BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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und kleine Schiffe in Menge. Das Meer ist von einer Farbe, so dunkelblau, und wieder so klar, von so unbes­chreiblicher Farben-Pracht, daß ich leicht begreifen kann, wie der griechische Genius diese azurnen Wogen mit Najaden hat beleben können. – Auf dem Wege zum Hafen, der sich um Felsen schlängelt, begegneten wir vielen Galeerensträflingen. Sie verrichten Arbeiten, die für Thiere zu schwer seyn möchten. Große Bausteine schleppen sie. Ihre Hauben und Jacken sind von scharlachrothem Tuche, was die Blässe ihrer Gesichter nur noch mehr erhöht. Die scheuen Blicke ihrer versunkenen Augen, dieser Mund von Schmerz und Unmuth krampfhaft verzogen, und dort jener Greis, das Bild thierischen Gleichmuths – alles diese erregt in mir tiefe Wehmuth und Theilnahme. Weiter hin, gegen die Stadt, lehnte an einem Felsen eine so sonderbare Bettlerfigur, daß ich die Augen weit aufriß vor Ver­wunderung. Da stand ein überaus großer junger Mann, dessen Büste auf einem zwei Ellen langen Beine, dünn wie ein Zuckerrohr, ruhte, das andere Bein («seltsam! doch glaub's nur ein Jeder!») schaute zusammengerollt, wie ein Bündel, ihm unter dem Arme hervor. Eine lange gebogene Nase und langes Kinn, an das sich ein dichter schwarzer Bart anschloß, gaben der Gestalt etwas dämonisches. Da hier jeder Bettler seinen bestimmten Platz hat (er verläßt ihn im Sommer auf einige Monate, um auf den Bergen Käse machen zu helfen), so hoffe ich, meinen merkwürdigen Bettlerhelden noch näher zu beobachten.

 

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Selten noch sah ich in Nizza unregelmäßige Züge, die Frauen besonders finde ich sehr schön. Das Haar flechten sie an der rechten Seite und umwinden es mit einem schwarzen Sammtbande, auf der linken Seite hängen die Enden des Bandes herab. Für gewöhnlich tragen sie einen flachen Strohhut, Cappeline genannt, Sonntags aber wird über diese Krone von Haaren ein weißes Spitzentuch gelegt. Ein enganliegendes schwarzes Sammtleibchen ist ihre Tracht, wenn es kühl ist. Ihr Schmuck ist ein großes goldnes Kreuz an schwarzem Bande, das dicht am Halse durch ein goldnes Herz festgehalten wird, und in den Ohrenringen hängen lange, glänzende Glocken. Andere sind bunt wie Harlekine gekleidet. Ich sah eine Frau mit rothen Strümpfen, blauer Schürze und zitrongelbem Mieder. In Nizza ist ein wahrer Abbés-Segen. Wohin man auch sehe, überall trifft man auf feiste Priester, oder es huscht, in langen Mantel gehüllt, ein Jesuite vorüber. Die niedere Volksklasse hat, trotz ihrer braunen Lumpen, eine anständige Nachlässigkeit, die ihr ungemein wohl ansteht. Ueberhaupt finde ich, daß, wenn der Franzose seinen Geist auf der Zungenspitze hat, so spricht der des Italieners sich in seinen Bewegungen aus. Alles ist Gemälde und Leben. Von den Spänen einer Schreinerbude hat sich dort ein brauner Junge ein lustiges Feuer angezündet, auf dem Kastanien, sein Frühstück, prasseln. In seiner rechten Hand hält er ein großes Stück Brod, in seiner Linken einen Granatapfel,  und  so  essend  und  sich  wärmend,  hat  er auch  noch  obendrein  die  Würze  der  Unterhaltung, denn  ein  halbes  Dutzend  kleiner Schlingel umstehen das

 

 


 

Mädchen in Nizzaer Tracht