BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Rudolf von Jhering

1818 - 1892

 

Scherz und Ernst in der Jurisprudenz

 

Zweite Abtheilung

Plaudereien eines Romanisten.

Bilder aus der römischen

Rechtsgeschichte.

 

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[172]

Ein Brief an die Redaktion. 1)

 

Sie fragen an, ob ich verstummt bin? Es fehlt wenig daran. Ich bin eingeschüchtert worden, ich wage kaum noch, meine Plaudereien in bisheriger Weise fortzusetzen. Es ist mir zu Ohren gekommen, daß meine Plaudereien in gewissen Kreisen Anstoß erregt haben, und ich besitze sogar ein direktes Zeugnis dafür aus Prag, worin der Verfasser sich redlich bemüht, mir die bittersten Dinge zu sagen. Da der Umstand, daß der Verfasser seinen Namen nicht genannt hat – er unterzeichnet sich kollektiv als „die bisherigen Leser der Juristischen Blätter“ –, mich der Möglichkeit beraubt, ihm auf privatem Wege eine Mittheilung zu machen, so benutze ich die gegenwärtige Gelegenheit, ihn in Kenntnis zu setzen, daß ich nicht in Gießen, wohin er seinen Brief gerichtet hat, sondern in Göttingen wohne. Hätte die Postbehörde in Gießen meinen gegenwärtigen Aufenthaltsort nicht besser gekannt als er, sein Brief wäre nie in meine Hände gelangt, und ich wäre dadurch um die Kenntnis des Eindrucks gekommen, den meine Plaudereien bei den „bisherigen Lesern“ Ihrer Blätter in Prag hervorgerufen haben. Der Briefsteller, der in ihrem Namen das Wort ergreift, hat offenbar den besten Willen, mir recht widerwärtige Dinge zu sagen, und sein Brief würde nichts zu wünschen übrig lassen, wenn sein Witz auf derselben Höhe stände mit seinem guten Willen. Nach der Probe, die er mir davon gegeben, begreife ich es, daß er an meinen Plaudereien keinen Gefallen finden kann, es würde mir ganz ebenso gehen, wenn ich in seiner Haut steckte. Es fällt mir [173] dabei die Antwort ein, die ein witziger Kopf ertheilte, als man in seiner Gegenwart einen Anderen einen Kopfhänger nannte: „Wenn ich einen solchen Kopf hätte, ließe ich ihn auch hängen!“ – Hätte ich einen solchen Kopf wie mein Anonymus aus Prag, die Welt wäre bei mir vor den Plaudereien eines Romanisten ebenso sicher gewesen, wie sie es bei ihm sein wird.

Wäre nur er es allein, der an denselben Anstoß genommen, ich würde die Sache nicht so ernst nehmen, allein es sind seiner Unterschrift zufolge Ihre sämmtlichen Abonnenten in Prag, die mir durch ihn den Absagebrief haben zukommen lassen, und ich halte mich in Ihrem Interesse verpflichtet, Sie nicht durch Fortsetzung meiner Plaudereien in Gefahr zu bringen, Ihre Prager und sonstigen gleichgestimmten Abonnenten einzubüßen. Sie dürfen die Sache nicht zu leicht nehmen. Ihre Abonnenten haben einmal den Anspruch auf wöchentliche Verabreichung der bisherigen gewohnten juristischen Hausmannskost, und Sie dürfen ihnen nichts vorsetzen, was auf diese Bezeichnung keinen Anspruch hat. Wollen Sie also, wie ich aus Ihren Mahnbriefen an mich entnehme, daß die bisher unterbrochenen Plaudereien eines Romanisten fortgesetzt werden, so bleibt, um den Interessen und dem Geschmacke der beiden Leserkreise Ihres Blattes, von denen der eine auf der bisherigen soliden Verpflegung besteht, der andere aber sich neben derselben auch einmal leichtere Kost gefallen lassen will, gerecht zu werden, nichts übrig, als von jeder Nummer Ihres Blattes eine Doppelausgabe zu veranstalten, die eine $mit%, die andere $ohne% meine Plaudereien. Der Zweck dieser Zeilen besteht darin, Ihnen im Interesse Ihres Blattes die Annahme dieses meines Vorschlages dringend ans Herz zu legen. Eine derartige Doppelausgabe eines und desselben Blattes ist nicht ohne Gleichen. Es gab eine Zeit, wo eine unserer ersten deutschen Zeitungen [174] von jeder Nummer zwei Ausgaben veranstaltete, die eine für das Österreich Metternich's: zahm, harmlos, unschädlich; die andere für die übrige Welt: minder ängstlich und diätetisch eingerichtet. Auch die Literaturgeschichte weiß von Fällen zu berichten, wo Exemplare eines und desselben Werkes für gewisse Personen, in deren Hände sie gelangen sollten, verschieden gedruckt wurden. Ein Verfasser, der den Wunsch hegte, mehreren Personen sein Werk zu dediciren, aber nicht in Gemeinschaft, sondern jeder einzelnen für sich, löste diese scheinbar unlösbare Aufgabe dadurch, daß er für jedes der Dedikations-Exemplare ein besonderes Dedikationsblatt drucken ließ, auf dem nur der Name Desjenigen prangte, dem er es überreichte – eine sinnvolle Imitation der Korreal-Obligation auf dem Gebiete der Literatur, die aber, sollte sie ihren Zweck erreichen, voraussetzte, daß kein correus von dem anderen Kunde erhielt, was in jenem Fall nicht zutraf. Sie Ihrerseits würden bei der zu veranstaltenden Doppelausgabe nicht so behutsam zu Werke zu gehen brauchen. Kündigen Sie dieselbe öffentlich an und überlassen Sie es jedem Ihrer Kostgänger, sich die seinem Geschmack entsprechende zu wählen.

Meine briefliche Mittheilung ist hiemit beschlossen; wir verfügen uns Beide in die goldene Ente und setzen dort unsere Plaudereien fort. Wenn sie etwas ernster ausfallen sollten, als bisher, so schieben Sie es auf die gedrückte Stimmung, in die mich das obige Schreiben versetzt hat.

 

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1) Juristische Blätter 1880 Nr. 23 - 27.