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ich eben auch mit wie ein Kind. Auffallend ist es in Paris, daß bei diesen Tollheiten doch immer die Schranken eines gewissen Anstandes beobachtet werden. Man kann hier unangefochten durch das wildeste Volksgedränge gehen, man ziehe nur ernst seine Strasse, denn den Ernst kann nun einmal der Franzose nicht vertragen. So wie neulich in den Tuilerien ein großer, eleganter Herr mit weißen Haaren, und mit einem Ordenskreuz geschmückt, auf mich zukam – er giebt vor, in mir eine alte Bekannte wiederzufinden. Leider aber reichte sein dramatisches Talent nicht aus, die Scene natürlich genug zu spielen, so zierlich er auch sagte: Mon Dieu! quel plaisir de vous revoir! Verwundert lasse ich ihn stehen und schreite mit spanischer Grandezza weiter, und damit war es gut.
Von diesen Nichtigkeiten wende ich mich nun hinweg (es ist auch Zeit!) und bleibe, wie ich oft zu thun pflege, sinnend stehen vor der Magdalenen-Kirche, auf dem Boulevard, der von ihr seinen Namen hat. Schon in frühster Zeit stand auf dieser Stelle eine kleine Kirche, die in den Revolutionszeiten zerstört wurde. Napoleon beschloß im Jahr 1806, dem Ruhm einen Tempel zu errichten, der die Namen und Thaten der Helden Frankreichs auf goldenen, silbernen, ehernen und marmornen Tafeln in sich schließen sollte. Ludwig der XVIII. bestimmte aber diesen Tempel zu einer Kirche. Korinthische Säulen tragen ihr Dach, und ihre Stirne krönt ein Meisterstück, ich meine: die Bildnerei des Giebels von Lemaire. Ich sehe Christus den Herrn, wie Er nach dem Wort die Welt richtet, in der Mitte steht Er in erhabener Gestalt. Seine Hände scheiden die Gottlosen
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von den Gerechten. Ihm zur Linken kniet Magdalena, um Erbarmung flehend für die Verdammten, die in schrecklichen Gruppen sich ihr zur Seite lagern. Hinter Magdalena jagt sie ein Engel mit flammendem Schwert. Am Ende dieser Scene liest man auf einem Stein die Worte: vae impio! Wehe den Gottlosen! Vor diesem zusammengestürzt erblicke ich eine Frauengestalt mit aufgelösten Haaren, ihre Hand umfaßt ein Dämon, um sie zum Gericht zu schleppen. Dem Herrn zur Rechten sind die Seligen. Ihm am nächsten ein Engel mit der Posaune des letzten Gerichts, dann eine weibliche Figur, den Glauben vorstellend, die Arme kreuzweis über die Brust gelegt; auf einen Anker stützt sich eine zweite: die Hoffnung, und eine Dritte seh ich mit der Märtyrer-Krone, dann Charité, ein lieblicher Anblick! Der Engel dort erweckt eine noch schlafende Heilige, ihr Haupt ruht auf dem Stein eines Grabmals, dem die Worte eingegraben sind: Ecce dies salutis! Dies der Tag des Heils! Noch eine umgestürzte Urne. – Die Züge der Gerechten strahlen Freude. Mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Liebe blicken sie auf den Erlöser. Ja, diese Steine scheinen mir zu predigen, und auch der großentheils betrogenen Menge zuzurufen: Wendet euch zu mir, so werdet ihr selig aller Welt Ende! [Jes. 45, 22].
Es ist schon spät und bald zwölf Uhr. Im Kamine erlöscht die letzte Kohle, und dieß ist Signal zur Ruhe. Nur noch ein herzliches Lebewohl!
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