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Studierende schaffen „Erinnerungen an einen Ort, den es noch gar nicht gibt“
Nach dem Zweiten Weltkrieg nur provisorisch aufgebaut: Das südöstliche Fürstenzimmer im Augsburger Rathaus – Verein setzt sich für seine Rekonstruktion ein
Studiengang
Architektur (M.A.)Projektbeschreibung
Für die Abgabe ihrer Semesterarbeiten im Masterstudiengang Architektur im Fach Baugeschichte haben Studierende der Hochschule Augsburg in diesem Sommersemester einen besonderen Ort gewählt: nämlich eines der Fürstenzimmer, angrenzend an den Goldenen Saal im Augsburger Rathaus. Der über 400 Jahre alte Goldene Saal im Augsburger Rathaus gilt als einer der Glanzpunkte der Renaissance in Deutschland.
Der Verein zur historischen Wiederherstellung des Goldenen Saals hatte es sich als eine seiner nächsten großen Aufgaben vorgenommen, das südöstliche Fürstenzimmer zum 450. Geburtstag des Baumeisters Elias Holl im Jahr 2023 rekonstruieren zu lassen. Dieses befindet sich noch immer in einem Zustand, wie er beim provisorischen Aufbau des Rathauses nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht worden war.
Die Herausforderungen im Zusammenhang mit einer Rekonstruktion hat Dr.-Ing. Bernhard Irmler, Professor für Bauen im Bestand und Baugeschichte an der Hochschule Augsburg, im Sommersemester 2020 mit Studierenden aus dem Masterstudiengang Architektur aufgegriffen. Er sagt: „Nach einem intensiven theoretischen Teil hatte ich eigentlich vor, große Modelle zum Thema Rekonstruktion und Interpretation bauen zu lassen. Aufgrund der Pandemie und den eingeschränkten Möglichkeiten in unserer Werkstatt musste ich das Programm jedoch anpassen.“ Entstanden sind in dem Seminar „Strategien für den Goldenen Saal“ eine Vielzahl von Ideen für Souvenirs zum Thema Fürstenzimmer. Die Studierenden stellten am 8. Juli vor Mitgliedern des Vereins zur historischen Wiederherstellung des Goldenen Saals im Augsburger Rathaus ihre Prototypen vor: etwa ein Geduldsspiel aus Holz, das die Ornamente der Kassettendecke aufgreift, oder einen Bausatz für ein Fürstenzimmer aus Papier zum Selberbasteln.
Bei ihrer Arbeit haben die Studierenden nach Worten von Professor Irmler versucht, in die Zeit vor über 400 Jahren einzutauchen. Eine Auseinandersetzung mit historischem Baubestand sei immer auch eine Frage danach, wie die Menschen sich damals gefühlt haben, wie ihr Leben war, wie ihr Geschmack war – und das sehe man unter anderem eben auch in den Fürstenzimmern im Augsburger Rathaus. Auf ganz verschiedene Art und Weise haben sich die Masteranden mit der Geschichte und dem ursprünglichen Erscheinungsbild des Raumes auseinandergesetzt.
Maximilian von Grolman, Franziska Riesenegger, Daniela Fieger und Sebastian Thumm haben sich überlegt, wie sie das Muster der Fürstenzimmer-Decke in verschiedenen Variationen auf Seidentücher applizieren können. Entstanden sind Prototypen von Halstüchern und Sakko-Einstecktüchern. „Wir wollen jedem die Möglichkeit geben, ein Stück von Augsburg und vom Fürstenzimmer an sich zu tragen“, erklärt von Grolman die Idee. Das Thema Rekonstruktion erinnerte Johanna Gaidamak an die Abfolge eines Daumenkinos. Sie macht in ihrem Souvenir-Vorschlag den Wiederaufbau des Fürstenzimmers auf diese spielerische Art erlebbar. In etwa 100 Schritten zeigt sie das Prozesshafte einer solchen Wiederherstellung auf.
Anna Mayer und Anna Lena Löcherer haben sich auch für eine Variante aus Papier entschieden. Mit „Rekogami“ haben sie eine historische Rekonstruktion zum Selberbasteln vorgelegt. Am Ende erhält der Betrachter einen dreidimensionalen Einblick in den ursprünglichen Zustand des Raumes.
Mit einem Lampenschirm als Nachtlicht möchte Hannah Sophie Hoppstaedter das südöstliche Fürstenzimmer wieder zum Strahlen bringen. Herzstück ist dabei ein Gittermodell, das den Raum auf modernistische Weise minimiert und stilisiert wiedergibt. Auch Schirme sind ja als Souvenirartikel nicht unbekannt. Das Besondere jedoch an der Idee von Alexandra Schönherr und Suzan Muhziroglu ist die Innenbedruckung des Werkstücks. Schönherr sagt: „Wir haben die Perspektive des Fürstenzimmers so verzerrt, dass es unter der Rundung realistisch aussieht.“
„Ich bin nicht nur Architektur-Student, ich bin auch Künstler“, sagte sich Stefan Rieger und hat sich dafür entschieden, das Fürstenzimmer in einem Gemälde mit Aussicht auf den Elias-Holl-Platz festzuhalten. Dabei bediente er sich klassischer Materialien und hat sein Bild mit einer Untermalung in Sierra-Braun ausgearbeitet.
Einen eher modernen Ansatz wählten dahingegen Joel Seeger und Christoph Marquenie in ihrer Idee „Enthüllungen im Fürstenzimmer“. Sie erklären, dass beim Thema Rekonstruktion häufig Experten unter sich blieben. Die Öffentlichkeit habe oft wenig Einblick und vielleicht deswegen auch wenig Interesse an den Hintergründen und verschiedenen Ansätzen von Rekonstruktionen. Eine immer geringere Wertschätzung gegenüber handwerklichen und traditionellen Techniken stelle einen hohen Wertverlust dar und spiegele die akademisch orientierte Gesellschaft wider. Als Antwort auf solche Entwicklungen beschäftigten sich die beiden Studierenden mit einer interaktiven Rekonstruktion im Rahmen einer vielleicht vorgelagerten vorübergehenden Aktionskunst. Mit diesem Ansatz wollen sie etwas „Neues“ im Rahmen der Denkmalpflege kreieren. Die Idee dahinter: Augsburger Bürger:innen von Jung bis Alt wirken an der Wiederherstellung des Fürstenzimmers aktiv mit.
Professor Irmler ermutigte die Masterstudierenden, ihre Visionen weiterzuverfolgen: „Entwickeln Sie eine eigene Haltung zu den Dingen.“ Die Seminar-Ergebnisse aus dem Corona-Sommersemester fasst er so zusammen: „Wir haben Erinnerungen geschaffen an einen Ort, den es noch gar nicht gibt. Wir hoffen, dass so das Interesse der Bürger erwächst.“ Das langfristige Ziel ist klar: die Wiederherstellung des südöstlichen Fürstenzimmers im Augsburger Rathaus.