August von Platen
1796 - 1835
Die AbbassidenEin Gedicht in neun Gesängen
1930
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Siebenter Gesang.
Unterdeß erwartete lang vergeblichIhren Freund die Königin Selmira:Ordnen ließ sie ein verschwenderisch Gastmahl,Um den Großen ihres Reichs den theuern | |
5 | Sohn des Harun Alraschid zu zeigen;Doch es fehlt der Gast. Selmira sendetFrau'n und Diener aus mit Fackelbränden,Die den Fremdling durch des weiten GartensSchattige Lauben und Terrassen suchten. |
10 | Endlich wurden jene Thongefäße,Vom Matrosenvolk zurückgelassen,Bei der Quelle wahrgenommen; offenStand die Seitenthür des Parks, und BehramsFlüchtiges Fahrzeug war hinweggesegelt. |
15 | Daß er selbst verrätrisch eingeschlichen,Daß er weggeschleppt den AbbassidenSchien Gewißheit. Eilig ward der FürstinDiese Schreckenspost verkündet. PlötzlichUeberrascht von ihrem Schmerze, stand sie |
20 | Wie versteinert; doch die Herrscher kleidetSelbstbewußter Sinn, und wo den armen,Niedern Erdensohn ergreift Verzweiflung,Ziemt's dem Mächtigen, seiner mächtigen MittelEingedenk, Verhängtes abzuwehren: |
25 | So verstrickt im Netz ein Vogel leicht sich,Das der Löwe leicht zerreißt. SelmiraBrach in solche Worte schnell gefaßt aus:Auf! Im Nu verfolgt die Hochverräter!Auf! und rüstet meine ganze Flotte! |
30 | Schleunig wandle durch die Stadt ein Herold,Anzuflehn des Volkes ganze Jugend!Was an Mannschaft auf der sandigen Rhede,Was im sichern Haven weilt, besteige |
35 | Eure Königin voran, die Schiffe!Sprach's und vom Pallaste ging ein lautesRufen durch die Palmenstadt, die SchläferFuhren aus dem Schlummer auf, von FackelnLeuchtete rings der Strand, das Volksgewimmel |
40 | Füllte tosend mit Geschrei den Steindamm.Ohne Zaudern stieg die schöne FürstinSelbst hinunter, noch im Schmucke schimmernd,Den sie angelegt, dem Fest zu Liebe:Ein Juwelendiadem in ihren |
45 | Ueppigen schwarzen Locken, trat sie mutigAls Beschleunigerin der trägen ArbeitAuf's Verdeck des segelfertigen Schiffes.
Endlich zieht an Bord das ungeheureAnkertau das junge Volk mit frohem |
50 | Wechselsang. Der Königin zum LobeScholl der Hymnus und zum Trotz den Feinden.
Weiten Vorsprungs war das MagierfahrzeugAuf der glatten Fläche hingesegelt;Doch Selmira's mastenreiche Schiffe |
55 | Glitten schneller durch die Flut, und Behram,Eh' in's Meer versank die nächste Sonne,Sah verfolgt sich und gemach umzingelt.Keine Rettung, rief er aus, erspäh' ich; |
60 | Aber doch ein Mittel bleibt. Den JünglingBindet los, und vom Verdeck hinunterSchleudert ihn in's dunkle Bad! Der SalzflutSei geweiht dieß Opfer; mög' ein andresSühnen einst die Majestät des Feuers!
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65 | So befahl er, seine Schaar gehorchte:Assurs Bande lösend strebt das Schiffsvolk,Ihn ergreifend, über Bord zu schleudern;Doch verächtlich stößt der AbbassideSeine Henker weg, und leichten Schwunges |
70 | Springt er selbst in's wallende Meer hinunter.Jene steuern weiter; als der JünglingWieder aufgetaucht, versucht er schwimmendNach dem Ufer sich zu retten, welchesZwar entfernt, doch nicht zu sehr entfernt war. |
75 | Aber allgemach versagt die Kraft ihm.
Sieh, da ward die gute Fee MelindaDes dem Assad einst gegebnen WortesEingedenk, den Bruder ihm zu schützen,Sollte je die höchste Not bedrohn ihn. |
80 | Einen Delphin sendet ihm Melinda,Welcher lustig durch die PurpurwogenSchien zu scherzen um den müden Jüngling.Assur schlingt den Arm um ihn, der DelphinRauscht der Küste zu. Sobald die Brandung |
85 | Tosen hört der edle Sohn des Harun,Läßt er los des Fisches riesigen Nacken,Bis zum Uferkies gemächlich schwimmend.Eine kleine Felsenbucht erreicht er,Wo mit halbgestürzten Säulengängen |
90 | Stand ein Landhaus, dessen morsche HalleDürftigen Fischern nun zum AufenthalteDienen muß. In's Meer hinaus gefahrenWaren diese, keine MenschenseeleFindet Assur. Sein Gewand an eine |
95 | Säule hängend, um 's zu trocknen, legt erSchlafbedürftig in den nächsten Kahn sich,Der, geknüpft an einen knotigen Oelbaum,Ueberschattet war von dessen Zweigen.
Unterdessen – wie man oft im Norden |
100 | Schwanenhälsige Schlitten pfeilgeschwind siehtGleiten über's Schneegefild und lustigGlöckchen wehn hört um den Hals der Pferde –Zog heran in unaufhaltsam raschemZuge, mit Triumphgeschlei, mit wilder |
105 | Festmusik Selmira's rüstige Flotte.Während Behrams Steuermann im NackenSchon zu fühlen wähnt der Feinde Bugspriet,Ruft dem Sohne Schehriars die FürstinVom Verdeck zu diese stolzen Worte: |
110 | Hochverräter, der du mein VertrauenSchnöd gemißbraucht, meiner Gnade Hohn sprichst!Gieb heraus das Opfer, das du rücklingsUns entführt, den jungen AbbassidenUeberliefere meiner Schaar, wofern dir |
115 | Samt den Deinen, theuer ist das Leben!
Ihr versetzte drauf der listige Behram:Wär' es möglich, daß du solchen ArgwohnGegen mich, o Königin, von dem duDank erwarten darfst und Hülfe, nährtest? |
120 | Auf! Herüber sende deine Krieger!Findet sich auf meinem Schiff der Flüchtling,Gern das Haubt dann biet' ich dar dem Henker;Doch bewährt sich meiner Rede Wahrheit,Ziehen laß uns dann in Frieden, halte |
125 | Dein gegebenes Wort, ich hielt das meine!
Augenblicks das Magierschiff besetzenLäßt die Königin durch ihre Mannen:Eifrig suchend steigen vom Verdeck sieMit den Fackeln bis zum untern Schiffsraum; |
130 | Doch sie finden keine Spur des Prinzen.Wiederum durchspäht und immer wiederJeden Winkel ihre bange Sorgfalt,Immer fruchtlos! Grimmig dann verlassenZwar das Schiff sie; doch von allen Seiten |
135 | Stecken sie's in Brand mit ihren Fackeln.Prasselnd kracht es und die Flamme lodert,Mast und Segelwerk verzehrend, hoch auf.Schmerzbewegt erblickt von fern SelmiraDiesen Brand, und fühlt die schönste Hoffnung |
140 | Ihres Herzens auch zur Asche werden.Aber bald besiegen Groll und RacheJedes sanftere Schmerzgefühl der Liebe;Mächtig gegen ihre Schaar beginnt sie:Mögen schuldlos am Verschwinden Assurs |
145 | Jene Bösewichter sein, so büßenNur mit Recht sie jede frühere Schandthat!Doch des Menschenopfers blutige Gräuel,Die der Herr und sein Prophet verabscheut,Sollen länger nicht bestehn! O meine |
150 | Segler, jetzo gilt's zu segeln, jetzoGilt's mit Muth zu kämpfen, meine Kämpfer!Auf! Es folge mir die ganze FlotteNach der Magierstadt, um auszurottenJenen schnöden Götzendienst auf ewig |
155 | Um den Wütrich, der mit ehernem ZepterDort gebeut, zu stürzen! Auf! Es lebt nochAbdorrachman's Tochter Diwisade,Jenes angemaßten Thrones Erbin:Wieder soll sie ihn besteigen, dankend |
160 | Mir, der Herrscherin, und euch, den Helden!
So die Fürstin unter lautem Beifall.Schleunig wendet sich die ganze Flotte,Wie im Herbst ein Schwalbenzug, gen Mittag.Diesen Augenblick benützte Behram: |
165 | Aus dem brennenden Schiffe springt in's Boot er,Samt den Seinen, die mit kräftigen RudernEmsig streben nach der nächsten Küste.Diese wurde bald erreicht, sie steigenFroh an's Land, und eine Fischerwohnung |
170 | Sehn sie lehnen sich an alte Mauern:Jener nahn sie sich. Es war indessenNacht geworden, eine sichere ZufluchtSucht die Schaar; sie finden leer die Wohnung,Doch sie schüren Feuer, einige Krüge |
175 | Weins entdeckt in einem Winkel Behram,Und es zechen ohne Wirth die Gäste.Aber nachbarlich und solche NachbarnNicht vermutend, schlief Mohadi's Enkel,Wenige Schritte nur entfernt, im Nachen. |
180 | Als er Lärm vernimmt, erwacht er; schleunigRafft er seine Kleider auf; ein gastlichLicht gewahrt er aus der Hütte schimmern,Dieses lockt ihn, pochend einzutreten.Schon das Wort des Grußes auf der Lippe |
185 | Steht er mitten unter Feinden plötzlich,Denen kaum er wunderbar entronnen.
Wie ein Knabe, der im Meer die frischenGlieder badet, wenn er unversehensAuf der Seekastanie stets bewegte, |
190 | Spitzige Stachel tritt, im Nu zurückfährt,Blaß vor Schrecken, also that es Assur.Aber Behrams scharfes Auge hatteSchon erspäht die unverhoffte Beute:Sohn des Harun aus dem Stamm des Abbas, |
195 | Rief er aus, willkommen! Unsere GötterSind gewaltiger, als der Gott Muhammeds!Ihnen, scheint es, sind KalifensöhneZwar ein seltnes, doch gefälliges Opfer,Dem sie nun und nimmermehr entsagen! |
200 | Komm, empfange meinen starken Handschlag!Theil' als Gastfreund unser Fest, und deineRechte fest in meiner, mit der LinkenNimm aus meiner Linken diesen Becher!Dieses rufend, hält er ihn und reicht ihm |
205 | Dar den Wein; doch scheint die süße LabungGift dem Jüngling, welcher trinkt und zittert,Halb noch ungewiß, ob Wirklichkeit ihn,Oder ein böser Traum die Seele peinigt.Während dessen kehrten heim die Fischer, |
210 | Zwei den Fang und zwei die Netze tragend.Aber zögernd standen, offenen Mundes,Auf der Schwelle da die Junggesellen,Solcher Freunde nicht gewärtig. BehramRief entgegen ihnen: Heil der Mahlzeit, |
215 | Die den Hungrigen bringt zur rechten Frist ihr!Fürchtet nichts, ihr Männer! Eure Hütte,Räumt sie gastlich uns für diese Nacht ein,Theilt mit uns, was euer Netz erobert:Dann, sobald der nächste Morgen anbricht, |
220 | Werd' ein Führer uns der Kundigen Einer,Um den Weg in's Magierland zu finden.Reichlich, Freunde, werd' ich euch belohnen!
Spricht's, und willig drauf genehmigen Jene;Assur aber ruft sie an: Geliebte, |
225 | Werte Männer! Mit Gewalt und UnrechtHalten diese Räuber mich gefesselt.Rettet mich! Und wenn zu schwach ihr selbst seidGegen diesen Haufen, eilt dem nächstenFlecken zu, der nächsten Stadt, um Hülfe |
230 | Mir zu schaffen; Schirm verdient die Unschuld!
Aber schnell darauf versetzte Behram:Hütet euch, Verbrechern euch zur BrustwehrAufzuwerfen! Schuldig ist der Jüngling,Meuchelmords und alles Bösen schuldig. |
235 | Wolltet ihr ihn retten, was vermöchtetGegen uns ihr Wenigen? Bis zur Stadt ihrEure Botschaft brächtet, wären langeWir hinweggezogen: Nein! BereitetUns ein Mahl, bereitet uns ein Lager, |
240 | Andere Sorgen überlaßt der Vorsicht!Spricht's, und schweigend unterziehn die FischerSeinem Wort sich. Drauf, am nächsten Morgen,Führt die ganze Schaar der Kundigen EinerDurch's Gebirg, dem fernen Magierland zu.
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245 | Aber wenden wir den Blick zurück nunNach der Not, in der befand sich Assad,Welcher schwimmend zwischen kantigen KlippenSchwebte zwischen Tod und Leben. JedenAugenblick droht ihm der Fels Zerschmettrung, |
250 | Dessen schneidende, durch die Flut zerfress'ne,Scharfe Spitzen hindern jede Landung.Aber, droht der tückische Fels Gefahr ihm,Mehr Gefahr noch droht das uferloseTiefe Bett des Oceans; die Beute |
255 | Doppelter Drangsal, wählt der hoffende JünglingSchmerzensvolleren, aber ungewissernUntergang. So wählt ein wunder Krieger,Statt des Todes, den Natur herbeiführt,Oft Verstümmelung durch die Hand des Arztes, |
260 | Die vielleicht ein qualenvolleres Ende,Doch der Rettung Möglichkeit zugleich beut.Rings umschwimmt das kleine FelseneilandSpähend Assad, und zuletzt entdeckt erEin Gestrüpp von immergrünen Eichen, |
265 | Dessen wehende Zweige nach der Flut sichSenkten windbewegt. Mit raschem SprungeFaßt er einen starken Ast und schwingt sichAuf den Fels. Der Insel flachen GipfelBald erreicht er kletternd ihn und mühsam. |
270 | Aber ach! Wozu so vieler ArbeitSchweiß und Kampf? Auf einer schmalen KlippeSteht er hoffnungslos, er sieht das weiteBlaue Meer und hört es mächtig branden!Doch er sieht kein Menschenschiff. Das Eiland |
275 | Bietet nichts, als wilde Myrten, nirgendWar ein Obdach, nirgend eine Quelle,Während schonungslos die SonnenpfeileSeine Scheitel treffen, seine FersenIhm der heiße Boden sengt, und dennoch |
280 | Schwellt noch Hoffnung seinen jungen Busen.Sieh, da tritt, indem er sinnend wandelt,Ihm in's Aug' ein hohes, kreidiges Felsstück;Aber, als er näher tritt, erkennt erStatt des Steins ein weißes, ungeheures |
285 | Ei, das Ei des Vogel Rocks. VerwundertStaunt er's an, und will's zuletzt zerschlagen,Nahrung d'raus zu saugen. Plötzlich aberFällt ein keckes Wagestück in seineStets erfinderische, wache Seele. |
290 | Horch, und kaum war sein Gedank' im Werden,Als er über sich ein lautes SchwirrenHört, und eine Wolke schien den HimmelEinzuschleiern! doch der Vogel Rock war's,Der die mächtigen Riesenfittige senkte. |
295 | Assad wirft zu Boden sich, der VogelSetzt sich brütend auf das Ei. BedächtigKriecht heran der athemlose Jüngling:Mit dem seidenen Gürtel knüpft er fest sichAn die Klau'n des Flügelungeheuers. |
300 | Dieses hebt sich über eine WeileLeicht empor und schneidet durch den Aether:Eine lustige Reise für den Vogel,Eine bange für den Sohn des HarunUeber's Meer und über Länderstrecken. |
305 | Endlich schwebt das Ungetüm in langenKreisen über einer Schlucht, es neigt sichAllgemach, und dann berührt's den Boden.Mit der letzten Kraft ermannt sich Assad,Leise lösend seine seidne Binde. |
310 | Doch der Vogel hascht sich eine Beute,Die er ausgespäht von oben; wiederSchwingt er hoch sich dann und war verschwunden.
Seiner kaum bewußt und totenähnlichLag der Jüngling, bis ein tiefer Schlaf ihn |
315 | Ueberfällt, der ihn erquickt und rettet.Doch der Ort, wohin der Vogel trug ihn,War das tiefe Thal der Diamanten,Durch der Felsenwände jähsten AbfallUnzugänglich jedem Erdensohne. |
320 | Nur mit List beraubt der Mensch und spärlichDiese Thalschlucht ihrer Schätze. GroßeKlumpen Fleisches wälzen vom GebirgeJährlich nieder in's Gethal die Hirten:Diese Beute lockt das Raubgevögel, |
325 | Die empor sie fischen; doch am FleischeBleiben einzelne Diamanten kleben:Lärmend jagen dann die JunggesellenJenen Thieren ihren reichen Fang ab.
Dieß das Thal, in dem erwachend Assad |
330 | Um sich blickt; er sieht die wundervollen.Prächtigen Steine, deren Werts er kundig.Mit den schönsten füllt er froh die beidenAermel an; doch abermals erkennt erEiner fruchtlos angestrebten Rettung |
335 | Wahnversuch. Die schroffen Wände bildenEinen Kerker um den Sohn des Harun.Nahrung spendet ein JohannisbrodbaumKärglich ihm, der aus dem Felsen aufsproß;Hülfe sieht er nirgend. Traurig setzt er |
340 | Unter'n Schatten sich, und fährt verzweifelndMit der Rechten nach der Stirn; da blitzetIhm in's Aug' der schöne Ring Melinda's.Konnt' ich dich, so ruft er aus, vergessen,Mächtiger Talisman der holden Göttin? |
345 | Ewige Kurzsicht ist das Loos des Menschen!Während hier ich nach Juwelen suchte,Trug den schönsten ich am eignen Finger,Der allein mich retten kann! Zu sparenBis zum Augenblick der höchsten Not ihn, |
350 | So befahl die Geberin des Ringes,Und ich that's; jetzt aber schlägt die StundeSeiner Kraft und Wirksamkeit! – Er sprach es,Während mächtig Diwisadens BildnißIhm erwacht und seines Bruders Assur. |
355 | Um den Zeigefinger dreht den Ring er:Möcht' ich rasch und augenblicks, so ruft er,Stehn am Thor der Magierstadt! Er hatteKaum vollendet, als er stand am Thore. |