BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

II. Theil

 

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39.

Die Salbung in Bethania.

 

Sechs Tage vor Ostern kehrte Jesus nach Bethania zurück, daß er von da nach Jerusalem gienge zu dem Osterfest. Unterwegs bereitete er seine Jünger noch einmal auf sein Schicksal vor. Sein Herz war mit Todesgedanken erfüllt, denn er wußte alles, was ihm diesmal in Jerusalem wiederfahren würde. «Siehe,» sprach er, «wir ziehen hinauf gen Jerusalem, und des Menschen Sohn wird den Hohenpriestern und Schriftgelehrten überliefert werden, und sie werden ihn zum Tode verurtheilen. Sie werden ihn den Heiden überantworten, daß er verspottet, gegeisselt und gekreuzigt werde. Aber am dritten Tag wird er auferstehen.» Solches wiederholte er seinen Freunden zur Vorbereitung und zum Trost. Aber sie verstanden es nicht. Ihr Herz konnte den traurigen und erfreulichen Sinn dieser Worte nicht fassen.

Aber welch ein lieber willkommener Gast war er, als er wieder nach Bethania zu seinen getrösteten Freunden kam. Sie wußten auch nicht, daß er nur auf dem Weg zu seinem Tod bei ihnen einkehrte. Ein Freund Namens Simon, bat ihn zur Mahlzeit. Lazarus, den er von dem Tod erweckt hatte, saß mit zu Tische. Die geschäftige Martha wartete auf. Die stille Maria aber trat während der Mahlzeit zu Jesu mit einem Gefäß voll köstlichen Nardenöls. Denn im Morgenland gehörte das zu den guten Gebräuchen, wenn man einem werthen Gast eine besondere Ehre erzeigen wollte, daß man sein Haupt mit kostbaren wohlriechenden Salben oder Oelen befeuchtete. Diese Ehre wollte das fromme zarte Gemüth der Maria dem Herrn anthun. Weil sich Jesus diesmal nicht in ihrem eigenen Hause bewirthen ließ, so wollte sie ihm ihre unaussprechliche Liebe und Dankbarkeit in dem Hause des Simon an den Tag legen. Sie öffnete das Gefäß und benetzte mit dem köstlichen duftenden Balsam, der darin war, das Haupt, ja auch die Füße Jesu und trocknete sie demuthsvoll wieder mit ihren Haaren. Diese Ehrenbezeugung nahm Jesus mit freundlichem Wohlgefallen auf. Sie kam aus einem frommen Herzen, das ganz von Dank und Liebe und Demuth erfüllt und bewegt war.

Aber wie ungleich sind die Gemüther der Menschen! Wie kann auch das edelste Gemüth mißkannt und getadelt werden! Einer von den Jüngern, Judas Ischarioth, ein finsterer Geselle, sprach: «Hätte man diese Salbe nicht für dreihundert Groschen verkaufen, und das Geld unter die Armen vertheilen können? Es war ihm nicht um die Armen zu thun, sondern um sich: denn er empfieng das Geld für die gemeinschaftlichen Ausgaben und für die Almosen in seine Verwaltung, und war daran ein Dieb. Aber auch einige andere Jünger, die doch so gutmüthig waren, ließen sich durch seine Reden irre leiten, und sagten das Nämliche, was er.

Wie mögen der armen Maria diese Reden so wehe gethan haben! Doch Jesus nahm sich ihrer an, und tröstete sie mit seinem Beifall. Den Redlichen, wenn die Menschen seine guten Absichten nicht verstehen, tröstet der Himmlische mit seinem Beifall. «Laßt sie zufrieden,» sprach Jesus, «was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir gethan. Arme habt ihr allezeit um euch, und so ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes thun. Mich aber habt ihr nicht allezeit.» Ja er gab ihrer Handlung noch eine schöne rührende Bedeutung, daß Maria ihn durch diese Salbung bereits zu seiner Begräbniß eingeweiht habe, weil man in jener Zeit auch die Gestorbenen vor ihrer Begräbniß zu salben pflegte. «Wahrlich,» sprach er, ich sage euch, wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis,, das sie gethan hat.»

Also steht es jetzt auch hier geschrieben, daß es gelesen werde zu ihrem Gedächtniß.

Viele fromme Worte, Werke und Thränen der Dankbarkeit und Liebe sind schon aus manchem betrübten Herzen hervorgegangen, von denen Niemand mehr etwas weiß, wiewohl im Himmel sind sie nicht vergessen. Aber was die fromme Schwester des Lazarus in dem Hause des Simon that, bleibt unvergessen, auch auf der Erde, wie Jesus gesagt hat. Wo das Evangelium verkündet wird in aller Welt, da sagt man auch zu ihrem Gedächtniß, was sie gethan hat, und erfreut sich ihres frommen zarten Sinnes bis auf diese Stunde.