BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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96

 

Das Dorf unten raucht weiter, nachdem der Feind es verließ. Die Armee der Verteidiger hält ihre Stellungen auf diesem Berg, vor den Paßwegen und im fernen Umkreis des Gebirges. Der Feind wird wiederkehren, die Verteidiger werden bereit sein.

Ihre vorgeschobenen Posten richten sich für die kommende Nacht im Tal ein, dort wo der Wildbach anfängt in Strudeln zu fließen und wo die Armee den Feind heute schlug. Seine Toten aus dem Gefecht liegen noch hinter manchem Stein. Männer, die sie lebend nicht gefürchtet hatten, erschrecken, wenn unvermutet ihr Fuß einen toten Feind berührt.

Jaroslav Ondracek, hat einen gefunden: „Das mag ich nicht.“

Pavel, bleibt, wo er sitzt: „Ein toter Feind riecht gut, hat einer der vielen großen Männer gesagt.“

Jaroslav: „Achtung vor den großen Männern. Dieser Feind aber –.“

Lyda: „Riecht nicht, er macht uns nur erbarmen.“

Pavel: „Noch peinlicher.“

Er läßt die beiden anderen mit ihrem Fund tun, was sie wollen. Sie tragen ihn an das Wasser und werfen ihn hinein, nachdem sie gedämpft bis drei gezählt haben.

Jaroslav: „Getroffen, mitten hinein. Auch diesen nimmt die Strömung noch mit.“

Lyda: „Dann wird der Bach ihn in den Fluß führen, und der Fluß in das Meer.“

Jaroslav: „In ein Meer, das wir nicht kennen.“

Pavel, von seinem Stein her: „Das Mittelländische, was weiter. Haben alle darin Platz, wir auch.“

Lyda, geht zu ihm: „Du bist nicht gefühllos, Pavel, du machst den Müden, der zu viel gekannt hat. Vergiß doch!“

Pavel: „Wir sind in Sicherheit. Wozu?“

Lyda: „Um zu kämpfen, auch nicht immer ein sicheres Geschäft. Du kannst es wissen, seit du heute richtig gekämpft hast.“ Freundliches Lächeln: „Anders als am Altmarkt.“

Sie nimmt ihr Gewehr auf. Ihre langen Hosen, ihre kurze Jacke lassen sie größer erscheinen. Die hellen Haare legen um Hals und Wangen eine volle, leichte Welle. Das Gesicht wird durchsichtig vom bleichen Licht des beendeten Tages. Ein letzter Sonnenstrahl, den der Berg herüberläßt, tuscht etwas schwache Röte auf die erhöhten Backenknochen und die wohlausgebildeten Lippen. Wunderbar belebte Augen strahlen, blau wie nie, das Mädchen ist schön, der Kopf und die Gestalt.

Pavel: „Zum Erstaunen, wie gut der Krieg dir steht!“

Lyda: „Und dir! Ich beobachtete dich in dem Handgemenge, zum Schluß, bevor die Feinde davonliefen. Nennt man es Handgemenge?“

Pavel: „Mit der bloßen Hand tötete ich keinen, das können die Bären hier im Gebirge. Von wo sähest du mich, o Siegerin über mein Herz?“

Lyda: „Du bist neugierig, und ich bin geheimnisvoll. Ein Geheimnis ist nicht nur die süße Komödiantin, die du dir mitgebracht hast.“

Pavel: „Milo – geheimnisvoll, ja, sogar süß, du willst lachen. Von allem, was dir gegeben wurde, hat sie das Gegenteil.“

Lyda: „Kannst du wissen? Was aber war sie – am letzten Tage Heydrichs? Du hattest die beiden allein gelassen.“

Pavel: „Leider.“

Lyda: „Gewisse Umstände berührt sie nicht, verlangt Schweigen, und der Wokurka gehorcht ihr.“

Pavel: „Der ist nicht eingeweiht – in was denn auch. Die Umstände sind meine allein, ich hielt das Schicksal Heydrichs nicht auf, war ich dafür bestellt? Der einzige, der ihm das Ende bereitet hatte, konnte nur zulassen, daß es sich vollzog.“

Jaroslav, hat die letzten Worte gehört, ist unzufrieden: „Dann bereue nicht!“

Pavel: „Bereuen, wenn ich doch berufen war!“

Lyda: „Und überschätze dich nicht! Vielleicht war dein Anteil kleiner als heute in dem – Handgemenge.“

Jaroslav, lenkt schnell über: „Hier hast du dich gezeigt, wie du wirklich bist, offen und brav. Wir, hinter unserem Felsblock oben, vergaßen darüber, das Gewehr zu laden.“

Lyda: „Du, Vater, der Scharfschütze, der keinen verfehlt hat!“

Jaroslav: „Ich, der Scharfschütze, vergaß mich. Als ein Angreifer dem Pavel nach der Brust stieß, fiel aber um und war tot, wer hatte getroffen? Die Schönheit hier, du hättest sie sehen sollen.“

Pavel: „Ich sehe sie.“ Er zieht Lyda hernieder auf den Stein, der ausgehöhlt wie eine Mulde ist: „Ihr, das Ruhebett. Mir, die Kiesel zum Hinknien.“ Er kniet.

Lyda, den Arm um seinen Nacken: „Liebst du mich, mein Pavel?“

Pavel: „Dein wie je.“

Lyda: „Mehr. Du mußt mehr mein sein als in der Zeit, die glücklich aus ist.“

Pavel, entzieht sich ihrem Arm, kniet verlassen auf den Kieseln: „Glücklich aus, finden die paar Geflüchteten. Die Hingerichteten aber, die dem Mörder geholfen haben sollen, als ob den Mörder einer kennte – werden auch sie gesagt haben: Glücklich aus? Das Volk, das Land, was sagen sie? Der Pavel Ondracek, ein feiner Bursche, läuft uns davon, nun wir ihn am nötigsten gebraucht hätten.“

Jaroslav: „Schon wieder bei der alten Geschichte. Sag, wenn du kannst, was du dort noch gemacht hättest, nun Heydrich tot ist.“

Pavel: „Das kann ich dir sagen. Vor meinem Abschied sprach ich zu Arbeitern und Soldaten – tschechischen Arbeitern, deutschen Soldaten, aber es war kein Unterschied mehr. Vereint hätten sie die Revolution gemacht.“

Jaroslav: „Man erwartet sie zuweilen. Dein Heydrich, wenn er lebte, hätte sie niedergeschlagen.“

Pavel: „Er durfte nicht sterben, das ist es. Sein Tod, wo und wie er ihn auch betroffen hat, ungeschickt war sein Tod, als war ich selbst ums Leben gekommen.“

Lyda: „Woher nimmst du die Weisheit? Dein Hauptmann Krach könnte dir wohl erzählen, was er sah und du nicht sähest.“

Pavel: „Hauptmann Krach ist seiner Wege gegangen, er war dort fertig. Das aber erfährt er nie, und erfährt niemand leicht, leicht schon gar nicht, wie man ein anderer wird. Ich – und der verhaßte Feind waren derselbe geworden, für jeden, der mich hört, ist's ohne Sinn.“

Jaroslav, mitleidig: „Es ist ohne Sinn.“

Pavel, leidvoll: „Er – ich, er – hätte eines Tages das Zeichen gegeben, die Waffen auszugraben. Die Befreiung! Unser Land war aufgebrochen nach der Befreiung.“

Jaroslav: „Der Henker – dir beistehen?“

Lyda, sanft: „Unser Land, nicht seines. Besinne dich, du Lieber!“

Jaroslav, nur für Lyda: „Er hat denken gelernt, wir nicht. Sein Geist begeht sinnreiche Fehler, unserer erzeugt weder Unsinn noch großen Sinn. Laß Pavel ausruhen!“

Lyda: „Er denkt weit voraus, was wirklich geschieht, ist ihm zu langsam.“ Über Pavel geneigt: „Habe Geduld! Von uns wird nun einmal verlangt, daß wir warten können.“

Pavel: „Im fremden Land verteidigen wir Berge, die morgen wieder angegriffen werden.“

Lyda: „Hör auf! Du willst nicht warten, aber wie lange warte ich – daß wir heiraten?“

Pavel, schnell auf: „Das hab ich nicht vergessen.“

Lyda: „Nur überschlagen hast du es.“

Pavel: „Die Kirche dort unten ist nicht mit verbrannt, sie steht abseits vom Dorf. Komm! Wir suchen den Kaplan.“

Lyda: „Wenn ein Kaplan da ist. Sie sollen oft erschossen werden.“