BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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8

 

Arbeitszimmer des bisherigen Protektors Konstantin von Neurath. Bei ihm ist der Sektionschef im tschechischen Ministerium, Professor Napil.

Professor Napil: „Ich versuche auf Ihrem Gesicht zu lesen, meine Augen lassen nach. Dennoch würde ich jederzeit bezeugen, daß die Ermordung der Studenten auch Sie unvorbereitet und schmerzlich getroffen hat.“

Neurath: „Sie irren, Professor Napil. Sie irren zweifach. Die Aufständischen sind nicht ermordet, sie verdienten die schwerste Strafe.“

Professor Napil: „Die nicht Sie verhängten. Ihren Schmerz um die jungen Leute leugnen Sie nicht.“

Neurath: „Ich leugne ihn nicht, aber ich hätte mich mitschuldig gemacht, wenn ich das Verhängnis aufhielt.“

Professor Napil: „Ihre Geheime Staatspolizei, ein Verhängnis! Sie ist es, und kann nur immer verhängnisvoller werden. Sie, Neurath, verlassen uns jetzt. Ihr Zurückweichen vor der Organisation, der Ihr Nachfolger angehört, war falsch, und Sie handelten vergeblich falsch.“

Neurath: „Ich handelte meinen Wünschen entgegen. Hätte ich aber die Studentenrevolte unbestraft gelassen, morgen stände dieses ganze Volk auf, und unsere Vergeltung müßte unabsehbar sein.“

Professor Napil: „Sie wären daran unbeteiligt. Sie wären abberufen, etwas ungnädiger als jetzt, aber Ihr Gewissen wäre rein.“

Neurath: „In dieser Stellung verzeichne ich nur Mißerfolge. Den Frieden mit euch herzustellen – jeder Ausweg in den Frieden wurde mir verlegt durch den bösen Willen – eurerseits, nur eurerseits, wie ich betone.“

Professor Napil: „Denn unmöglich können Sie die Bosheit auf einer anderen Seite suchen. Ihr Nachfolger, der Gestapomann, genießt den Ruf, daß er den Frieden hierzulande aufbauen wird, in der Form von Galgen.“

Neurath: „Die Kritik meines Nachfolgers muß ich mir verbitten. Auf einen Neurath folgt ein Heydrich, weil –.“ Er sucht. Er hat gefunden: „Weil der Führer immer recht hat.“

Professor Napil: „Auch hier unter vier Augen?“

Neurath: „Ich bin ein Deutscher.“

Professor Napil: „Daher zur Raserei verpflichtet. Ich bedaure meine armen Landsleute mehr als die Ihren. Sie persönlich haben mein Mitgefühl.“

Neurath: „Wenig Ursache, lieber Napil.“

Professor Napil: „Für Sie, den gebildeten Mann, war es keine Kleinigkeit, unsere Prager Universität zu schließen. Die Demonstrationen der jungen Leute konnten natürlich nur zunehmen.“

Neurath, schweigt.

Professor Napil: „Nachher gestanden Sie ein, was Sie anders nicht zugeben durften, Sie besuchten meine privaten Vorlesungen.“

Neurath: „Was war noch zu verlieren?“

Professor Napil: „In der Tat. Die erste dieser Kleinigkeiten bedingt schon die nächste. Als Sie, Neurath, mir verboten, unsere volkstümlichste Oper zu spielen –.“

Neurath: „Und als Sie, Napil, die Leitung des Nationaltheaters niederlegten –.“

Professor Napil: „Da begann eigentlich der Schrecken. Oh! es erscheint unbedeutend, eine Oper zu verbieten. Die Leute werden von der Bühne nicht länger hören, was in ihren Herzen klingt. Die Kinder kann man ohne sichtbaren Nachteil anhalten, das Abc in einer fremden Aussprache herzusagen. Mit ungeheurer Folgerichtigkeit aber werden eines Tages die nackten Getöteten daliegen, und unseren Frauen wird handgreiflich bewiesen, daß sie das Abc deutsch aufsagen, nein, daß sie in das Blut steigen müssen!“

Neurath: „Als vorhin die Nachricht eintraf, sahen Sie mich erschüttert. Meine ganze Erschütterung sahen Sie nicht!“

Professor Napil, senkt die Stirn: „Wir werden uns nie wiedersehn. Wir achteten einander.“

Neurath geleitet ihn nach dem Ausgang hinter der Bibliothek, sie ist zu einem großen Teil schon in Kisten verpackt.

Professor Napil, reicht zum Abschied die Hand.

Neurath, nimmt sie noch nicht: „Was ich für euch tun kann, ist euch zu warnen. Alle eure Intellektuellen mögen sich hüten, auf sie ist es abgesehen.“

Professor Napil: „Ich versichere –.“

Neurath: „Ersparen Sie sich die Unwahrheit, sie ist unserer nicht würdig. Auf die Stunde, eure Waffen auszugraben, wartet dieses ganze Volk, den Intellektuellen aber gehört sein Vertrauen. Die Tschechen legen zuviel Wert auf das Wissen – eine unzeitgemäße Nation, mit ihren Denkern, die gezählt, gezeichnet sind und auf Todeslisten stehen.“

Professor Napil: „Der uns rächen soll, ist vielleicht auch schon vom Schicksal ernannt.“

Neurath: „Warum denn sterben? Gewöhnt eurem Volk die Ehrfurcht ab! Macht euch ihm verächtlich, verratet es! Das ist die einzige Wohltat, die ihr ihm erweisen könnt.“

Professor Napil: „Wie bitter müssen Sie scheiden! Ich gehe getrost durch meine dunkle Tür. Welcher unbekannte Wagehals tritt statt meiner herein?“

Sie geben einander die Hand.