Karl Jakob Hirsch
1892 - 1952
Kaiserwetter
1931
Zweiter Teil
|
|
____________________________________________________________
| |
Tödliche Langeweile
Der Briefträger mit verbundenem Kopf, mit unehrenvollen Wunden, vom Staate persönlich geschlagen und geschändet, war eine traurige Figur. Schlichter Bürgersinn und achtbare Staatstreue flohen vor dieser Gestalt, und was nützte es dem unschuldigen Manne, daß er immer wieder betonte, er wäre nur so mit hineingekommen“ in die Demonstration.Gewiß, man konnte Unglück haben, aber der Makel, das Kainszeichen des Abtrünnigen und geheimen Empörers, war in ihn eingebrannt.Tja... Mensch... das nimm dir nich zu Herzen“, sagte Freund Voges, und Minna Klußmann versuchte ihn zu trösten: Das kann jedem passieren.“Laß man ... laß man ...“, brummte Tölle. Ihr habt ja alle keine Ahnung, keine Ahnung habt ihr, keine Ahnung habt ihr!“Marahrens freilich war seltsam mißtrauisch. Wenn auch zufällig“, sagte er zu seiner Frau, so hat er's doch gewollt... da kannste sagen, was du willst.“Sozusagen wegen Mangel an Beweisen freigesprochen, lebte Emanuel Tölle nun seine Tage, das geringste Versehen war bei ihm Verbrechen, der kleinste Verstoß gegen das Hergebrachte finstere Revolte.Ein Mensch, der seinen Sohn ziemlich wild aufwachsen ließ, ein solcher Mensch verdiente doch kein Bedauern? Nur Frau Schmidt aus der zweiten Etage, Elise Schmidt mit der geheimen Neigung, war die einzige, die ihn verteidigte.Ihr seid woll nicht ganz richtig... bei euch piept's woll?“So waren die Argumente, die Reden des einzigen Verteidigers Emanuel Tölles. Und dieser Verteidiger war sehr persönlich interessiert, denn Emanuel hatte sich nicht erklärt, hatte weder ja noch nein gesagt, bei ihren Andeutungen und zarten Anspielungen auf Wit-wertum und Unordnung. Ja, er ahnte in seinem Innern wohl, daß eine endgültige und entschiedene Ablehnung dieser heiratslustigen Witwe ihn des letzten Freundes berauben würde, er sah wohl ganz klar, daß im selben Augenblick, wo er Elise Schmidt sagen würde, daß sie absolut keine Hoffnung hätte, er auch in ihren Augen zum Sozialdemokraten gestempelt wäre und von dann ab keines Bleibens mehr für ihn in dem Hause in der Artilleriestraße sein würde.Und sein Sohn Bernhard? Dem war sozusagen, um mit seinen Ausdrücken zu reden, alles schnuppe“. Das war seine ganze Anteilnahme. Berni war nun in der Lehre bei Gebrüder Ellebrecht, Maschinenfabrik und Automobil-Reparaturwerkstatt in der Glockseestraße. Es sah so aus, als ob Berni sich als Schlosserlehrling recht wohl fühlte, als ob er sein Englisch und Französisch längst vergessen hätte, es schien, als ob er nichts weiter wäre als ein strammer großer Bengel, ein Mann beinah, der sonntags aussah wie ein Erwachsener und Mädchen und Zigaretten zur Verfügung hatte, wie er wollte. Das war eigentlich Beruhigung für Vater Tölle, aber seit der Geschichte mit der kleinen Anni, als Vater Tölle ein unliebsames Wiedersehen feierte, hatte Emanuel keine Macht mehr über seinen Sohn. Ja, er hatte sogar Angst.Denn Bernis Art, ihn anzusehen, ihm zuzustimmen, hatte etwas Heimtückisches. Bernhard nützte diese Macht aus, nahm wenig Rücksicht auf seinen Alten, der die Fesseln der Ehe nun mit einer Vaterschaft vertauscht hatte, die ihn weitaus mehr einengte als die besorgte Liebe der guten Luise, die draußen am Enge-sohder Friedhof lag und nichts mehr spürte von Lust, Elend und Schmerz. Ein Mann, der als Staatsverräter, als Sozialdemokrat verschrien war, ein solcher Mensch konnte nichts anderes tun, als in sich zu gehen, sich zu bessern oder zu verschwinden.Emanuel hatte wenig Zeit zum Nachdenken, seine Dienststunden verliefen regelmäßig, seine freie Zeit war angefüllt mit den Versuchen, seine Begierden in geordnete Bahnen zu bringen.Da saß er, mit verbundenem Kopf, und starrte aus dem Fenster. Es war Sonnabend, es regnete Strippen. Der Kopf war sehr benommen und wirr, die Wunde war ja gut verheilt, aber er spürte ein Ziehen und Stechen, ein Brennen und noch etwas. Eine Unruhe, ein Durst, Hunger, Sehnsucht und Ohnmacht, sein Dasein erschien ihm traumhaft. Doch war Tölle kein Dichter, kein Träumer, er war begabt mit Witz und einem Verstand, genügend für den preußischen Beamten, aber zu wenig für einen Mann in dieser Lage.Tölle wurde gehetzt und getrieben von Wünschen, die er kannte und zu deren Befriedigung ein Schmidtchen oder eine Anni ausreichte. Aber das ging nicht mehr so glatt. Auch die regelmäßigen Spaziergänge in die Langensalza-Straße, wo die Töchterschule war, traute er sich nicht mehr zu machen.Wenn ein treuer Staatsbürger mal einen Seitensprung und eine Knutscherei wagte, selbst eine Fahrt zum Benther Berg, es wurde verziehen und entschuldigt (wir sind ja alle Menschen). Ein verdächtiger und anrüchiger Mensch aber mußte ganz stille sein und bei jeder Bewegung darauf achten, nicht anzustoßen.Emanuel, am Fenster sitzend, auf die Straße sehend, wo die Lichter glänzten, die Menschen in Sonntagsvorfreude umhergingen, war das nicht ein ruhiger Anblick, der erfreuen konnte und beruhigen? Du hast deinen Dienst getan, Emanuel. Du kannst zufrieden sein, du kannst ausruhen und auf die Straße schauen ...Aber woher soll Emanuel diesen Frieden nehmen? Erbittert war er, und eine dumpfe Wut stieg in ihm auf, er hatte die Menschen satt, diese feigen Memmen, diesen Voges, diesen Marahrens, diese wohlwollend mißtrauische Stimme vom Vorsteher Nölting: Wir wissen, lieber Tölle, daß Sie unschuldig sind, daß Sie da so mit hineingekommen sind, aber wenn ich Ihnen, nicht als Ihr Vorgesetzter, nein, als Ihr Freund, raten darf...“Ja, ja, das hörte er im Ohr, diese sabbrige Freundlichkeit, er hatte sie satt, so satt!Er stützt den Kopf in die Hände, er seufzt, etwas zu laut wohl, denn er hört, wie bei der Schmidt leise ein Fenster aufgeklinkt wird. Die horcht, die belauert ihn, gleich wird sie anklopfen und mit ihrer fetten Stimme sagen: Herr Tölle... soll ich Ihnen ein Butterbrot machen?“ Er läuft im Zimmer umher, sieht auf die Uhr, denkt, ob er wohl noch zu Wöltje gehen soll, der behandelt ihn seit der Sache wie einen Parteigenossen, dabei haßt er doch die Sozis, haßt sie... wie er alle haßt.... Nee, wenn ich zu Wöltje gehe, bin ich wieder lackiert, das geht nicht. Was darf ich überhaupt noch tun? Gar nichts, nichts kann ich machen. Wenn ich mit 'nem Mädchen gehe, dann gaffen sie, ach, da ist ja der Briefträger, der eins übern Kopp gekriegt hat. Wenn ich allein gehe, ach, da ist ja der Kerl, kein Wunder, daß er allein geht.Soll er heimlich in die Fernroder Straße zu Schmidtchen? Ach ... nee... ach nee... diese Hure! Was Junges, was Frisches, am besten so 'n Töchterchen aus der Schule!Tölle läuft Sturm... gegen sich selber, gegen seine Wünsche. Aber er gleitet in sie hinein. Er ist weibertoll, aber in einer bösen und rachsüchtigen Art. Vor den Männern muß er ja ducken, aber wenn er ein Weib, so 'ri kleines Aas, kriegen kann, die muß büßen.Tölle geht in die Küche, in die Speisekammer. Da muß doch noch Steinhäger sein, aber nein, den hat der Bengel ausgesoffen.Vater Tölle hat keine Autorität mehr über seinen Sohn. Tölle findet endlich einen Rest Kognak, eine billige Sorte, die er nicht kennt. Sie stammt wohl von Bernhards heimlichen Gelagen. So 'n verfluchter Junge!Tölle schluckt den kleinen Rest, als ob er die ewige Seligkeit davon erwartet. So. . . nun ist's ihm leichter.Wenn nur nicht die Langeweile wäre, die tödliche Langeweile, was soll er tun? Früher kannte er das nicht, da kam erst der Dienst und dann noch einmal der Dienst, und dann kam endlich das Vergnügen. Aber nun graut ihm davor, unter die Leute zu kommen. Ob er wohl heute abend mal mit Berni ausgeht, so der Vater mit dem Sohne, aber wann kam Berni wohl? Darauf war kein Verlaß. Auf niemand ist Verlaß!Hier im Zeitungsständer ist eine Woche“. Er setzt sich an den Tisch. Auf der ersten Seite, wie immer, der Kaiser. Bilder von den Herbstmanövern“. Tölle versinkt in Erinnerungen, er sieht sich als Sergeanten durch den Staub und Dreck jagen, und abends im Quartier, und die Mädchen und das Bier, ja, das Soldatenleben! S. M. der Kaiser im Gespräch mit dem Feldmarschall Haeseler“, ein schönes Bild, S. M. leutselig und würdevoll, daneben das Altweibergesicht des Generals. Hochzeit im Hause des bekannten...“, Neuestes Bild des Dichters Ernst von Wildenbruch“, Unser Automobilkorps“, sieh mal an, das gab es also, dazu ein Artikel: Doch glauben wir nicht, daß im Ernstfalle das Automobil... als Beförderungsmittel von größeren Truppenteilen in Betracht kommen kann ... wegen der Abhängigkeit von guten Wegen und Gelände...“Das war ja was für Bernhard, der schwatzte den ganzen Tag von Vergaser und Düsen und solchen Fremdwörtern. Da war ja auch das Luftschiff des verrückten Grafen Zeppelin, das bei Echterdingen aufbrannte. Er las, daß die Volksspende für einen neuen Zeppelin sechs Millionen hundertsiebzigtausend Mark gebracht hätte. Ja, das war auch nötig, das brauchen wir, sagt sich Tölle, jawoll, wegen England.Dann war ein Roman in der Woche“, der interessierte ihn nicht, aber die Bilder von dem Ballett, die waren fein, zwar... kannte er bessere. Wo waren denn die?Tölle steht auf, kramt in der Schublade des Büfetts, findet endlich eine kleine Mappe. Er wischt sich den Schnurrbart und sieht sich die Bilderchen an, hier ist alles so deutlich, diese halbnackten und nackten Dinger, noch schöner als in Wirklichkeit, da war alles so verbraucht und dreckig, pfui Deibel... Tölle springt auf, eine Wut packt ihn, er schmeißt die kleinen kostbaren Photographien in die Ecke, nimmt Hut und Mantel und geht die Treppe hinab. Da er die Etagentür laut zuknallt, guckt die Schmidten unten durchs Türloch, schüttelt den Kopf, sagt: Der Arme“ und bedauert ihn sehr.Elise Schmidt denkt, sie will mal nach oben gehen, in Tölles Wohnung, da wird es schön unordentlich aussehen, sie hat ja den Drücker, da kann sie hinein, wenn nicht von innen abgeschlossen ist.Im Wohnzimmer findet sie in der Ecke die schönen appetitlichen Bilderchen. Sie sammelt sie ein. So 'n unordentlicher Mensch, sagt sie zärtlich. Aber bei genauerem Hinsehen wird sie ganz rot, nein so was. Wer hätte das gedacht, so 'n Schweinigel, so 'n Strolch! Die Schmidten redet sich in eine furchtbare Wut, schimpft und tobt. Das Bild des Emanuel Tölle ist vom Piedestal gefallen. Nein, so 'n Schweinekerl, und so einen wollte sie heiraten, nein, dazu war sie doch zu schade! Sie ist ganz unglücklich und wütend. Ach nee... ach nee... wer hätte das gedacht!Sie will nichts mehr mit diesem Menschen zu tun haben. Sie weiß, was sie sich und ihrem seligen Mann schuldig ist.Als sie müde und um Jahre gealtert die Treppe hinuntergeht, glaubt sie fest daran, daß Emanuel Tölle ein Verbrecher ist, ja sogar ein Sozialdemokrat. |