was soll's bedeuten, da sah ich einen Zug kleiner, armer Kinder vorüberführen. Sie plauderten durcheinander, daß man sie weit in die Ferne hören konnte. Als sie nun den Klapperstorch hörten, machten sie Halt vor dem Thurme und sangen zu ihm hinauf:
«Klapperstorch, Langebein, bring mir doch ein Schwesterlein,Eh die Sonn zum Krebse geht und die Gluck' am Himmel stehtMit den sieben Küchlein fein, das sind sieben Sternelein,Wenn der Mond in voller Pracht lachet in der Mitternacht,Wenn der Widder springt heran zu dem feuchten Wassermann,Da die Rosen glühen und die Linden blühen,Da die Bienlein schwärmen und die Käfer lärmen,Da vom Fliederblüthenduft ganz berauscht der Kukuk ruft,Da der Wein im Faß sich rührt, weil er Rebenblüthe spürt.Da der Finke musizirt und die Lerche tirelirt,Da die Lilie in der Nacht träumend weint und wachend lacht,Da manch Eichhorn hüpfet, da dem Nest entschlüpfetManches liebe Vögelein; bring mir doch ein Schwesterlein,Leg es in den Garten, will sein fleißig warten,Leg es, wie der Osterhaas bunte Eier legt ins Gras,Leg mirs in mein Schürzelein, trag ichs in mein Kämmerlein,Mir im Arm soll's liegen, will's am Herzchen wiegen,Dann leg ichs in Mutter Schooß, die mirs aufzieht fromm und groß.»
Ich kann nicht sagen, wie dieser Gesang mich rührte und ich meine auch den Klapperstorch, der sehr ernsthaft zuhörte, dann klapperte und wie in Geschäften fort flog, worauf auch die Kinder weiter zogen. Nun ging ich zu des Herzens Nachbarin, bei welcher ich am 25. April mit den Gespielen über die Wiege gesprungen, sie war krank, es kam ihr gar ernst der Gedanke an den Tod, sie legte mir mit Thränen, was ihr theuer, an das liebste Herz, das sie in ihrer Einfalt kennet, und ich habe. Ich verließ sie bang und schwer und wachte bis Mitternacht in Sorgen, der Vollmond stieg auf die Linde und blickte mich so sehnsüchtig an, daß er mich entschlummernd hinüberzog in das andere Land.
«Da träumte mir ein Träumelein, ich saß ganz einsam und allein,Blos wie ein armes Seelchen fein, ein kleines Thaujuwelchen rein,Auf weiter Himmelswiesen-Flur und sucht' des Paradieses Spur,Ich zitterte durch Mark und Bein, mein Kleidchen war der Mondenschein,Ich flehte zum Ermatten schier, wer gibt ein Bischen Schatten mir?Da flog ein langer Schatten her, ins Kreuz gestaltet ungefähr,That mich in meinem Schrecken ein Weilchen auch bedecken.Es war der Storch, der Langebein, ich sah ihn in dem MondenscheinDie Wiese hin spazieren und ringsum spioniren,Da fand er vor dem Hirtenhaus ein junges Lamm gesetzet aus;Es lauert bang gekauert und hat den Storch gedauert,Er sprach: «geschlagen hats schon zwölf, daß Gott dir vor den Wölfen helft!Der Widder kommt gelaufen schier und rennt dich übern Haufen hier,Gleich leert der Wassermann sein Faß, da kannst du werden pfützenaß.»So sprach er manch affabel Wort und trug das Lamm im Schnabel fort,Wohl über Berg und Thal geschwind, daß er ihm eine Mutter find',Die es zum guten Hirten führ', er flog – da pochts an meine Thür,Und ich erwachte.»
St. Marcellinustag
Heut stand ich armes Kind von Hennegau mit den andern Kindern um eine Wiege, sie fragten:
«Sag, Mütterchen, wir bitten sehr,Wo kömmt das liebe Püppchen her?Das hier so artig in der WiegenGleich einem Engelein thut liegen.»
Da antwortete die Mutter:
«Es ist ein liebes Schwesterlein,Es ist mein armes Kindelein,Verloren vor der HimmelsthürFand es der Storch und bracht es mir,Nun will ichs treulich ziehen aufDurch seinen ganzen Lebenslauf.»
Die Kinder hörten die Antwort und standen voll Neugierde um die Wiege herum, aufmerksam auf jede Bewegung der kleinen Puppe, die darin lag, mit Freude glänzenden Augen. – Ach! und das Leben ist doch so schwer und ernst!
Sonntag Exaudi, Rosensonntag
Ordenssitzung. Ich konnte nicht dabei seyn, denn ich wartete heut das Kindlein und trug es umher bis es schlief. Ich bin fast ganz stolz gewesen auf mein kleines Amt, ich meine oft, man könne mich zu gar nichts gebrauchen, und die Leute sagten mir das auch schon oft genug.Es kamen aber meine Ordensspielinnen und streuten Rosen in der Stube und über das Lager der Freundinn, und setzten mir einen Kranz von weißen Rosen und dem Kinde ein Kränzchen von Rosenknospen auf, während ich es trug; dazu sang Cornelia:
«Die Rose blüht, selig die fromme Biene,Die in der Blätter keuschen Busen sinktUnd milden Thau und linden Honig trinkt,Selig die Magd, die dir o Rose diene!In Freuden schwebet ihr Gemüth,Weil ihre Rose blüht.
Die Rose blüht, Gott laß doch milde glühenDer Sonne Licht, hüll' Ros' und RöseleinGen Frost und Gluth in deine Gnade ein,Laß alle Lieb in dieser Rose blühen,Dann singt das ganze hohe Lied:Ach unsre Rose blüht!
Wie rosigt blüht das Röslein aller RosenUnd lacht mit solcher Herzempfindlichkeit,Daß selbst die Lilie ihr zu Dienst sich weiht,Mit keiner andern Blume zu liebkosen,Weil aller Unschuld SeelenfriedAus diesem Röslein blüht.»
Ich schenkte Cornelien für dieses Rosenlied einen schönen Rosengarten, wofür sie bei Braut- und Leichenzügen ein Gartenhuhn zu entrichten hat.
Vorabend vor Pfingsten
Ordenssitzung. Ich armes Kind ordnete mit den Gespielen die Festlichkeit der folgenden Tage. Es wurden Maien im Walde gehohlt und Blumen auf der Wiese, um das Fest zu schmücken.
Pfingstsonntag
Als ich erwachte, fand ich auf der Wiese vor dem Schloß, meinem Fenster gegenüber einen schönen Maienbaum von den Gespielen und den Waisenkindern gepflanzt. Er war mit Kränzen von Siebenfarbenblumen und Bändern von siebenerlei Farben geschmückt. Als der Tag anbrach, standen die Gespielinnen darunter und sangen mir ein Pfingstlied. Ich dankte und lud sie auf Morgen zum Fest unter die Maie.
Pfingstmontag
Meine Ordensgespielinnen führten am Nachmittag schier alle Kinder der Stadt unter die Maie; die Armen hatten den Vortritt, sie waren neu gekleidet, sie zogen alle mit Blumen bekränzt um die gedeckten Tische singend umher und wurden mit Hirsenmus bewirthet, wir Ordensgespielen gossen allen den Honig darauf und dienten ihnen. Hierauf sangen wir und tanzten Reihentänze und ließen viele weiße Tauben fliegen, die mit bunten Bändern und Silberpfennigen geschmückt waren, wir waren sehr freudig.
Pfingstdienstag
Heute gegen Abend kam eine große Schaar unserer Pflegekinder mit grünen Zweigen und Blumenkränzen geschmückt, sie zogen einen mit Laub verzierten Kinderwagen, worauf die Pfingstbraut saß, in den Schloßhof. Die Pfingstbraut war eine der Ordensgespielinnen, sie hatten sie im Walde so mit Laub und Blumen verhüllt, daß sie, einem großen Blumenstrauß ähnlich, ganz und gar nicht zu erkennen war. Ein Schleier von Siebenfarbenblumen bedeckte ihr Gesicht. Sie trug eine weiße Taube in den Händen. Nun mußte ich rathen, welche von meinen acht Gespielinnen die Pfingstbraut sey; die sieben andern folgten in einem dicht verlaubten Wagen dem Zuge. Da ich dreimal falsch rieth, ließ die Braut die Taube fliegen, welche ihren Namen auf einem Zettel anhängen hatte, nun mußte ich die Taube fangen, oder die Braut und alle Kinder beschenken. – Die Taube aber flog hinaus und kreiste über einem schönen Kleefelde; da sagte ich zu der Pfingstbraut: «sage mir deinen Namen, mit welchem die Taube das Feld umflogen hat, so schenke ich dir das Feld.» Da stiegen die andern Gespielen aus dem Wagen und entschleierten Fräulein Esparsetta von Hahnenkämmchen, welche ich umarmte und mit dem Feld beschenkte, wofür sie bei Braut- und Leichenzügen ein Pfingsthuhn zu entrichten hat. – Wir zogen hinaus auf das Feld und die Kinder steckten Zweige umher, wo die Taube flog, und da wurden Marksteine aufgerichtet; es war ein schönes Stück Feldes.Also habe ich meine acht Ordensgespielen vom weißen Sonntag bis heute alle mit Gütern beschenkt.
St. Silveriustag
Entschlummert träumte mir, die Lilien meines Gartens hätten sich erschlossen, und ich sähe zwei leuchtende Frauengestalten in den Garten treten, eine gekrönte Matrone mit einem Kreuz in der Hand und eine schlanke, rührend bewegliche Jungfrau mit langen niederfließenden Haaren, sie war in eine Decke von Roßhaaren eingehüllt, und mit einem blühenden Zweig weißer Dornrosen gegürtet. Ich hatte nie diese Frauen gesehen. Ich aber stand bei einem Rosenstrauch; und als sie vorüber giengen, gab ich ihnen ein neuaufgegangenes Röslein, das war äußerlich ganz schön und gesund, aber ich fühlte, daß es mit tödtlichem Mehlthau befleckt war und sprach zu den Frauen: «laßet es reinigen und heilen.» Als sie nun mit dem Röslein zu den Lilien kamen, sah ich zwischen denselben einen schimmernden Jüngling erscheinen, von unaussprechlicher Reinheit und Jungfräulichkeit, er hatte eine leuchtende Lilie in der Hand, die Lilien um ihn her sahen trüb aus, gegen ihn und sie. Er sah nicht auf, er schlug die Augen nieder. – Die Frauen hielten ihm das Rosenknöspchen auf den Händen hin, und er goß aus dem Kelch der Lilie, die er trug, einen Lichtthau über dasselbe und sprach Namen aus; – da war das Röschen ganz heil, ganz rein und licht, und mir war, als gehöre es nun auch noch zu einem viel schönern Rosenstrauch mit fünf blutrothen Rosen, den ich über dem ganzen Bilde erscheinen sah. Da verschwanden der Jüngling und auch die beiden Frauen, nachdem sie mir das Röschen zurückgebracht, welches ich wieder an den Rosenstrauch heftete, dem ich die ganze Zeit nahe stehend Alles erzählt hatte, was geschah. Er verstand mich sehr gut, denn er war ganz selig und schüttelte helle Tropfen nieder auf das schöne, neue, reine Röschen und es spritzten nur Tropfen auf die Wange, da erwachte ich. – Ich war aber so bewegt von dem lebhaften Traum und war seiner so gewiß, daß ich mich einhüllte und auf leisen Socken hinabschlich in den Garten. O wie war es kühl und still und so ruhig, so ruhig! ich meinte immer, ich müße die lichten Gestalten irgendwo sehen, aber ich sah nur ein Nachtlicht herschimmern, hörte nur ein Kindlein wimmern und das Brünnchen rauschen. Im Garten war es wie sonst, einige Glühwürmer leuchteten umher, als wollten sie mir suchen helfen, der Mond war untergegangen, es glitzerten nur einige nachsinnende Sternchen. Ich nahte den Lilien, sie dufteten Licht und ich sah Strahlen von den Sternen in sie niederschießen und von ihnen wieder empor, es war, als trügen Himmelsbienen Honig aus ihnen ein für die Kinder einer bessern Welt. – Und wie ich so sinnend stand, hörte ich eine Menschenstimme, fern und doch nah mit wehmüthigem Tone die Worte sprechen:
«O Stern und Blume, Geist und Kleid,Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!»
Bang hüllte ich mich dichter ein und eilte aus dem Garten. Mein Gewand fieng sich in einer Dornranke; erschreckt rief ich laut: «wer faßt mich?» und stand. Niemand zeigte sich, so riß ich dann schneller eilend die Ranke mit fort und dachte: sie wird mir morgen ein Zeichen seyn, daß ich nicht geträumt. In meinem Schlafgemach hörte ich immer jene Worte noch um mich tönen. Ich verstand sie durch und durch und konnte sie doch nicht erklären. Ich verstand ihr Wesen und hatte keine Worte für sie, als sie selbst. Immer wiederholte ich sie, immer sah ich die leuchtenden Lilien und die Sterne vor mir, die sie grüßten. Als ich mir den Nachtthau von dem Angesicht wusch, war mir, als sehe ich ein Haupt so deutlich neben mir, daß ich die Ranke von meinem Kleide löste und das Haupt mit ihr bekränzte. Da hörte ich jene Worte wieder und erschrack nicht, und legte die Hand auf das Haupt und fühlte: diese Worte sollen mein Wahlspruch seyn. Entschlummernd aber hörte ich eine klagende Stimme: «Ach wer nimmt mir von der Stirne den Traum?» da versteckte ich mich und hörte zum erstenmal in meinem Leben mein Herz heftig pochen und entschlief.
St. Albanustag
Heut ward Alles wahr, ich stand bei meinem lieben Herzgespann und sie trugen das Kind zur Kirche, indessen erzählte ich ihr, wie ich Nachts im Traum bei der Rose gestanden und was ich gesehen, und sie brachten das Kindlein ganz klar und heil wieder, und ich legte es ihr ans Herz, und mein Herzgespann weinte auf das Röslein, wie Nachts die Rose gethan.
St. Achatiustag.
Heute mußte ich das kleine Röslein in den Garten tragen. Mein Herzgespann glaubte, es bringe ihm einen besonderen Segen, durch mich zuerst an die Luft getragen zu werden. Ich trug es und sagte ihm im Herzen Alles, was ich gesehen, von den leuchtenden Frauen und dem Jüngling mit der Lilie, und es schien es besser zu verstehen, als ich; denn es sah mich groß an, lächelte und weinte dann gar beweglich. Ich aber hatte immer Angst, ich möge es fallen lassen, und brachte es heim. -NB.Nun nahet aber ein wichtiger Tag, Sonnenwende, des Täufers Tag, da die Sonn nicht höher mag; da hat sich auch meine Sonne gewendet, und ist vieles anders geworden mit mir, da ich erfahren von den Kleinoden von Vadutz, die ich bisher unwissend auf den Schultern getragen und da ich gestiftet das Kloster Lilienthal.
St. Edeltrudistag vor Sonnenwende
Heut Morgen gegen drei Uhr vor Tages-Grauen ward ich aufgeweckt, und sieh, Verena stand bei meinem Bette und bemühte sich, mich von der linken auf die rechte Seite zu legen, dabei sagte sie: «das fromme Hühnlein schickt mich, es weiß Alles.» – Ich richtete mich im Bette auf, ich glaubte zu träumen, ich sey noch ein Kind, wo Verena so zu thun pflegte. – Sie aber sprach: «gnädige Gräfinn, goldne Amey, erschrick nicht. Es ist meines Bleibens nicht mehr lange hier. Du weißt, daß ich am Tag vor Sonnenwende immer mit dem frommen Hühnlein in die Höhle gehe, wo der Vater deines Stammes den Salmo und das erste Hühnlein Gallina am Sonnwendetag gefunden, und daß ich dort einige Tage in Zurückgezogenheit während dem lärmenden Johannisfest ihrer gedenke. Dieses Jahr treibt es mich etwas früher hinaus, weil du heute mit Tages Anbeginn unten im Gallinarium große Wäsche hast und ich nicht von allen deinen Gespielen und Mägden will angesprochen werden. – Ich bringe dir hier den Schlüssel zum Gallinarium und meiner Kammer, du bist die Landesherrinn, ich habe ihn von dir und muß ihn dir wiedergeben, ich bin schon alt, ich hab schon viele Hühnlein erlebet, wer weiß seinen letzten Tag. In meiner Kammer in der Truhe wirst du mein Testament finden.» – Ich ward ganz ernsthaft über diese Reden Verenas und bat, sie möge doch bei solchen Ahndungen nicht allein in die Salmoshöhle gehen, damit ich ruhig seyn könne. Sie aber erwiederte: «habe keine Sorge um mich, ich bin zwar bereit, aber wir sehen uns auf Erden doch wieder und wollen noch recht freudig zusammen seyn. – O goldne Amey! achte auf Alles, was dir vertraut ist, besonders auf die amaranthseidne Decke von Hennegau.» Als sie dieß sagte, ließ sich das heilige Hühnlein mit einem warnenden Tone in ihrem Korbe vernehmen. «Hörst du,» fuhr sie fort, «Gallina ist auch meiner Meinung, und mahnet mich zugleich zum Scheiden, das Hühnchen weiß Alles.» Hierauf fragte ich «und das Büblein?» da erwiederte Verena mit großem Ernste: «es hat seine Sache zu Ende gebracht, hilf ihm sein Bündlein schnüren;» da umarmte sie mich und zog von dannen. Ich kann nicht sagen, wie tief mich die Worte erschütterten, die sie zum erstenmal von dem geheimnisvollen Büblein gesprochen. Ich ahndete, es stehe mir etwas Großes bevor; jedoch was sollte ich thun, ich mußte es erfolgen lassen. Jetzt aber stand ich auf, zündete meine Leuchte an und ging in das Waschhaus bei dem Gallinarium; wir hatten gewettet, wer zuerst da seyn werde. Ich war die Erste. Keine meiner Gespielinnen oder Mägde war zugegen. Ich blickte zwischen den großen Waschbütten scheu durch die weite dunkle Halle, die meine Lampe unbestimmt erleuchtete. – Ich dachte, wenn jetzt das Büblein käme! – Da hörte ich die Hühner sich rühren und auch wie Schritte und glaubte schon, es nahten meine Mägde. Ich ging zu dem Stalle und sah da einen Knaben von etwa sechs Jahren, der aus dem dort hängenden Futtersäckchen der Verena mit einem Maße Weizen schöpfte und den Hühnern vorwarf. Neben ihm stand ein offnes Reisesäckchen, in welchem ich allerlei Früchte schimmern sah. Mir schauderte ein wenig und ich sagte flüsternd: «ach das Büblein!» – Da wendete es den Kopf und schaute mich wehmüthig lächelnd an, nickte und machte, auf das offne Reisesäckchen hindeutend, mit den Händen die Bewegung des Zubindens; da fühlte ich mich auf die Kniee niedergezogen und betete von Herzen; das Knäblein that eben so und antwortete ordentlich im Gebet, und es war, als drehe es aus meinem Gebet eine Schnur zusammen, sein Bündelchen zu zu binden; die Schnur ward immer länger, und es faßte den Rand des Säckchens zusammen und wickelte die Schnur darum und als ich sprach: «Gott gebe ihm die ewige Ruhe» sagte es, «und das ewige Licht leuchte ihm!» da hatte es den Knoten geschlungen, schloß das Bündelchen, schwang es auf den Rücken, sprach: «tausend Gott vergelt's!» und verschwand in hellem schönen Schein. – Im selben Augenblicke traten meine Mägde betend herein und freuten sich, daß ich die Wette gewonnen. Wir gingen zur Kirche und nach dem Gottesdienst bat mich Jakob von Guise, ihn in das Stüblein Verenas zu führen, weil er mir etwas mitzutheilen habe. Dort sagte mir nun der fromme Mann: «Verena hat heute, ehe sie ihren Weg zu Salmos Höhle antrat, mir aufgetragen, dir Folgendes zu sagen. Als vor vielen Jahren Verena von deiner seligen Frau Mutter das Pflegeamt des frommen Hühnleins erhielt, bestand bereits das Gerücht, unten in den Gewölben des Gallinariums lasse sich manchmal ein kleines Büblein sehen, welches allerlei Geschäfte verrichte und dann wieder verschwinde. Es war Dieses von mehreren Wäscherinnen, die dort vor Tag arbeiteten, gesehen worden. Einst ward Verena auf ihrer Kammer Nachts erweckt und sah zum erstenmal jenes Büblein vor sich stehen, welches sie mit den Worten aus dem Bett zog: «der Iltis, der Iltis.» Sie eilte hinab und kam gerade noch früh genug, um einen Iltis zu verjagen, der zu dem Hühnlein hineindringen wollte. Als Verena wieder zu Bette gegangen war, erschien ihr das Büblein wieder und sprach zu ihr: «du sollst mir Gutes thun, du bist aus demselben Stamme mit mir, mein Vater ist aus deinem Geschlecht oben am Rhein her. Er war ein Knecht Salmos am Hahnebach und baute mit an dem Schlosse Kirn, worin Salmo mit dem Hühnlein wohnte, dessen Fütterung meinem Vater anvertraut war. Wir waren alle Christen, und Salmo hat mich selbst unterrichtet, meine Mutter war seines Söhnleins Amme. Wir hatten aber eine Muhme, die war eine arge Heidinn und lebte in einer Höhle des Waldes und war eine Weissaginn. Meine Eltern fürchteten sich vor ihr, und ich mußte manchmal zu ihr gehen und ihr freundlich thun, damit sie uns nicht schade. Ich hatte eine große Begierde, zu reisen und zu lernen, die alte Muhme erzählte mir immer von wunderbaren Ländern und von Leuten, bei denen man Alles lernen könne. – «O könnt ich reisen und lernen!» sagte ich, «jetzt muß ich immer das Hühnlein füttern;» da erwiederte die Muhme: «ich weiß wohl ein Hühnlein, wenn du das füttertest, da wäre dir geholfen,» und sie zeigte mir ein Huhn in ihrer Höhle und sagte: «wenn du ihm täglich ein Körnlein vom Futter des Hühnleins Gallina bringst, bis es fett wird, so wird es ein goldenes Ei legen, wenn wir das verkaufen, kannst du weit reisen und Alles lernen.» Ich ließ mich verführen. Ich stahl täglich dem frommen Hühnchen ein Körnlein. Es reichte nicht hin. Ich lernte zwei, dann drei und zuletzt gar das ganze Futter stehlen. – «Noch einmal,» sagte die böse Muhme, «mein Huhn sitzt schon zu Neste, noch einmal bringe das Futter, und das goldene Ei ist da, und du reisest weit und lernest Vieles.» Nochmals schlich ich Nachts in großer Angst zu dem Futterkasten des Hühnleins, das immer gar wehmüthig gackernd mich gewarnt hatte, dießmal hörte ich seine Stimme nicht, ich öffnete den Kasten, der furchtbare Hund Salmos, der Saufänger sprang mir daraus entgegen und erwürgte mich. – Das Hühnlein Gallina war verhungert und Salmo hatte den Hund in den Kasten gesperrt, um den Dieb zu fangen. – Ach da machte ich die große Reise in die andere Welt, und lernte Vieles, nehmlich: «du sollst nicht stehlen, und Alles bis auf den letzten Heller muß ersetzet werden!» – mir aber ist das Urtheil gesprochen worden, daß ich bei Kindern und Kindes Kindern des Hühnleins so lange das Futter bewachen und jedes zerstreute Körnlein auflesen und anwenden muß, bis so viel Weizenkörner zur Ehre Gottes und zum Trost der Armen durch meine Bemühung gewonnen sind, als aus dem von mir gestohlenen Weizen, wenn er gesäet worden wäre, hiezu hätten verwendet werden können. Seit diesem Urtheil hüte und sorge ich schon viele, viele Jahre bei dem Futter im Gallinarium und hab schon ziemlich viel ersetzt, aber du kannst mir Hilfe leisten. Verena, du weißt, daß das Almosen tausendfältig ersetzt wird, so demüthige dich und bettle das Futter für das Hühnlein zusammen, so werden die Wohlthäter tausendfach belohnt werden; und du selbst theile das Ueberflüßige mit Gott und den Armen, so wird Alles auch tausendfach gemehrt werden, und Alles das schenke dem Aermsten aller Armen, mir – damit ich meine Schuld tilge und zur Ruhe gelange.» So flehte das Büblein zu Verena und sie gab ihm die Hand darauf und es verschwand. – Von dieser Zeit an bettelte Verena immer den Weizen zur Nahrung des ganzen Gallinariums und verwendete den Ueberfluß, wie du weißt, für die Kirche und die Armen, und Gott segnete ihr Thun reichlich. Niemals hat sie das Geheimniß des Bübleins ausgesprochen, nie mehr von ihm gesagt, als: «es macht sein Sach» – denn man soll die Schuld der Todten tilgen, ohne sie zu verkünden. Gestern Abend nun, als sie alle Hühner noch fütterte und das Hühnlein im Korb mit auf ihre Kammer nehmen wollte, um heute vor Tag, ohne die andern Hühner im Schlafe zu stören ihren jährlichen Gang zu der Höhle Salmos mit ihm anzutreten, sah sie das Büblein im Gewölbe sehr beschäftigt, als packe es seinen Reisebündel. – Nach Mitternacht, nachdem sie wenige Stunden geschlafen, weckte sie die Erscheinung und sprach: «Verena, ich komme Abschied von dir zu nehmen, lohn dir das wahre Weizenkörnlein tausendfältig, was du an mir gethan! Alles, was ich schulde, ist bezahlt, schenk mir doch noch ein Bischen auf den Weg, daß ich doch Etwas mitbringe und nicht ganz so kahl ankomme, sieh, ich habe noch Platz oben in meinem Bündlein!» Da stand Verena auf und betete von Herzen für das Büblein, bis es sagte: «Genug, genug, ich krieg den Seckel sonst nicht zu. Jetzt gehe zu Jakob von Guise und sage ihm, wie es mit dem Büblein beschaffen war, und wie es sein Sach endlich durch dich zu Stande gebracht. Sage ihm auch, er solle der Gräfin Amey Alles erzählen und sie bitten, daß sie mir mein Bündlein zuschnüre, dann sage ich tausend Gottvergelts und reise in den Himmel!» – nach diesen Worten verschwand das Büblein, und Verena gieng zu dir und dann zu mir, ich aber ersuche dich, erfülle den Wunsch des Bübleins mit Gebet.» So sprach Jakob von Guise zu mir, und da ich ihm hierauf erzählte, was mir vor einer Stunde mit dem Büblein geschehen, und wie ich ihm bereits sein Bündlein geschlossen und es seinen Weg in den Himmel freudig angetreten habe, gab er mir seinen Segen und sprach: «wir wollen dieses Ereigniß für eins bewahren.» So habe ich es dann auch allein für mich niedergeschrieben. – Als ich in das Gallinarium zurückkehrte, fand ich meine Mägde schon in der Wäsche plätschernd und meine Gespielen mit mancherlei Anordnung und Aufsicht beschäftigt. ich begab mich mit Jungfer Cordula, welche immer bei Krankheit oder Abwesenheit Verenas ihre Stelle vertrat, in das Stübchen Verenas, überreichte ihr die Schlüssel zu den Hühnern und dem Futter und dem Kornspeicher, nahm in ihrer Gegenwart das versiegelte Testament Verenas aus der Truhe und ließ sie in dem Stübchen zurück. – Ich war nach dem Erlebten eben nicht besonders erschüttert; es war mir recht von Herzen lieb, daß dem Büblein geholfen war; – aber indem ich mich fragte, warum mich Das nicht stärker bewegte, dem Verena doch so viel mühselige Jahre gewidmet hatte, antwortete eine Stimme aus meinem Innern, da ich vorübergehend mich vor dem großen Kreuze beugte: «hast du je für das Glück Anderer ein Opfer gebracht? dem Büblein, aber nicht dir ist geholfen, auch du thuest das Deine, wer wird dir dein Bündlein schnüren? Was soll dich erschüttern? Zu Leid und Freud gehört ein Echo, ein Wiederhall, der antwortet; – aber du bist einsam!» – Als ich diese Stimme in meinem Innern hörte, war mir unheimlich; ich blieb aber mit dem Gewande am Geländer der Treppe hängen, ich schaute um und sah das Kreuz an, da war's, als spreche es zu mir: «Ich bin so einsam, o lasse mich nicht so einsam, o lasse dich erschüttern!» – Das wollte mich schier bewegen, doch ich hörte Gesang nahen und trocknete meine Augen und eilte an den lustigen Springbrunnen des Schloßhofes unter die Linden, da fand ich meine Gespielen beschäftigt, meine Halskrausen und Schleier und feineren Geräthe zu waschen, und ich gesellte mich zu ihnen nach alter Landessitte, jede häusliche Arbeit durch meine Theilnahme zu ehren und wusch. Wie wir nun so plätscherten und wischi waschi plauderten und jede vor der Andern ihre innere Armuth, die wir doch gegenseitig kannten, unter einer andern Flitterkrone, ich aber unter meiner Grafenkrone versteckte, zogen Schaaren von armen Kindern mit Körben zu uns heran und bettelten um Geschenke, den Johannisengel morgen zum Feste zu schmücken, und Johannisfeuer anzuzünden. Ich ließ ihnen reichlich Speise und Holz austheilen und schenkte ihnen auch ein schönes rothes Kleid, den Johannisengel zu bekleiden. Sie sangen aber einen Reim:
«Feuerrothe Röselein,Aus dem Blute springt der Schein,Aus der Erde dringt der Wein,Roth schwing ich mein Fähnelein!»
und konnte ich diese Worte nicht aus den Sinnen los werden, ich weiß nicht warum. Es zog mir dabei ein banges drückendes Gefühl von der linken Schulter zum Herzen. Nachmittags zogen wir mit der Wäsche, den Teppichen und der großen amaranthseidnen Decke auf die Wiese, und breiteten Alles zur Bleiche aus; denn es ist in dem Lande Hennegau eine große Verehrung des Täufers und herrscht unter dem Volke der Glaube, der Thau in der Johannisnacht bewahre Leinen-, Seiden- und Wollentücher vor Mottenfraß und anderm Verderben. Es waren aber drei fromme arme Fräulein, zur Lilien genannt auf der Bleiche. Sie waren aus meinem Ländchen Vadutz einen weiten Weg vor einigen Tagen barfuß ins Hennegau gewallfahrtet und zwar zu mir. Sie hatten ein schweres Anliegen und ließen mich durch Jakob von Guise bitten, ganz allein mit mir zu sprechen und zwar am Abend vor Sonnenwende. Schon vor zwei Jahren, da meiner Mutter letztes Krankenlager begonnen, waren sie ins Hennegau gekommen mit sehr schönem Bildwerk, denn Klareta, die jüngste hatte ihres Gleichen der Zeit nicht mit Sticken und Weben von Priestergewand und Tapezerei; war auch eine große Lieblichkeit und Demuth in ihr, gemischt mit seltsamer Trauer und erquickendem Frieden, und konnte sie schöne Weisen dichten und singen. Meine Mutter hatte ein Wohlgefallen an ihr, und da das Mägdlein sehr darum bat, nahm sie es zur Dienerinn. Wir hatten aber fast großen Schrecken mit ihr, denn Nachts an ihrem Krankenlager wachend, war sie plötzlich unweise geworden, und haben wir sie mit den Schwestern wieder in ihre Heimath senden müssen. Sie schied unter großer Wehklage und sprach seltsame Worte; und da die Mutter acht Tage nachher starb, gieng allerlei Rede über sie, wodurch sie mir unheimlich ward; diese unweise Klareta war wieder von ihren Schwestern ins Land gebracht worden. Sie war mir nicht unlieblich, ja eigentlich meinem Herzen nah; aber ich verläugnete es, es war mir bange vor ihr, es war mir, als sey sie ein Geschick, oder bringe mir eins. – Wo ich war, flog sie nach mir, wie ein Schmetterling ins Licht. – Ich hatte ihnen versprochen, die Nacht vor Sonnenwende bei ihnen allein auf der Bleiche zu seyn; sie hatten übernommen, Kirchenwäsche und Taufhemden um Gotteswillen im Johannisthau zu bleichen und harrten meiner mit Sehnsucht. – Meine Gespielen schlugen mir ein kleines Schlafzelt neben ihrer Bleichhütte auf und kehrten zur Stadt. – Als es nun Abend geworden, war all meine Wäsche ausgebreitet. Der Engel des Herrn läutete, wir standen betend um die Hütte, und als wir uns gegrüßt, sangen die drei Schwestern dreistimmig einen süßen Reim vom Abend, von welchem sie aus früherer Zeit wußten, daß er mir ungemein lieb war:
«O Stunde, da der Schiffende bang lauertUnd sich zur Heimath sehnet an dem Tage,Da er von süßen Freunden ist geschieden,Da in des Pilgers Herz die Liebe trauertAuf erster Fahrt, wenn ferner Glocken KlageDen Tag beweinet, der da stirbt in Frieden!»
Nun kehrten meine Gespielinnen nach der Stadt. Ich saß mit den Schwestern um ein Feuerchen, wir redeten gute Dinge. Mein Herz aber war schwer und sehnte sich, wenn ich in die Flamme sah, mußte ich immer leise singen:
Feuerrothe Blümelein,Aus der Erde springt der Wein,
und selbst der klare Sternhimmel von dem der kühle Thau auf mich sank, gab mir keinen rechten Frieden. Es war aber Klareta in dem Wahn, nur ich könne sie heilen, und war sie den weiten Weg hieher gereiset und hatte Alles verlassen und vergessen, um in meiner Nähe zu seyn. Ich wußte das Alles, weil ich aber gehört hatte, sie habe den Wahnsinn durch Mitleid von einem andern Menschen übernommen, hatte ich eine Scheu vor ihrer Annäherung, fürchtend, ihr Wahnsinn möge auf mich kommen. Es war aber ein Weber, ein Diener ihres seligen Vaters, um den sie litt. Er hatte für die drei Schwestern, die verarmt waren, so mühselig gearbeitet, daß er den Verstand darüber verloren, und da er gewohnt war, Klareta das Seelchen zu nennen, und für sie zu weben, so sang er immer Weberlieder von dem Seelchen, und sprach andere unweise Reden. Alle solche Reden sprach nun auch Klareta, und war mir immer bang bei ihr, da meine Natur gar geneigt ist, solche Dinge aufzunehmen. – Ich wußte dieses aus den Reden der Schwestern; wie ich aber Klareta heilen sollte, sagten mir diese nicht, schienen es auch nicht recht zu wissen. Klareta sehnte sich nur, allein mit mir zu seyn, und die Schwestern suchten das zu veranlassen. Sie warfen sich in ihrer Bleichhütte auf die Kniee und beteten. Ich aber suchte der unweisen Klareta auszuweichen, wo es angieng, bis sie endlich doch geheilt mir große Geheimnisse in dieser Nacht offenbarte, die mich reichlich belohnten. – Den Hergang schreibe ich nun hier nieder.
Ich saß mit der unweisen Klareta an dem Feuerchen, wir assen Brod und Früchte. Sie schüttete mir aber eine Anzahl Haselnüsse in den Schoos, Jürgo, der kranke Weber aus Vadutz hatte ihr sie mitgegeben, und sie nahm schüchtern eine der Nüsse und fragte demüthig, darf ich dem Seelchen die Nüsse aufreißen? Mir grauste aber vor den Nüssen; ich gab sie ihr zurück mit den Worten: «Klareta, ich esse keine Nüsse;» da war sie gar traurig, brach das Brod mit mir und drückte es ans Herz und aß nicht viel. – Wie wir so stille ins Feuer schauten, hörten wir fernen Schallmeienklang sich nahen. Es waren die Hirten. Sie hatten nach Landes Sitte, weil der Täufer gesagt: «Siehe das Lamm Gottes!» am Vorabend seines Festes ihre Schafe gewaschen, und nachdem sie sie eingetrieben, zogen sie mit brennenden Kienfackeln, Pfeifen und Schallmeien um den Zaun der Bleiche zu des Täufers Kapelle oben vor dem Wald, wo der Bach entspringet. – Die rothen Fackellichter lockten mich, die Schallmeiklänge bewegten in der Nacht mein Herz gar gewaltig. Bald eilte ich an den Zaun, bald kehrte ich zu Klareta zurück, die mir immer traurig nachschlich; und als ich sprach: «warum üben nur Fackeln und Schallmeien in der Nacht so schmerzliche Gewalt über mein Herz?» blickte mich Klareta mit tiefen Augen an und sagte wunderliche Reime, die sie auch nachher noch wußte, und als sie geheilt war, mir aufschrieb:
«Wenn der lahme Weber träumt, er webe,Träumt die kranke Lerche auch, sie schwebe,Träumt die stumme Nachtigall, sie singe,Daß das Herz des Wiederhalls zerspringe,Träumt das blinde Huhn, es zähl' die Kerne,Und der drei je zählte kaum, die Sterne,Träumt das starre Erz, gar linde thau es,Und das Eisenherz, ein Kind vertrau es,Träumt die taube Nüchternheit, sie lausche,Wie der Traube Schüchternheit berausche;Kömmt dann Wahrheit mutternackt gelaufen,Führt der hellen Töne GlanzgefunkelUnd der grellen Lichter Tanz durchs Dunkel,Rennt den Traum sie schmerzlich übern Haufen,Horch! die Fackel lacht, horch! Schmerz-SchallmeienDer erwachten Nacht ins Herz all schreien;Weh, ohn Opfer gehn die süßen Wunder,Geh'n die armen Herzen einsam unter!»
Ich nickte bejahend, wie man einem Kinde nickt, dem man zu zuhören scheint, aber ich hörte auf die Schallmeien. Ich bot ihr schöne Früchte, sie aß nicht. Ich fragte: «warum ißt du nicht? sie sind süß.» – Da erwiederte sie mit tiefem Schmerz: «Ohne Opfer gehn die süßen Wunder, gehn die armen Herzen einsam unter.» – Ich wollte ihrer Empfindung ausweichen, blickte hin und wieder, aber plötzlich fühlte ich mein Herz. Ich blickte die arme Kranke liebevoll an, reichte ihr die Hand über die Früchte und sprach: «iß mir zum Opfer, armes Herz!» und sie aß. Als ich auch genug gegessen, eilte ich wieder an den Zaun zu den Fackeln und Schallmeien und dachte keines Hungernden, selbst meiner kaum. – Da rasselte es am Zaun neben mir. Klareta war mir nachgeschlichen, und riß sich die Hände blutig in den Dornen, um mir Rosen zu reichen. Ich sprach: «was soll ich mit den Rosen?» – Klareta erwiederte: «Meine Hände bluten, mein Herz blutet; ohne Opfer gehn die süßen Wunder, gehn die armen Herzen alle unter.» – Ich kehrte mit ihr zu der Bleichhütte, saß am Feuer nieder und ließ mir die Zöpfe von ihr um den Kopf unter ein Netz binden, denn ich wollte mich bald schlafen legen. Als sie mir so nahe war, stockte sie plötzlich in ihrer Arbeit, schloß die Augen und näherte wie träumend ihre Stirne meiner rechten Schulter. Ich stand auf mit den Worten: «was willst du, wer bist du, wer ich?» Da sprach sie gar demüthig: «O meine Herrinn! deine Magd hat ein Anliegen, höre mich an, Morgen ist es zu spät.» – Ich erwiederte: «schweige, daß ich die Schallmeien höre, ja Morgen ists zu spät, das scheinen sie zu klagen und reißen drum mich hin.» – Da eilte ich wieder an den Zaun und lauschte hinüber. – Klareta schlich mir nach und sprach: «O wär es doch vorüber, es thut mir großes Leid!» – «Welch Leid?» fragte ich und sie antwortete nicht, sondern sang das Lied des Webers Jürgo mit irrer Weise in die Nacht hinein:
«Das Seelchen auf der HeideHat nicht genug zum KleideUnd friert durch Mark und Bein;Ich hab in heißer SonnenMein Leben aufgesponnenZu einem Faden fein,Den hab ich treu gewebet,Mein Schifflein ist geschwebetIn stäter Noth und Pein.Mit Thränen ich's erweichte,Mit Thränen ich es bleichteIn Mond- und Sternenschein.Todtwund lag ich zum Sterben,Der Seele Kleid zu färbenMit rother Farbe Schein.Ich trug es ohn VerweilenHin viele, viele Meilen,Da war mein Tuch zu klein,Das Seelchen zu bedecken,Da zuckt an allen EckenHeraus das Flämmelein,Und irret auf der Heide,Mein Zeug reicht nicht zum KleideDem Feuer-Lämmelein.Dadrüben die Gesellen,Die schleudern tausend EllenRoth Zeug zur Nacht hinein;Die Fackeln und Schallmeien,Sie brennen, reißen, schreienMir tief durch Mark und Bein.Weh, Weh thut das Verschwenden,Mit Noth mußt ich vollendenMein Tuch – nun ists zu klein.Das Seelchen springet trunkenVon Tönen, Farben Funken,Zur rothen Lust hinein.Wenn Tön' und Farben starben,Kömmt Nacht und bittres Darben,Arm, blos, allein; allein!»
Ich fragte: «was für Reden sind dies?» und sie erwiederte:
«Es sind Lichter, MelodeienIn der Nacht gar manichfalt,Doch die Fackeln und SchallmeienUeben größere Gewalt.Feuerrothe RöseleinAus der Erde dringt der Schein,Aus der Erde springt der Wein.»
Ich blieb an dem Zaun stehen, bis die Hirten mit ihren Kienfackeln heim in das Thor zogen, ich wartete bis auch der letzte Schimmer verschwunden war, dann kehrte ich zum Feuer. Die Unweise war sehr betrübt, ich reichte ihr die Hand und sagte: «ich kann nicht anders, was hast du aber von Tuch gesungen, das zu kurz sey?» – Da legte sie mir ein tiefroth schimmerndes Tuch über die Schulter und sprach: «es ist von mir, mehr hab ich nicht, es reicht nicht zu!» ich erwiederte: «die Farbe zieht mich an, groß genug wäre es auch – aber das Muster des Gewebes ist mir zuwider.» – Sie schwieg und war sehr traurig, sie weinte still, ich fragte: «was fehlt dir? sage es geschwind, ich muß dort in das Zelt gehen, um zu schlafen;» da erhob ich mich, ordnete meine Arbeit und zündete die Leuchte an. – Die Unweise entsetzte mich, sie zitterte, sank auf die Kniee und sprach: «du mußt uns eine Gnade erweisen, und bis du sie mir bewilligest, soll diese Kohle auf meiner Hand glühen;» da nahm sie eine glühende Kohle aus dem Feuer in die Rechte und hielt sie mir entgegen und flehte: «stifte mir und den Schwestern ein Kloster Lilienthal, daß ich mich verberge und dir vor Gott danke!» – Ihre That empörte mich, doch schlug ich ihr die Kohle nicht aus der Hand, ich that, als gehe mich das nicht an; ich rief die Schwestern, die warfen die Kohle weg und fanden ihre Hand heil und ohne Brandmal und knieten nieder und baten wie die Unweise um ein Kloster Lilienthal. – Es lag mir aber etwas Gewaltthätiges in der Art des Begehrens, ich sprach: «gut Nacht, ich werde mich besinnen,» und gieng zitternd und bebend zu meinem Zelt. – Mein Lager war von Heu und ein Teppich darüber; ach! wie war ich so müde, und schwer und bang, es war schon spät und tiefe Stille umher. Nur Eulen schrieen im nahen Walde. Vor meiner Seele flimmerten noch die Fackeln, tönten noch die Schallmeien, dazwischen die wunderlichen Reden der Unweisen und die glühende Kohle und Alles. Mir war so schwer und traurig, als sollte ich bald von Allem scheiden, woran mein Herz noch hieng. – Ich entschlief und hatte einen schweren Traum. – Ich war auf einer Wiese und pflückte feuerrothe Röselein, da überfielen mich grausame wilde Löwen und trugen mich weit, weit hinweg in einen dichten Wald. Unter einer breiten Linde war meine Angst am größten, die Löwen wollten mir die Achselbänder von den Schultern reißen, da fiel mirs bang aufs Herz – «das ist die Strafe deiner Härte, bau den armen Schwestern ein Kloster Lilienthal, so Gott dir helfe;» da gelobte ich es im Traume und es krähte ein Hahn und die Löwen flohen, und Verena mit dem Hühnlein Gallina kam zu mir, und der rettende Hahn steckte mir einen Ring an den Finger. – Bei dem Hahnenschrei erwachte ich und hörte den Hahn, den die Bleicherinnen als Stundenzeiger bei sich hatten, wirklich krähen. Auch hörte ich Klareta vor meinem Zelte singen:
«Was hab ich dir gethan,Was hast du mir gethan?Schon mahnt der Hahn.O senk die rothe Fahn',O heb die weiße FahnJetzt Himmel an!O hör mein Leiden an,Dann wird mein kranker WahnDir unterthan.Arm Kind von Hennegau!Das Lilienkloster bau,Schon sinkt der Thau.»
Ich öffnete das Zelt, sie warf sich am untern Ende meines Bettchens nieder und schloß meine Füße an ihr Herz und wusch sie mit einem Strom von Thränen. – Ich sprach: «Klareta, warum thust du so?» – Sie flüsterte: «aus Dank und Liebe.» – Ich kann nicht sagen, wie sie mich rührte, aber ich that mir Gewalt an. Da sie nun so weinte und ihr Herz so heftig schlug, ward ich freundlich und sagte: «setze dich zu mir, reiche mir deine Hand, ich will dir meinen Traum erzählen.» – Sie setzte sich zu meiner Seite, faßte meine Hand, und ihre Stirne sank wie unwillkührlich auf den Edelstein meiner rechten Schulterspange; denn es ist ein altes Familiengesetz, daß eine Gräfinn von Vadutz diese Kleinode selbst bei Nacht nicht ablegen darf. Ich zuckte etwas zusammen, ihr Schleier war kalt und naß, ich fragte um die Ursache, sie erwiederte: «Lilie kennst du den Thau nicht? – o lasse mich ruhen und nimm mir von der Stirne den Traum und erzähle mir den Traum!» – Ihre Stimme war ganz ruhig, als sie Dieses sprach, auch mir war wohl und friedlich – ich fühlte, daß ich heilte und genaß selbst; da ließ ich sie ruhen und erzählte Nichts als: «ich pflückte rothe Blumen, da fielen mich drei wilde Löwen an und trugen mich weit durch einen Wald und unter einer Linde setzten sie mich nieder, und thaten so grimmig gegen mich, da war mir so bang, so bang!» Als ich so weit gesprochen, drückte sie ihre Stirne wie Eisen so schwer auf meine rechte Schulterspange, daß es mich schmerzte und ich sie mit dem Ausruf wegdrängte: «bist du unsinnig?» – Sie bebte aber vor Angst und sprach: «die Löwen sollen mich eher zerreißen, als dir die Kleinode rauben, die mich heilen, wart, wart! da kömmt der Hahn, horch sein Schrei! die Löwen fliehen.» Da krähte der Hahn wirklich zum zweitenmal, ich war erstaunt, daß sie von dem rettenden Hahnenschrei meines Traumes sprach und von dem Raube der Kleinode, wovon ich selbst noch nicht gesprochen hatte, aber ich ließ mir es nicht merken und schwieg, doch wie erstaunte ich erst, als sie fortfuhr: «o armes Kind von Hennegau! das Kleinod meiner Heimath, welches mir meine Sinne geheilt hat – jetzt, jetzt, tausend Dank! sie sind heil, – die lichten Edelsteine von Vadutz sind gerettet und der Hahn steckte dir einen weit wunderbareren Ring an den Finger unter der Linde, und Verena mit dem frommen Hühnlein Gallina sah freudig zu, und ich und die Schwestern kamen aus dem Kloster Lilienthal und folgten dem Brautzug und folgten dem Leichenzug und standen am Grabe im Garten, und das arme Kind stand vor uns und wir leuchteten und sangen:
«O Stern und Blume, Geist und Kleid,Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.»
«O wie bin ich selig, daß Alles so gut geendet!» – So sagte also die gute Klareta den ganzen Schluß meines Traumes, von welchem ich kein Wort erwähnt hatte; – sie hatte also dasselbe geträumt, und woher kam der Reim, den ich drei Tage vorher im Garten bei den Lilien gehört, wieder in ihren Traum? – Alles das machte einen tieferen Eindruck auf mich, als mir lieb war. Ich habe einen eignen Abscheu vor Wunderbarem, das meine Freiheit stört. – Ich äußerte Nichts davon, daß sie Dasselbe mit mir geträumt und sagte ganz unbefangen: «was hältst du von dem Traume?» und sie erwiederte mit ernstem Ton: «einstens wird es keiner mehr seyn.» – Ich fuhr aber fort: «was sagtest du von den Kleinoden auf meiner Schulter, du seyst durch sie geheilt, warum drücktest du so mit deiner Stirne darauf?» da fühlte ich an ihrer Stirne einen tiefen Eindruck von dem spitzen Steine und fuhr fort: «ist dieser unsinnige Eindruck etwa ein Beweis deiner Klugheit?» – Da richtete sich Klareta auf und sprach mit ruhigem Bewußtseyn: «meine Herrinn! ich will dir ein wichtiges Geheimniß von den Edelsteinen sagen, durch welche du mit dem Ländchen Vadutz belehnt und ich dir unterthan geworden. Es ruht in diesen Kleinodien eine wunderbare, schädliche und heilende Kraft, welche ich beide erfahren habe; denn ich ward krank durch sie und bin gesund durch sie geworden vor wenigen Augenblicken. Jetzt aber will ich dir sagen, woher ich das Geheimniß dieser Kleinode kenne. – Mein Vater ist über Meer gezogen gegen die Sarazenen, er ließ die Mutter und uns drei Mägdlein zurück, wir waren nicht reich und lebten von künstlicher Bildweberei. Ach! bald kam eine Botschaft, der Vater sey gefangen, wir sollten ihn auslösen. Es war aber Jürgo, ein Edelknecht des Vaters, unser einziger Schutz und Freund. – Er war ein gar kunstreicher Weber, arbeitete Tag und Nacht für uns und verkaufte auch unsre Arbeit. Er that uns Alles zu Liebe und wir liebten ihn als einen Bruder. Er bot sich uns an, hinein zu reisen und den Vater zu lösen. Wir verkauften alle unsre Habe, um ihn mit dem Lösegeld auszurüsten und sahen ihn mit großer Betrübniß von uns scheiden. Wir beteten viel für ihn und gelobten Gott, so er Jürgos Weg segne, ein Klösterchen zu gründen, das sollte heißen Lilienthal, und darin wollten wir Gott dienen bis an unser Ende. – Nach zwei Jahren kehrte Jürgo heim ins Land Vadutz ohne den Vater, der war gestorben an der Pest im Hospital in Cypern. Der Kummer tödtete die Mutter. Wir drei Waisen waren allein ohne alle Stütze, als den treuen Jürgo. Nach der Mutter Tod schickte es sich nicht, daß er so viel, wie sonst bei uns sey, dennoch lebte und arbeitete er allein für uns. Er verkaufte seine kleine Habe, um uns zu ernähren. Er war der treueste Mensch, er that es dem Vater und mir zu lieb. Er hatte durch einen Sonnenstich auf der Reise gelitten, er arbeitete sich schier zu Tode für uns – wir waren ihm dankbar. Er ward krank und kam von Sinnen. Ich trauerte unaussprechlich um ihn. Das edelste Herz ward aus Treue zu meinem Vater und mir ein Thor vor den Menschen. Ich konnte nicht mehr ruhen, ich glaubte mich schuldig, Alles aufzuwenden, ihm zu helfen. Ich betete Tag und Nacht und zog umher, Aerzte und fromme Männer um Rath zu fragen. Als ich einst einem alten Einsiedler, der Mönch im Kloster Bänderen gewesen war, meine Noth klagte, sagte dieser: «o wäre das Lehnskleinod von Vadutz noch hier im Lande, ihm wäre leicht zu helfen!» – Als ich in ihn drang, mir von diesem Kleinod zu erzählen, sprach er: «mit dem Kloster Bänderen sey ein altes Pergamentbuch verbrannt, in welchem er in seiner Jugend viel Wunderbares von dem Ursprung der Grafen von Vadutz und ihren heiligen Kleinoden gelesen, das später, wie alles Heilige bei den Menschen vergessen worden.» Er erzählte mir hierauf unter vielem Anderen Folgendes: «Wohl mit Recht ist das Ländchen Vadutz kurios zu nennen, denn Curio ein Kaiser aus Rom war sein Stifter im zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt. Sein Eheweib hieß Docka und war durch den heiligen Theonestus heimlich getauft und eine eifrige Christin geworden. Durch sie nahm auch Curio den Christenglauben an und half in Rom den Christen manichfaltig in der Verfolgung. Curio aber bekehrte einen alten jüdischen Mann, der war zu ihm gekommen mit vielem köstlichen Geschmeid von Gold und Edelsteinen, dem Kaiser das zu verkaufen. Er war ein sehr eifriger Christ und hatte große Liebe zu Curio und dieser zu ihm. Die Christen aber wurden verfolgt und getödtet, und der hebräische Mann ward auch gefangen und sollte gemartert werden, da gab er alle seine Edelsteine dem heiligen Theonestus, daß er den Armen damit helfen solle. Dem Kaiser Curio aber gab er ein unschätzbares Kleinod, zwei schöne Spangen von Einhorn, worauf zwei kleine Edelsteine; die Spangen dienten das Gewand auf der Schulter zu fassen. Ehe er den Martertod starb, besuchte ihn Curio im Gefängniß und er erzählte ihm, daß er aus dem Stamme Juda sey, und daß diese Achselbänder einstens auf den Schultern Rebeckas geruht und von derselben in gerader Linie auf ihn vererbt seyen. – Er theilte ihm seltsame Dinge mit, die ihm von der Geschichte dieser Kleinode durch seine Vorältern überliefert waren und die alle der Mönch aus dem Buche im Kloster Bänderen ausgeschrieben und mir gegeben hat. Ich gab sie vor einigen Tagen dem ehrwürdigen Jakob von Guise, von welchem du sie begehren magst. So viel gedenk ich noch daraus. Es sind diese Kleinode das höchste Heilthum, denn sie kommen aus dem Paradies, und sind sie von dem Stein, auf welchem Jakob die Himmelsleiter sah und von welchem auch der Siegelring Salomos war, durch den dieser alle seine Wünsche erfüllen konnte. Als der hebräische Mann dem Kaiser Curio das Kleinod der Achselbänder geschenkt hatte, sprach er zu ihm: «trage diese Kleinode auf deinen Schultern und fliehe mit Weib und Kindern aus Rom, denn ich habe im Gebet erkannt, du wirst des Christenthums angeklagt werden, du sollst aber über die Alpen in Rhätien ziehen, dort sind viele Leute zum Christenthum bekehrt durch St. Lucius, einen König aus Schottland; dort nun sollst du ein Fürst vieler Christen werden, und ein Reich gründen, das Gott wohlgefällig ist. So lange du und deine Erben die Kleinode der Rebecka ungetheilt auf den Schultern tragen, werdet ihr Glück und Friede haben. Ich will aber in der Stunde meines Todes deiner gedenken und sollst du die Kleinode am Tage meiner Marter segnen lassen durch Theonestus. Immer aber bedenke, du mit allen deiner Kinder Kindern, daß Jakob geruhet auf der rechten Schulter Rebeckas und Esau auf der linken, und daß mit geistlicher Stärkung und Heilung und Allem, was dahin gehöret, gefüllt ist das rechte Schulterband, mit leiblicher Kräftigung, irdischem Gedeihen aber bis zur Gewaltthat das linke Schulterband. So sey dann weise und lasse Zeitliches, Irdisches, Leibliches nicht überhand nehmen, neige dein Haupt zur Rechten um Rath und Trost, ehe du zur Linken Lust und Stärke verlangest. Jährlich aber an meinem Sterbetag lasse den Segen über die Kleinode durch einen frommen Priester erneuen. Dann auch magst du seelenkranke Menschen mit ihrer Stirne das Kleinod der rechten Schulter berühren lassen, und so es ihnen zum Heile, werden sie geheilet werden, so aber der Kranke nicht selbst zu kommen vermag und ein Anderer will dessen Leid aus Christenliebe auf sich nehmen, soll es ihm auch gedeihen. – Auch ist eine alte Sage, daß einstens der Siegelring Salomonis, der alle Wünsche erfüllet, mit diesen Kleinoden zusammen kommen werde in den Händen eines Dieners des Messias, und wünsche ich, daß dieses an dir wahr werde!» – Es starb aber der hebräische Mann am Vorabend des Täufers Johannes, und ließ Curio die Kleinode segnen durch Theonestus zu Ehren des Täufers vor 1100 Jahren am heutigen Tage, an dem ich bin geheilt worden durch die Kleinode, zur Ehre Gottes und des Täufers und zur Bestätigung der Worte des hebräischen Mannes. – Aber Curio von seinem Bruder des Christenthums angeklagt, floh mit seiner Gemahlin Docka und seinen Söhnen über die Alpen nach Rhätien und fand dort Alles, wie ihm gesagt worden. Er baute viele feste Schlösser und Flecken und setzte seine Söhne darauf und gab ihnen fromme Hausfrauen, und sammelte Gottesmänner in Gotteshäusern, und die da reif waren, säete er aus in Gottesäckern und that alle Wege, wie man thut, da man neue Lande und Leute gründet, das Reich Gottes zu mehren auf Erden. – Auf den beiden Schultern aber trug er die heiligen Achselbänder, und wurden sie genannt die Kleinode des Landes. Von Curio kamen diese Kleinode auf seinen Enkel den Grafen Anselm von Montfort. Seine Gemahlinn brachte Zwillingsbrüder zur Welt, den Wolfbrand von Rothenfahn, dessen Schild war weiß mit rother Fahne, und den Hego von Weißenfahn, dessen Schild war roth mit weißer Fahne. Als der Graf Anselm seinem Tode nahe kam, heftete er seiner Gemahlinn die Kleinode des Landes auf die Schultern und befahl ihr, ihre beiden Söhne gleich vor Gott in großer Einigkeit zu erziehen und Keinem den Vorzug zu geben, und wenn sie endlich dem Einen die Lande überlasse, solle sie ihm die beiden Edelsteine auf die Schultern heften und diese niemals trennen, sonst würde großer Haß und Unfriede entstehen. – Die Gräfinn von Montfort that nicht so, sie liebte den Rothenfahn, der ein Schmeichler und Augendiener mit rothen Wangen und einem Kirschenmund war viel mehr, als den Weißenfahn, der war treu und rein und wahr, aber weiß und bleich von Farbe; und sie hielt den Rothenfahn immer zu ihrer Linken am Herzen und er schlummerte oder lauerte vielmehr immer an dem Schulterband des linken Edelsteins, und sie wiegte ihn mit dem Reime ein:
«Feuerrothe Röselein,Aus der Erde springt der Schein,Aus der Erde dringt der Wein;Roth schwing ich mein Fähnelein.»
Der Weißenfahn aber mußte wie der Knecht des Bruders sein und auch meist die Strafe für ihn aushalten. So erzog sie ein rechtes Unkraut an dem Wolfbrand, und er hatte eine harte Stirne wie ein Widder, sein Sinn war zäh und sein Haar war kraus, und weil Hego alles mußte, was er wollte und er Alles wollte, das diesem weh that, so hatte er sich ein Spiel erdacht, das nannte er Hammelstutz. Es bestand aber darin, daß er «Hammel, Hammel stutz!» sagte und mit seiner harten Stirne gegen die Stirne seines armen Bruders rannte, daß dieser wie ein Lamm von einem Widder niedergestoßen, oft blutend zur Erde stürzte; und wenn der Bruder fiel, rief der böse Bube: «Vadutz!» und die Mutter und er gaben dem Hego den Spottnamen Vadutz. Dieser aber war gütig und weise, liebte Mutter und Bruder und nahm in Allem zu. – Als nun die Mutter zum Sterben kam und einem der Söhne die beiden Edelsteine auf die Schulter heften und das Land übergeben sollte, wählte sie ihren Liebling Wolfbrand dazu. Dieser aber sprach trotzig: «ich mag den Stein da drüben nicht, da hat der Vadutz daran geruht, er mag ihn behalten, so ich einmal Lust dazu habe, mache ich Hammelstutz, da plumpst er nieder Vadutz! und ich nehme ihm den Stein, das macht mir mehr Spaß.» – Die Mutter konnte ihm nichts abschlagen; da heftete sich Wolfbrand den linken Edelstein selbst auf die linke Schulter und die Mutter übergab ihm zugleich das ganze Land. Hego aber kniete mit gefaltenen Händen betend am Sterbebett der Mutter und bat sie um den Segen, da heftete sie ihm den Edelstein auf die rechte Schulter und sprach: «dein Bruder hat alles Land, aber da drüben liegt ein steiler, oder hoher Berg, da gehen meine Schafe, ich schenke dir die Schafe und den Berg, da bau dir ein Haus.» Der Jüngling benetzte die Hand der sterbenden Mutter mit Thränen des Dankes; – in demselben Augenblick aber ergrimmte Rothenfahn und rief: «Hammel, Hammel stutz» und stieß den Bruder mit der Stirne nieder, daß er blutete. – Da entsetzte sich die Mutter, die Augen giengen ihr auf, sie erkannte den Unterschied zwischen links und rechts, sie gedachte des Gebots des sterbenden Grafen Anselm, die Edelsteine nicht zu trennen, sie sah den bösen Sohn zitternd an und sagte: «Gott verzeihe mir, ich habe himmelschreiendes Unrecht gethan, Wolfbrand, du bist ein Ungeheuer, die ganze Macht des Steines werde an dir lebendig!» – Da zog sie den Hego an ihr Herz, und da sie das rothe Blut von seiner weißen Stirne niederrinnen sah, riß sie die Farbe in tiefer Liebe zu ihm hin, und sie küßte seine Stirne und segnete ihn nochmals und sprach: «alle deine Nachkommen sollen Zeugniß davon geben, daß dein rothes Blut zu mir geschrieen und mein Herz in meinem Tod mit Lieb und Reue erfüllet hat! aller Segen komme über dich! – Hüte dich vor deinem Bruder, aber räche dich nicht an ihm, – nein! heile mit deiner Rechten, was meine Linke verdarb, – ich werde keine Ruhe finden, bis die beiden Edelsteine vereint auf deinen Schultern ruhn!» da starb sie. – Wolfbrand nahm die Schlösser und Burgen des Landes in Besitz und pflanzte seine rothe Fahne überall auf. Er übte große Gewaltthat an Land und Leuten, Alles floh vor ihm. – Hego zog auf seinen Berg, baute sich ein Haus und hütete die Heerden, welche ihm die Mutter geschenkt. Segen und Friede war mit ihm, Unsegen und Unfriede mit jenem. Die verfolgten Unterthanen trieben ihre Heerden zu ihm und flehten ihn um Schutz. Darüber ergrimmte Wolfbrand immer mehr und sein Haß gegen den Bruder stieg bis zum Wahnsinn. Er hetzte ihm hungrige Wölfe an seine Heerde, und wenn der Bruder sanft und liebvoll ihn ermahnte, rief er ihn an: «Hammel stutz – und Vadutz!» – da nun unter dem Volk die Rede entstand, er sey nicht ihr vollkommener Herr, er trage nicht die beiden Edelsteine, das Land sey ihm nur zur linken Hand angetraut, zogen sich die Unterthanen immer mehr zu der weißen Fahne. – Indessen bauten die Unterthanen dem guten Hego ein festes Schloß auf seinen Berg, um ihn und das Seine vor dem wüthenden Wolfbrand zu schützen und nannten das Schloß Vadutz. Wolfbrand verlangte nun den andern Edelstein von seinem Bruder und war so von Sinnen gekommen, daß er ihn herausforderte, wer von beiden den Andern mit der Stirne niederstoße, solle beide Edelsteine haben. Hego schloß sich in seine Burg Vadutz ein und ließ ihm sagen: «so du willst, stoße diese Veste nieder!» da belagerte der unsinnige Wolfbrand Vadutz, alles Volk aber verließ ihn, und als er sich allein sah, rannte er mit seiner harten Stirne so wüthend gegen das Thor, daß er wie todt niedersank. Hego ließ ihn hereintragen und pflegte ihn, aber es war keine Hoffnung, sein Kopf war gespalten. Da nun Hego überall umfragte, ob Niemand Hülfe für den lieben Bruder wüßte, kam ein weiser, frommer Meister, der sagte ihm: «lasse sein Haupt an St. Johannis Vorabend auf dem Edelstein deiner rechten Schulter ruhen und sieh, was erfolgt.» Das that Hego, und Wolfbrand ward ruhig und mild und gewann seinen Verstand wieder, und bat seinen Bruder um Vergebung und alle die er betrübet und starb in Hegos Arm einen schönen Tod. Dieser aber trug nun beide Edelsteine und hatte das ganze Ländchen, das nannte er Vadutz, wie sein Schloß, und baute dem weisen Meister ein Kloster, wo der Leib seiner Mutter ruhte und legte den Leib Wolfbrands mit seiner rothen Fahne an ihre linke Seite. Er hieß aber das Kloster Bänderen, weil die Mutter den Raum dazu auf einer grünen Wiese mit tief rothen Bändern abgesteckt hatte. – Dann regierte Graf Hego das Land Vadutz gar milde, hatte viele Söhne und Töchter, und jährlich am St. Johannisabend warden unweise, arme Menschen zu ihm geführt, die lehnten ihr Haupt auf seine rechte Schulter, da wurden sie wieder heiler Sinne. – Solches erzählte mir der alte Mönch aus dem Kloster Bänderen und fügte hinzu: «Sieh also, arme Klareta, wäre das Kleinod von Vadutz noch hier auf dem Schlosse, St. Johannistag ist nahend, so dürfte Jürgo, der euch Kindern so große Treue geübet, nur sein Haupt auf das rechte Schulterband unsers Grafen von Vadutz lehnen und Gott würde ihn wie den Wolfbrand von seiner Unweisheit heilen; aber du weist, daß unser Herr jetzt im Hennegau wohnet, und daß die heiligen Kleinodien nicht mehr hier im Lande sind.» – «Das ist,» fuhr Klareta fort, «was mir der Mönch von dem Geheimniße der Kleinode gesagt, die jetzt auf deinen Schultern ruhen. Du kannst dir denken, o armes Kind von Hennegau, daß mir das Herz brannte, dem treuen Jürgo zu helfen; da es aber nicht möglich, ihn in seinem Elend ins Hennegau zu führen, erneuerte ich mit den Schwestern das Gelübd, ein Kloster Lilienthal zu gründen, so Gott den armen Menschen heilen wollte, wenn ich aus dankbarer Menschenliebe statt seiner barfuß ins Hennegau zöge und mein Haupt statt seiner auf das Schulterband Rebeckas lehnte. Die Schwestern wollten mich treulich geleiten, der Mönch aber sagte: «es sey eine ungewiße Sache, denn er wisse nicht, ob die Kraft der Edelsteine in diesen Zeiten in der Fremde noch geübet werde, oder in Vergessenheit gekommen sey.» – Ich aber konnte nicht mehr ruhen, ich opferte mich ganz auf für Jürgo und zog mit den Schwestern barfuß gen Hennegau. Ich hatte künstlich gewebtes Bildwerk mitgenommen und ein Brieflein vom Abt des Klosters Bänderen an Jakob von Guise, damit ich Eingang fände bei der Gräfinn deiner Mutter. Jakob von Guise, dem ich Alles mittheilte, belobte zwar meine Christenliebe, aber er sagte mir, wie der Gebrauch der Kleinodien zur Heilung blöder Sinne hier zu Lande schon lange abgekommen, weil mehrmalen ein übler Erfolg davon verspürt worden sey, außer dem großen Ueberlauf, den der Graf dadurch gehabt; was hauptsächlich eine Ursache gewesen, daß er aus Vadutz ins Hennegau gezogen. Auch sey die Gräfinn deine Mutter krank und ihr jene Kraft der Kleinode ganz unbekannt. Da ich ihn aber fußfällig bat, mir zu deiner Mutter zu helfen, gieng er in seine Kammer ins Gebet und da er heraus kam, segnete er mich und sprach: «folge mir in Gottes Namen!» da führte er mich und die Schwestern in das Schloß. Wir wurden auch gut aufgenommen bei deiner seligen Mutter, du gedenkest dessen noch; ja du selbst trugst bei, daß sie mich unter ihr Frauenzimmer nahm, dich das Bildwerk weben zu lehren, und ich brachte es so weit, daß es mir erlaubt ward, in ihrer Krankheit an St. Johannis Vorabend bei ihrem Lager zu wachen. Da man mir hier gar nichts von der Kraft der Edelsteine sagte, sprach ich auch nicht davon, und harrte mit großer Angst, bis deine Mutter entschlief, um mein Haupt auf ihre rechte Schulter zu lehnen. Sie lag aber auf der rechten Seite, und statt zu beten, daß sie sich umwenden möge, ließ ich mich von meiner Begierde, dem armen Jürgo zu helfen, hinreißen. Ich sah den lichten Stein auf ihrem linken Schulterbande blitzen und senkte meine Stirne mit dem heißen Verlangen auf diesen Stein nieder, es möge seine Kraft an mir wahr werden, – und sie ward an mir wahr, ich ward unweise und führte unsinnige Reden, und sang laut die thörichten Lieder des Jürgo. Deine Mutter erwachte, man brachte mich hinweg, und du weißt, wie ich mit meinen Schwestern nach Vadutz zurück gesendet ward. Eine Gnade hatte ich, ich wußte von meinem Leide, ich wußte von Allem, was um mich her geschah, aber ich mußte thun und denken, was ich that, und wohl auch manchmal fühlen, daß es im Grunde oft weiser war, als vorher. Ich wußte auch, daß Gott mir einst helfen werde, und so trug ich allen Hohn ohne Murren, und opferte alles Leid Gott auf für den treuen Jürgo und die Seelen meiner frommen Eltern. – Jetzt ist mir wie ein Schleier, wie ein Traum von meiner Stirne genommen, und ich weiß Alles von mir aus diesen zwei Jahren, wie von einer Andern und sage es dir, du magst morgen die Schwestern darum fragen, ich zweifle nicht, daß es so gewesen. Als wir nach Vadutz heim gekommen, fanden wir Jürgo nicht mehr. Er war am Vorabend von des Täufers Tag in der Kirche des Klosters Bänderen betend von seinem Wahne geheilet worden zur Stunde, da meine Stirne das Kleinod in Hennegau berührte, und er hatte das Kloster nicht mehr verlassen. Sie hatten ihn aufgenommen in ihren Orden. – Ich aber bin gleich bei meiner Ankunft in Jürgos Hütte nächst unserm Haus gegangen und habe mich an seinen Webstuhl gesetzt und an dem rothen Tuch fortgewebt, das er begonnen hatte, und habe seine irren Weberlieder gesungen von dem Seelchen auf der Heide, fort und fort bis dort drüben am Zaun, wo ich dir das Tuch gegeben. Als nun der Klostervogt von Bänderen zu mir kam und mir einen Schenkungsbrief Jürgos brachte, worin dieser mir und den Schwestern Hütte, Webstuhl, Garten und Alles, was er zurückgelassen, schenkte, und mir sagen ließ, ich möchte doch das rothe Tuch fertig weben, er wolle uns dafür geistlicher Weise eine Aussteuer bereiten für eine andere Welt, wunderte mich das Alles nicht, denn ich saß schon am Webstuhl und sang die Weberlieder, als sey das immer gewesen. – So gieng ein Jahr vorüber, Sonnenwende nahte heran, die Schwestern hörten, daß nach deiner Mutter Tod nun die Kleinode auf deinen Schultern ruhten, sie wollten mich nochmals um Hülfe hieher führen. Ich aber folgte nicht, denn das rothe Tuch war nicht fertig; auch fürchtete ich heimlich, Jürgo möge wieder krank werden, so ich genese. Erst um diese Zeit kam mein Zustand zu den Ohren Jürgos in Bänderen, der ward sehr traurig darum und starb in kurzer Zeit eines erbaulichen Todes. Als das Sterbglöcklein um ihn läutete, schoß ich sein Weberschifflein zum letztenmal durch die Fäden, das rothe Tuch war fertig, und ich selbst mahnte nun die Schwestern zur Wallfahrt ins Hennegau; – und Gott sey ewig gepriesen, heut an des Täufers Vorabend sind meine Sinne genesen an dem Kleinod des rechten Schulterbandes! – O armes Kind von Hennegau, nun erfülle das Maaß deiner Gnade, stifte uns das Kloster Lilienthal, das wir gelobet, wir wollen treulich dort beten, auf daß der Hahn die Löwen von dir verscheuche.» – Nach diesen Worten kniete Klareta vor mir nieder und umarmte flehend meine Füße. Ich aber, tiefbewegt von allem Gehörten, bedurfte Ruhe, um mich zu sammeln und vermochte nur zu sagen: «Klareta gehe, danke Gott mit den Schwestern und ruhe, auch das arme Kind von Hennegau ist müde und muß schlafen.» Da verließ sie das Zelt. – Ich dankte Gott auf den Knieen, ich wußte, daß er durch mich geheilt hatte. O wie arm erschien ich mir neben Klareta! Sie, die so vieles erlitten, die Treue eines Dieners zu belohnen, ließ ich schmachten, um der Fackeln und Schallmeien willen. – Manches Eigenthümliche in meinem Wesen, das ich mir selbst zugeschrieben, erschien mir nun mit der geheimen Kraft der Kleinode zusammenhängend. – Jetzt erst verstand ich, warum nach alter Sitte den Lehnshuldinnen von Vadutz von frühester Jugend so dringend eingeschärft wurde, den Kopf nicht hängen zu lassen, sondern gerade empor zu tragen. Jetzt verstand ich, warum die Zeremonienmeisterinn bis zur Ungeduld wiederholte: «halten sie sich gerade Gräfinn.» – Jetzt erst verstand ich die Worte, da mir die Lehnskleinode auf die Schulter gelegt wurden: «wandle in der goldnen Mitte und wähle das Rechte.» – Jetzt erst danke ich meiner Mutter und Verena, daß sie mich mit solchem Eifer anhielten, auf der rechten Seite ruhend zu schlafen; so daß sie oft in der Nacht nach mir sahen und mich weckend im Bette umwendeten, was mich nicht wenig verdroß. – Jetzt schämte ich mich des Eigensinns und der heimlichen Schadenfreude, mit welcher ich aus Widerspruch mich zur linken Seite wendete, sobald sie den Rücken kehrten, vor Allem aber der Heuchelei, mit welcher ich mich schnell rechts kehrte, so ich sie nahen hörte. – Aus diesem Widerspruch entstand eine geheime Lust, links zu schlafen, und aus dem Kampfe mit dem Gewissen entstand eine Unentschiedenheit, ob rechts, ob links zu ruhen, die mich noch jetzt störet, wenn ich mich zu Ruhe lege, und welche gewöhnlich die Hinfälligkeit des Schlafes entscheidet. – Aber ich muß auch gestehen, daß ich mich oft, wenn ich herzlich gebetet habe, mit Ueberwindung zur rechten lege, und leider mit Beschämung links aufwache. – O wie viele gute Einflüsse des rechten Kleinodes mag ich verschlafen haben. Von nun an will ich es besser machen! – Ich dachte weiter über Alles, was Klareta erzählt, und entdeckte darin mit Verwunderung eine Spur meiner und der Mutter Neigung zu tief rother Farbe bis in den rothen Kirschenmund meines Ahnherrn Wolfbrand Rothenfahn und die blutende Stirne des frommen Hego Weisenfahn hinein. – Gott habe sie selig! – Nach allen diesen Gedanken saß ich aufrecht auf meinem Lager und kreuzte voll Ehrfurcht und guten Willens die Hände und legte sie auf die Achselbänder Rebeckas und betete und sagte: «gewiß, gewiß, ich will den guten Schwestern das Kloster Lilienthal gründen – aber, ich muß doch erst – da übernahm mich der Schlaf – die große Wäsche zu Hause und wieder in den Schränken haben – feuerrothe Röselein – ich nickte und sank zur linken und schlummerte ein.
St. Johannis des Täufers Tag. Sonnenwende
Als der Tag anbrach hörte ich in der Ferne ein liebliches Singen. Ich trat vor das Zelt und hörte, daß es die drei Fräulein waren, welche vor Tag in den Wald gegangen waren, mancherlei Kräuter und Wurzeln unter Gebet zu sammeln, wie es in Hennegau an diesem Tag der fromme Gebrauch ist. Sie schmückten die Kapelle des Täufers vor dem Walde damit, auf daß sie bei dem Gottesdienste möchten gesegnet werden, und sangen ein Danklied wegen der Genesung Klaretas. Da nun meine Mägde kamen, nach mir zu schauen, ließ ich diese auf der Bleiche harren und ging auch zu der Kapelle. Die Schwestern vergessen Thränenströme, sie sprachen wenige Worte, sie küßten alle drei mit Ehrfurcht den Edelstein auf meiner rechten Schulter und steckten drei große Wachskerzen in Gestalt dreier Lilien vor dem Bilde des Täufers auf. Sie mahnten mich dadurch an das Kloster Lilienthal, aber ich ließ mich nichts merken, denn ehe ich durch das Johannisfeuer gesprungen war und den Johannisengel geküßt, und mein Geräthe wieder in den Schränken hatte, konnte ich das Kloster nicht ruhig bedenken. – Jakob von Guise hielt uns den Gottesdienst, meine Gespielinnen kamen auch mit den Kinderschaaren herangezogen. Jeder Schaar wurde ein schöner Johannistopf voll Blumen vorgetragen und am Fuße des Altars niedergesetzt. Es war eine gar liebliche Andacht. Die Mägdlein führten einen gesunden freudigen Knaben, den sie den Johannisengel nannten auf einem geschmückten Kinderwägelein in Prozession zur Kapelle. Er war sechs Jahre alt und hieß Immel, weil er wie eine Imme gern über die Blumen hin schwebte und allen lieb war. Er hatte wie ein klein Täuferlein ein Lammfell über der Schulter und ein Kreuzfähnlein in der Hand und war mit Blumen geschmückt. Ein Lämmchen lief seinem Wagen nach. Die Kinder halfen ihm aus dem Wagen und ließen ihn in ihrer Mitte in einem schönen dichten Blumenkranz niederknieen. Das Lamm lag neben ihm, da saß er drinnen wie der Sommer, der in einem Blumennest aus dem Ei geschlüpft ist. Meine Gespielinnen knieten rings um die Kinder, und hinter diesen mehrere der Eltern. Es trat aber plötzlich eine schlanke Frau zu der Kapelle heran und griff in den Weihbrunn und segnete sich und gieng auf den Johannisengel zu und besprengte ihn tüchtig und schien ihn küssen zu wollen in plötzlicher Freude, aber sie besann sich, erröthete über und über und trat wieder zu den anderen Frauen. Es war die Mutter des Johannisengels, den sie schier allzu lieb hat. Sie gehörte wohl hier zum Feste, denn in ihr glühet ein wahres Johannisengelfeuer offen unter freiem Himmel hin und herwehend, und alle Engel springen durch ihr Herz, daß die lichte Lohe herausschlägt, und auch der liebe Immel scheint nur ein Engel, der durch ihr Herz gesprungen, nur ein Flämmchen, das aus diesem Feuer hervorgezuckt. – Wie könnte ich sie nicht lieben, ich muß ja, denn wer sie anschaut, der muß singen:
«Feuerrothes Röselein,Aus dem Blute springt der Schein,Aus der Erde dringt der Wein,Roth schwingst du dein Fähnelein.»
Während der Andacht sangen die drei Lilienfräulein gar schöne Lieder und nachher segnete Jakob von Guise mich unter Gebet, wobei er sprach: «in Rebecka erscheint die Gewalt holdseliger Freundlichkeit über die Herzen anderer, ihre Schultern, die den Krug zum Brunnen trugen, den Boten Abrahams und seine Kameele zu tränken, sind die Werke ihrer Menschenliebe, durch welche sie die Brautgeschmeide Jakobs verdiente, dessen Weib sie ward. Aus den Fluthen schöpft die Liebe Gluthen.» – Dann segnete er die Spange auf meiner rechten Schulter mit den Worten Isacks zu Jakob: «Gott gebe dir vom Thaue des Himmels und dem Fette der Erde die Fülle an Korn und Wein und Oel» und hierauf die linke Spange mit den Worten zu Esau: «dein Segen wird seyn vom Fette der Erde und vom Thaue des Himmels von oben her.» – Auch sprach er Worte von den Schulterspangen Aarons und sodann: «gieb deine Füße in die Fesseln der Weisheit und nimm ihr Halsband an deinen Hals, neige deine Schultern und trage sie und habe keinen Verdruß an ihren Banden, zuletzt werden dir ihre Fesseln ein starker Schirm, und ihr Halsband ein Ehrenkleid seyn; denn in ihr ist die Zierde des Lebens, und ihre Bänder sind Bänder des Heils, du wirst sie wie ein Ehrenkleid anlegen und wie einen Freudenkranz aufsetzen.» Hierauf sprach er den neunzigsten Psalm und segnete bei den Worten: «er wird dich mit seinen Schultern überschatten und deine Zuversicht wird unter seinen Flügeln seyn.» – Sodann sprach er noch: «da du geboren wurdest, sang man: uns ist geboren ein Kindelein, sein Reich ist auf den Schultern seyn.» – Da machte er mir ein Kreuz auf die beiden Schultern, wobei er sprach: «trage dein Kreuz und folge nach, trage deinen Nächsten, wie Gott dich trägt, trage Niemand etwas nach, trage nicht auf beiden Schultern, nimm fremde Bürde nicht auf die leichte Achsel, zucke die Achsel nicht gegen den Hülfesuchenden, wandle in goldner Mitte und wähle das Rechte am Scheideweg, deine Linke wisse nie, was deine Rechte giebt, dein Reich sey Gnade auf deinen Schultern u. s. w.» – Dann segnete er auch die drei Schwestern und alle meine Gespielinnen und die Kinder; da er mit dem Weihbrunn gegen den Johannisengel trat, drang dessen Mutter durch die Menge heran, kniete hinter dem Knaben nieder, schloß ihn mit beiden Armen an ihre Brust, streckte ihr Haupt über seinem Blumenkranz hervor und so empfingen sie den Segen zusammen wie Thau des Himmels in Kranz und Locken. Es sah dieses gar rührend aus. Jetzt erhoben wir uns alle von den Knieen, alle meine Freundinnen küßten das Kleinod auf meiner rechten Schulter und ich umarmte sie. Als ich nun auch die Mutter Immels umarmt hatte, legte sie mir ungestüm den Johannisengel ans Herz, aber ich gedachte Wolfbrands, der im linken Arme seiner Mutter durch Liebkosung verunstaltet worden und nahm den Immel in den rechten Arm, und er küßte das Kleinod zur Rechten. Ich setzte ihn nun wieder in sein Wägelein, das die Kinder herbeigeführt hatten, und Jakob von Guise sprach nun zu den versammelten Müttern: «Ihr lieben Mütter bedenket bei diesem Feste; schon unter dem Herzen Elisabeths hüpfte Johannes dem Herrn entgegen, da dieses Herz die Mutter des Herrn begrüßte; so sollen alle Mutterherzen thun, um ihre Kinder dem Herrn entgegen zu bringen. – Frühe schon trennte Elisabeth den kleinen Johannes von ihrem Herzen und führte ihn nach Gottes Willen in die Wüste, damit er unberührt von Weichlichkeit, stark werde, damit er kein Sklave werde durch zärtliche Liebkosung und kein Tyrann durch Schmeichelei und befriedigten Eigenwillen; – so sollen alle Mutterherzen thun, sobald ihre Kindlein wandeln können, sollen sie sie führen auf die ernsten Wege der Zucht und Gottesfurcht; wir haben das Paradies der Lust verloren und müssen lernen, in die Wüste der Buße zu wandeln. Wenn die Mutter sich auch nicht wirklich von ihrem Kinde trennt, wird sie ihm doch eine heilsame Wüste bereiten, indem sie gerecht und streng ihm auch die Dornen und nicht allein die Rosen darbietet. – Johannes sollte werden die Stimme des Rufenden, der den Weg und die Wahrheit verkünde, darum ward er von Elisabeth in die Wüste gebracht, auf daß seine Zunge von aller Sünde rein bleibe; – so trennt jede fromme Mutter ihr Kind von allen weichlichen, verführenden Eindrücken und wacht über seine Sinne, daß sie rein und würdig bleiben, der Wahrheit allein zu dienen. – O bedenket ihr Mütter, nicht in den Armen der Mutter, nicht unter ihren Liebkosungen, nicht in der .Befriedigung seiner Gelüsten – nein in der Wüste der Zucht und des Gehorsams kam die Stimme des Herrn zu Johannes. – O bedenket ihr Mütter, in der Wüste ward Johannes vor dem Morde der unschuldigen Kindlein bewahrt; so bewahret denn auch ihr in der Wüste der ernsten Zucht eure unschuldigen Kinder vor dem Morde der Welt und ihres Fürsten. – Das Herz eurer Kinder ist in eure Hand gegeben, wie das biegsame Wachs in die Hand des Künstlers, er kann gute Engel, er kann böse Engel daraus bilden. – Wie oft ihr Mütter, nennt ihr eure Kinder Engel, o bedenket, daß es Engel gibt, die nicht in der Wahrheit geblieben, Engel, die durch den Schmuck auf ihrem Herzen stolz geworden, die bei ihrer Schönheit die Weisheit verloren haben und gestürzt worden sind. Gott gebe euch die Gnade, eure Kinder, wie auch heute diesen kleinen Johannisengel in die Wüste der Zucht zu begleiten!» – Hierauf wendete Jakob von Guise seine Rede zu den Kindern und sprach: «zum Gedächtniß, daß der Knabe Johannes von seinen Eltern früh in den Wald verborgen ward, wo er mit Kräutern und Blumen, mit Fischlein und Vöglein und allem Gethier ein unschuldiges heiliges Leben führte, von Gottes Engel gehütet, von Gottes Gnade bethaut, ziehet ihr jetzt mit dem kleinen Johannisengel spielend in den wilden Wald und segnet und pflücket mit unschuldigen Händen allerlei Heilkräuter, welche nun in der Sonnenwende in ihrer höchsten Kraft stehen. Alle Jahre kommen diese Kräuter wieder, kömmt dieses Fest wieder, so sey dann eure Andacht und Freude auch heute und alle Jahre in höchster Kraft, und wenn ihr die Johanniskräutlein oder Blümlein findet, so zeigt sie dem kleinen Immel, dem Johannisengel, daß er sie breche und in den Korb lege, dabei soll er sprechen:
«O lieber Gott im HimmelSegne den kleinen Immel,Segne um das TäuferleinDas arme Johannisengelein;Dein Segen komm' auf seine HandUnd auf das Kräutlein, das er fand,Und führe den kleinen ImmelUnschuldig einst in den Himmel!»
Wenn ihr nun das Kraut Artemisia, Johannisgürtel genannt findet und kleine Gürtel daraus flechtet, sollt ihr sprechen:
«Um Sankt Johannes das Täuferlein,Sein wohlgegürtet Vorläuferlein,Segne mir Gott dies Gürtelein,Daß, wen es gürtet, auf allen WegenDir unermüdet laufe entgegen!»
Wenn ihr nun die heilsame Farrenkrautwurzel aus der Erde grabt und kleine Händchen daraus schnitzelt, die man Johannishändlein nennet, und diese anhängt in der frommen Hoffnung, Gott möge auf die Fürbitte Johannis, dessen Hand auf das Lamm Gottes gezeiget und den Herrn getauft, uns an Leib und Seele vor Unglück bewahren, so sprechet dabei:
«Der Täufer zeigt mit seiner HandAuf Gottes Lamm am Jordansstrand,Wir schnitzen JohannishändeleinUnd tragens an einem Bändelein,Gott schütz uns auf Wegen und StegenUnd führ uns dem Lamme entgegen!»
Ihr werdet auch das Heilkraut Johannisblut sammeln; sein rother Saft erinnert uns, wie der Täufer sein Blut für das Lob der Wahrheit vergoß, auf daß wir Gott bitten, daß er uns vor der Verletzung des Leibes und der Seele durch falsches Lob, neidischen Blick, Schmeichelei u. s. w. behüte; dabei sprecht:
«Johannes, wie ist dein Blut so roth,Du starbst für Wahrheit den Martertod;Und wo dein Blut geflossen ist,Das Blutkräutlein entsproßen ist.Um dich, der wahres Lob erhob,Behüt uns Gott vor falschem Lob,Vor bösem Blick, vor heimlichem Neid,Wobei nicht Leib, noch Seel gedeiht.»
Und wenn ihr gegen Abend die leuchtenden Johanniswürmlein fliegen sehet, so gedenket an die Worte: «und das Licht leuchtet in der Finsterniß, und ein Mensch von Gott gesandt, Johannes gab Zeugniß von dem Licht!» – desgleichen denket, wenn ihr dann am Abend um die Johannisfeuer tanzet und springet. So thut, liebe Kinder und auch ihr Erwachsene in Allem, dann werdet ihr auch im Wald und Feld in aller unschuldigen Freude Gottes Lob und Ehre verkünden.» – Nach dieser Ermahnung segnete der liebe fromme Greis nochmals alle Anwesende und kehrte in sein Kloster. – Hierauf zogen die Kinder mit dem Johannisengel in den Wald, die rosige Mutter Immels zog mit hinein, und die Kinder nannten sie heute die rosige Mutter Elisabeth und schmückten sie dicht mit Rosen; denn ein Pilger hatte erzählt, nirgends gäbe es im heiligen Lande so viele Rosen, als im Thale St. Johann, wo der Täufer geboren ist. Wir alle gaben dem Zuge das Geleit, und meine Ordensgespielen gingen ganz mit, um die Aufsicht über die Kinder zu haben. Sie hatten einen Kessel und Hirse bei sich, um den Kindern einen Brei zu kochen. Als diese dem Wald nahten, sangen sie mit dem Johannisengel folgendes Lied in Fragen und Antworten. Zuerst zupften sie ihn an seinem Lammsfell und fragten, was für ein Rock dies sey und sangen dann von Zeit zu Zeit neue Fragen:
Kinder. – Sag Engel Johannes, welch Röcklein ist dies?Immel. – Dem himmlischen Kaiser sein goldnes Vlies.K. – Sag Engel Johannes, wo steht dann dein Haus?I. – Es steht in dem wilden Walde da draus.K. – Sag Engel Johannes, wovon ist's gebaut?I. – Von Eichen, von Buchen, von Gras und von Kraut.K. – Ist gut auch gedecket dein lustiges Haus?I. – All Frühling blüht neu drauf des Zimmermanns Straus.K. – Wo hast du, o Engel, dein Schlafkämmerlein?I. – Nicht weit von Frau Echo im Felsengestein.K. – Und wo ist dein Tischlein, dein Stuhl, deine Bank?I. – Das Alles das ist mir der Erdboden blank.K. – Sag, was für Gerichte bereitet dein Koch?I. – Wilden Honig, Heuschrecken die ganze liebe Woch'.K. – Johannes, o lad' uns zu Gaste heut ein!I. – Von Herzen, wenn ihr in der Faste wollt sein.K. – Und was wird besonders uns heut aufgetischt?I. – Was man so an Hecken und Sträuchern erwischt.K. – Sag, Engel Johannes, ist klar auch dein Wein?I. – Mond, Sonne und Sternlein die spiegeln sich drein.K. – Wer sind, o Johannes, deine Nachbarsleutlein?I. – Die Hirschlein, die Häslein, die Waldvögelein.K. – Johannes, was soll unser Gastgeschenk sein?I. – Wer mit ißt, empfängt ein Johannisgürtlein.K. – Geschürzt und gegürtet, da läuft man viel Stund;I. – Und wird nimmer müde und läuft sich nicht wund.K. – Sag Engel, was soll unser Abschied dann seyn?I. – Daß jedem ich reich das Johannishändlein.K. – Wohin zeigt dem Händlein sein Fingerlein fein?I. – Hin auf das Lamm Gottes, dem folget allein.K. – Sag Engel, zum Schlusse, giebt's auch einen Tanz?I. – Ums Feuer, ums Feuer mit Kranz und mit Glanz.K. – Beim Heimgang, wer wird ein Laternchen uns leihn?I. – Die Sternchen und tausend Johanniswürmlein.
Als sie so weit gesungen hatten, kamen sie zwischen viele Rosenhecken und Johannisbeerstauden und begannen lustig durcheinander zu schreien:
«Feuerrothe Röselein,Aus der Erde springt der Wein,Aus dem Blute dringt der Schein,Schwingt das rothe Fähnelein!»
Da fingen sie an die Beeren zu essen und den Johannisengel und seine rosige Mutter mit den Röselein zu bekränzen. – Hier verließ ich den Zug mit den drei Lilienfräulein, da wir an die Johanniskapelle zurückkamen, hatte Jakob von Guise so eben viele Wachskerzen gesegnet, er theilte sie uns und vielen Anwesenden aus und führte uns in Prozession, Gottessegen erflehend, um die Felder. In der Nähe der Stadt trennte ich mich von der Schaar und begab mich mit meinen Mägden in das Schloß. In meinem Gemache fand ich eine große Freude. Da trat mir mein liebes Herzgespann mit dem schönsten Johannisengel entgegen. Sie hatte ihr Kindlein, das liebste Röschen mit den schönsten Blumen umgeben und legte mir diesen lächelnden Johannisstrauß in die Arme. Ich dankte ihr von Herzen und lehnte das liebe Kind mit heißem Wunsche, Gott möge es segnen, an meine rechte Schulter. Ich betete still und gab es der Mutter wieder, die es aus den Blumen wickelte und auf mein Kissen legte. – Nun erzählte ich dem lieben Herzgespann die Heilung Klaretas und das Geheimniß der Kleinode, da lehnte sie ihr Haupt unter Thränen auf meine rechte Schulter und sprach mit großer Innigkeit: «Amey! wie wächst mir der Frieden im Herzen, sieh, ich habe immer geahndet, es müße etwas Heiliges an dir seyn, darum machte es mich auch so glücklich, als du mein Röschen zuerst in den Garten trugst, du hast es doch auf dem rechten Arme getragen?» – «Ja,» erwiederte ich: «aber fällt dir Nichts ein, was du einmal zu mir gesagt, da wir zusammen im Kloster erzogen worden? ich habe gleich daran gedacht, als Klareta mir heute das vergessene Geheimniß der Achselspangen wieder eröffnete.» – «O ich habe dich noch nie vor mir wandeln sehen,» erwiederte mein Herzgespann, «ohne daran zu denken; – es war, da ich zum erstenmal in der Prozession das Marienbildlein mit dir auf den Schultern trug; wir waren vier Jungfrauen, und ich wandelte hinter dir, immer mußte ich deine Schultern anschauen, immer erwartete ich, es sollten Engelsflügel daraus hervorsproßen, weißt du noch, wie ich dich zu Haus umarmte und dir so ernsthaft sagte, es sey nicht ohne Bedeutung gewesen, daß in der Stunde deiner Geburt gesungen ward: «uns ist ein Kindlein geboren, sein Reich ist auf seinen Schultern» und daß dein Vater dich mit der Grafschaft Vadutz beschenkte, indem er die Kleinodien auf die Schultern deiner Mutter heftete; – sieh, damals schon, als Niemand mehr etwas von der Bedeutung dieser Edelsteine wußte, ahndete ich eine wunderbare Macht in deinen Schultern, und wie oft hast du mich fragen müssen, warum ich in meinen Betrübnißen mein Haupt immer auf deine rechte Schulter lehne, da ich mich doch an deinem Herzen ausweinen könne? – aber ich lehnte mein Haupt wieder hin und sagte: «O Amey, ich weiß es nicht – aber wenn mein Herz schwer ist, lege ich meine Last auf deine Schulter, denn in ihr ist deine Macht; – sie kann mehr tragen als dein Herz! – sieh Amey, es war die Kraft jener Kleinode, die ich fühlte; und ich bitte dich, bedenke den Wunsch der Lilienfräulein, stifte ihnen ein Kloster Lilienthal, du hast durch sie deinen größten Schatz, der versunken war, wieder gehoben; – o thue mir auch diese Liebe noch zu dem Vielen, was ich dir verdanke.» – «Du mir?» sprach ich, «mir, welche in deinem Frieden, deiner Milde und Schonung immer allen Trost gefunden hat.» – «Amey,» erwiederte sie, «alle der Friede ist von dir, ist von Gottes Gnade, Gottes Kraft, welche in dem Edelsteine wohnet.» – Da umarmten wir uns und ich versprach ihr, wegen dem Kloster Lilienthal mit frommen Männern zu Rathe zu gehn, so etwas müße reichlich überlegt seyn, und es müße doch auch erst das Johannisfest vorüber und meine große Wäsche wieder in den Schränken seyn; in welchem beidem sie mir vollkommen Recht gab. – Kaum hatte sie mich mit ihrem Kindlein verlassen, so kam Jakob von Guise, den ich darum gebeten hatte, nach der Prozession zu mir. Ich erzählte diesem in geistlichen und weltlichen Dingen hochbewanderten Mann, der eine Chronik des Landes Hennegau bis zur Erschaffung der Welt hinauf zu schreiben begonnen, Alles, was ich diese Nacht durch Klareta von dem Ursprung und der Kraft der Achselbänder erfahren und wie die Heilung Klaretas diese Kraft bestätiget habe. Auch dankte ich ihm, daß er heute Morgen in der Kapelle den Segen der Kleinode erneuert, und fragte ihn, wie ich mich zu verhalten hätte, so die Kraft der Kleinode bekannt würde. – Jakob von Guise hörte Alles ruhig und ohne besonderes Staunen an, dann und wann lächelte er, freundlichen Beifall gebend, oder richtete die Augen gegen Himmel. Er sprach: «Alles dieses befremdet mich nicht, wir wollen Gottes Gnade darin bewundern und treu bewahren, wir wollen danken, daß keine Sünde darin ist und bitten, daß wir nicht versucht werden. Unser Zusammenhang mit dem ersten Menschenpaar ist uns so nah und gewiß, als Sünde, Tod und Erlösung; wie sollen wir groß staunen, die Spangen Rebeckas, den Stein Jakobs, den Ring Salomonis mit Vadutz und Hennegau in Berührung zu sehen, habe ich doch in meiner Chronik die nahe Verwandtschaft des Volkes Gottes mit dem Lande Hennegau augenscheinlich bewiesen. Fände aber solche Verwandschaft nicht überall statt, wie wäre dann die Geschichte jenes Volkes eine heilige Geschichte, und was ginge sie uns an. – Daß die Kraft der Kleinode bekannt werde, ist weder zu suchen, noch zu verhindern. Gott hatte sie verborgen, Gott hat sie wieder zu Tage gelegt, wir wollen einen heiligen Gebrauch davon machen, wie von uns selbst. Bei der Geburt des armen Kindes von Hennegau ward gesungen: «sein Reich ruht auf seinen Schultern,» wie soll es nun dieses Reich recht regieren, als nach dem Gesetze: «nimm dein Kreutz auf dich und folge mir nach!» Erwäge und befolge, was ich dir heute Morgen in des Täufers Kapelle gesagt, da ich dich und die Kleinode segnete, und du wirst sie würdig auf deinen Schultern tragen. – Nun will ich dir auch die alten Sagen vom Ursprung der Achselbänder Rebeckas mittheilen, welche der Mönch von Kloster Bänderen der Klareta mitgegeben und diese mir überreicht hat. Ich habe noch Einiges dazu geschrieben, was ich auf eine so merkwürdige Weise vernommen habe, daß es mir nicht ganz verwerflich schien. – Am Tage St. Servatii ging ich von des Täufers Kapelle tiefer in den Wald zu meiner Einsiedelei, um ruhiger die Schrift über die Kleinode zu lesen, die mir Klareta gegeben. Als ich still wandelnd hin und wieder am Wege einige Kräuter brach, begegnete mir mit flüchtigem Schritt ein sehr alter, fremdartig gekleideter Mann von jüdischem Aussehen. Da ich nun sehr gern mit solchen Leuten spreche, welche Vieles erlebt, das ich in meine Chronik gebrauchen kann, lud ich ihn nach freundlichem Gruße ein, ein wenig bei mir in der kleinen Einsiedelei zu ruhen, in deren Nähe wir angelangt waren. Als ich vom Ruhen sprach, zitterte er, blickte mich an, Thränen floßen von seinen Augen, sein Schritt ward noch eilender und er sprach, indem ich neben ihm her lief: «ich suche Ruhe, aber ich werde sie erst finden, wenn alle ruhen, ich bin Cartophilax, der ewige Jude, Ananias hat mich getauft, als Christ heiße ich Joseph, aber ich darf nicht ruhen bis ans Ende der Tage, und doch muß ich immer dahin streben, wo ich Ruhe finden könnte, und komme ich dem Orte nah, so verdoppelt sich meine Flucht.» Ich fragte ihn, ob er dann hier zu Lande Ruhe finden könne, weil er seine Schritte so beschleunige, da erwiederte er: «der Fels von Edelstein, an dem ich ruhen könnte, ist zersplittert über die ganze Erde; der Stein Sakrath, auf dem ich ruhen könnte wie Jakob, ist zersprungen in drei Theile, ich habe ihn gesucht in Bethel, im Tempel und in St. Eduards Stuhl in England und mußte überall fliehen; von England komme ich und könnte nun hier ruhen an der Schulterspange Rebeckas, welche allen Menschen Friede giebt, aber ich muß fliehen, denn ich habe dem, dessen Reich auf seinen Schultern war, keine Ruhe gegönnt.» Kaum hatte er die Schulterbänder der Rebecka erwähnt, als ich ihn beschwor, mir zu erzählen, was er davon wisse; und er theilte mir mancherlei davon mit, auch wie sie durch den hebräischen Märtyrer an Kaiser Curio gekommen und noch bei den Lehnsträgern von Vadutz seyen. Was er aber Alles aus indischer und morgenländischer Völker Geheimlehre davon erfahren, schrieb ich mit der Schrift des Mönchs ans Bänderen zusammen und werde dir es überreichen, daß du es deinen Tagebüchern beifügest. – Da mich dieser entsetzliche Mann nun zu großem Mitleid bewegte, sagte ich zu ihm: «Joseph komme mit mir, die Trägerinn der Achselbänder Rebeckas ist Milde, sie wird deinem Haupte gern vergönnen ein wenig zu ruhen;» er aber erwiederte mit erschreckendem Ernst: «ich werde nicht ruhen, als bis alle zerstreuten Edelsteine wieder gesammelt sind um den verworfenen Eckstein des Tempels, den auch ich von mir gestoßen!» Nach diesen Worten brach er in Wehklage aus und wollte durch die Büsche hinweg eilen, aber ich faßte ihn am Mantel mit den Worten: «erst sage mir von allem Mitgetheilten, was ist Wahrheit?» – Ihn aber durchzuckte diese Frage mit schrecklicher Erinnerung, er zitterte, blickte mich an und erwiederte: «Wie du fragest, so fragte Pilatus den, der gesprochen, ich bin in die Welt gekommen, der Wahrheit zum Zeugniß, wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme. – Weh mir! ich war nicht aus der Wahrheit, aber ich hörte doch ihre Stimme, sie sprach zu mir, der sie fortstieß auf den Leidensweg: «ich gehe, und du sollst gehen, bis ich komme» – das geschah nach der Frage, was ist die Wahrheit? und so irre ich der Wahrheit zum Zeugniß über die Erde bis zum Tage, da sie wiederkehrt.» – Nach diesen Worten riß er sich von mir los und floh so eilend durch die Büsche hinweg, daß ich ein Kreuz hinter ihm schlug. Möge ihn der Segen erreichen!» – Weiter sprach Jakob von Guise zu mir, ich möge keine Sorge wegen den Kleinodien haben, es könne sich ja gar leicht bald etwas mit mir ändern, ich soll nur streben, mich der Wirkung der linken Seite zu entziehen und der rechten hinzugeben, ich möge bedenken, daß mir gesagt sey, der Siegelring Salomonis werde einst mit diesen Spangen zusammen kommen, und dann komme Alles darauf an, das Rechte zu wünschen. Das Kloster Lilienthal solle ich aus Dankbarkeit gegen Gott den armen Fräulein stiften; eine stäte Fürbitte sey mir bei solchem Beruf sehr zu wünschen. – Ich versprach ihm, nach seinem Rathe zu thun, kniete nieder, empfieng seinen Segen und er verließ mich, nachdem er mir die Schrift über den Ursprung der Kleinodien überreicht hatte, die ich hier meinem Tagebuch beifüge.
Von den Lehnskleinodien von Vadutz
Ich Jakob von Guise habe folgende Sagen, Meinungen, Geheimniße und Ueberlieferungen von den Schulterspangen der Rebecka, dem Stein Jakobs bei Bethel, dem Siegelring Salomonis, dem Stein Sakrath u. s. w. für meine Landesherrinn, Gräfinn Amey von Hennegau, Lehnshuldinn von Vadutz, zusammengeschrieben aus einer Schrift, welche mir Klareta zur Lilien, ein Fräulein aus Vadutz mitgetheilt und aus dem, was mir Carthophylax, der da ist der ewige Jude, am St. Servatiustag im Walde erzählt. Als ich diesen Cartophylax gefragt: «was hievon ist Wahrheit?» antwortete er, «nur der sey die Wahrheit, den Pilatus gefragt, was ist Wahrheit?» Dasselbe erwiedere auch ich Jakob von Guise jedem, der mich fraget, was an diesen Erzählungen Wahrheit sey. – Wahr ist, daß ich sie vernommen habe als Reden der auf der Erde spielenden Menschenkinder seit Jahrtausenden. Ob sie dieselben für wahr gehalten, weiß ich eben so wenig, als ob sie wahr sind. Die Geschichte der Kinder Gottes sind diese Erzählungen nicht. Da aber die Kinder Gottes nach den Töchtern der Menschen gesehen hatten, wie sie schön waren, erzählten sie sich Menschenkindermährchen, die waren kristalisirt in Formen der Wahrheit und waren doch nicht die Wahrheit und rollten von Mund zu Mund im Strom der Rede zu uns nieder, bis sie rund und bunt waren gleich Kieselsteinlein, mit denen auch wir spielen. Einige dieser bunten Steinlein aber habe ich hier gesammelt zum Spiele für das arme Kind von Hennegau, meine gnädige Herrinn, auf deren Schultern die Lehnskleinode von Vadutz ruhen.Aus den sieben Schichten der jungfräulichen Erde ließ der Herr sich den edelsten Staub durch den Engel reichen und bildete den ersten Menschen daraus, und da er ihm eine lebendige Seele eingeblasen, ward der Rest jenes Staubes ein Fels der köstlichsten Edelsteine, worin alle Art und Kraft und alles Geheimniß jener zwölf Edelsteine vereinigt war, die in späteren Zeiten auf dem Brustschild und den Schulterspangen Aarons schimmerten. Dieser Fels ward mit Adam in das Paradies versetzet, und er wohnte bei ihm. Er war sein Altar und von ihm aus sprach der Herr mit ihm. Als unsere ersten Eltern nach der Sünde aus dem Paradiese auf die Erde gestoßen wurden, ward auch der Edelsteinfelsen hinabgeworfen, er zertrümmerte und ward in vielen Theilen über die Erde zerstreut. – Als die Menschen nun Kleider empfingen, sich zu bedecken, ward das Kleid Evas mit Spangen von Einhorn, worin Körnlein dieses Edelsteins, auf den Schultern geschürzt. – Wie nun jetzt im Herzen des Menschen Gutes und Böses, Rechtes und Linkes war, so war auch ein Wiederspruch in die Trümmer dieses Felsens gekommen. Alle Stücke der linken Seite wirkten irdisch und leiblich, alle Trümmer der rechten Seite aber himmlisch und geistlich. – Wo die Menschen Altäre bauten, fügten sie Bruchstücke dieses Felsens hinein. Abels Altar enthielt Trümmer der rechten, Kains der linken Seite. – Die Töchter der Menschen suchten funkelnde Körnlein der linken Seite des Felsens, die schöner schimmerten, und schmückten ihre Schultern damit, wodurch sie bösen Zauber übten. – Ein großes Bruchstück des Felsens, das auf die Erde fiel, hieß Sakrath und war das Fundament des wunderbaren Berges Kaf, der die ganze Erde umfaßt. Wer ein kleines Körnlein dieses Steines Sakrath besitzt, kann große Wunder thun. Als Noah in die Arche ging, trug sein Weib die Achselspangen Evas auf den Schultern. – Nach der Sündfluth waren die Trümmer jenes Felsens noch weiter zerstreut, und der Fundamentstein des Berges Kaf, der Stein Sakrath, war herausgewälzt und lag im Lande Kanaan. – Abraham wußte, daß die linke Schulterspange Evas in Labans Familie in Mesopotamien war. Er selbst besaß nur die rechte Spange und er sendete seinen Knecht Elieser dahin, die Besitzerinn dieses Kleinods für Isack zum Weibe zu hohlen. Als nun dieser dort zum Brunnen kam und Rebecka den Krug von der Schulter nahm, um ihm zu trinken zu geben, sah er, daß sie die Spange auf der Schulter trug und erkannte daraus, daß sie die Frau Isacks werden solle; denn die Trümmer des Edelsteinfelsens waren heilige Zeichen, wo sie sich fanden, und die Altväter suchten sie überall auf und brachten sie zusammen, wie sie nur konnten, weil sie eine Prophezeihung hatten, wenn der ganze, bei Adams Fall zertrümmerte und über die Erde zerstreute Edelsteinfelsen wieder beisammen sey, werde ein Tempel daraus gebaut werden und in diesem sich die Verheißung erfüllen. – Unter den Geschmeiden und Armbändern, welche der Knecht Abrahams der Rebecka als Brautgeschenk am Brunnen anlegte, war auch das rechte Achselband, und da nun die beiden Edelsteine auf ihren Schultern ruhten, war eine große Anmuth, ein schönes Ebenmaas leiblicher und geistlicher, zeitlicher und ewiger Kraft in ihr. – Als später Rebecka dem Jakob den Segen Isacks vor Esau verschaffen wollte, befestigte sie ihm das Kleid von rauhen Fellen mit diesen Spangen auf die Schultern und da der Erstgeborne diese Kleinode tragen sollte, hielt ihn der blinde Isack für Esau. – Esau faßte Haß gegen Jakob und raubte ihm die linke Spange, sein Haß ward durch leibliches, irdisches Gedeihen viel ungestümer und gewaltiger. – Als Jakob nach Mesopotamien zog, um sich bei Laban, dem Bruder seiner Mutter, vor der Verfolgung Esaus zu retten, kam er an die Stelle Lus in Kanaan, wo der Stein Sakrath lag, und da er sein Haupt darauf legte und schlief, sah er eine Leiter von der Erde bis zum Himmel; die Engel stiegen auf ihr auf und nieder, und von oben gab ihm Gott die Verheißung; da richtete er den Stein Sakrath auf und salbte ihn mit Oel zu einem Altar, und er nannte den Ort Bethel. – Als Jakob mit Weib und Kind aus Mesopotamien zurückkehrte und sich mit Esau zu Mahanaim versöhnte, gab ihm dieser die linke Achselspange zurück, und Jakob wandelte wieder ruhig zwischen beiden. – Von Jakob kamen nun diese Kleinode von Geschlecht zu Geschlecht bis zu dem hebräischen Mann, der sie nach der Zerstörung Jerusalems nach Rom brachte und vor seinem Martertode dem guten Kaiser Curio schenkte, von dem sie auf die Lehnshulden von Vadutz gekommen sind. – Der Stein Sakrath, auf welchem Jakob die Himmelsleiter gesehen, hieß fortan Bethel und war lange Zeit ein Ort der Anbetung, und es geschah viel Gnade dort. – Ueberall, wo man Bruchstücke des zertrümmerten Edelsteinfelsens aus dem Paradiese fand, richteten die Menschen sie auf, salbten sie zu Altären, und nannten sie Bethel, und viele, welche nur Bruchstücke von der linken Seite des Felsens fanden und denen die Kenntniß der rechten nicht von Vater auf Sohn überliefert war, trieben Abgötterei bei denselben. – Der weise König Salomo hatte einen Ring aus einem Edelsteine dieses Felsen, mit dessen Drehen am Finger er alle seine Wünsche erfüllen konnte; es ist auch eine alte Sage, dieser Ring und die Achselspangen Rebeckas würden einst in den Händen eines Dieners des Messias zusammen kommen. – Als der Tempel vollendet war, wollte Salomon den Stein Sakrath in dessen Mitte legen; aber seine Hände waren nicht mehr rein von Sünde und Abgötterei, und da er den Stein Sakrath berührte, zerbrach dieser in drei Stücke. Das eine Stück kam in den Tempel, wo es noch ruhet, das andre blieb zu Bethel, das dritte aber schenkte Salomo dem König Hiram von Tyrus, der ihm den Tempel zu bauen geholfen. Das Stück, welches zu Bethel geblieben, ward nach Salomos Tod, da sich das Reich gespalten, von dem König Jerobeam von Israel durch Götzendienst entweiht, er ließ das Volk das goldne Kalb dort anbeten. Das dritte Stück, welches mit Hiram nach Phönizien gekommen, wurde von den Phöniziern, die eine Kolonie im Lande Galäzien in Hispanien hatten, wohin sie vielen Handel trieben, dorthin in eine Stadt Brigantium gebracht und dort von ihren kunstreichen Meistern in den Thronstuhl des schottischen Königes Gothol angebracht, der hier darauf sitzend regierte. Nachher ward dieser Stein Jakobs ungefähr 700 Jahre vor Christi Geburt durch den König Simon Breach nach Irland übertragen und später 330 Jahre vor Christi Geburt durch den König Fergus nach Schottland. Endlich im Jahre Christi 650 ließ der Schottenkönig Kenneth den heiligen Stein in die Abtei zu Scone in der Herrschaft Perth bringen und in den Sitz eines künstlich gemalten Krönungsstuhls von hartem Holz einschließen. In unsern Tagen aber vor 21 Jahren im Jahre 1296, als Eduard I., König von England den Schottenkönig Johannes Baillot besiegte, hat er den Stuhl nach London in St. Eduards Kapelle in der Westmünster-Abtei gewidmet, wo er als Krönungsstuhl der englischen Könige bewahrt wird, und sind diesem Stuhle Pfleger bestellt, welches Amt bei den Grafen Gothol aus dem Geschlecht der alten Schottenkönige ist. – Hier endet, was ich von den Kleinoden von Vadutz durch die Chronik von Bänderen und den Carthophilax erfahren.
Abend des Johannistag
Ich zog mit den Ordensgespielen hinaus zur Bleiche, jede führte eine Schaar Kinder, welche alle Reiser- oder Schilfbündlein trugen, jeder Schaar ward ein Blumenkranz vorgetragen. – Während ich bei den drei Fräulein in meinem Zelte war, das sie mir ganz mit Blumenkränzen bedeckt hatten, legten meine Gespielen die Reiser- und Schilfbündel zu den Johannisfeuern zusammen. Das erste, mir zu Ehren, ordneten sie vor Johannis Kapelle, welche am höchsten liegt. Jede der acht Schaaren opferte ihre besten Reiser dazu, und Klareta hatte den schönen Blumenkranz geflochten, der darüber zwischen zwei Birkenstämmchen aufgehängt ward. Dann baute jede Schaar der Anhöhe entlang ihren Schilfhaufen auf und hängte ihren Blumenkranz darüber, so daß am Waldrand um die Bleiche her neun Haufen errichtet waren. – Alle Jungfrauen und Jünglinge der Stadt zogen in ihrem schönsten Putze in Chören singend heran. – Aus dem Walde kam nun auch die Kinderschaar mit dem Johannisengel singend zur Kapelle gezogen; die Sonne sank, noch brannte kein Licht, außer die Lampe in der Kapelle. Der Johannisengel ward wieder wie am Morgen in den Blumenkranz mit seinem Lamm gesetzt, und seine rosigte Mutter Elisabeth kniete hinter ihm. Es sah gar lieblich aus, Alles war still und dunkel umher, nur Immel und seine Mutter schimmerten, denn beiden hatte man so viele leuchtende Johanniswürmchen in ihre Blumenkronen befestigt, als man nur finden konnte. – Jakob von Guise sprach noch eine kleine Ermahnung über das heutige Fest und den Gebrauch dieser Feuer. – Er sprach: «bei diesen Feuern sollet ihr gedenken, daß Johannes nicht das Licht war, das in die Finsterniß leuchtete, sondern daß er Zeugniß davon gab, damit alle Menschen an das Licht glaubten; – ihr sollet denken bei diesen Feuern, daß Johannes gesprochen: «ich taufe euch mit Wasser zur Buße, der aber nach mir kömmt, wird euch mit dem heiligen Geiste und mit Feuer taufen!» und wenn ihr durch das Feuer springet sollet ihr gedenken, daß wir alle durch das Feuer der Läuterung gehen müssen; – wohlan so erwäget die Worte der ewigen Wahrheit: «Johannes war eine brennende Leuchte, ihr aber wollet eine kleine Weile in seinem Lichte fröhlich seyn!» – Nach diesen Worten segnete Jakob von Guise eine Kerze, zündete sie an der Lampe an und überreichte sie der Mutter des Johannisengels; diese gab sie dem Knaben hin und führte ihn zu den Reisern, die er mit der Fackel entzündete. Hoch auf prasselte die Gluth, wir ringten und reihten umher und sangen:
«Feuerrothe Röselein,Aus der Erde springt der Wein,Aus dem Blute dringt der Schein,Roth schwang ich mein Fähnelein!»
O! die schimmernden fröhlichen Kinder und Jungfrauen in ihrem Schmuck und der Blumenkranz über ihnen von der Flamme unter dem Sternhimmel beleuchtet! – Die rosigte Mutter mußte den Johannisengel fest auf den Arm nehmen, er zappelte mit Händen und Füßen und wollte mit aller Gewalt durch das Feuer springen. Wer kann sagen, wie hinreißend ihr blühendes Antlitz neben dem freudigen Engelskopf Immels im Lichte des Feuers glühte, es war als ringe eine Rose mit einem Schmetterling, der sie fortreißen will in die Gluth. – Da eilte sie fort mit ihm zu dem zweiten Feuer, daß er es entzünde, dann zum dritten und bis zum neunten, wo schon sein Wägelein harrte, in dem man ihn müde und entschlummernd in die Stadt zurückführte. – Wie aber erging es mir? – Von allen vier Winden her lockten die Schallmeien der Hirten und der Gesang: «Feuerrothe Röselein,» wo ich hinblickte, loderte ein Feuer auf, überall war ich hingerissen; es war, als sey ich ein ausgerüstetes Schiff mit allen Segeln dem Winde Preis gegeben, alle ernsten Erfahrungen der letzten Tage lagen zwar, wie ein schwerer Ballast in mir, und wie kräftige Anker waren sie ausgeworfen nach allen Seiten, – aber die Taue waren zu schwach oder zu kurz, sie reichten nicht zum festen Ankergrund; die Töne und Chöre hoben und wiegten mich mit stets höher schwellenden Wogen, die rings um bis zum fernsten Hintergrund sich mehrenden Feuer, von hüpfenden Schatten umkreist, lockten mich, alle Winde füllten meine Segel und rissen mich dem schimmernden Ziele entgegen. – Ja ich armes Kind von Hennegau war gleich einem Schmetterling, dem das Feuer als ein offnes Thor, zu dem Garten aller leuchtenden Lust aus der traurigen Nacht führend, erscheint, und der sich hineinstürzt; – öffentlich schäme ich mich darüber und ganz heimlich freue ich mich, daß es alle gesehen haben, wie mich die allgemeine Freude überwältigte, wie der Sturm einen Vogel fortreißt. «Feuerrothe Röselein» lockten alle Chöre und antwortete meine Seele. – Mir blieb die Zeit nicht zu fragen: «was sagt das fromme Hühnlein dazu, oder was macht das Büblein?» – Auf die Frage aber, was that das arme Kind von Hennegau? antworte ich: «es kreuzte die Hände ehrerbietig auf die Schulterbänder, als bitte es um deren Schutz,» es rief. «feuerrothe Röselein!» und sprang freudig die Erste durch das Feuer, und riß wie üblich im Sprunge eins der Röslein ab, welche an rothen Wollfäden von dem großen grünen Kranze über jedem der Feuer niederhiengen; – drüben flog ich einer Jungfrau in die Arme, ich wußte nicht welcher, so schnell riß ich mich los und sprang durch das zweite Feuer, und wieder fingen mich schützende Arme auf, und wieder entriß ich mich ihnen und sprang über das dritte, vierte, fünfte, sechste, siebente und achte Feuer, und an jedem riß ich ein Röslein vom Kranze, und alle andern sprangen mir nach. – Hier aber ruhte ich wieder an einem sorgenden Herzen. Es war Klareta, die mir immer vorgeeilt war und mich aufgefangen hatte. Jetzt aber ließ sie mich nicht so schnell entwischen. Sie trocknete mir den Schweiß von der Stirne, hüllte mich in ihren Mantel und sprach: «Amey, komme zu Athem, welcher Eifer ergriff dich? o lasse es gut seyn – sich dort ist das neunte Feuer! und alle deine Jungfrauen sind zurückgekehrt; denn es ist ein allgemein bekannter Aberglaube unter dem Volke, ein Mägdlein, das über neun Johannisfeuer springe, werde in diesem Jahre noch heurathen.» – Ich dankte Klareta herzlich, daß sie mich zurückgehalten, denn sonst wäre ich schon über diesem neunten Feuer drüben gewesen, und was hätten dann die Leute von mir gedacht? denn keine Jungfrau, welche über die acht frühern Feuer gesprungen, sprang über dieses, um nicht der lärmenden Neckerei ausgesetzt zu seyn. Mich verdroß der Aberglaube, ich war so schön im Zuge, ich wäre gern nochmals gesprungen; ich sprach zu Klareta: «komm führe mich in mein Bleichzelt, sonst stehe ich dir für Nichts gut, denn mir ist, als stecke mir noch ein Sprung in den Füßen.» Wir mußten aber, um dem neunten Feuer auszuweichen, das am Ende eines Hohlwegs brannte, eine Strecke zurückgehen; sieh, da kam uns Gluth und Jauchzen entgegen; in schnellem Lauf trieben die jüngern Bursche ein mit Stroh und Reisern umwickeltes, großes, brennendes Rad in den Hohlweg auf das Feuer los; vor dem Rade her floh eine Schaar von muthwilligen Mägdlein, welche sie neckend gegen das neunte Feuer hintreiben wollten. Es war kein Ausweg für mich zwischen dem Rad und dem Feuer; Klareta warf sich in einen Busch, mich trieb die Schaar der Mägdlein vor sich her. Ich war früher am Ziel und im schnellen Sprunge über die Flamme hinaus, und hatte nun auch das neunte Röslein erobert und in meinem geschürzten Vortuche bewahrt. – Man erkannte mich nicht in Klaretas Mantel. – Ich eilte aus dem Getümmel und traf bald mit meinen Gespielen zusammen, welche singend mit ihren Kinderschaaren zur Stadt zurückzogen und mich an meinem Schlafzelt auf der Bleiche verließen. – Die Schwestern Klaretas, welche auf der Bleiche wachend zurückgeblieben waren, boten mir vor meinem Zelt gute Nacht, küßten mir die Hände und verließen mich. – In dem Zelt fand ich Klareta. Sie saß dicht neben dem Eingang an der Erde. Ich sah sie, wendete mich aber nicht zu ihr; von Thau benetzt, legte ich Klaretas Mantel ab und andere Schuhe an und stand einige Augenblicke stumm vor dem kleinen Tisch, auf welchem meine Leuchte vor einem schönen Johannisblumentopf brannte und eine Schüssel mit Brod und Früchten aufgetragen war. Klareta hatte für Alles gesorgt. Wie ich so stand, umfaßte sie meine Füße und sagte: «Gott sey Dank, daß du da bist ohne Unfall!» nun nahm sie die neun Röslein aus meiner Schürze und legte sie auf einen Teller; «sie sind gesegnet,» sprach sie, «die Mägdlein und Frauen tragen sie an den rothen Wollfäden am Halse, das deutet auf das Blut Johannis bei seiner Enthauptung. Sie tragen sie in frommer Hoffnung, Gott möge sie durch die Fürbitte des heiligen Täufers vor dem Veitstanz und allen Nervenübeln bewahren.» – Ich schenkte die neun Röslein der Klareta, weil ich, Gott sey Dank, nie eine Spur solcher Krankheiten gehabt; sie dankte herzlich. – Ich war gar einsilbig, ich war ermüdet und trotz meiner heftigen Theilnahme an der Johannislust innerlich schwer und traurig. Noch immer bewegte mein Herz der Festjubel durch Musik, Gesang, Jauchzen und Feuer, die in mein Zelt hereinklangen und schimmerten, und doch trauerte ich und konnte nicht deutlich sagen um was. – Es ist ein Hang nach Unabhängigkeit in mir, der mich verschließt, wenn er gefesselt ist. – Es war so viel Außerordentliches über mich gekommen, daß ich alle Aeußerung unterdrückte aus Furcht, irgend eine Gewalt über meine Seele zu zugestehen. – «Soll ich das Nachtgebet mit dir beten?» fragte Klareta. – «Ich will allein beten,» antwortete ich und stand auf; da verließ sie das Zelt. Ich betete vor meinem Lager knieend und sie draus unter dem Sternhimmel. – Als sie durch meine Bewegung vernahm, daß ich geendet, fragte sie um die Erlaubniß, zu mir zu kommen. Ich gestattete es. Sie brachte ein Gefäß mit lauwarmem Wasser und setzte es zu meinen Füßen vor mein Lager, auf dem ich saß. Stillschweigend ließ ich mir die Haare von ihr flechten, ich war in einem dumpfen Hinbrüten, das nur dann und wann das ferne Singen: «feuerrothe Röselein» unterbrach. Klareta wusch mir die Füße, ich bedurfte es, sie hatte es gefühlt, ich nicht begehrt. Als sie aber ihre langen Haare auflößte, um mir die Füße damit zu trocknen, weigerte ich mich des Dienstes; sie aber flehte: «o lasse es geschehen, diese Haare haben mir bis jetzt nur zur Eitelkeit gedient, o lasse mich einen Dienst der dankbaren Liebe mit ihnen verrichten, damit sie doch ein Verdienst haben, wenn sie mir nun bald abgeschnitten werden!» – ich fügte mich ihrem Willen, aber ich war doch hart gegen sie, indem ich ihre Hoffnung zum Kloster gar nicht zu kennen schien und zu ihr sprach: «du wirst doch deine schönen Haare nicht abschneiden lassen?» – das that ihr weh, ich fühlte ihre Thränen auf meine Füße rinnen. Da sprach ich: «ich muß mir selbst helfen, sonst erneust du das Fußbad;» da faßte ich ihre Haare und trocknete meine Füße. – Ich weiß nicht welches Gefühl mich erschütterte, als ich ihre Haare faßte. Ich hatte sie unaussprechlich lieb – das heißt, ich hätte diese Neigung getödtet, wenn ich sie ausgesprochen. – «Gieße das Wasser hinaus,» sprach ich, «damit die Gräslein und die Gänseblümchen auch etwas von dem Feste haben, es war so heiß heute, sie sänftigen ja alle unsre Schritte mit solcher Liebe, wir nehmen es an, als verdienten wir es, und treten sie mit Füßen, als verdienten sie das; so muß man nicht seyn.» – Da ich nun hörte, daß sie das Wasser ausgoß, sprach ich vernehmlich: «ach, wie das erquicket! Klareta gieb mir auch zu trinken.» – Sie reichte mir ein Glas frisches Wasser und hielt mir es erst durch eine Oeffnung des Zeltes gegen den Sternhimmel, damit ich seine Klarheit sehe. – «Das ist klar wie Klareta,» sagte ich und trank und gab ihr den Rest und hatte das Gefühl, gar liebreich gewesen zu seyn, schämte mich auch gar nicht, sondern lächelte, wie sehr ich die Tugend gegen die Gänseblümchen empfahl, die ich gegen Klareta vernachläßigte. Ich streckte mich dann zum Schlafen aus, und da Klareta sich schweigend zu meinen Füßen legte, merkte ich es wohl, that aber nicht dergleichen. Ich träumte denselben Traum wie gestern, nur durch die vielen Eindrücke des Abends und mein Wissen von der Bedeutung der Kleinodien noch lebhafter und banger. Auch Klareta träumte Dasselbe zugleich und weckte mich abermals mit ängstlicher Theilnahme. Wie gestern erzählte sie mir weit mehr aus meinem Traume, als ich ihr mitgetheilt hatte. Zum Beispiel sagte sie mir heute: «die Löwen wollten dich hinausführen auf die Heide, auf das Moos, da solltest du die Kibitze hüten, aber des Hahnen Schrei hat die Löwen verscheucht, und Verena ist mit dem frommen Hühnlein gekommen; denn nicht die Kibitzen sollst du hüten in der Wüste, nein, einen ganzen Hof schöner bunter Hühnchen, – nein, viele liebe, lustige, reine Lämmer, nein, viele fromme, freudige Kinder – und Friede wird wohnen auf deinen Schultern, und Salomonis Ring wird dir erfüllen alle deine Wünsche; aber stifte uns ein Kloster Lilienthal, daß wir für dich beten, denn es ist Gefahr auf deinen Wegen.» – Bei diesen Worten umfaßte sie wieder meine Füße und schien sehr bewegt; ich aber sagte zu ihr: «Klareta, sey nicht so ungestüm, das macht mich ganz krank; durch neun Feuer bin ich gesprungen, und doch bin ich viel kälter als du, die mich nach acht Feuern in den Armen auffing. Es ist in diesen Tagen so Vieles über mich gekommen, auch ist mir so traurig und schwer, als solle ich bald von Allem scheiden, was mir lieb und theuer ist. Als ich so durch die neun Feuer springen mußte, war es mir, als sollte ich Alles in mir verbrennen, was mich noch feßle. – Ich habe den Orden der freudig frommen Kinder gestiftet; daß ich fromm sey, gebe Gott! aber freudig bin ich nicht mehr; o Klareta! ich will ja das Kloster Lilienthal stiften, aber du siehst doch wohl selbst ein, daß das tägliche Thun auch sein Recht hat und ein reiner Boden nöthig ist, um eine wichtige Sache würdig zu beginnen. So wirst du dann auch wohl fühlen, daß ich nothwendig erst meine große Wäsche wieder von der Bleiche in den Schränken haben muß, ehe ich an so etwas mit Ruhe denken kann; hilf mir schön morgen früh, wenn wir fertig, wollen wir sehen, wie es mit dem Kloster wird. Gute Nacht, jetzt bin ich müde!» – Da ging Klareta gegen die Thüre des Zeltes, aber sie kehrte nochmals um, und sagte: «o meine Herrinn! senke doch einschlafend dein Haupt zur rechten Seite, auf daß dir das Kleinod Friede gebe!» – ich nickte und sie schied. ich wollte thun, wie sie gebeten, aber entschlummernd that ich das Gegentheil und erwachte unter Thränen.
St. Eligiustag nach des Täufers Tag
Heute früh weckten mich meine Gespielen mit liebem Gesang; als ich zum Zelt heraustrat, hing alles mein Geräthe schon auf den Leinen und wehte der aufgehenden Sonne entgegen. – Klareta und die Schwestern hatten nicht geschlafen und Alles so geordnet. Um acht Uhr war Alles in Körben in das Schloß gefahren, und nun strichen, plätteten und falteten wir alle emsig darauf los. Wir waren sechs und dreißig Mägdlein in drei Hallen arbeitend. Es war eine rechte Freude, Alles war schneeweiß und lind. St. Johannis Thau hatte mit vollem Segen gewirkt. Ich habe noch nie eine so gesegnete Wäsche gehabt. Noch vor Abend war Alles aufgeschrieben und in den Schränken. – Nachdem wir ein kleines Mahl eingenommen, führte ich Alle in den Grafensaal, wo Jakob von Guise und mein Kanzler mit der Stiftungsurkunde von Kloster Lilienthal im Ländchen Vadutz, die ich ihnen zu verfassen befohlen hatte, unsrer warteten. Ich begab mich mit den Ordensgespielen in meine Kleiderkammer und legte meinen Grafenmantel an und setzte die Krone auf; dann trat ich von meinen Gespielen begleitet in den Saal und setzte mich auf den Grafenstuhl. Die drei Fräulein zur Lilien knieten vor mir auf dem Teppich. Der Kanzler verlas die Urkunde, in welcher ich den drei Schwestern zur Lilien Felder, Wiesen und Gärten und mancherlei Zehnten anwies, um eine kleine Klostergemeinde zu erhalten; zugleich befahl ich meinem Kanzler, in Vadutz den drei Fräulein ein Kloster mit Kirchlein und Garten und allem nöthigen Zubau in die Nähe der Hütte Jürgos aus meinen Mitteln zu errichten. Dem Kloster legte ich die Pflicht auf, auf meinem Grabe drei weiße Lilien zu erhalten und den Braut- und Leichenzügen jeder meiner weiblichen Nachkommen, welche die Lehnskleinode von Vadutz trage, drei Schwestern des Klosters mit weißen Lilien folgen zu lassen. Die Ordensregel überließ ich ihnen und Jakob von Guise, und stellte sie unter das Kloster Bänderen. Ich empfahl ihnen zur Aufnahme in ihre Regel Gebet und Arbeit, namentlich Erziehung verlassener Mägdlein, weil sie selbst Solche waren, und Erbarmen gegen die nachgelassenen Töchter der Kreuzfahrer. Ihr Hauptgeschäft sollten sie die Weberei zum Kirchenschmuck bei Klareta sein lassen. Auch bestellte ich eine große Tapete, die Geschichte des Kaisers Curio vorstellend und versprach ihr reichlichen Lohn in das Kloster. Nachdem der Kanzler Alles dieses gelesen hatte, reichte er mir die Urkunde, ich siegelte sie mit dem Kleinod der rechten Achselspange und überreichte sie Klareta, die sie küßte und eben so ihre beiden Schwestern; dann nahten sie mir, berührten meine rechte Schulter mit der Stirne, ich umarmte sie und verließ den Saal.
St. Johannis und Pauli, der Wetterherren Tag
Ich gieng vor Tag mit einer vertrauten Kammerfrau zu des Täufers Kapelle, von den drei Fräulein Abschied zu nehmen. Ich hatte ihnen einige Roße und Knappen dahin bestellt. Jakob von Guise wollte sie geleiten, um ihnen in Vadutz Alles einzurichten. Sie sollten in den Frauenklöstern seines Ordens unterwegs einkehren. Nachdem er den Gottesdienst gehalten, gab er uns den Segen. – Man führte die Roße voraus, ich geleitete sie eine Strecke in den Wald. Klareta folgte still in einiger Entfernung, ich redete mit Jakob von Guise. Als die Stelle da war, wo die Roße ihrer harrten, und ich bereits allen die Hände geboten hatte, wendete ich mich auf dem Punkte zu scheiden, zu Klareta und fragte: «wo warst du dann geblieben?» – Sie sprach: «ich überdachte Alles, was wir in diesen Tagen erlebt und was du erfahren und betete in deine Fußstapfen, gedenke des Traumes!» dann warfen sich die drei Schwestern auf die Kniee, dankten und reisten von dannen. Ich eilte aber nach Haus, denn bei den Worten Klaretas: «gedenke des Traumes,» fiel mir ein, daß ich die verflossene Nacht viel von der amaranthseidenen Decke von Hennegau geträumt hatte, welche zu dem Brautschatz meiner Mutter gehörte und auch über ihr Paradebett gebreitet gewesen ist. Was ich von dieser Decke geträumt, wußte ich nicht mehr, aber die Mahnung Verenas bei ihrem Abschied, ich solle besonders auf die Decke achten, und die Stimme des frommen Hühnleins bei dieser Mahnung fielen mir gar sorglich auf das Herz. – Ich war in Sorgen um die Decke, ich erinnerte mich nicht, die Decke gestern Abends bei dem Einräumen des Geräthes an der gewöhnlichen Stelle im Schranke gesehen zu haben. Ich war gestern so gestört durch die vielen Erfahrungen. Ich eilte schnell nach Haus und war so voll Sorge um die Decke, daß ich die mich begleitende Kammerfrau nicht zu fragen wagte, ob sie die Decke gesehen. – Im Schloße durchsuchte ich alle Schränke und Behälter – die Decke fand sich nicht. – Das machte mich ungemein traurig. Diese Decke war mir immer das rührendste unter all meinem Besitze gewesen; ich hatte die bleiche erhabene Gestalt meiner Mutter zum letztenmale auf ihr erblickt. Sie war eine Art Schatz in der Familie, es hingen allerlei Weissagungen mit ihr zusammen, die mir nie ganz eröffnet wurden. Die Mutter hat mir sie oft gezeigt, ja sie hat sie auch ausgebreitet und nur mir darauf knieend mich beten gelehrt. Sie pflegte dann zu sagen: «O herzliebe Amey, du stickest mir so viele Tapeten und nähest allerlei Bildwerk zu meiner Freude, hilf mir diese Decke mit Gebet zu verzieren; wir wollen sie schmücken mit Blumen der Andacht, daß sie blühet wie ein Blumenbeet, und darin will ich ruhen im Tode, und auch du sollst auf dieser Decke sterben. O hüte die Decke, lasse sie nicht entkommen!» – Alles das fiel mir peinigend ein und ich suchte von neuem vergebens. – Als ich nun endlich meine Kammerfrauen nach der Decke fragte, sagten sie, allerdings sey die Decke mit auf die Bleiche gekommen, um durch den Johannisthau vor Mottenfraß geschützt zu werden, sie hätten sie aber bei dem Rückzug in die Stadt nicht mehr gesehen und seyen der Meinung gewesen, daß sie in mein Schlafzelt gebracht worden. – Ich schwieg, um sie durch den Verlust nicht zu schrecken. Ich suchte einsam nochmals in allen Winkeln des Schloßes und wurde von Minute zu Minute trauriger und sehnsüchtiger nach der Decke. – Ich suchte sogar, wo sie kaum Raum hatte zu ruhen. – Ich öffnete eine kleine Lade meiner Mutter, welche ich seit meiner Kindheit nicht geöffnet, denn sie beschämte mich, und auch jetzt befiel mich eine große Angst und geschah mir etwas sehr seltsames. – Ich will hier niederschreiben, was mir als Kind mit dieser Lade geschah. – Meine Mutter bewahrte mancherlei Putz darin, unter anderm lag ihr Brautkränzchen von feinen, feinen amaranthfarbenen Seidenröschen und Perlen geflochten, und ein Besatz des Brautkleides darin, der für mich etwas ganz hinreißendes hatte; um Bauschen von weißem, feinstem Spitzengewebe schlangen sich abwechselnde Gewinde von unaussprechlich feinen, zierlichen kleinen Blümchen, aus bunter Seide um Silberdrath gewickelt; hie und da blitzte ein Sternchen, oder saß ein kleines Vögelchen bei einem Nestchen, worin drei Perlen die Eier vorstellten. Seit ich Das zum ersten Male gesehen, konnte ich es nie wieder vergessen. Dieser Schmuck webte sich in meiner Kindheit Tags und Nachts in meine Gedanken, ich nannte ihn den Himmelsgarten. Manches Marienkäferchen ließ ich durch das Schlüsselloch in die Lade laufen und dachte, wie wunderglücklich es dadrinnen in dem Himmelsgarten herumirren werde, ja ich selbst wünschte nichts sehnlicher, als mit ihm hineinschlüpfen zu können, und oft wandelte ich im Traume in diesen Labyrinthen von zierlichen, kleinen Blumen umher und erlebte dort die artigsten Geschichten. Als ich mich einmal ungemein nach dem Anblick dieses Paradieses sehnte, schlich ich um die Lade und berührte den Deckel – und sieh da, er war offen und ich öffnete. Die Wunderdinge lagen vor mir, ich unterlag der Versuchung, ich nahm einen Theil des Blumenwerks, es war das Bruststück. Mein Herz pochte, meine bebende Hand irrte weiter suchend zwischen den sich deckenden Lagen des Besatzes umher, und mich faßte ein großer Schreck, ich fühlte, als begegne mir eine andere Hand und schiebe mir einen Ring an den Finger; wie der Blitz zuckte ich mit der Hand zurück, schlug den Deckel zu und eilte mit dem Bruststück in meine Kammer und versteckte es in meinem Bette. – Ich konnte nicht erwarten, bis ich zu Bette gieng, ich heftete mir den kleinen Himmelsgarten im Dunkeln mit Nadeln auf mein Nachtjäckchen. – Ach, wohl mit Nadeln, sie stachen mich in der Nacht, ich konnte nicht ruhen, mein Gewissen stach mich, – ich hatte zum ersten Male etwas entwendet, und doch hatte ich diese Tändeleien so lieb, so lieb, mein Herz pochte so laut und bang, daß ich es hörte. Ich wagte diesen Schmuck nicht zu berühren, ich zitterte immer, jene Hand möge mir entgegen kommen mit dem Ringe. Ich entschlief unter Thränen und träumte immer von dem Himmelsgarten, wie ich darin herumirren und endlich, daß jene Hand wirklich in der meinen ruhe; da stachen mich wieder die Nadeln und ich erwachte. Der Tag schimmerte in die Kammer, die ersten Strahlen streiften über mein Bettchen durch die kleinen Blümchen des geraubten Paradieses zu meinen Augen; ich schaute bang durch die kleinen Blumen gerade vor mich hin, ich wagte nicht links, nicht rechts zu blicken; ich fühlte Etwas schwer auf meinem Herzen, ich war so bang wegen der Hand mit dem Ringe; endlich schob ich meine Hand nach der Stelle, wo mich eine Nadel stach, um diese heraus zu ziehen; – aber welch ein Schrecken! wirklich faßte eine Hand die meinige fest und eine Stimme sprach: «halt den Dieb!» – Mit welcher Angst versteckte ich mich unter die Decke, aber ich war bald losgewickelt und sah zu meinem Troste Verena vor mir. Ein sorglicher Traum hatte sie zu mir geführt. Sie fand mich in fieberhafter Aufregung, sie legte mir die Hand aufs Herz, da begegnete sie meiner Hand und ergriff sie. Sie kannte meine Begierde zu diesem Putze, den ich entwendet, und nahm mir das Paradies wie einen Stein vom Herzen, um es wieder zu verschließen. Ich weinte bitterlich an ihrem Halse um mein Unrecht. – «Kind», sprach sie, «du hast ein Stückchen Paradies verloren, das mußt du beichten, o sage es selbst der Mutter, sie wird dir gern verzeihen. – Kind, das fromme Hühnlein weiß Alles;» – da legte sie mich auf die rechte Seite, ich umarmte sie und flüsterte die gewohnte Frage ihr schluchzend ins Ohr: «was macht das Büblein?» «Es macht sein Sach wieder gut,» erwiederte sie, «das thue du auch!» – da verließ sie mich. – Erst jetzt, da ich weiß, daß das Büblein für den Ersatz seines Diebstahls büßte, verstehe ich, was Verena damals mit den Worten sagte: «es macht sein Sach wieder gut, das thue du auch!» – ich hatte diese Lade seit dem nicht wieder berühret, die liebe Mutter war schon in das wahre Paradies eingegangen, dieses kindische Paradies der Tändelei, dessen Versuchung ich als Kind unterlag, war nun mein Eigenthum, ich hatte es seit dem nicht mehr gesehen. – Als ich die Lade öffnete, um nach der Decke zu suchen, als ich alle die artigen Blümchen wiedersah, kam mir Alles wieder lebhaft in Erinnerung. Ich nahm das amaranthfarbene Brautkrönchen heraus und setzte es auf. Ich nahm das Bruststück und steckte mir es vor, ich schob wieder meine Hand zwischen diese Dinge in die Lade; und war es Wahrheit, war es Täuschung? – Die Hand mit dem Ring begegnete wieder der meinigen – ich zuckte zurück, wie damals und schlug die Lade zu. – Ich kam die Zimmer durchirrend auf die Stelle, wo ich mit der Mutter auf der verlornen Decke knieend gebetet hatte, ich sah umher, als könne sie noch da liegen. – Die untergehende Sonne stand tief am Himmelsrand und blickte durch die Fenster herein; ich sah heftig in sie hinein, als wolle ich die rothe Decke in ihr suchen. Da ich aber meine Augen von dem Sonnenfeuer geblendet wegwendete, schwebte nun ein rother Fleck vor meinen Blicken, wohin immer ich auch schaute. Ich ließ meine Augen, als wolle ich diesen rothen Fleck zwischen Gras und Blumen abstreifen, eine Weile über die thauichte Wiese hin und wieder schweifen, welche vor meinem Fenster in den schrägen Strahlen der Abendsonne wie ein Schmaragd schimmerte, und sieh da! – o Freude! ich sah bald einen tiefrothen Fleck darauf funkeln, welcher der Bewegung meiner Augen nicht folgte, sondern fest ruhte. – Die Decke, die liebe Decke! rief es in meinem Herzen; – ich schaute schärfer hinaus, sie war es, gewiß, gewiß, der Wind hatte sie wohl von der Bleiche dahin geweht, o wie war ich froh, schon begann ich zu singen:
«Feuerrothe Röselein,Aus der Erde springt der Schein,Aus der Erde dringt der Wein;Roth schwing ich mein Fähnelein.»
Schon wollte ich hinab durch den Garten hinauseilen, als mich die Abendglocke unterbrach, man läutete den Engel des Herrn, ich stand still und betete den englischen Gruß, und indem ich immer hinaus nach dem rothen Fleck sah, wurde mein Herz gar tief bewegt, und ich gedachte des Abends auf der Bleiche mit Klareta und sang unter Thränen:
«O Stunde, da der Schiffende bang lauertUnd sich zur Heimath sehnet an dem Tage,Da er von süßen Freunden ist geschieden,Da in des Pilgers Herz die Liebe trauertAuf erster Fahrt, wenn ferner Glocken KlageDen Tag beweinet, der da stirbt in Frieden!»
Ich war aber nun wegen der Decke beruhigt, ich schob es noch ein Weilchen auf, die Decke auf der Wiese zu hohlen, ich wußte ja, daß sie da lag, und so setzte ich mich, um meine Tagesordnung nicht zu verletzen, wie immer nach dem Abendgeläute an mein Tagebuch, um bis hieher zu schreiben; die Nächte auf der Bleiche hatten mich ohnedies schon gezwungen, Manches nach zu holen. – Jetzt aber blicke ich wieder hinaus nach der Decke, sie schimmert noch roth im letzten Strahl der Sonne, jetzt will ich hineilen allein durch den Garten und will auf der Decke der Mutter gedenken, ihr Brautkrönchen habe ich auf dem Haupt, das Paradiesgärtchen vor der Brust, die heiligen Kleinode von Vadutz auf den Schultern, o wie will ich so gerüstet, allein, allein, allein auf der Decke, auf welcher ich selbst sterben werde, den Tag beweinen, der da stirbt in Frieden! ich hülle mich in meinen Schleier und gehe. -
Sechs Wochen später
Gott sey Lob und Dank! alle seine Führungen seyen gesegnet. Ich war sechs Monate von diesen Blättern getrennt, ich habe sie unter mancherlei harten Prüfungen und bittern Leiden niedergeschrieben, sonst wären sie klarer und kindlicher und Alles, was das Herz des armen Kindes von Hennegau darin bewegte, würde dann auch die Herzen aller andren Kinder bewegen, welche sie in Zukunft lesen mögen – aller andern Kinder, sage ich und verstehe darunter meine Kinder, so Gott mir deren bescheeren wird, denn für sie allein sind diese Blätter geschrieben. Wie mir es aber nach dem obigen Schluße meines Tagebuchs bis heute ergangen, mögen diese Kinder, wenn Gott sie mir schenkt, aus meinem folgenden Briefe an Klareta zur Lilien kürzlich vernehmen, den ich nicht abgesendet habe.Liebe Klareta! Ich danke für dein und der Schwestern Gebet. Es hat die schützenden Engel auf meine Wege gerufen, sie haben mich gefunden, wenn du gleich nicht wußtest, wo ich war. – Die Erfüllung folgte unserm Doppeltraum so dicht auf den Fersen, daß sie meinem Traume beide Pantöffelchen ausgetreten haben würde, hätte er nicht das eine verloren, und dem deinen die Sandalen, wäre er nicht baarfuß gegangen. – Feuerrothe Röselein habe ich gesucht, die Löwen haben mich entführt und bedrängt, der Hahn hat mich gerettet und – der Ring ist an meinem Finger. – Höre! – Am Morgen des Wetterherrentags schied ich von dir und den Schwestern im Walde – du sagtest: «gedenke des Traumes!» – Heimgekehrt vermißte ich die amaranthseidne Decke von Hennegau, du kennst sie, sie war nicht von der Bleiche nach Hause gebracht worden. – Ich suchte den ganzen Tag in großen Aengsten nach ihr. – Am Abend aus dem Fenster blickend sah ich sie im Schimmer der sinkenden Sonne auf der entgegengesetzten Seite der Wiese tiefroth funkeln. Ich hatte suchend einen Theil des Brautschmucks meiner Mutter gefunden, ich hatte in kindischer Tändelei das Brautkränzchen aufgesetzt und das sogenannte Paradiesgärtchen – du kennst Beides – vorgesteckt; in meinen Schleier verhüllt eilte ich einsam und unbemerkt durch das Gartenpförtchen auf die Wiese hin zu der schimmernden Decke. – Je näher ich dem rothen Fleck kam, je mehr vergaß ich die Decke, es war die Macht der rothen Farbe über mein Herz, die mich hinriß, angelangt an die Stelle, flog ich auf die funkelnde Decke hin, wie ein Schmetterling in die Flamme und ich sang und hörte das Lied im Walde singen: «feuerrothe Röselein,» – ich fühlte mich so ermüdet, ich war seit mehreren Tagen von so vielen Eindrücken heftig bewegt, ich hatte alle diese Nächte schier gar nicht geschlafen, vom frühsten Morgen war ich ganz ohne Ruhe gewesen. Ich konnte der Müdigkeit nicht wiederstehen; ich lag mehr auf der Decke, als ich saß; der letzte Sonnenstrahl streifte über das Grüne der Wiese, über die rothe Decke durch die schimmernden Blümchen des Paradiesgärtchens zwischen meine zuckenden Augenlieder, und sie schloßen sich hinter dem Lichtstrahl, wie die Thüre deiner Zelle hinter dir, wenn du schlafen gehst. – Leider entschlief ich plötzlich den Kopf nach der linken Seite senkend! – O Klareta! – wie geschah mir! – ich werde dich bald sehen, da sollst du Alles hören. Hier nur Alles in kurzen Zügen. Der Traum ist erfüllt, die Löwen waren drei Ritter aus dem Thurgau, sie hatten die Decke von der Bleiche entwendet, um mich durch sie wie einen Vogel mit rothen Beeren zu fangen; ich gieng in ihre Netze. Kaum war ich tief entschlafen, als sie die Decke wie einen Sack über mir zusammenzogen, mir den Mund zuhielten, mich auf ein Roß zwischen sich banden und mit gewaltsamer Eile immer nur des Nachts von Wald zu Wald reitend, fern von Hennegau entführten. Mein Hülfsgeschrei verhinderten sie durch die Drohung des Todes. Schon weit entfernt von meinem Vaterlande fragte ich sie: «wohin führt ihr mich?» da erwiederten sie spottend, wie wir geträumt: «auf die Heide, aufs Moos, da sollst du uns die Kibitze hüten.» – Ich ergab mich in mein Schicksal, ich vertraute dem guten Ausgang des Traumes, und betete für diese Elenden, daß Gott sich ihrer erbarmen möge, wenn der Hahn über sie komme; und dieser blieb nicht aus. – Ich erkannte alle Gegenden auf der Reise wieder, die ich im Traum gesehen. Endlich nahten wir im Walde einer Linde, ich kannte sie wohl – da sprachen sie zu mir: «entweder mußt du schwören einen von uns dreien zum Gemahl zu nehmen, und ihn zum Grafen von Hennegau und Vadutz zu machen, oder du mußt uns die Kleinodien von Vadutz von deinen Schultern geben, dann magst du heim ziehen.» Da ich Keines von Beiden eingehen wollte, wollten sie mir bei der Linde die Achselbänder von den Schultern reißen; mein Geschrei erfüllte den Wald; ich flehte zu Gott: «o sende den Hahn, die Löwen zu vertreiben, ich gelobe, so es dein Wille, wenn er mich rettet, den Ring demüthig von ihm zu empfangen.» Da brach ein Ritter hervor mit einem lebendigen schwarzen Hahn auf dem Helm, sein Schwert schlug meine drei Feinde nieder, und der Hahn krähte siegreich auf seinem Helm. Er half mir, er tröstete mich, er saß bei mir unter der Linde, er sah mich freundlich lächelnd an und drehte einen kostbaren Ring an seinem Finger, leise Worte murmelnd. – Ich wußte schon Alles aus dem Traum und that mir eine unwahre Gewalt an, seinen Ring nicht an zu nehmen; ich ergab mich der schützenden Kraft des Achselbandes, ich neigte das Haupt auf die rechte Schulter; aber leider saß er mir zur rechten, unwillkührlich streckte ich den Ringfinger aus, und der Siegelring Salomonis umfaßte ihn, und das arme Kind von Hennegau war die verlobte Braut des Raugrafen Gockel von Hanau auf Gockelsruh. – Das Brautkrönchen der Mutter hatte ich auf dem Kopf, das Paradiesgärtchen vor der Brust, seit ich entführt ward; mir fiel ein, wie ich einmal als Kind geglaubt, da ich in diesem Schmuck herum fühlte, es begegne mir eine Hand mit einem Ringe. Das war also nun auch erfüllt und noch mehr – im Augenblick, da der Ritter mir den Ring an den Finger steckte, krähte der schwarze Hahn Alektryo auf seinem Helm und flog nieder gegen ein Gebüsch, aus welchem Verena mit dem frommen Hühnlein Gallina hervortrat, das sie in ihrem langen Korbe trug. Du kannst dir meine Freude denken. – Sie war am Johannisvorabend wie gewöhnlich zur Höhle Salmos gewallfahret, das fromme Hühnlein aber war weiter und weiter gelaufen bis hieher, und die gute Verena, die das Hühnlein verstand, war gefolgt. Als Verena vor mir stand, sprach sie: «Goldne Amey, ich brauche dich nicht zur rechten Seite zu wenden, du bist schon selbst dahin gewendet, das fromme Hühnlein hat mich hergeführt, es weiß Alles.» Da fragte ich wie gewohnt: «Was macht das Büblein?» und sie erwiederte:
Es hat sein Sach gemacht,Es hat sein Sach gut gemacht,Du hast sein Bündlein zugemacht,Es hat es freudig heimgebracht,Hat angeklopfet fein und sacht,Die Mutter hat ihm aufgemacht,Der Vater hat es angelacht,Dann hat es gleich an uns gedacht,Hat dich auf deinem Weg bewacht,Hat mich und's Hühnlein hergebracht,Daß ich hier Alles nehm' in Acht,Bis daß die Hochzeit ist vollbracht.
So weit hatte ich Alles in dem Briefe an Klareta geschrieben, als Verena mich mit den Worten unterbrach: «Warum schreibst du, hast du nicht den Ring Salomonis am Finger, hat denn dein Bräutigam dich liebste Dirn aus Hennegau durch einen Brief oder durch den Ring hieher gebracht? so thue du auch.» – Da drehte ich schnell den Ring, und wünschte die drei Schwestern aus Kloster Lilienthal und meine Ordens-Gespielinnen und Jakob von Guise aus Hennegau zu mir, und daß sie mir alles das Nöthigste von dem Meinigen mitbrachten; und alsbald kamen die Schwestern mit ihren drei Lilien und die Gespielinnen mit ihren Pflichthühnern zum ersten Mahle zur Hochzeit. Jakob von Guise, der sie begleitet hatte, vollzog die Trauung in der Schloßkapelle und segnete das ganze Haus, Verena gab das Hühnlein Gallina zu dem Hahn Alecktryo in das Raugraf Gockel'sche Gallinarium; und sie sah Nachts das Büblein ganz leuchtend, wie es ihnen goldnen Weizen streute und dann verschwand. – Jakob von Guise kehrte mit den Gespielen ins Hennegau, Verena zog mit den drei Schwestern ins Kloster Lilienthal. Mein Eheherr beschloß, mit mir ein Drittheil des Jahres in Gockelsruh, ein Drittheil in Vadutz, ein Drittheil in Hennegau zu leben. – Bis hieher habe ich in mein Tagebuch, das die Gespielen mir aus Hennegau mitgebracht, selbst geschrieben, das Folgende habe ich durch den Ring Salomonis hinein gedreht.In der Nacht vor meiner Training hatte ich folgenden seltsamen Traum. – Ich war mit Verena zu einem Erndtefest geladen und sollte den Kranz flechten. Es war eine mühselige Reise; wir gingen durch Wälder, Felder, Gärten, Wildniß und Wüste Jahrhunderte lang und kamen doch nicht weiter, als um Gockelsruh und Gelnhausen herum. Es war, als bewegten wir nur die Füße, blieben aber auf demselben Fleck. Nur die Zeiten drehten sich um uns. Unzählige Male kamen wir durch die Höfe und Gärten von Gockelsruh und sahen immer andere Gesichter, andere Kleider und neue Grabsteine an der Schloßkapelle aufgerichtet. Von Zeit zu Zeit begegneten ums drei Klosterfrauen aus Lilienthal mit Lilien in den Händen und acht Ordensgespielen aus Hennegau mit ihren Pflichthühnern. Oft kündete uns der Schrei eines Alecktryo, einer Gallina die Zeit; – Alles wechselte um uns her, nur Eines fanden wir bei jeder Rückkehr festbestehend und gesund wieder – die treue, dunkellaubige Linde, unter welcher Gockel mich von den Räubern befreit und mir den Ring gegeben hatte, breitete ihre Zweige immer reicher und mütterlicher umher, gleich einer Henne, die den Frühling ausbrütet. O wie oft kamen wir vorüber und waren wie die Bienen, die um sie schwärmten, trunken von dem Honigdufte des Frühlings in ihren Blüthen, und sahen sie bald winterlich entlaubet und dann wieder blühend. – Fünfzig Mal mochten wir zur Linde gekommen seyn, da war ich so müd, so müd, und sehnte mich wie ein Kind, in meinem Bettchen zu seyn, da kamen so viele arme Kinder, die bauten mir eine Wiege von unzählichen Blumen und zogen mich aus und legten mir ein gar wunderschön Schlafröckchen an und wuschen mich und beteten das Nachtgebet mit mir und legten mich in die Blumenwiege auf die Amaranthseidendecke von Hennegau, und sangen ein Schlummerlied um mich her. – Meine Gespielen mit den Pflichthühnern und die drei Nönnchen mit den Lilien standen um die Wiege, und ich schlief unter der Linde ein. – Aber es war seltsam, ich stand auch daneben und sah nur meinen schönen Mantel in der Wiege liegen und zog mit Verena von dannen in die Runde, und als wir wieder zur Linde kamen, sahen wir ein Rasenhügelein darunter und ein Steinkreuz, worauf eine Henne abgebildet, zu dessen Häupten. – Da knieten wir nieder und beteten; und als wir weiter gingen, sagte ich zu Verena: «ich danke dir, lieb Vreneli für das arme Kind von Hennegau.» – Einige Male begegnete uns viele Noth auf unserm Wege, wir mußten uns durch tobende Kriegsschaaren drängen, durch Brand und Verwüstung fliehen und über viele Grabhügel steigen. – Dann fanden wir Gockelsruh wie eine eroberte Burg. Die Wildniß hatte ihre Fahnen auf den zerstörten Mauern aufgepflanzt, der wilde Wald lagerte rauschend in allen Höfen und braußte aus den Fenstern, wie Kriegsvolk; da hörten wir den freudigen Ruf Alecktryos des Schloßwächters nicht mehr, aber wohl das Wehgeschrei der Todesmahnerinnen, der Eulen, und die wildentbrannten Weisen der Waldvögelein, über deren Brut die Geyer drohend kreisten. – O da war es gar traurig hier, und ich wendete mich im Traum zu meiner Begleiterinn und sprach: «Verena! ist das Gockelsruh? – sage, wo sind meine Kindeskinder?» Sie führte mich aber hin zur Linde, die war größer und schöner als je, ihr Blühen duftete süßen Frieden. Das Hügelein unten war eingesunken. Das dicht bemooste Kreuz neigte sich zur Rechten, als ziehe es das Kleinod nieder, das unter dem Hügelein ruht. – Keine Klosterfrauen, keine Ordensgespielen standen umher, aber drei einsame Lilien, und die acht Pflanzen, die meinen Jungfrauen den Namen gegeben, leisteten um das Hügelein blühend ihre Lehnspflicht. – Die Bienen summten wie ein Traum um die Linde und die Blumen, und sammelten Wachs und Honig; und dieser Traum summte mir durch alle Glieder, und ich lag selbst unter dem Hügelein und sah Alles und hatte das Haupt geneigt zur rechten Schulter, und ich war wie eine Bienenköniginn; – sie trugen mir Wachs und Honig ein, und ich hatte mein Körbchen voll süßer Honigbrode und reiner Wachskerzen und war allein, allein da unten. Es kam aber ein Kind zu mir gelaufen mit einer Puppe, und sprach zu mir: «keine Puppe sondern nur, eine schöne Kunstfigur!» und ich gab ihm all meinen Honig, als mein Wachs. Da spielte es um das Hügelein gar lieblich, und ich richtete mich auf und spielte mit, und auch Verena spielte mit. Wir waren Kinder; es saußte aber der Sturm wieder durch das walddurchwachsene Schloß und wir drängten uns bei der Linde zusammen und sangen:
Treu, dunkellaubige Linde,Wenn rings die Windsbraut tobt,Dein Säuseln lieblich lindeDen Frieden Gottes lobt.
Treu, dunkellaubige Linde,Wie fährt all Gut und BlutFort, fort im Sturm geschwinde,Nur du hegst festen Muth,
Treu, dunkellaubige Linde,Wie bist du stark und gut,Wohl dem, der mit dem KindeBei dir im Hüglein ruht.
Indem wir aber so sangen, hörte ich den Alecktryo wieder krähen und sah mich um, und Alles war verändert. – Gockelsruh stand wieder in vollem Glanze, und es war eine freudige Hochzeit, und ich zog mit dein Brautzug und Leichenzug durch die geschmückte Schloßkapelle, in der mir mein Mantel und mein Tagebuch genommen ward. – Hierauf zog ich mit Verena wieder umher durch die Gegend. Wir eilten immer schneller, immer müder und kamen endlich in der Mitternacht in ein weites Erndtefeld. Wir zogen dem Sensenklang und dem Schalle der Schnitterlieder nach, Verena las Aehren und ich sammelte Blumen zum Erndtekranz.
Endlich kamen wir mitten in dem Aehrenfeld auf einen kleinen freien Raum, wo der Kranz sollte geflochten werden, da sahen wir Seltsames. St. Eduards Thronstuhl, in dessen Sitz der Schlummerstein Jakobs bewahrt ist, stand zwischen zwei hohen Lilien vor den Aehren. Aus dem Sitze des Stuhles strahlte eine Mohnpflanze von Licht mit acht Blumen zum Nachthimmel hinauf. In der Mitte der Pflanze unter dem Monde saß die Nacht, eine liebe mütterliche Frau, und ihr zur Rechten und Linken auf den acht Mohnblumen acht Sterne, als sinnende Knaben. Es schwebte aber von dem Thronstuhle an dem Mohnstengel ein ernstes kleines Mägdlein zum Sternhimmel empor, und zwei Engel senkten Sterne in die beiden Lilien zur Seite des Throns; dazu sangen die Knaben auf den Mohnblumen oben:
«O Stern und Blume, Geist und Kleid,Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.»
die Sense des Schnitters sauste immer näher durch die Halmen, und da ich mich niedersetzte, den Kranz aus den gesammelten Blumen zu flechten, sah ich zu meinen Füßen dicht vor dem Thronstuhl auf einem Kinderstühlchen einen Knaben schlummernd sitzen. Er hatte eine Feder hinter dem Ohre und schlief, den Kopf auf den Arm lehnend, auf dem scharfen Rande des Thronstuhls. Ich sagte zu Verena: «Was macht das Büblein?» da sprach sie, des langen Mitleides gewohnt: «es hat seine Sache vollbracht und ist dicht an der Grube vor Müdigkeit entschlafen; sieh, wie hart es da auf dem Rande liegt, ich habe Aehren lesend eine kleine feine Garbe in meinen Korb gesammelt, o lege sie ihm unter das Haupt, damit es nicht darbt, wenn der Schnitter es weckt; horch, schon naht er in den wogenden Halmen.» Ich legte ihm die Garbe in den Arm und sah o Wunder! zu seinen Füßen ruhte mein Tagebuch, und ich las gar Vieles mehr darin, als ich hineingeschrieben, z. B. diesen ganzen Traum, und daß Verena gestorben sey und mir zwölf Franken vermacht habe. «Ist das wahr, Verena?» fragte ich, und sie sprach: «Gewiß, gewiß, und es hat große Zinsen gebracht im Almosenstock, wie das Schärflein der Wittwe.» – Da sah ich den Knaben nochmals an, konnte ihn aber nicht erkennen, er hatte sein Angesicht fest in die Garbe verborgen, denn die Thränen floßen von seinen Wangen. «Verena,» sprach ich, «ist dann dies wirklich dasselbe Büblein, welches dem frommen Hühnlein des Salmo die Weizenkörner entwendet und das Zauberhühnlein der Weissaginn damit gefüttert hat?» – «Ach,» erwiederte Verena, «warum dasselbe Büblein? Alle thun so und auch wir, sieh in das Buch, da wirst du den Weizen finden!» – «o wie soll er das alles ersetzen?» rief ich aus und Verena sprach: «durch unser Gebet und Almosen, o drehe den Ring Salomonis, daß sein Getreide sich mehre. – Horch! das Lied des Schnitters nahet, schon fallen die Aehren über den Getreidekasten nieder, geschwind beginne den Kranz zu flechten!» – da sah ich hinüber und sah die Sense des Schnitters durch die Halmen greifen, und sie sanken über einen Kasten nieder, grad so groß, wie das Büblein, er war gemacht von fünf Brettern und zwei Brettchen, und stand über einer Grube vor einem Feldkreuz, auf dem Alektryo und Gallina schlafend saßen. – Ich machte zuerst ein Kränzlein und legte es auf den Kasten, dann aber drehte ich den Ring Salomonis gar flehentlich am Finger:
«Salomo du weiser König,Dem die Geister unterthänig,Bring doch all den Weizen wieder,Der da auf den Weg fiel niederUnd von Vogeln ward gefressen,Und von Füßen ward zertreten,All den Weizen ungemessen,Den sie auf das Steinfeld säeten,Wo, so schnell er aufgeblüht,In der Sonne er verglüht,Bring zurück die Weizenkörner,Die erstickten durch die Dörner;Was in guten Grund gefallen,Laße fruchtend überwallen,Daß der Weizen dreißigfältig,Sechzigfältig, hundertfältigAlles Unkraut überwältig',Das der Feind hineingesäet.Schnell, o schnell, es ist schon spät!Ringlein, Ringlein dreh dich um,Fruchte schnell, ich bitt' dich drum.»
Kaum hatte ich den Ring drehend, diesen Wunsch ausgesprochen, und mitleidig nach dem Knaben hingeschaut, als ich etwas gar Rührendes sah. Er blickte mich, ohne den Kopf zu heben, mit stillem Danke an, Thränenströme rannen von seinen Augen auf die Garbe unter seinem Haupte nieder, und alle die Thränen waren Weizenkörnlein, und die Garbe wuchs und mehrte sich; und als ob sie mit dem Knaben weine, gossen sich aus ihren Aehren hundertfältige Weizenkörnlein nieder und aus allen Blättern des Buches rannen Fruchtkörner heraus, und mein Herz war so bewegt, daß auch ich auf einer Garbe sitzend gar reich und mildiglich weinte, und Verena, die neben mir betend kniete, weinte auch und alle unsre Thränen waren Weizenkörner, und sie keimten und schossen schnell auf in reichen, goldnen Aehren, und füllten die Grube und den Getreidekasten und umgaben den Thronstuhl und das Kinderstühlchen und den Knaben und Verena und mich, und alle Aehren wehten durcheinander und Keines sah das Andere mehr; denn Alles war nun Eines. – Der Schnitter aber nahte immer mehr und konnte kaum Alles schneiden, was aufschoß; es wuchs ihm unter der Sense empor. Während dem Allem flocht ich am Erndtekranz aus vielen Blumen und stimmte in das Lied des Schnitters ein:
Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,Er mäht das Korn, wenns Gott gebot;Schon wetzt er die Sense,Daß schneidend sie glänze,Bald wird er dich schneiden,Du mußt es nur leiden;Mußt in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
Was heut noch frisch und blühend stehtWird morgen schon hinweggemäht,Ihr edlen Narcissen,Ihr süßen Melissen,Ihr sehnenden Winden,Ihr Leid-Hyacinthen,Müßt in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
Viel hunderttausend ohne Zahl,Ihr sinket durch der Sense Stahl,Weh Rosen, weh Lilien,Weh krause Basilien!Selbst euch KaiserkronenWird er nicht verschonen;Ihr müßt zum Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
Du himmelfarben Ehrenpreis,Du Träumer, Mohn, roth, gelb und weiß,Aurickeln, Ranunkeln,Und Nelken, die funkeln,Und Malven und NardenBraucht nicht lang zu warten;Müßt in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
Du farbentrunkner Tulpenflor,Du tausendschöner Floramor,Ihr Blutes-Verwandten,Ihr Glut-Amaranthen,Ihr Veilchen, ihr stillen,Ihr frommen Camillen,Müßt in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
Du stolzer, blauer Rittersporn,Ihr Klapperrosen in dem Korn,Ihr Röslein Adonis,Ihr Siegel Salomonis,Ihr blauen Cyanen,Braucht ihn nicht zu mahnen.Müßt in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schönes Blümelein!
Lieb Denkeli, Vergiß mein nicht,Er weiß schon, was dein Nahme spricht,Dich Seufzer-umschwirrteBrautkränzende Myrthe,Selbst euch ImmortellenWird alle er fällen!Müßt in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
Des Frühlings Schatz und WaffensaalIhr Kronen, Zepter ohne Zahl,Ihr Schwerter und Pfeile,Ihr Speere und Keile,Ihr Helme und FahnenUnzähliger Ahnen,Müßt in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
Des Maies Brautschmuck auf der Au,Ihr Kränzlein reich von Perlenthau,Ihr Herzen umschlungen,Ihr Flammen und Zungen,Ihr Händlein in SchlingenVon schimmernden Ringen,Müßt in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
Ihr sammtnen Rosen-Miederlein,Ihr seidnen Lilien-Schleierlein,Ihr lockenden Glocken,Ihr Schräubchen und Flocken,Ihr Träubchen, ihr Becher,Ihr Häubchen, ihr Fächer,Müßt in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
Herz, tröste dich, schon kömmt die Zeit,Die von der Marter dich befreit,Ihr Schlangen, ihr Drachen,Ihr Zähne, ihr Rachen,Ihr Nägel, ihr Kerzen,Sinnbilder der Schmerzen,Müßt in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
O heimlich Weh halt dich bereit!Bald nimmt man dir dein Trostgeschmeid,Das duftende SehnenDer Kelche voll Thränen,Das hoffende RankenDer kranken GedankenMuß in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
Ihr Bienlein ziehet aus dem Feld,Man bricht euch ab das Honigzelt,Die Bronnen der Wonnen,Die Augen, die Sonnen,Der Erdsterne Wunder,Sie sinken jetzt unter,All in den Erndtekranz hinein,Hüte dich schöns Blümelein!
O Stern und Blume, Geist und Kleid,Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!Den Kranz helft mir winden,Die Garbe helft binden,Kein Blümlein darf fehlen,Jed Körnlein wird zählenDer Herr auf seiner Tenne rein,Hüte dich schöns Blümelein!
Unter dem Sausen der Sense, dem Sinken und Aufsteigen der Aehren, dem Niederströmen meiner Thränen in den Blumenkranz, der mich schon ganz umwand, verstummte endlich das Lied, und ich sah nichts mehr Einzelnes. Der Traum ward nun recht wie ein Traum, ich saß darin und fühlte mich wie der bittere Kern in einer süßen Frucht, die der Morgenwind auf dem Zweige wiegt. Ich unterschied Nichts mehr deutlich; dichte, weiße Thaunebel lagen überm Stoppelfeld; ich fühlte mich emporgehoben, ich saß in dem thauichten Erndtekranz hoch zwischen Garben. Ich saß auf dem Erndtewagen, er schwankte unter mir vorwärts; es war kalt, ich war naß von Thau und Thränen; ich hörte Lieder um mich und sah die Singenden nicht. Da krähte Alektryo, der mit Gallina vorn auf dem Erndtewagen saß und ich erwachte, und hörte den Hahnenschrei wirklich draußen in dem Schloßhof –Ich konnte mich nicht gleich finden, meine Augen waren noch voll Thränen; ich hörte das Singen noch, aber ich saß auf keinem Erndtewagen, ich lag auf meinem Bettchen; ich drehte den Ring und wünschte, es möge doch mein ganzer Traum wahr werden und von dem Knaben auf dem Kinderstühlchen, mit allen Liedern und was darauf folgte, in mein Tagebuch eingeschrieben stehn. – Da ich nun ganz erwacht war, trat Verena zu mir und sprach: «Gesegne dich Gott, goldne Amey, du schöne Braut, das fromme Hühnlein schickt mich, es weiß Alles, segne uns Gott, daß wir von der langen künftigen Reise glücklich zurückgekommen sind, vom Erndtewagen auf den Brautwagen. Schön Dank, du hast auf der rechten Seite geruht, Ende gut, Alles gut! – aber stehe auf, daß ich dich schmücke als Braut, hörst du, deine elf Kränzeljungfern, die drei Schwestern mit den Lilien und die acht Ordensgespielen mit den Pflichthühnern singen schon unten die Brautlieder.» – Ich erwiederte ihr nach alter Gewohnheit: «Vreneli, was machts Büblein?» und sie sprach:
«Es hat sein Sach ganz gut gemacht,Der Wagen trug dich fort mit Pracht,Ich bin bei ihm geblieben,Hab, als es vom Geräusch erwachtUnd still sein Gärbchen angelacht,Ihm Aehren ausgerieben.Die Körnlein hat es in der NachtGar treu gezählt und mit BedachtSie hüben und auch drübenIns Soll und Haben rein und sacht,Wie du es liebst, zu Buch gebracht,Bis Morgens früh geschrieben.»
«Gott sey Dank,» sagte ich, «so hast du dann Alles mit mir geträumt, und Alles wird im Tagebuch stehen, ich habe den Ring Salomonis darum gedreht.» – Der Gesang aber tönte näher und näher und Verena sprach: «Geschwind stehe auf, daß ich dich ankleide, die Brautjungfern sind schon unter dem Fenster.» – Ich sprang aber auf und fuhr mit dem linken Fuß zuerst in den Pantoffel und öffnete das Fenster. Draußen lag ein dichter, weißer Nebel, die Lieder klangen mir so traurig hindurch. Der Nebel fiel mir ins Gesicht, ich ward schwermüthig und kriegte den Schnupfen; ich weinte, konnte nicht sprechen, jed Wort schnürte mir die Kehle zu, und da Verena mir den ganzen Brautschmuck meiner seligen Mutter anlegte und das Bruststück mit den vielen feinen, schönen Seidenröschen und das Amaranthen-Brautkränzchen, Alles, was ich sonst so geliebt, strömten meine Thränen nieder. Oft fragte sie um die Ursache meiner Thränen, meiner Stummheit, aber ich antwortete nicht. Als ich ganz geschmückt war, traten die Brautführerinnen, die Klosterfrauen mit den Lilien, die Gespielen mit den Pflichthühnern herein, und nun begann der Zug; voran ging Verena mit dem langen Korbe, dann folgten meine acht Gespielen mit den Ordenszeichen der freudig frommen Kinder, sie trugen die Pflichthühner in schön geflochtenen Nestkörben unter dem einen Arme und faßten mit der andern Hand an die amaranthseidne Decke von Hennegau, die sie zwischen sich ausgebreitet trugen, dann folgte ich armes Kind von Hennegau im Brautkleid meiner Mutter, die Kleinode von Vadutz und das Hühnlein Gallina auf der Schulter, an jeder Seite eine der Lilienfräulein mit ihren Lilien und hinter mir Klareta, die mir die Schleppe trug; so zog ich zur Kapelle und war nicht lustig, der Inhalt des Brautgesangs machte mich noch trauriger, meine Thränen strömten immer reichlicher, sie sangen aber abwechselnd:
Die Gespielen.Komm heraus, komm heraus, o du schöne, schöne Braut,Deine guten Tage sind nun alle, alle aus,Dein Schleierlein weht so feucht und thränenschwer,O wie weinet die schöne Braut so sehr!Mußt die Mägdlein lassen stehn,Mußt nun zu den Frauen gehn.
Die Lilienfräulein.Ihr klugen Jungfraun zieht hinaus,Die Lampen sind geschmücket,Ans Herz den reinen BlumenstraußDer Bräutigam nun drücket,Ihr Lilien gebt der Braut Geleit,Ihr tragt ein schön'res Ehrenkleid,Ein hochzeitlicheres Geschmeid,Als Salomo in Herrlichkeit.
Die Gespielen.Lege an, lege an heut auf kurze, kurze ZeitDeine Seidenröslein, dein reiches Brustgeschmeid,Dein Schleierlein weht so feucht und thränenschwer,O wie weinet die schöne Braut so sehr!Mußt die Zöpflein schließen einUnterm goldnen Häubelein.
Die Lilienfräulein.Heb an du liebe NachtigallDein kunstreich Figuriren,Hilf uns mit deinem süßen SchallDas Brautlied musiciren,Das Lerchlein soll sein – «dir, dir, dir,Dir Gott sey Lob» auch für und fürErschwingen in dem höchsten ThonBis auf zu Gott im Himmelsthron.
Die Gespielen.Lache nicht, lache nicht, deine Gold und Perlen Schuh,Werden dich schon drücken, sind eng genug dazu,Dein Schleierlein weht so feucht und thränenschwer,O wie weinet die schöne Braut so sehr!Wenn die Andern tanzen gehn,Mußt du bei der Wiege stehn.
Die Lilienfräulein.Du blauer Himmel spann ein Zelt,Den Bräutigam zu grüßen,Ihr Blümlein webet übers FeldDen Teppich ihm zu Füßen,Ihr Lüftlein reget dann geschwindDie Glöcklein, daß sie duftend findThau-Perlen streuen auf der AuUms arme Kind von Hennegau.
Die Gespielen.Winke nur, winke nur, sind gar leichte, leichte Wink,Bis den Finger drücket der goldne Treuering.Dein Schleierlein weht so feucht und thränenschwer,O wie weinet die schöne Braut so sehr!Ringlein sehn heut lieblich aus,Morgen werden Fesseln draus.
Die Lilienfräulein.Wir Lilien aus dem Lilienthal,Wir kehren einstens wieder,Dann in ein Bettchen eng und schmahlSinkt müd dein Brautkleid nieder,Dann naht der SeelenbräutigamDas Lamm von königlichem Stamm,Und wer ihm nicht entgegengeht,Bleibt unerhört und unerhöht.
Die Gespielen.Springe heut, springe heut deinen letzten, letzten Tanz,Welken erst die Rosen, stehn Dornen in dem Kranz,Dein Schleierlein weht so feucht und thränenschwer,O wie weinet die schöne Braut so sehr!Mußt die Blümlein lassen stehn,Mußt nun auf den Acker gehn.
Die Lilienfräulein.Führt sternenreine EngelleinDie Braut auf guter Weide,Durch Lieb und Leid, bis klar und reinDer Geist im LilienkleideSich scheidet von dem DornenthalUnd mit uns singt beim Hochzeitsmahl:O Stern und Blume, Geist und KleidLieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!
Es wird Jedermann leicht einsehen, daß alles Dieses mehr zum Weinen als zum Lachen war, erst die kühlen Nächte auf der Bleiche in Hennegau, dann die Geschichte der Kleinodien von Vadutz, dann durch neun Feuer gesprungen, dann die Angst um die Amaranthseidne Decke, dann die lange gewaltsame Entführung zu Pferd, dann der Kampf unter der Linde, dann die plötzliche Verlobung durch die Gewalt des Salomonsringes, dann die Jahrhunderte von Meilen lange Traumreise mit Verena zum Erntekranz, und das mühselige Weinen von Weizenkörnern für das Büblein, dann noch pudelnaß von Thränen aus dem Schlafe geweckt durch ein wehklagendes Hochzeitslied, dann in den linken Pantoffel zuerst geschlüpft, dann den Kopf durchs Fenster hinaus in den kalten Nebel, wie in einen nassen Mehlsack gesteckt, dann mühselig eingeschnürt in der verstorbenen Mutter Brautkleid, das mir viel zu eng ist, dann hinter der Sterbedecke meiner Mutter her, auf der auch ich einst sterben sollte, durch den kalten Nebel von lamentabelm Gesang begleitet. – Sollte ich nicht schwer und krank und müd seyn und den Schnupfen ganz entsetzlich haben? – Das Fatalste war noch, daß das Hühnlein Gallina ganz naß und kalt die Flügel hängen ließ, und da ich sehr oft und ungemein stark nießte, fuhr es erschreckt zusammen und mir mit den naßkalten Flügeln an den Hals; wodurch ich gewiß einen Halskrampf bekommen hätte, denn der Schluchser stellte sich schon ein; jedoch Klareta hängte mir die neun Röslein, die ich beim Johannisfeuer erobert hatte um den Hals, das half so ziemlich; aber ich mußte alle Augenblicke denken: wäre ich nicht über das neunte Feuer gesprungen, so brauchte ich nicht hier im Nebel zu gehn. – Ich werde mein Leben lang an diesen Brautzug denken, wenn ich verdrießlich bin. – Man kann sich keine verdrießlichere Braut denken, als mich, Alles ärgerte mich, selbst daß ich keine Wand sah, an der mich eine Fliege hätte ärgern können. – Ach! dachte ich, wäre doch der fatale Ring Salomonis nicht, der mit der Erfüllung aller Wünsche einem schier die Thüre einrennt, das plötzliche Glück trifft einen wie ein Schlagfluß, es wird mir nichts zu wünschen übrig bleiben, das ist die größte Armuth. Gockel mag es gut meinen, aber was ist das für eine Heurath über Hals und Kopf? – alle Schränke sind voll und eingeräumt, und keinen Faden habe ich gesponnen, gewebt, gebleicht, genäht; – ach die Freuden einer großen Wäsche sind nun ewig für mich verloren! o unausstehliche Vollkommenheit aller Mobilien – nichts zu besorgen, auszusuchen, zu bestellen, nur wünschen, wünschen, wünschen und auch gleich besitzen – o verwünschtes Wünschen! – In solchen Jammergedanken nahten wir der Kapelle, und ich hatte noch eine neue Ursache, mich zu ärgern. Die Brautgeschenke Gockels zogen mir entgegen, er hatte die Geschenke Salomos und der Königinn von Saba durch den Ring herbei gewünscht, und das war eine Toilette aus einem goldnen Hahn und einer goldnen Henne bestehend von so kunstreichem Innern und Aeußern, daß mir der Geduldfaden ganz riß, all das Zeug anzusehen. Was mir in der Kapelle geschah, würde ich hier gar nicht sagen, wenn es nicht meiner Verdrießlichkeit die Krone aufgesetzt hätte. Graf Gockel erwartete mich am Altar, ich sah ihn nicht an, er ward sehr betrübt über meinen Unmuth, er bat mich dringend um die Ursache, ich antwortete nicht; da ward dem Alektryo auf seiner Schulter der Kamm ganz blutroth, und er ließ drohende Töne hören; – das fand ich impertinent; daß aber Gallina auf meiner Schulter sich darauf einließ, mit freundlicher Stimme zu antworten, verdroß mich mehr als Alles. – Ich meinte sie habe mir Etwas von meinem Rechte vergeben, und hätte sie schier herabgestoßen; aber Verena flüsterte: «das fromme Hühnlein weiß Alles» – das verdroß mich wieder; doch nun trat Jakob von Guise vor den Altar und hielt die Trauungsrede, und als wir die Ringe wechselten und ich das Jawort sagen wollte, mußte ich so entsetzlich nießen, daß ich selbst und alle Anwesenden in lautes Lachen ausbrachen. Gockel drehte den Ring mit dem lauten Wunsche «zur Gesundheit!» – da wirkte mein Niesen und Gockels Prosit plötzlich, der Nebel zerriß, die Sonne stand am blauen Himmel, aller Schnupfen fiel mir wie Schuppen von den Augen, ich war lustig und froh wie ein Kind und hätte allen Menschen mögen um den Hals fallen. Anfangs ärgerte mich das noch ein wenig, darum mag es hier stehen, aber weil auch dieser Aerger bald ganz abzog – so will ich Nichts weiter sagen.Als wir die Kapelle verließen, gab mir Gockel den Ring Salomonis wieder, und ich drehte ihn geschwind mit dem Wunsche, mein Tagebuch zu haben, um zu sehen, ob mehr darin stehe, als hier geschrieben steht; da trat auf einmal das Büblein zu mir hin mit dem Buche. Es bückte sich und wollte Staub vom Boden auf die frische Schrift streuen und dann die Feder an den Aermel wischen, ich klopfte ihm aber auf die Finger und sagte: «Pfui,» und drehte den Ring Salomonis mit den Worten:
Salomo du weiser König,Dem die Geister unterthänig,Bilde aus dem Nebel mirGleich rein Seidenlöschpapier.Zephyr soll ein ganzes Buch,Wie gewebt aus Wohlgeruch,Sänftlich zu mir niederhauchen,Nach Belieben es zu brauchen.Vieles leg ich auf die Locken,Bis sie von dem Thaue trocken,Ein Blatt muß ins Tagbuch hier,Denn sonst möchte das GeschmierVon dem Büblein es beschmutzen,Ein Blatt mag es selbst benutzen,Seine Feder auszuputzen.Ringlein, Ringlein dreh dich umSchnell ein Fließblatt! bitt dich drum.
Da kam ein leises lindes Wehen angeströmt, es hauchte fünf und zwanzig Mal und mit jedem Hauche ward der Himmel blauer, schien die Sonne heller; und ein wunderlieblicher geflügelter Jüngling schwebte durch die säuselnden Bäume und über die wiegenden Blumenglocken zu mir nieder. Er trug eine Blumenkrone, eine Wolke von Wohlgeruch duftete um ihn, es spielte ein Buch des feinsten Seidenpapiers in seiner Hand, vom Hauche seines Mundes und dem Schlage seiner Flügel durchfächelt. Er überreichte es mir, spielte in meinen Locken und entschwebte mit einem Seufzer, ohne die Locken meiner Braujungfern zu berühren, die mit Hyacinthen bekränzt, ihm wehmüthige Gedanken erregten. – Ich zählte das Buch Seidenpapier der Ordnung halber, und es waren richtig fünf und zwanzig Bogen von feinem Nebel vor der Sonne getrocknet; ich hielt einen Bogen vor die Sonne, um das Papierzeichen kennen zu lernen und sah das Himmelszeichen der Pleiaden, der Gluckhenne mit ihren Küchlein darauf abgebildet und die Worte umher «Vivat die goldene Amey», eine Aufmerksamkeit Salomons, welche mir sehr schmeichelte. Ich trocknete meine Locken mit einem Theile der Bogen, legte einen Bogen in das Tagebuch und reichte den Letzten, der ohnedieß etwas schadhaft war, dem Büblein, seine Feder daran zu reinigen. Es that dies und verschwand, das Papier mit einem Tintenfleck fiel mir zu Füßen. Das Büblein war fort, es war, als habe es sein eignes Daseyn aus der Feder geputzt. Ich legte das Blatt auch in das Buch, als ein Andenken an das arme Büblein und las die letzten Worte, die es in das Tagebuch geschrieben:
Was reif in diesen Zeilen steht,Was lächelnd winkt und sinnend fleht,Das soll kein Kind betrüben,Die Einfalt hat es ausgesäet,Die Schwermuth hat hindurch geweht,Die Sehnsucht hats getrieben;Und ist das Feld einst abgemäht,Die Armuth durch die Stoppeln geht,Sucht Aehren, die geblieben,Sucht Lieb, die für sie untergeht,Sucht Lieb, die mit ihr aufersteht,Sucht Lieb, die sie kann lieben,Und hat sie einsam und verschmähtDie Nacht durch dankend in GebetDie Körner ausgerieben,Liest sie, als früh der Hahn gekräht,Was Lieb erhielt, was Leid verweht,Ans Feldkreuz angeschrieben,O Stern und Blume, Geist und Kleid,Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit! |