BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gedichte 1797 - 1803

 

1799

Mai: Bekanntschaft mit Minna Reichenbach.

Juli: Mit Sophie Mereau Besuch bei der Großmutter

Sophie von La Roche und der Schwester Sophie.

August: Freundschaft mit Friedrich Carl von Savigny.

Dezember: Wieder in Jena.

 

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Liebesnacht im Haine

 

Um uns her der Waldnacht heilig Rauschen

Und der Büsche abendlich Gebet,

Seh ich dich so lieblich bange lauschen

Wenn der West durch dürre Blätter weht

 

Und ich bitte Jinni holde, milde

Sieh' ich dürste, sehne mich nach dir

Sinnend blickst du durch der Nacht Gefilde

Wende deinen süßen Blick nach mir.

 

Ach dann wendet Jinni voll Vertrauen

Ihres Lebens liebesüßen Blick

Mir ins wonnetrunkne Aug zu schauen

Aus des Tages stillem Grab zurück.

 

Und es ist so traulich dann, so stille

Wenn ihr zarter Arm mich fest umschlingt

Und ein einz'ger liebevoller Wille

Unsrer Seelen Zwillingspaar durchdringt.

 

Nur von unsrer Herzen lautem Pochen

Von der heilgen Küsse leisem Tausch

Von der Seufzer Lispel unterbrochen

Ist der Geisterfeier Wechselrausch.

 

Auf des Äthers liebestillen Wogen

Kömmt Diane dann so sanft und mild

Auf dem lichten Wagen hergezogen,

Bis (sie) ein(e) Wolke schlau verhüllt,

 

Und sie trinket dann an Latmus Gipfel

Ihrer Liebe süßen Minnelohn

Ihre Küsse flüstern durch die Wipfel

Küssend, nennst du mich Endimion.

 

Liest auch wohl mit züchtigem Verzagen

Meiner Blicke heimlich stille Glut

Und es sterben alle deine Klagen

Weil die Liebe dir am Herzen ruht.

 

Fest umschling ich dich von dir umschlungen

Stirbt in unsrem Arm die rege Zeit

Und es wechseln schon des Lichtes Dämmerungen

Starb schon Gestern wird schon wieder Heut.

 

Wenn die lieben Sterne schon ermatten

Wechseln wir noch heimlich Seligkeit

Träumen in den tiefen dunklen Schatten

Flehend und gewährend Ewigkeit.

 

Fest an dich gebannt in dich verloren

Zähle ich an deines Herzens Schlag

Liebestammelnd jeden Schritt der Horen

Scheidend küsset uns der junge Tag.

 

vor Oktober 1799 (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Um mich hat alle Wonne sich gewunden

Als sich die Liebe schaffend um mich wand,

Tief unter mir ist alle Welt geschwunden,

seit ich an eines schönen Geistes Hand

Die Binde von den Augen losgebunden

Auf meines Daseins höchster Zinne stand.

Auch wird wohl einst mein krankes Herz gesunden

hab ich nur erst die Aussicht wiederfunden.

 

vermutlich 1799 (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Der goldne Tag ist heimgegangen;

Ich sah ihn über die Berge ziehn,

Und all mein sehnendes Verlangen

Floh mit ihm hin.

 

Bunt ist wohl um des Jünglings Hüften

Der schimmernde Mantel hingewallt,

Und leise in den Himmelslüften

Sein Lied verhallt.

 

Ich sah wohl die glühenden Locken

Am Berge wehn,

Oben ihn stehn,

Und freundlich goldne Flocken

Auf die Bahn hinsäen,

Drauf weiter zu gehen.

 

Da breitet das Leben

Die Schmetterlingsflügel,

Am duftigen Hügel

Ihn hoch zu erheben,

Uns nochmals zu geben.

 

So traurig saß er oben

Im Purpurzelt,

Und grüßt' die Welt:

Leb wohl da unten!

 

Da hat ihn der Flügel

Mit Flammen umwunden,

Am duftigen Hügel

Hinübergehoben.

 

Sein ödes Reich bleibt still zurücke,

Die Welt verweilt ganz herrenlos.

Das Leben forscht mit trübem Blicke

Im eignen Schoß.

 

Ein düstrer Mantel rauschet nieder

Rund um des Jünglings verlaßnen Thron,

Und aus den Wäldern hallet wider

Ein trunkner Ton.

 

Es rühren die nächtlichen Stunden

Sich tief im Tal,

Bereiten ein Mahl

Im dämmernden Saal,

Mit dichten Gewändern umwunden.

 

Ein matter Strahl

Blinkt am Pokal,

Und süß betrunken,

Vom goldenen Wein,

Schlummert die jüngste

Der Stunden schon ein,

Die andern lauschen

Von außenher zu,

Und stürzen herein.

Es sterben die Funken,

Hinabgesunken

Ist der letzte Strahl

Von ihrem Pokal.

Sie irren und rauschen

Ohn' Schimmer und Schein,

Ohn' alle Ruh'.

Zerstört ist das Mahl

Und dunkel der Saal.

 

Da schreiten die Stunden so leise

Wohl in die Nacht,

Verhüllen auf finsterer Reise

Mit ernstem Bedacht,

In dunkeln Falten

Die regen Gestalten,

An denen sie sinnend vorüberwallten,

Und alles umarmt sich rings umher,

Es giebt keine einzelne Rechte mehr,

Es öffnet jed Leben dem andern die Brust,

Und trinket mit Lust,

Ganz ohnbewußt,

Den himmlischen Kuß,

Den Wechselgenuß.

So innig umschlungen,

So heilig durchdrungen,

Umhüllet ein Rausch,

Den lieblichen Tausch.

 

Und endlich lösen die Arme sich auf,

Der Mond zieht herauf;

Der dämmernde Blick

Träumt trunkenen Traum.

Im himmlischen Raum

Erblühen die Sterne,

Und kehret das Licht

Bescheiden zurück.

Das Leben flicht

Dann in der Ferne

Den bräutlichen Kranz,

Entzündet die Lieder,

Erleuchtet den Tanz.

Die reizenden Glieder

Umhüllt ein Gewand,

Durchsichtig gewebet.

Das Leben erhebet,

Zum Himmel gewandt,

Den Busen, und strebet

Sich wieder zu finden.

Die Sehnsucht erwacht

In schimmernder Nacht.

 

Herbst 1799 (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Simphonie

 

Ruhe! - die Gräber erbeben;

Ruhe! - und heftig hervor

Stürzt aus der Ruhe das Leben,

Strömt aus sich selbsten empor

Die Menge, vereinzelt im Chor.

 

Schaffend eröffnet der Meister

Gräber - Geborener Tanz

Schweben die tönenden Geister;

Schimmert im eigenen Glanz

Der Töne bunt wechselnder Kranz.

 

Alle in einem verschlungen,

Jeder im eigenen Klang,

Mächtig durchs Ganze geschwungen,

Eilet der Geister Gesang

Gestaltet die Bühne entlang.

 

Heilige brausende Wogen,

Ernst und wollüstige Glut

Strömet in schimmernden Bogen,

Sprühet in klingender Wut

Des Geistertanz silberne Flut.

 

Alle in einem erstanden,

Sind sie sich selbst nicht bewußt

Daß sie sich einzeln verbanden;

Fühlt in der eigenen Brust

Ein jeder vom Ganzen die Lust.

 

Aber im inneren Leben

Fesselt der Meister das Sein;

Läßt sie dann ringen und streben;

Handelnd durcheilet die Reihn

Das Ganze im einzelnen Schein.

 

Ende 1799, aus dem Drama «Gustav Wasa» (Schultz 1995)

 

 

*

 

Phantasie

(Für Flöte, Klarinette, Waldhorn und Fagott)

 

Flöte

Stille Blumen,

In der Liebe Heiligtumen

Nicht entsprossen,

Welken nieder.

Süße Lieder,

Ohne Echo hingeflossen,

Kehren nimmer wieder.

 

Klarinette

Doch zeiget der Spiegel im Quelle,

So freundlich und helle,

Das eigne Gebild;

Wie's flüchtig in rastloser Schnelle

Sich eilend geselle,

Und Welle an Welle

Dem Leben entquillt.

 

Fagott

Wohnen nicht klar in mir

Des Geistes Gestalten;

Leben, so will ich Dir

Den Busen entfalten;

Wer den eignen Ton nicht hört,

Lausche, bis er wiederkehrt -

Widerschein

Blickt ins dunkle Herz herein.

 

Waldhorn

Des Vorhangs leises Beben

Erschreckt mich nicht,

Und kann ich nicht erstreben

Das eigne Licht:

So wandl' ich schön und stille

Ein Kind dahin:

Mich grüßt durch fromme Hülle

Ein heil'ger Sinn.

 

Alle

Es eilet jed Leben die eigene Bahn;

Es schauet der Spiegel den Menschen nicht an;

Es küsset die Welle die Welle so gerne,

Und reißet vom Ganzen nicht einer sich los;

Doch blüht einem jeden das Ganze im Schoß,

Und tief durch den Schleier, da weht es von ferne.

 

Flöte

Helle Sterne

Blinken aus der weiten Ferne

Fremdes Licht -

Und die Tränen,

Die sich nach dem Freunde sehnen,

Siehst Du nicht.

 

Waldhorn

Es wandelt voll Liebe im Leben

Die Sonn' und das Mondlicht herauf;

Doch, wenn wir das eigne nicht geben,

Schließt nimmer der Schatz sich uns auf.

 

Fagott

Was wir suchen, ach, das wohnet,

Unerkannt

Uns im Herzen, unbelohnet;

Und die Hand

Haschet stets nach äußerm Schimmer.

Was wir nicht umfassen,

Das müssen wir lassen;

Denn wir fassen's sicher nimmer.

 

Klarinette

Die ganze Welt

Umwölbet ein Zelt,

Über jeglicher Pforte

Stehn goldne Worte.

Das Aug' der Sonne glühet

Zur Blume, die aufsteht,

Den heißen Gruß;

Auf Mondeslippen blühet

Der Blume, die heimgeht,

Der stille Kuß.

Und wer mit beiden

Nicht kindlich spricht,

Dem leuchtet kein Licht,

Der findet den Ein- und den Ausgang nicht,

Der kann nicht kommen, nicht scheiden.

 

Alle

Und wer sich mit Liebe nicht selber umarmt,

Für den ist das Leben zum Bettler verarmt.

In eigenem Busen muß alles erklingen,

Und daß der Sinn leicht finden es kann,

Hat's viele buntfarbige Kleider an,

Und Hülle und Geist sich zum Leben verschlingen.

 

Ende 1799 (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Weste säuseln; silbern wallen

Locken um den Scheitel mir.

Meiner Harfe Töne hallen

Sanfter durch die Felsen hier.

Aus der ew'gen Ferne winken

Tröstend mir die Sterne zu.

Meine müden Augen sinken

Hin zur Erde, suchen Ruh.

 

Bald ach bald wird beßres Leben

Dieses müde Herz erfreun,

Und der Seele banges Streben

Ewig dann gestillet sein.

Schwarzer Grabesschatten dringet

Um den Tränenblick empor,

Aus des Todes Asche ringet

Schön're Hoffnung sich hervor.

 

Meines Kindes Klage lallet

Durchs Gewölbe dumpf und hohl,

Idolmios Zunge lallet

Jammernd mir das Lebewohl

Zu der lang' ersehnten Reise.

Senkt mich in der Toten Reih'n.

Klaget nicht, denn sanft und leise

Wird des Müden Schlummer sein.

 

Und du Gute nimmst die beiden

Mütterlich in deinen Arm,

Linderst meiner Tochter Leiden,

Lächelst weg des Knaben Harm.

Aus des Aethers Lichter Ferne

Blickt dann Trost der Geist euch zu.

Es umarmen sich zwei Sterne

Und ihr Kuß gibt allen Ruh'.

 

Schwermut glänzt des Mondes Helle

In mein tränenloses Aug',

Schatten schweben durch die Zelle,

Seufzer lispeln, Geisterhauch

Rauschet bang' durch meine Saiten,

Horchend heb' ich nun die Hand,

Und es pochen, Trost im Leiden,

Totenuhren in der Wand.

 

1799/1800, aus dem Roman «Godwi» (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Die Seufzer des Abendwinds wehen

So jammernd und bittend im Turm;

Wohl hör' ich um Rettung dich flehen,

Du ringst mit den Wogen, versinkest im Sturm.

 

Ich seh' dich am Ufer; es wallet

Ein traurendes Irrlicht einher.

Mein liebendes Rufen erschallet,

Du hörest, du liebest, du stürzest ins Meer.

 

Ich lieb' und ich stürze verwegen

Dir nach in die Wogen hinab,

Ich komme dir sterbend entgegen,

Ich ringe, du sinkest, ich teile dein Grab.

 

Doch stürzt man den Stürmen des Lebens

Von neuem mich Armen nun zu.

Ich sinke; ich ringe vergebens,

Ach nur in dem Abgrund des Todes ist Ruh.

 

Da schwinden die ewigen Fernen,

Da endet kein Leben mit dir.

Ich kenn' deinen Blick in den Sternen,

Ach sieh nicht so traurig, hab' Mitleid mit mir!

 

1799/1800, aus dem Roman «Godwi» (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Um die Harfe sind Kränze geschlungen,

Schwebte Lieb' in der Saiten Klang:

Oft wohl hab ich mir einsam gesungen,

Und wenn einsam und still ich sang,

Rauschten die Saiten im tönenden Spiel,

Bis aus dem Kranze, vom Klange durchschüttert,

Und von der Klage der Liebe durchzittert,

Sinkend die Blume herniederfiel.

 

Weinend sah ich zur Erde dann nieder,

Liegt die Blüte so still und tot;

Seh' die Kränz' an der Harfe nun wieder, –

Auch verschwunden des Lebens Rot,

Winken mir traurig wie schattiges Grab,

Wehen so kalt in den tönenden Saiten,

Wehen so bang' und so traurig: es gleiten

Brennende Tränen die Wang' herab.

 

Nie ertönt meine Stimme nun wieder,

Wenn nicht freundlich die Blüte winkt;

Ewig sterben und schweigen die Lieder,

Wenn die Blume mir nicht mehr sinkt.

Schon sind die meisten der holden entflohn;

Ach! wenn die Kränze die Harfe verlassen,

Dann will ich sterben; die Wangen erblassen,

Stumm ist die Lippe, verhallt der Ton.

 

Aber Wonn', es entsprosset zum Leben

Meiner Asche, so hell und schön,

Eine Blume. – Mit freudigem Beben

Seh' ich Tilie so freundlich stehn.

Und vor dem Bilde verschwindet mein Leid.

Herrlicher wird aus der Gruft sie ergehen –

Schöner und lieblicher seh' ich sie stehen,

Wie meinen Feinden sie mild verzeiht.

 

1799/1800, aus dem Roman «Godwi» (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Die Liebe fing mich ein mit ihren Netzen,

Und Hoffnung bietet mir die Freiheit an;

Ich binde mich den heiligen Gesetzen,

Und alle Pflicht erscheint ein leerer Wahn.

Es stürzen bald des alten Glaubens Götzen,

Zieht die Natur mich so mit Liebe an.

O süßer Tod, in Liebe neu geboren,

Bin ich der Welt, doch sie mir nicht verloren.

 

1799/1800, aus dem Roman «Godwi» (Schultz 1995)

 

 

*

 

Schnell nieder mit der alten Welt,

Die neue zu erbauen.

Der, dem die Liebe sich gesellt,

Darf nicht nach Trümmern schauen.

Aus Kraft und nicht aus Reue dringt,

Was die Vergangenheit verschlingt.

 

1799/1800, aus dem Roman «Godwi» (Schultz 1995)

 

 

*

 

Szene aus meinen Kinderjahren

 

Oft war mir schon als Knaben alles Leben

Ein trübes träges Einerlei. Die Bilder,

Die auf dem Saal und in den Stuben hingen,

Kannt ich genau; ja selbst der Büchersaal,

Mit Sandrat, Merian, den Bilderbüchern,

Die ich kaum heben konnte, war verachtet,

Ich hatte sie zum Ekel ausbetrachtet.

 

So, daß ich mich hin auf die Erde legte,

Und in des Himmels tausendförmgen Wolken,

Die luftig, Farben wechselnd oben schwammen,

Den Wechsel eines flüchtgen Lebens suchte.

Kein lieber Spielwerk hatt ich, als ein Glas,

In dem mir alles umgekehrt erschien.

Ich saß oft stundenlang vor ihm, mich freuend,

Wie ich die Wolkenschäfchen an die Erde,

Und meines Vaters Haus, den ernsten Lehrer

Und all mein Übel an den Himmel bannte.

Recht sorgsam wich ich aus, in jenen Höhen

Den kleinen Zaubrer selbst verkehrt zu sehen.

 

Ich wollte damals alles umgestalten,

Und wußte nicht, daß Änderung unmöglich,

Wenn wir das Äußre, nicht das Innre wenden,

Weil alles Leben in der Waage schwebet,

Daß ewig das Verhältnis wiederkehret,

Und jeder, der zerstört, sich selbst zerstöret.

 

Dann lernt ich unsern Garten lieben, freute

Der Blüten mich, der Frucht, des goldnen Laubes

Und ehrte gern des Winters Silberlocken.

An einem Abend stand ich in der Laube,

Von der die Aussicht sich ins Tal ergießt,

Und sah, wie Tag und Nacht so mutig kämpften.

 

Die Wolken drängten sich wie wilde Heere,

Gestalt und Stellung wechselnd in dem Streite,

Der Sonne Strahlen schienen blutge Speere;

Es rollte leiser Donner in der Weite,

Und unentschieden schwankt des Kampfes Ehre

Von Tag zu Nacht, neigt sich zu jeder Seite;

Dann sinkt die Glut, es brechen sich die Glieder,

Es drückt die Nacht den schwarzen Schild hernieder.

 

Da fühlte ich in mir ein tiefes Sehnen

Nach jenem Wechsel der Natur, es glühte

Das Blut mir in den Adern, und ich wünschte

In einem Tage so den Frühling, Sommer,

Herbst, Winter, in mir selbst, und spann

So weite, weite Pläne aus, und drängte

Sie enge, enger nur in mir zusammen.

 

Der Tag war hinter Berge still versunken,

Ich wünschte jenseits auch mit ihm zu sein,

Weil er mir diesseits mit dem kalten Lehrer,

Und seinen Lehren, stets so leer erschien.

Der Ekel und die Mühe drückte mich,

Ich blickte rückwärts, sah ein schweres Leben,

Und dachte mir das Nichtsein gar viel leichter.

Dann wünscht ich mich mit allem, was ich Freude

Und wünschenswertes Glück genannt, zusammen

Vergehend in des Abendrotes Flammen.

 

Der Gärtner ging nun still an mir vorüber

Und grüßte mich, ein friedlich Liedchen sang er,

Von Ruhe nach der Arbeit, und dem Weibe,

Das freundlich ihm mit Speis und Trank erwarte.

 

Die Vöglein sangen in den dunkeln Zweigen,

Mit schwachen Stimmen ihren Abendsegen,

Und es begann sich in den hellen Teichen

Ein friedlich monotones Lied zu regen.

 

Die Hühner sah ich still zur Ruhe steigen,

Sich einzeln folgend auf bescheidnen Stegen.

Und leise wehte durch die ruh'ge Weite,

Der Abendglocke betendes Geläute.

 

Da sehnt ich mich nach Ruhe nach der Arbeit,

Und träumte mancherlei von Einfachheit,

Von sehr bescheidnen bürgerlichen Wünschen.

Ich wußte nicht, daß es das Ganze war,

Das mich mit solchem tiefen Reiz ergriff.

 

Des Abends Glut zerfloß in weite Röte,

So löst der Mühe Glut auf unsern Wangen

Der Schlaf in heilig sanfte Röte auf.

Kein lauter Seufzer hallte schmerzlich wider,

Es ließ ein Leben ohne Kunst sich nieder,

Die hingegebne Welt löst' sich in Küssen,

Und alle Sinne starben in Genüssen.

 

Da flocht ich trunken meine Ideale,

Durch Wolkendunkel webt ich Mondesglanz.

Der Abendstern erleuchtet, die ich male,

Es schlingt sich um ihr Haupt der Sternenkranz,

Die Göttin schwebt im hohen Himmelssaale

Und sinkt und steigt in goldner Strahlen Tanz.

Bald faßt mein Aug nicht mehr die hellen Gluten,

Das Bild zerrinnt in blaue Himmelsfluten.

 

Und nie konnt ich die Phantasie bezwingen,

Die immer mich mit neuem Spiel umflocht;

So glaubte ich auf einem kleinen Kahne

In süßer Stummheit durch das Abendmeer

Mit fremden schönen Bildern hinzusegeln.

Und dunkler, immer dunkler ward das Meer,

Den Kahn und mich, und ach, das fremde Bild,

Dem du so ähnlich bist, zog's still hinab.

 

Ich ruht in mich ganz aufgelöst im Busche,

Die Schatten spannen Schleier um mein Aug,

Der Mond trat durch die Nacht, und Geister wallten

Rund um mich her, ich wiegte in der Dämmrung

Der Büsche dunkle Ahndungen, und flocht

Aus schwankender Gesträuche Schatten Lauben

Für jene Fremde, die das Meer verschlang.

Und neben mir, in toter Ungestalt,

Lag schwarz wie Grab mein Schatten hingeballt.

 

Und es schien das tiefbetrübte

Frauenbild von Marmorstein,

Das ich immer heftig liebte,

An dem See im Mondenschein,

Sich mit Schmerzen auszudehnen,

Nach dem Leben sich zu sehnen.

 

Traurig blickt es in die Wellen,

Schaut hinab mit totem Harm,

Ihre kalten Brüste schwellen,

Hält das Kindlein fest im Arm.

Ach, in ihren Marmorarmen

Kann's zum Leben nie erwarmen!

 

Sieht im Teich ihr Abbild winken,

Das sich in dem Spiegel regt,

Möchte gern hinuntersinken,

Weil sich's unten mehr bewegt,

Aber kann die kalten, engen

Marmorfesseln nicht zersprengen.

 

Kann nicht weinen, denn die Augen

Und die Tränen sind von Stein.

Kann nicht seufzen, kann nicht hauchen,

Und erklinget fast vor Pein.

Ach, vor schmerzlichen Gewalten

Möcht' das ganze Bild zerspalten!

 

Es riß mich fort, als zögen mich Gespenster

Zum Teiche hin, und meine Augen starrten

Aufs weiße Bild, es schien mich zu erwarten,

Daß ich mit heißem Arme es umschlingen

Und Leben durch den kalten Busen dringe.

 

Da ward es plötzlich dunkel, und der Mond

Verhüllte sich mit dichten schwarzen Wolken.

Das Bild mit seinem Glanze war verschwunden

In finstrer Nacht. In Büsche eingewunden,

Konnt ich mit Mühe von der Stelle schreiten.

Ich tappe fort, und meine Füße gleiten,

Ich stürze in den Teich. Ein Freund von mir,

Der mich im Garten suchte, hört den Fall,

Und rettet mich. Bis zu dem andern Morgen

War undurchdringlich tiefe Nacht um mich,

Doch bleibt in meinem Leben eine Stelle,

Ich weiß nicht wo, voll tiefer Seligkeit,

Befriedigung und ruhigen Genüssen,

Die alle Wünsche, alle Sehnsucht löste.

 

Als ich am Turm zu deinen Füßen saß,

Erschufst du jenen Traum zum ganzen Leben,

In dem von allen Schmerzen ich genas.

O teile froh mit mir, was du gegeben,

Denn was ich dort in deinem Auge las,

Wird sich allein hoch über alles heben.

Und kannst du mir auf jenen Höhen trauen,

So werd ich bald das Tiefste überschauen.

 

Ich glaube, daß es mir in jener Nacht,

Von der ich nichts mehr weiß, so wohl erging,

Als ich erwachte, warf sich mir die Welt

Eiskalt und unbeweglich hart ums Herz.

Es war der tötende Moment im Leben,

Du, Tilie, konnt'st allein den Zauber heben.

 

Mein Vater saß an meinem Bette, lesend

Bemerkte er nicht gleich, daß ich erwachte.

Es stieg und sank mein Blick auf seinen Zügen

Mit solchem Forschen, solcher Neugierd, daß

Mir selbst vor meiner innern Unruh bangte.

Dann neigte er sich freundlich zu mir hin

Und sprach mit tiefer Rührung: Karl, wie ist dir?

Ich hatte ihn noch nie so sprechen hören,

Und rief mit lauten Tränen aus - O Vater!

Mir ist so wohl, doch, ach! die Marmorfrau -

Wer ist sie? - Wessen Bild? - Wer tat ihr weh?

Daß sie so tiefbetrübt aufs holde Kind,

Und in den stillen See hernieder weint?

 

Mein Vater hob die Augen gegen Himmel,

Und ließ sie starr zur Erde niedersinken,

Sprach keine Silbe und verließ die Stube.

In diesem Augenblicke fiel mein Los.

Ein ewger Streit von Wehmut und von Kühnheit,

Der oft zu einer innern Wut sich hob,

Ein innerliches, wunderbares Treiben

Ließ mich an keiner Stelle lange bleiben.

 

Es war mir Alles Schranke, nur wenn ich

An jenem weißen Bilde in dem Garten saß,

War mir's, als ob es alles, was mir fehlte,

In sich umfaßte, und vor jeder Handlung,

Ja fast, eh ich etwas zu denken wagte,

Fragt ich des Bildes Widerschein im Teiche.

Entgegen stieg mir hier der blaue Himmel,

Und folgte still, wie die bescheidne Ferne,

Der weißen Marmorfrau, die auf dem Spiegel

Des Teiches schwamm. So wie der Wind die Fläche

In Kreisen rührte, wechselte des stillen

Und heilgen Bildes Wille, und so tat ich.

 

1799/1800, aus dem Roman «Godwi» (Schultz 1995)

 

 

*

 

Sprich aus der Ferne

Heimliche Welt,

Die sich so gerne

Zu mir gesellt.

 

Wenn das Abendrot niedergesunken,

Keine freudige Farbe mehr spricht,

Und die Kränze stilleuchtender Funken

Die Nacht um die schattigte Stirne flicht:

 

Wehet der Sterne

Heiliger Sinn

Leis' durch die Ferne

Bis zu mir hin.

 

Wenn des Mondes still lindernde Tränen

Lösen der Nächte verborgenes Weh;

Dann wehet Friede. In goldenen Kähnen

Schiffen die Geister im himmlischen See.

 

Glänzender Lieder

Klingender Lauf

Ringelt sich nieder,

Wallet hinauf.

 

Wenn der Mitternacht heiliges Grauen

Bang durch die dunklen Wälder hinschleicht,

Und die Büsche gar wundersam schauen,

Alles sich finster tiefsinnig bezeugt:

 

Wandelt im Dunkeln

Freundliches Spiel,

Still Lichter funkeln

Schimmerndes Ziel.

 

Alles ist freundlich wohlwollend verbunden,

Bietet sich tröstend und traurend die Hand,

Sind durch die Nächte die Lichter gewunden,

Alles ist ewig im Innern verwandt.

 

Sprich aus der Ferne

Heimliche Welt,

Die sich so gerne

Zu mir gesellt.

 

1799/1800, aus dem Roman «Godwi» (Frühwald 1968)

 

 

*

 

Sonne willst du untergehen

O so schicke erst die Sterne

Daß die Nacht mich nicht bezwinge

Wenn ich ihr die Botschaft bringe

Wiedersehen, Wiedersehen

ist nicht ferne.

 

Still beschauet mich ihr Bäume

Und ihr weißen Marmorbilder

Und ihr Quellen, lustge Bronnen,

Bald ist euch der Freund entronnen

Sinket nieder grünen Räume

Tauet milder

 

Sonne bist du untergangen

O so schicke bald die Sterne

Daß die Nacht mich zu ihr bringe

Daß ich ihr die Botschaft singe

wie verlangen und erlangen

nicht mehr ferne.

 

1799/1800, aus dem Drama «Cecilie» (Schultz 1995)

 

 

*

 

Von den Mauern Widerklang

Fragt es in dem Herzen bang

Ist es ihre Stimme?

Durch die Nacht dringt nicht mein Blick

Kehret mir ein Ton zurück

Ist's nur meine Stimme?

 

Wenn ich in des Himmelshöh

Sich die Sterne küssen seh

Wärens unsre Sterne!

Auf der hohen Wände Rand

Meine Augen hingebannt

Seh ich nur die Sterne

 

Heiß ist Liebe, Nacht ist kühl

Und ich sah ach viel zu viel

Dir ins schwarze Auge

Nacht ist voller Lug und Trug

Nimmer sehen wir genug

Ihr im dunklen Auge.

 

1799/1800, aus dem Drama «Cecilie» (Schultz 1995)

 

 

*

 

Von den Mauern Widerklang –

Ach – im Herzen frägt es bang:

Ist es ihre Stimme;

Und vergebens sucht mein Blick

Kehret mir ein Ton zurück? –

Ists nur meine Stimme? –

 

Auf der Mauern höhern Rand

Sind die Blicke hingebannt,

Doch ich seh nur Sterne;

Und in hoher Himmelssee

Ich die Sterne küssen seh,

Wärens unsre Sterne.

 

Nacht ist voller Lug und Trug,

Nimmer sehen wir genug

In den schwarzen Augen;

Heiß ist Liebe, Nacht ist kühl,

Ach ich seh ihr viel zu viel

In die schwarzen Augen.

 

Sonne wollt nicht untergehen,

Blieb am Berg neugierig stehn;

Kam die Nacht gegangen,

Stille Nacht in deinem Schoß

Liegt der Menschen höchstes Los,

Mütterlich umfangen.

 

1799/1800 (Frühwald 1968)

 

 

*

 

O lieber Gott, so mild und lind,

Du schließest mit Erbarmen,

Die Kinder all, die Waisen sind,

In deine Vaterarmen.

 

Siehst nieder in der stillen Nacht

Mit tausend kleinen Sternen,

Und wo dein freundlich Auge wacht,

Muß sich der Feind entfernen.

 

Drum fasse Mut, du Menschenkind,

Verlier' dich nicht im Dunkeln,

Die Lichter ja am Himmel sind

Um tröstlich dir zu funkeln.

 

1799/1800 (Frühwald 1968)