Erasmus Green Travel: Von Spanien nach München – mit dem Fahrrad
Tom Schwalm hat für die Rückreise von seinem Auslandssemester ein ungewöhnliches Fortbewegungsmittel gewählt
Mein Auslandssemester in Madrid war geprägt von tollen Erfahrungen und Erlebnissen, viel
Halligalli und einem Haufen cooler Leute, die ich dort kennenlernte. Diese schöne Zeit wollte
ich würdevoll abschließen und realisierte, was schon länger in meinem Kopf herumgeisterte:
allein eine lange Fahrradtour machen. Sich mal wieder richtig spüren, nur mit dem Nötigsten
zurechtkommen und ein großes Ziel vor Augen haben. Das lässt sich gut realisieren, wenn
man mit dem Fahrrad von Spanien nach München fährt.
Auch wenn das gesamte Vorhaben von eher wenig Planung und Struktur geprägt war, ein
bisschen musste sein. Das Fahrrad musste nach Madrid kommen, meine Sachen mussten
zurück nach München, ich musste mit dem Fahrrad von Madrid nach Barcelona kommen –
ich wollte lieber von dort beginnen, so konnte ich direkt an der Costa Brava starten und mir
500 Kilometer spanische Pampa sparen. Also wurde das Fahrrad auseinandergebaut und
dem einen Besuch als Übergepäck mitgegeben, während peu à peu so viel wie möglich von
meinen Sachen sämtlichen anderen Besucher:innen angedreht wurde, um sie mit nach Hause zu
nehmen. Was am Ende übrig blieb, wurde per Post versandt.
Am 8. Juni ging es dann schließlich los. Mit der Abschiedsfeier noch im Schädel stand ich
um 5 Uhr morgens in Madrid verzweifelt vor meinem Uber; es war eine Limousine
gekommen. Da passte das Rad auf keinen Fall rein, auch nicht demontiert in der Tasche.
Das Uber musste also wieder fahren und das größere Taxi danach ordentlich Gas geben,
damit ich meinen Zug erwischte. In Barcelona angekommen, konnte es dann endlich richtig
losgehen. Ein wenig aufgeregt schlängelte ich mich durch den Berufsverkehr möglichst
schnell raus aus der Stadt und freute mich auf das, was mich an diesem ersten Tag erwarten
würde: ein würdiger Auftakt mit 140 Kilometern fast ausschließlich an der Küste und
verhältnismäßig wenigen Höhenmetern bis nach Palafrugell.
Dort einigermaßen fertig angekommen, stellte ich fest, dass nicht einmal Sonnencreme mit
Lichtschutzfaktor 50 ausreicht, wenn man den ganzen Tag der spanischen Sonne
ausgeliefert ist und die Creme kontinuierlich vom Schweiß und spontanen Badeeinheiten
runtergewaschen wird.
Mit ordentlichem Sonnenbrand und diesmal der halben Tube auf dem Körper verteilt,
versuchte ich also an Tag 2 erneut, den Sonnenstrahlen zu trotzen. Eine romantische
Vorstellung angesichts des Grenzübergangs durch die Pyrenäen, der an diesem Tag bei
brutaler Mittagshitze anstand. Dafür konnte man den Fahrtwind beim Runterrollen danach
umso mehr genießen.
Die nächsten vier Tage also Frankreich. Das Wetter – was ich am Anfang gar nicht so schlecht
fand – wurde sukzessive schlechter, bis ich mich irgendwo im Nirgendwo in den Hautes-
Alpes in einer Unterführung wiederfand und überlegte, ob man bei einem solchen Unwetter
weiter durchs Gebirge fahren sollte. Früher Schluss machen an diesem Tag wäre ärgerlich
gewesen; die Unterkunft war untypischerweise schon am Tag davor gebucht worden und lag
noch ein gutes Stück entfernt, Campen war auch keine Option. WheaterPro, WetterOnline,
Wetter.com und Co. prophezeiten alle nichts Gutes. Trotzdem entschloss ich mich,
weiterzufahren. Zur Not würde ich schon irgendwas zum Verkriechen finden. Mit mulmigem
Gefühl also schnell vor dem anrollenden Gewitter fliehen, leider trennten mich nicht nur 60
Kilometer von meinem Tagesziel, sondern zu diesem Zeitpunkt auch noch gut 600
Höhenmeter, da sich mir der „col de l’Homme Mort“ in den Weg stellte. Die Ironie dieses
Namens erkannte ich erst, als ich ihn auf dem Schild am Gipfel las, während links und rechts
von mir Blitze einschlugen. Schnell wieder runter hier …
An Tag 5 wollte ich bis kurz vor die italienische Grenze nach Briançon. Gott sei Dank
täuschten sich die Wetterdienste und ich schaffte es trockenen Fußes bis dorthin, die ganze
Zeit durch die malerischen Berglandschaften der Provence, entlang am Lac de Serre-
Ponçon und dem Fluss „La Durance“. Die Höhenmeter hinterließen so langsam ihre Spuren
und ich verfluchte mein Gepäck, von dem ich das Gefühl hatte, viel zu viel dabeigehabt zu
haben, bei jedem Anstieg ein Stückchen mehr.
Tag 6 fing entspannt an. Am Vortag war ich noch bis auf 1800 Meter geklettert, deshalb
konnte ich mich die ersten 80 Kilometer des Tages über die Grenze hinab bis auf 200m nach
Turin rollen lassen. Einzig der einsetzende Regen und der Gedanke daran, dass jeder
einzelne Höhenmeter wieder hinauf gefahren werden musste, um in zwei Tagen die Schweizer
Grenze, auch wiederum auf 1800m, zu passieren, trübte die Laune ein wenig. Als der Regen
stärker wurde hatte ich endgültig genug und machte frühzeitig in Turin nach 110 Kilometern
Schluss für den Tag. Die ungewohnte Situation eines freien Nachmittags nutzte ich, um alles
halbwegs Entbehrliche in eine Kiste zu packen und nach München zu schicken, um leichter
reisen zu können. Als die Waage der Post ganze 1,2 Kilogramm anzeigte, wurde mir klar,
dass das keinen großen Unterschied machen würde, dennoch ein gutes Gefühl für die
kommenden Tage.
Am nächsten Tag stand die längste Etappe an: 220 Kilometer von Turin bis an den Norden
des Comer Sees. Dort hatte mir eine Freundin aus Madrid eine Unterkunft versprochen, ich
könne bei ihrer Tante, die dort wohne, übernachten. Das Wetter war gut, die Höhenmeter
kamen erst am Ende des Tages, sodass ich die ersten Stunden schnell vorankam und durch
die Landschaften Piemonts und der Lombardei rollte. Am Abend stellte sich die versprochene
Unterkunft als Riesenvilla mit Seezugang heraus, glücklicher konnte ich darüber nach
diesem langen Tag nicht sein.
Schon Tag 8, die Zeit verfliegt. Heute eine harte Etappe, wieder auf 1800 Meter den
Malojapass hinauf und auch danach viel hoch und runter durch die Schweiz vorbei an St.
Moritz bis nach Scoul. Aufgrund mangelnden Internets also ohne Beschallung auf den Ohren
genoss ich die Schweizer Stille. Fahrradfahren – eine Betätigung, bei der man im Optimalfall
nicht einschläft, die aber kognitiv auch nicht so fordernd ist, als dass man keine Kapazitäten
mehr hätte, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, traumhaft.
Gestärkt von der 23CHF-Pizza vom Vorabend ging es an Tag 9 recht zügig nach Österreich.
An diesem Tag wollte ich bis in die Nähe von Ehrwald, denn dort hatte ein Kumpel eine
Hütte, bei der ein paar Freunde und ich uns treffen und am nächsten Tag gemeinsam die
letzte Etappe nach München fahren wollten. Dort angekommen war es also sehr schön
wieder unter Menschen zu sein und mehr als nur Supermarkt- oder Restaurantsmalltalk zu
halten.
Das Wiedersehen wurde natürlich auch ein wenig gefeiert, deshalb brachen wir später als
geplant am zehnten Tag auf und fuhren die letzten 130 Kilometer vorbei an Garmisch und
Murnau den Starnberger See entlang. Mein Papa fuhr uns auch noch entgegen, weshalb wir
mittlerweile auf eine kleine Gruppe von sieben Leuten angewachsen waren, da machte die
Zieleinfahrt nach München gleich noch mehr Spaß.
Und dann war es auf einmal geschafft: 1.595 Kilometer und 13.880 Höhenmeter in 10 Tagen
von Barcelona nach München. Das alles ohne größere Blessuren, weder an mir noch an
meinem Rad.
Eine superschöne Erfahrung, die ich jedem nahelegen kann. Vielleicht führt Erasmus Green
Travel ja bald die Kategorie „Fahrrad“ ein, dann aber bitte mit höheren Pauschalen, die 112
Euro, die ich immerhin bekommen habe, habe ich allein für Sportriegel auf der Fahrt
ausgegeben.