BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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ich eben auch mit wie ein Kind. Auffallend ist es in Paris, daß bei diesen Tollheiten doch immer die Schranken eines gewissen Anstandes beobachtet werden. Man kann hier unangefochten durch das wildeste Volksgedränge gehen, man ziehe nur ernst seine Strasse, denn den Ernst kann nun einmal der Franzose nicht vertragen. So wie neulich in den Tuilerien ein großer, eleganter Herr mit weißen Haa­ren, und mit einem Ordenskreuz geschmückt, auf mich zu­kam – er giebt vor, in mir eine alte Bekannte wieder­zufinden. Leider aber reichte sein dramatisches Talent nicht aus, die Scene natürlich genug zu spielen, so zierlich er auch sagte: Mon Dieu! quel plaisir de vous revoir! Verwundert lasse ich ihn stehen und schreite mit spanischer Grandezza weiter, und damit war es gut.

Von diesen Nichtigkeiten wende ich mich nun hinweg (es ist auch Zeit!) und bleibe, wie ich oft zu thun pflege, sinnend stehen vor der Magdalenen-Kirche, auf dem Bou­levard, der von ihr seinen Namen hat. Schon in frühster Zeit stand auf dieser Stelle eine kleine Kirche, die in den Revolutionszeiten zerstört wurde. Napoleon beschloß im Jahr 1806, dem Ruhm einen Tempel zu errichten, der die Namen und Thaten der Helden Frankreichs auf goldenen, silbernen, ehernen und marmornen Tafeln in sich schließen sollte. Ludwig der XVIII. bestimmte aber diesen Tempel zu einer Kirche. Korinthische Säulen tragen ihr Dach, und ihre Stirne krönt ein Meisterstück, ich meine: die Bildnerei des Giebels von Lemaire. Ich sehe Christus den Herrn, wie Er nach dem Wort  die  Welt  richtet,  in  der  Mitte  steht  Er in erhabener Gestalt. Seine Hände  scheiden  die  Gottlosen

 

 von  den  Gerechten.  Ihm  zur  Linken  kniet  Magdalena,  um  Erbarmung  flehend  für  die  Verdammten,  die  in  schrecklichen  Gruppen  sich  ihr  zur  Seite  lagern.  Hinter  Magdalena  jagt  sie  ein  Engel  mit  flammendem  Schwert.  Am  Ende  dieser  Scene  liest  man  auf  einem  Stein  die  Worte:  vae  impio!  Wehe  den  Gottlosen!  Vor  diesem  zusammengestürzt  erblicke  ich  eine  Frauengestalt  mit  aufgelösten  Haaren,  ihre  Hand  umfaßt  ein  Dämon,  um  sie  zum  Gericht  zu  schleppen.  Dem  Herrn  zur  Rechten  sind  die  Seligen.  Ihm  am  nächsten  ein  Engel  mit  der  Posaune  des  letzten  Gerichts,  dann  eine  weibliche  Figur,  den  Glauben  vorstellend,  die  Arme  kreuzweis  über  die  Brust  gelegt;  auf  einen  Anker  stützt  sich  eine  zweite:  die  Hoffnung,  und  eine  Dritte  seh  ich  mit  der  Märtyrer-Krone,  dann  Charité,  ein  lieblicher  Anblick!  Der  Engel  dort  erweckt  eine  noch  schlafende  Heilige,  ihr  Haupt  ruht  auf  dem  Stein  eines  Grabmals,  dem  die  Worte  eingegraben  sind:  Ecce  dies  salutis!  Dies  der  Tag  des  Heils!  Noch  eine  umgestürzte  Urne.  –  Die  Züge  der  Gerechten  strahlen  Freude.  Mit  dem  Ausdruck  unbeschreiblicher  Liebe  blicken  sie  auf  den  Erlöser.  Ja,  diese  Steine  scheinen  mir  zu  predigen,  und  auch  der  großentheils  betrogenen  Menge  zuzurufen:  Wendet  euch  zu  mir,  so  werdet  ihr  selig  aller  Welt  Ende!  [Jes.  45,  22].

Es   ist   schon   spät   und   bald   zwölf   Uhr.   Im  Kamine   erlöscht   die   letzte   Kohle,   und   dieß   ist  Signal  zur  Ruhe.  Nur  noch  ein herzliches Lebewohl!

 

 


 

 

Die Magdalenenkirche mit den Giebelplastiken von Pierre-Joseph Lemaire.