Gemeinsam ans Ziel
Im Gespräch: Alexandra Fischer und Julian Schilling, Studierende der Wirtschaftswissenschaften, schildern ihre Transfer-Erfahrungen
Im Rahmen des Transferprojekts Stadt-Land-Sport erhielten Alexandra Fischer und Julian Schilling, Studierende im 5. Semester des Studiengangs Betriebswirtschaft der Hochschule Augsburg, im Wintersemester 2020/2021 die Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Kommiliton:innen die Rolle von Unternehmensberater:innen wahrzunehmen. Für den Augsburger Sportverein SV Bergheim erstellten sie ein Change-Management-Konzept. Dabei arbeiteten sie sehr eng mit dem Vorstand und den Mitgliedern des Vereins sowie interessierten Bürger:innen zusammen. Im Gespräch mit HSA_transfer schildern sie, welche Transfer-Erfahrungen sie in diesem Service-Learning-Projekt gesammelt haben.
Was haben Sie im Change-Projekt „Stadt-Land-Sport“ gemacht?
Alexandra Fischer: Unsere Aufgabe war es, ein innovatives Sportstättenkonzept für den SV Bergheim zu entwickeln. Wir konnten auf den Ergebnissen einer Bürgerumfrage, die im ersten Teil des Projekts „Stadt-Land-Sport“ durchgeführt wurde, aufbauen. Wir im Teil II bildeten Arbeitsgruppen zu folgenden vier thematischen Schwerpunkten: Sportangebot/-location & Ehrenamt, Kooperationen jeglicher Art, Bergheimer Vereine Verbinden sowie Leitbildentwicklung für den Verein. Die Projektleitung lag bei Prof. Dr. Sarah Hatfield und Tamara Chmielewski von der Fakultät für Wirtschaft. Unser Ansprechpartner vor Ort war der 1. Vorsitzende des SV Bergheim Robert Kratzsch. Begleitet wurden wir von HSA_transfer – der Agentur für kooperative Hochschulprojekte der Hochschule Augsburg, insbesondere von Lena Jaschke, zuständig für Regionales Service Learning, und der Kommunikationsreferentin Jessica Hövelborn.
Julian Schilling: Wir starteten am 2. Oktober 2020 und hatten drei Monate Zeit. Einen Workshop mit Mitgliedern des Vereins und auch die Abschlusspräsentation führten wir coronabedingt virtuell durch. Hier konnten wir die digitalen Möglichkeiten der Hochschule nutzen. Die Vereinsmitglieder haben wir per Post zum virtuellen Workshop eingeladen. Wir ließen den Vorstand die aktuelle Situation des Vereins in einem Video schildern. Im Augsburger Südanzeiger wurde eine Anzeige geschaltet, um interessierte Bürger:innen zu gewinnen. Zum Abschluss lancierten wir dort einen Artikel. In Booklets und Präsentationen sowie auf der Website von HSA_transfer dokumentierten wir das Projekt.
Ein Change-Projekt für einen Sportverein durchzuführen klingt nach einer herausfordernden Aufgabe. Was war das Spannendste?
Julian Schilling: Der für uns spannendste Punkt war in diesem Semester sicherlich der Umgang mit Rückschlägen. Unsere Gruppe erlebte innerhalb des Change-Prozesses immer wieder Höhen und Tiefen. Super war die Erfahrung, dass es uns gelungen ist, für den Sportverein ein gutes Ergebnis zu erzielen.
Alexandra Fischer: Wir haben uns häufig im Tal der Tränen befunden und gemerkt, dass auch Interessen‐ und Zielkonflikte zu einem Change-Prozess dazu gehören und dass ein reibungsloser Workflow nicht immer gegeben ist. Auch coronabedingt lief es nicht wie geplant physisch vor Ort, sondern es mussten virtuelle Lösungen gefunden und realisiert werden.
Was prägte die Projektarbeit?
Julian Schilling: Das ganze Semester und somit auch unser Change-Prozess war geprägt von Corona. Für uns gab es dadurch gravierende Einschränkungen. Zuerst fiel unser Workshop, der vor Ort hätte stattfinden sollen, aus und auch inhaltlich musste meine Arbeitsgruppe das zuerst gewählte Thema auf Wunsch des Vereins nochmals komplett neu formulieren. Unter der neuen Themenstellung „Kooperationen jeglicher Art“ kamen wir dann zügig ans Ziel.
Alexandra Fischer: Prägend sind vor allem die Erkenntnisse, was es heißt, Change-Management-Theorien in der Praxis anzuwenden, um für den Kunden ein optimales Ergebnis zu erzielen. Die Arbeitsgruppe „Bergheimer Vereine Verbinden“ hat praxisnah erlebt, welche Phasen ein Change-Prozess durchläuft und welche Handlungsspielräume Berater:innen haben.
Das Projekt „Stadt-Land-Sport“ war ein Service-Learning-Projekt. Was bedeutet das konkret?
Julian Schilling: Wir können uns an der Hochschule Augsburg im Rahmen von sogenannten Service-Learning-Projekten schon im Studium mit realen Projekten im Non-Profit-Bereich befassen. Wir nennen diese Projekte auch studentische Praxisprojekte.
Alexandra Fischer: Im ersten Teil des Projekts erwerben wir in der Vorlesung fachliche und methodische Kenntnisse, die wir dann im zweiten Teil in enger Kooperation mit den externen Partner:innen für konkrete Fragestellungen vor Ort anwenden. Das Projekt war zugleich aber noch in einen größeren Zusammenhang eingebunden. Es war ein Transferprojekt der Hochschule Augsburg.
Was ist ein Transferprojekt?
Alexandra Fischer: Transfer an der Hochschule Augsburg bedeutet, gemeinsam Zukunft gestalten. Gemeinsam heißt dabei, dass alle Projektbeteiligten, also die Studierenden und Lehrenden zusammen mit den Mitwirkenden aus der Wirtschaft oder Gesellschaft, Lösungen für zentrale Zukunftsthemen entwickeln.
Julian Schilling: Im Change-Projekt „Stadt-Land-Sport“ haben wir nicht nur mit den Vorständen des Vereins zusammengearbeitet, sondern vor allem die Vereinsmitglieder und auch interessierte Bürger:innen einbezogen. Wir führten virtuelle Interviews und haben Diskussionsrunden moderiert.
Und in welchem größeren Zusammenhang stehen die Transferprojekte der Hochschule Augsburg?
Julian Schilling: Seit 2018 gibt es an der Hochschule Augsburg HSA_transfer, die Agentur für kooperative Hochschulprojekte. Diese begleitet die unterschiedlichen Transferaktivitäten der Hochschule und wird gefördert von der Bund-Länder-Initiative Innovative Hochschule. In Deutschland gibt es 48 innovative Transfer-Hochschulen. Wir sind stolz, mit unserem Projekt bei HSA_transfer dabei zu sein.
Alexandra Fischer: Wir Studierende können uns in Transferprojekten vor allem mit unserem Fachwissen und unseren Erfahrungen einbringen. Wir können gelernte Theorien in die Realität umsetzen und dadurch neue, aufschlussreiche Erkenntnisse sammeln.
Raus aus dem Hörsaal und die gelernte Theorie anwenden. Klingt einfach – war es so?
Alexandra Fischer: Im Projekt „Stadt-Land-Sport“ dienten uns die Theoriebausteine als Orientierung, um auf die verschiedenen Situationen reagieren zu können. Wobei, ehrlich gesagt: Die Umsetzung in die Praxis gelingt dabei nicht 1:1. Eine Herausforderung war für uns, dass der Fokus auf unsere Bearbeitungsthemen häufiger wechselte als anfangs geplant, und dass sich auch Widerstände seitens des Auftraggebers ergaben, die es zu lösen galt, um das gesteckte Ziel zu erreichen. Durch Anpassungsfähigkeit, Kompromissbereitschaft und Zielfokus konnten wir diese Herausforderungen bewältigen.
Julian Schilling: Gerade für meine Arbeitsgruppe „Kooperationen jeglicher Art“ war es sehr schwierig, auf virtuellem Wege neue Kooperationspartner:innen für den Sportverein zu finden. Ich denke jeder weiß, dass es im persönlichen Gespräch deutlich leichter fällt, jemanden für eine Sache zu gewinnen oder zu begeistern. Wir konnten coronabedingt unsere möglichen Kooperationspartner:innen nur via E‐Mail oder Telefon erreichen und hatten damit manchmal Schwierigkeiten. Coronabedingte Hürden in der Gruppenarbeit haben wir organisatorisch gelöst. Wir haben wöchentlich regelmäßige virtuelle Treffen – auch außerhalb der Vorlesung – organisiert und die Aufgabenverteilung immer wieder an die neuen Gegebenheiten angepasst.
Was nehmen Sie für Ihr späteres Berufsleben mit?
Alexandra Fischer: Eine Lernerfahrung für unsere berufliche Zukunft ist die Wahrung der Distanz, um kritisches Feedback und Fehler nicht persönlich zu nehmen. In diesem Zusammenhang lernten wir, dass wir Fehler zulassen sollten und auch dürfen. Die Projektarbeit hat uns auch gezeigt, dass es wichtig ist, motiviert zu bleiben. Unsere wichtigste Gruppenerkenntnis lag darin, dass Flexibilität notwendig ist, da die Agilität in der Zeit der Digitalisierung immer wichtiger wird.
Julian Schilling: Die Wahrung der Objektivität kann ich auch aus meiner Arbeitsgruppe bestätigen. Die Präferenzen des Aufraggebers haben immer Vorrang. Was sich auf dem Papier und in der Vorlesung recht einfach angehört hat, war in der Praxis nicht immer ganz so leicht beizubehalten. Wir hatten im Change-Projekt die Berater-Rolle. Gerade weil wir in unserer Freizeit alle in Vereinen aktiv sind, neigten wir dazu, unsere eigene Meinung ins Projekt einfließen zu lassen. Hier mussten wir uns deutlich zurücknehmen.
Während es im Sport oft um den Transfer von Spieler:innen geht, welcher Transferaspekt stand im Change-Projekt „Stadt-Land-Sport“ im Vordergrund?
Alexandra Fischer: In unserer Zusammenarbeit mit dem SV Bergheim standen sowohl der Transfer von Wissen als auch der Austausch von Ideen und Erfahrungen im Vordergrund. Wir Studierenden hatten die Aufgabe, Lösungen für die Zukunft des Vereins zu konzipieren. Unser fachliches Wissen zur Konzeption eines Change-Prozesses haben wir in das innovative Sportstättenkonzept für den SV Bergheim einfließen lassen. Die Vorstellungen, Ideen und Wünsche der Vereinsmitglieder und interessierten Bürger:innen haben wir aufgenommen und dann geprüft, was möglich ist und was nicht. Hierzu haben wir ein Ampelsystem entwickelt, das klar anzeigt, für welche Maßnahmen die Ampel auf Grün, Gelb und Rot steht. Unsere Präsentationen und Booklets beinhalten Detailinfos für die mit Grün bewerteten Vorschläge, so dass der Verein gleich mit der Umsetzung starten kann. Die gelben und roten Einschätzungen haben wir begründet und wo möglich auch alternative Handlungswege vorgeschlagen.
Julian Schilling: Auch der Austausch und das miteinander Sprechen sind sehr wichtige Transferaspekte, um gemeinsam die bestmögliche Lösung zu erzielen. In der Arbeitsgruppe „Kooperationen jeglicher Art“ ist uns aufgefallen, wie wichtig es ist, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Dass wir diese vielen Erfahrungen in dem Service-Learning-Projekt „Stadt-Land-Sport“ machen konnten, ist für mich der persönliche Transferaspekt.
Das Interview führte Jessica Hövelborn, M.A., Referentin für Kommunikation, HSA_transfer, im Wintersemester 2020/2021