Karl Jakob Hirsch
1892 - 1952
Kaiserwetter
1931
Zweiter Teil
|
|
____________________________________________________________
| |
Klein-Holland
Wenn Moritz Thaler morgens sein Zimmerfahrrad bestieg und schwitzend das Fett herunterstrampelte und mit Hilfe einer sinnreichen Konstruktion dazu rhythmische Stöße in die Sitzfläche erhielt, ganz so, als ob er in Gottes frischer Natur draußen radelte, dann überkam ihn oft das Bewußtsein seiner eigenen Winzigkeit und Ohnmacht. Angezogen, frisch rasiert kam ihm das Leben schon heiterer vor, am Kaffeetisch im Wohnzimmer zwischen duftendem Kaffee und knusprigen Brötchen.Da saß ihm Wanda Zietemann gegenüber, die Zietemannsche, wie er sie nannte, und lächelte ihr saures, aber gutgemeintes Lächeln. Oft glaubte Moritz, es nicht mehr ertragen zu können, manchmal erschien ihm das knusprigste Brötchen ledern und trocken, aber er konnte ohne seine Zietemannsche nicht leben, genau wie Wanda nicht ohne ihren Moritz Thaler.Wanda Zietemann war ein tüchtiger“ Mensch. Unter ihren Händen wuchsen freilich keine Blumen, nichts, was an Flora erinnerte, konnte mit ihr verglichen werden. Sie war das Symbol der Ordnung, der wohlanständigen und staublosen Ordnung. Beseelt von dem Bewußtsein, daß sie es eigentlich nicht nötig hätte, für den Makler Thaler zu sorgen, betreute sie den kleinen Haushalt des Junggesellen doch mit der Zähigkeit und Inbrunst eines Menschen, der an einen Gott glaubt und an eine Belohnung für die Mühe der irdischen Tage.Sie dachte aber gar nicht daran, das Ende ihrer Tage abzuwarten, sie wollte keine Belohnung im Jenseits, nein, hier auf der flachen Erde des Norddeutschen Tieflandes, unter dem nebligen, nassen Himmel Bremens verlangte sie, belohnt zu werden.Wanda und Moritz waren ein seltsames Paar. Sie liebten sich auf eine unerbittliche und zähe Art, wie alte Eheleute. Sie saßen sich gegenüber und fühlten sich verlassen, jeder für sich einsam und doch unaufhörlich miteinander verkettet. Wanda betreute die Gesundheit ihres Herrn genau und ängstlich, was sie nicht hinderte, sich darüber lustig zu machen. Wenn beide miteinander verheiratet gewesen wären, die Menschheit hätte ein edles Paar gesehen, aber so war das Gespenst der Unverbindlichkeit zwischen ihnen und machte Wanda Zietemanns Liebe bitter und Moritzens Zuneigung gallig.Moritz Thaler sagte oft: Ein jüdischer Junggeselle ist an und für sich ein Witz... und ich erst...!“Er fühlte, daß das, was er als Schmerz empfand, als Unzulänglichkeit der Fürsorge, auch kein Engel hätte besser machen können als die treue Wanda Zietemann. Aber die schlechteste, zänkischste Ehefrau wäre besser gewesen, weil zwischen ihnen die Verbundenheit über den Tod hinaus mit den Jahren gewachsen wäre.Und das brauchte Moritz, und daß er es nicht hatte, machte ihn bitter, und wenn er es gehabt hätte, wäre er vielleicht doch noch derselbe geblieben, der witzelndtraurige Melancholiker, der hinter allem, was er tat und trieb, das große Fragezeichen sah, über das oft auch der beste Witz nicht trösten konnte, nicht einmal die vorbildliche, stadtberühmte Kochkunst der Wanda Zietemann.Das Frühstück wurde um sieben Uhr eingenommen, sommers und winters. Eines Morgens nun faßte sich die Zietemannsche ein Herz, sie schluckte und würgte, endlich hatte sie es draußen. Moritz schlürfte seinen Kaffee und las dabei in der Zeitung, daß in Monte Carlo jemand einen tadellos anständigen Partner mit zehntausend Mark zur Ausbeutung einer sensationellen Erfindung“ sucht, und hörte die Zietemannsche wie aus weiter Ferne sagen: Denken Sie mal, da ist vor 'n paar Tagen ein älterer Herr, ohne ein Testament zu hinterlassen, gestorben, tscha...“Moritz schmiß die Zeitung hin, starrte die Zietemannsche an und ging aus dem Zimmer... Das Och, Herr Thaler“ der Wanda Zietemann hörte er noch auf der Treppe.Unten auf der Straße wurde ihm wehmütig ums Herz, er wußte nicht, womit er so ein Leben verdient hätte.Die Sache mit der Mühle war eine faule Geschichte. Sie war nicht loszuschlagen, und Thaler saß da fest. Seine Freunde nannten ihn schon den Müller“. Er machte regelmäßig abendliche Spaziergänge zum Bahnhof, schlenderte die Bahnhofstraße hinunter, bummelte durch die Vorhalle, quatschte jeden an, den er kannte, sagte abwechselnd Na... du Gauner“ oder Mein lieber Freund... warum sehe ich Sie so selten“, und kaum war der fort, sagte er zu einem andern: Sehen Sie den da, der da geht? Das ist mein größter Feind.“So ging er jeden Abend zum Bahnhof, mißmutig, witzelnd und hoffnungslos. Kaufte jeden Abend die Berliner Mittagszeitung, las sie flüchtig durch und warf sie dann zerknüllt in den geräumigen Papierkorb, der in der Bahnhofshalle stand.Eines Abends nun traf er da den Hermann Wendelken, der seit der Geschichte mit dem Cohrs gar nicht mehr so recht zuwege war“.Tach... Wendelken...“ – Tach... Herr Thaler...“ – Na?“Im Wartesaal erster und zweiter Klasse wurde nun ein Plan geboren, eine Idee, die ein wenig Licht in die Mühlenangelegenheit bringen sollte.Thaler hatte Einfälle genug, aber sie kamen immer dann, wenn er nichts damit anfangen konnte. Nun fiel ihm hier bei einer Flasche Medoc ein, aus der Mühle eine Wirtschaft, einen Tanzpalast zu machen und den Wendelken hineinzusetzen. Moritz war Feuer und Flamme dafür, man könnte das Ding Rote Mühle“ nennen, in seliger Erinnerung an Paris, aber vielleicht war es doch besser, wenn die mißtrauischen Bremer und die Leute der Umgegend nicht gleich so durch den Namen vor den Kopf gestoßen würden. Wendelken sagte, er wolle seinen Hohenzollernhof“ ganz gern loswerden, Moritz meinte auch, das ließe sich machen, denn Hotels gingen immer noch besser ab als alte Mühlen, und bei der zweiten Flasche war Hermann Geschäftsführer und Mitinhaber des Gast- und Vergnügungslokals Klein-Holland GmbH.“Als Thaler und Wendelken nach zwei Flaschen Medoc durch die Bahnhofstraße bummelten, sagte Thaler, jetzt ginge es noch ins Astoria“. Schließlich war Anlaß zum Feiern, obwohl Moritz um diese nachtschlafende Zeit meistens schon im Bett lag.Der Haupteingang zum Astoria“ befand sich in einer kleinen Gasse, die vom Schüsselkorb ausging. Aber Thaler bummelte die Sögestrafe geradeaus; nanu“, meinte Wendelken, wirst sehen“, lachte Thaler, und einmal links hinein durch einen Hinterhof, rechts herum durch einen dunklen Gang, und man war im strahlenden Foyer des stadt- und landbekannten Kabaretts. Der Geschäftsführer watschelte den beiden entgegen, hörte Na, du Gauner und oller Betrüger“ mit Lammesgeduld und Engelslächeln. Die Garderobefrau verzog freundlich ihren zahnlosen Mund. Streng dich nur nicht an“, sagte Thaler und warf seinen Hut auf die Brüstung, fingerte mit fünf Fingern in seiner Westentasche, sagte etwas von Weiberbetrieb und Halsabschneiderei und zog den verlegenen Wendelken in eine Loge.Wie aufn Präsentierteller“, schnauzte Thaler, während der Geschäftsführer versicherte, es sei der beste Platz.Für dich“, sagte Moritz Thaler, weil man da Sekt trinken muß.“Es war gerade eine Chansonette tätig, Molly hieß sie und sah auch so aus. Sie sang von der Liebe und einem Kanapee und einem Herrn Lehmann, eine dunkle und eindeutige Sache mit dem Refrain: Da hat Herr Lehmann... das Kanapee hinausgeschmissen“, weil seine ganze Familie darauf unerlaubte Sachen getrieben hatte.In die brüllende Heiterkeit des Publikums sagte Thaler: Mensch... hau ab!“Man zischte, und einer meinte was von Jude“, und Thaler fühlte sich nun wohl. Er liebte den Haß und den Qualm von grundloser Bosheit um sich. In dieser Atmosphäre konnte er sich von Herzen bedauern.Molly wurde an den Tisch geholt, es war eine weiße und weiche Person.Na, holde Frau... sieh dir mal diesen Mann an... das ist ein Direktor... ein richtiger Direktor von einem Vergnügungslokal...“, sagte Thaler, indem er Molly in die Backe kniff. Molly lachte, daß ihre Goldzähne blitzten.Och... Mensch“, sagte sie bloß, der und Direktor...haha...!“Wendelken fühlte sich geschmeichelt und sagte: Doch... doch...“Thaler fing bald an zu gähnen. Er langweilte sich furchtbar. Als der Burgunder eingeschenkt war, sagte Thaler zum erschrockenen Ober: Nimm... den Dreck mal weg... fix...!“Er schickte den Wein zurück, trotzdem er nicht so schlecht war wie der Sekt, der nun serviert wurde, Goldperle“ hieß er.Na prost... Direktor!“ sagte Thaler so laut, daß man wieder zischte, denn auf dem kleinen Podium war ein Schnellmaler aufgetreten, der mit Kohle und Musikbegleitung die aktuellsten Sachen zeichnete. Man sah Eduard den Siebenten von England, den Reichskanzler Bülow, Graf Waldersee und auch zwei Automobilisten. Der Schnellmaler war ein Künstler mit langen Haaren und flatterndem Schlips. Nebenbei konnte er noch Klavier spielen und turnte nun abwechselnd vom Klavier zur Staffelei. Thaler sah ihm gähnend zu. Er dachte an sein Klein-Holland“. Später saß auch der Maler in der Loge, soff wie ein Loch und entpuppte sich als ziemlich umgänglich.Er nannte sich Raffaelo, hieß eigentlich Schmidt und war aus Württemberg, aus Tuttlingen, wo seine Mutter eine schlechtgehende Handlung“ hatte. Schmidt, alias Raffaelo, brachte die kleine Pussi Lindström mit an den Tisch. Es war sehr gemütlich. Thaler ließ Flasche auf Flasche anfahren. Dann drückte er sich. Er hatte sie alle engagiert: den Maler, die Pussi, die Molly.Die Eröffnung des Etablissements sollte bald sein. Nun fehlte ihm nur noch ein Architekt zum Umbau der Mühle. Auch der traf sich, als er leise durch die Hintertür das Etablissement“ verlassen wollte. Er fand ihn auf einem Ort, der nur Männern zugänglich ist, und schleppte den Architekten Fabarius in seine Wohnung, nachts ein Uhr dreißig, und weckte die Zietemannsche zum Kaffeekochen.Dann wurde der Umbau der Mühle in das Etablissement Klein-Holland“ entworfen. Der Architekt litt an einem Überschuß von Ideen, die er gerade anbringen konnte.Um drei Uhr früh, es wurde schon hell, brachte Thaler den Baumeister, der riesig vergnügt war, mit etwas Kognakbeinen die Treppe hinunter, denn außer dem Kaffee hatte es noch reichlich Hennessy gegeben.Thaler kroch um drei Uhr morgens in sein Bett. Er war so tief überzeugt, hineingefallen zu sein, daß er beschloß, am andern Morgen wieder einmal nach Hoya zu fahren. |