Fassadenintegrierte Bioreaktorsysteme
Projektbeschreibung
Vom Feind zum Freund: Algenkultivierung an der Fassade
Aus Algen können sowohl Wirk- als auch Wertstoffe für unterschiedlichste Anwendungsfelder in der Industrie extrahiert werden. Zur Kultivierung von Mikroalgen wurden fassadenintegrierte Photobioreaktoren entwickelt durch deren Einsatz der Verbrauch von Ackerfläche vermieden wird.
Damit wird der sogenannten Teller-Tank-Problematik aus dem Wege gegangen. Der aerosolbasierte Reaktor ermöglicht die Kultivierung von terrestrischen Algen und unterscheidet sich daher erheblich von bisherigen aquatischen Photobioreaktoren. Im Rahmen eines vom BMBF geförderten Verbundforschungsvorhabens wurde ein 1:1 Prototyp an der Hochschule Augsburg aufgebaut.
Biotechnologischer Hintergrund
Die wachsende Nachfrage nach bioaktiven Substanzen für die Lebensmittel-, Futtermittel-, kosmetische und pharmazeutische Industrie verlangt nach innovativen, ressourcenschonenden Produktionsmethoden. Nimmt man das Stichwort Ressourcenschonung ernst, so muss bei einem „Upscaling“ der Flächenverbrauch und die damit verbundene Flächenkonkurrenz mit der Nahrungsmittelindustrie und anderen biobasierten Produkten beachtet werden.
Die meisten bioaktiven Substanzen werden heute biotechnologisch mittels Bakterien heterotroph, also unter Verbrauch von Kohlenhydraten und hohem Flächenbedarf hergestellt. Algen wachsen phototroph und können mit Hilfe von Sonnenlicht und CO2 aus der Luft ihre Zielprodukte herstellen. Vertikalen Flächen wie Fassaden kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu, da die Lichtausbeute in bestimmten Wellenlängenspektren hier ausreichend oder sogar von Vorteil sein kann.
Wachstumsparameter
Die Faktoren, die das Wachstum der meisten Algenarten beeinflussen, sind: Nährstoffe, CO2, pH-Wert, Wasserverfügbarkeit, Temperatur und Lichtintensität. Bei fassadenintegrierten Photobioreaktoren spielen abiotische Faktoren wie Licht und Temperatur eine entscheidende Rolle, da diese hauptsächlich von den jeweiligen Umweltrandbedingungen abhängig sind. Die optimale Lichtintensität für übliche Algenstämme liegt bei ca. 100 – 200 μmol / (m²s) im photosynthetisch wirksamen Wellenlängenbereich von 400 – 700 nm. Direktes Sonnenlicht besitzt eine maximale Lichtintensität im Sommer von ca. 1800 μmol/(m²s).
Eine Überschreitung der Lichtsättigung ist nicht zwangsläufig letal. Anders verhält es sich mit der Temperatur. Der Toleranzbereich liegt bei den derzeit am häufigsten verwendeten aquatischen Stämmen bei 5 °C bis selten 45 °C. Die meisten besitzen ein Optimum bei ca. 20 – 30 °C. Bei manchen kommerziell genutzten Arten führen Temperaturen oberhalb des Optimums zum frühzeitigen Absterben der Algen. Terrestrische Algen, insbesondere diejenigen aus heißen tropisch bis ariden Habitaten, weisen ein breiteres Temperaturspektrum auf und können nach Austrocknung auch Temperaturen bis 100 °C ohne nennenswerte Schädigungen überstehen.
Synergismen
Um möglichst wirtschaftlich Biomasse zu produzieren, ist der Energiebedarf für den Betrieb durch die Nutzung von Abwärme, Abwasser und CO2 und durch passive Systeme gering zu halten. Parameter, welche wir aus Fassadentechnik zur Einhaltung des sommerlichen und winterlichen Wärmeschutzes kennen und seit Jahrzehnten optimieren, sind zu beachten.
Zusätzlich sind Synergismen wie die adiabate Kühlung und Verschattung durch die Reaktorelemente des Gebäudes im Sommer und das Konditionieren des Reaktorraums durch die Innenraumtemperatur zu untersuchen. Die uns zur Verfügung stehende Simulationssoftware kann und sollte genutzt werden, um standortspezifisch die abiotischen Faktoren Temperatur und Licht optimal für den entsprechenden Organismus einzustellen.
Fazit und Ausblick
Vier wesentliche Stellschrauben müssen bei einer Fassadenintegration beachtet werden: Erstens muss die Kultur in einen geschlossenen, kontrollierbaren Bioreaktor überführt werden. Dieser muss Synergismen mit dem Gebäude/Quartier (CO2, Abwärme, Verschattung, Wasseraufbereitung) bilden.
Zweitens kann die Betriebsenergie durch die Verwendung von Aerosolen anstelle von flüssigen Medien verringert werden. Dies würde zugleich das Gewicht erheblich reduzieren. Das Vernebeln von Nährmedium würde den sommerlichen Wärmeschutz durch Verdunstungskälte verbessern. Hierzu muss ein völlig neuartiger emerser (an Luft geführter) Bioreaktortyp zum Einsatz kommen.
Drittens muss die rein thermische Verwertung der Biomasse und der Ansatz solarthermischer Energie ökonomisch und ökologisch geprüft werden. Die Produktion von hochwertigeren Molekülen für Industrieanwendungen und die Agrarwirtschaft stellt eine Alternative dar. Hierzu notwendige Stressinduktionen und häufige Ernte/Beimpfungsvorgänge werden die technische Komplexität und die Anzahl der Wartungszyklen weiter erhöhen.
Daher sollte viertens geprüft werden, ob bei der Erzeugung von Hochwertstoffen wichtige Prozesse wie Beimpfung, Ernte und Wartung von externen Anbietern unabhängig durchgeführt werden können.
Beteiligte Personen
Prof. Dr. Timo Schmidt
Projektleitung
Fakultät für Architektur
und Bauwesen
Weitere Beteiligte
Carmen Herrmann
Fakultät für Architektur und Bauwesen
Peter Mehrtens
Fakultät für Architektur und Bauwesen
Partner
- HS Kaiserslautern, Campus Pirmasens
- HS Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld
- TU Kaiserslautern
- engage AG, Berlin
- Inogram, Stuttgart
Förderung
BMBF