25.11.2021

Dott.ssa Francesca Angrisano ist Sprachlehrerin und Koordinatorin für Spanisch und Portugiesisch am Zentrum für Sprachen und Interkulturelle Kommunikation (ZSI) der Hochschule Augsburg. Unter dem Motto „Internationalisierung zuhause“ hat sie gemeinsam mit Kolleg:innen an der Universidad Nacional de Mar del Plata (Argentinien) und der Universidad de Almería ein Pilotprojekt initiiert: digitale Sprachtandems zwischen argentinischen und spanischen Studierenden sowie Augsburger Studierenden des Sprachkurses Wirtschaftsspanisch 4. Im Interview mit Elisabeth Hutter berichtet sie, welche Erkenntnisse sie aus der internationalen Ausrichtung ihrer digitalen Lehre gewinnen konnte.

 

Elisabeth Hutter: Welche Form der international ausgerichteten digitalen Lehre haben Sie in den letzten Semestern am ZSI durchgeführt?

Francesca Angrisano: Zunächst hat mein Kollege Francisco Bermejo schon vor der Pandemie gemeinsam mit einer Kollegin von der Universidad de Almería im Wintersemester 2019/2020 ein digitales Sprachtandem initiiert. Im Wintersemester 2020/21 habe ich dann mit meinem Kollegen von der Universidad Nacional de Mar del Plata in Argentinien ebenfalls ein solches digitales Sprachtandem zwischen 20 argentinischen Studierenden und 20 deutschen Studierenden unseres Wirtschaftsspanisch-Kurses organisiert. Zwischenzeitlich ist das Projekt regelrecht explodiert: Im Sommersemester 2021 haben wir die Sprachtandems gleichzeitig mit Mar del Plata und Almería durchgeführt, daran waren 50 Augsburger Student:innen, 30 Studierende aus Argentinien und 20 Studierende aus Spanien beteiligt. Weil die Sprachkurse in Almería nur im Sommersemester angeboten werden, machen wir die Tandems im Wintersemester wieder mit insgesamt 100 Teilnehmer:innen aus Augsburg und Mar del Plata.

 

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, digitale Sprachtandems zu organisieren?

Die Idee kam, während wir im Corona-Lockdown von zuhause unterrichtet haben. Ich habe beim Einkaufen Studenten von mir gesehen, die offenbar in meiner Nachbarschaft wohnen. Es war für mich frustrierend zu sehen, dass ich mit Menschen vom Computer aus zusammenarbeiten muss, die eigentlich ganz in der Nähe sind. Aber dann ist mir klargeworden, dass diese Situation auch einen sehr großen Vorteil bietet: Mit nur einem Klick können wir jemanden zu uns einladen, der sehr weit weg wohnt und uns eine andere Kultur nahebringen kann. Aus dem Gefühl heraus, sehr eingeschränkt zu sein in der Art, wie wir normalerweise unterrichten, entstand also die Idee, den Unterricht zu bereichern durch Menschen, die weit weg sind. Im Sommersemester 2021 haben wir die Tandems dann auf ein trinationales Kooperationsprojekt ausgeweitet, indem wir die Kolleg:innen in Almería wieder mit ins Boot geholt haben.

 

Was musste im Vorfeld mit den Kolleginnen und Kollegen geklärt werden?

Anfangs hatten vor allem der Kollege in Argentinien und ich intensive Besprechungen, um die Sprachtandems zu konzipieren und die Rahmenbedingungen zu klären. Wir mussten uns auf Themen verständigen, über die die Studierenden in ihren Tandems sprechen sollen. Außerdem haben wir alle Studierenden in Tandems aufgeteilt. Geplant haben wir außerdem vor allem die Durchführung der sog. Kick-off-Veranstaltung, in der wir den Studierenden genau erklärt haben: Was ist ein Sprachtandem? Wie läuft das ab? Was gibt es organisatorisch zu beachten? Dazu muss man wissen, dass die Studierenden in Argentinien freiwillig an den Sprachtandems teilnehmen und keine Note bekommen, wohingegen die Augsburger Studierenden das als Teil des Kurses Wirtschaftsspanisch 4 absolvieren. Die Tandems machen 20 Prozent ihrer Endnote und des Arbeitsaufwands aus.

 

Wie läuft so eine digitale Sitzung eines Sprachtandems konkret ab?

Sprachtandem bedeutet: Ein Duo aus einer Person aus Deutschland und einer Person aus Argentinien bzw. Spanien trifft sich digital und spricht über ein von uns vorgegebenes Thema – idealerweise ein Thema, das die Studierenden interessiert und bei dem es interessante Einblicke in die fremde Kultur gibt, beispielsweise Reisen, Essen und Trinken, Filme, Musik usw. Zunächst wird 20 Minuten in der einen Sprache gesprochen, dann 20 Minuten in der anderen Sprache. Das Ziel ist es, die eigenen Kenntnisse der Fremdsprache mit Menschen, deren Muttersprache es ist, zu verbessern. Es geht also nicht nur darum, die Fremdsprache zu üben, sondern auch einen Input von native speakers zu bekommen. An diesen Gesprächen nehmen wir als Dozentinnen und Dozenten nicht teil. Damit die Augsburger Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Note bekommen, müssen sie mir von einem der insgesamt sieben Treffen eine Aufnahme des spanischsprachigen Gesprächsteils schicken. Seit die Universität Almería beteiligt ist, nutzen wir die Plattform Blackboard, die es ermöglicht, für jedes der Tandems einen eigenen Raum zu erstellen und darin die Gespräche aufzuzeichnen. Das bedeutet für uns aber auch eine ungemeine Menge an Daten, die von Seiten der Universität Almería im Rahmen einer Doktorarbeit auch wissenschaftlich ausgewertet werden.

Im Anschluss an die einzelnen Treffen sollen die deutschen Studierenden jeweils eine kurze Zusammenfassung über den Inhalt des Gesprächs schreiben. Dazu formulieren wir konkrete Fragen, auf die sie in ihrer Zusammenfassung eingehen sollen. Am Ende des Semesters müssen sie außerdem neben den Videos noch einen Abschlussbericht einreichen.

 

Wie sehen Sie Ihre Rolle als Lehrende in dem Projekt?

Unsere Aufgabe als Dozentinnen und Dozenten ist es, Themen zur Orientierung vorzugeben und im Kick-off-Treffen alle Fragen rund um die Organisation zu klären. Außerdem stellen wir vorab schon die Tandempaare zusammen. Damit das alles einen offiziellen Rahmen hat, haben wir dazu auch unsere Chefs eingeladen, von Augsburger Seite war das Herr Prof. László Kovács. Am Ende des Semesters gibt es noch ein Abschlusstreffen mit allen Beteiligten, bei dem die Studierenden sich über ihre Erfahrungen austauschen und Feedback geben können. Man muss aber sagen, dass die Studierenden in den Tandems relativ autonom sind und viel Eigenverantwortung tragen: Sie entscheiden selbst, wann und in welchem Rhythmus sie sich treffen und wie lange sie miteinander sprechen wollen. Im Grunde ist der Kerngedanke, dass sie in den Tandems nicht nur Lernende sind, sondern gleichzeitig auch Lehrende, indem sie ihrem Gegenüber beim Lernen der eigenen Muttersprache helfen.

 

Welche Tools werden zur Durchführung der Sprachtandems genutzt?

Genutzt haben wir Zoom, Moodle, Blackboard, WhatsApp und Nextcloud. Insbesondere WhatsApp ist beliebt, weil darüber viele kleine Absprachen im Vorfeld und im Nachgang schnell und unkompliziert getroffen werden können.

 

Welches Feedback haben Sie von den Studierenden bekommen?

Das Feedback war insgesamt sehr positiv. Ein Wort, das in den Rückmeldungen oft gefallen ist, ist „spannend“. Spannend fanden sie vor allem die kulturelle Komponente: Denn abgesehen von der Sprache lernt man auch sehr viel über die fremde Kultur. Die Augsburger Studentinnen und Studenten berichteten, sie seien am Anfang sehr schüchtern und eher zurückhaltend gewesen, die argentinischen Tandempartner:innen eher locker und aufgeschlossen. Offenbar hat sich das im Lauf des Semesters ein bisschen ausgeglichen: Die deutschen Studierenden wurden lockerer, sodass die Argentinier:innen auch mehr von der deutschen Kultur kennenlernen konnten. Viele Augsburger:innen gaben uns außerdem die Rückmeldung, dass sie ohne die ‚Pflicht‘ und die Benotung am Ende das Angebot eines Tandems nicht wahrgenommen hätten. Wichtig sei ihnen vor allem gewesen, dass es eine Struktur gab, welche die Dozentinnen und Dozenten zumindest grob festgelegt hatten, damit das ganze Projekt nicht vollkommen ohne Rahmung abläuft.

 

Worin sehen Sie die Vorteile der digitalen Sprachtandems gegenüber dem analogen Sprachunterricht?

Ich habe den Eindruck, die Studierenden sind motivierter, wenn sie ein Gegenüber haben, dessen Muttersprache sie lernen wollen. Sie lassen sich auch positiv von den Muttersprachler:innen beeinflussen; das merken wir, wenn unsere Studentinnen und Studenten auf einmal Begriffe verwenden, die sie in den Tandems gelernt haben. Spannend fand ich auch, dass plötzlich eine Kohorte von Studierenden mit argentinischem Akzent spricht, den sie nicht bei mir gelernt haben können, da ich keinen argentinischen Akzent habe. Der Input der native speaker wird also auch aktiv in den Output unserer Kursteilnehmer:innen umgesetzt.

 

Wie konnten insbesondere die Studierenden davon profitieren?

Für die Studierenden war sicherlich ein großer Vorteil, dass sie nicht nur mit ihren Sprachlehrer:innen sprechen konnten, sondern mit jungen Leuten in ihrem Alter. Das ist eine gute Gelegenheit, eine ganz andere Lexik kennenzulernen, aber auch einen Einblick in den Alltag Gleichaltriger in einem anderen Land oder sogar auf einem anderen Kontinent zu bekommen. Viele haben uns auch rückgemeldet, dass sie die Angst vor der fremden Sprache und Kultur so ein bisschen ablegen konnten und jetzt weniger Berührungsängste haben. Tatsächlich gehen jetzt auch mehr Studierende ins Auslandssemester nach Mar del Plata und Almería. Die digitalen Sprachtandems sind also so etwas wie ein erster Kontakt mit einer fremden Kultur, der dann auch real umgesetzt und vertieft wird.

 

Was war für Sie die größte Herausforderung und wie sind Sie damit umgegangen?

Die größte Herausforderung ist die Planung und Organisation im Vorfeld. Da gibt es viele Terminabsprachen und lange Sitzungen zur inhaltlichen Ausrichtung, die anstrengend sein können. Auch hier kommen die kulturellen Eigenheiten aller Beteiligten deutlich zum Tragen. Außerdem haben sich immer wieder technische Probleme, wie etwa eine instabile Internetverbindung, ergeben. Anfangs war auch noch nicht ideal gelöst, dass wir die Materialien über Moodle zur Verfügung gestellt haben, worauf die argentinischen Tandempartner nur bedingt zugreifen konnten, so dass sich hier ein etwas verwirrendes Nebeneinander zwischen Moodle, WhatsApp und Blackboard ergeben hat. Hinzu kommt, dass es zwischen Argentinien und Deutschland eine Zeitdifferenz von fünf Stunden gibt, sodass die Terminfindung deutlich erschwert ist. Eine Herausforderung war bzw. ist es auch, dass ab und an die argentinischen Studierenden abspringen, da sie das Tandem freiwillig machen. Das ist dann natürlich schwierig, weil wir einen Ersatz finden müssen. Aber je länger wir das machen, desto besser wissen wir, wie wir das sinnvoll organisieren und auf solche Dinge reagieren können.

 

Sehen Sie auch Nachteile an Ihren digitalen Sprachtandems?

Als einzigen Nachteil sehe ich, dass die Studierenden durch das Tandem noch mehr Online-Veranstaltungen hatten als ohnehin schon: In den vorherigen Semestern haben sie sehr viel Zeit in Online-Formaten verbracht, sodass das Sprachtandem, das ebenfalls virtuell stattfand, dann etwas mühsam für sie war. In diesem Semester merkt man, dass die Studierenden motivierter sind, sich online zu treffen, weil die übrige Lehre bislang analog stattgefunden hat.

 

Wie schätzen Sie den Aufwand für die Organisation solcher digitaler Sprachtandems für Sie als Lehrperson ein?

Ich würde sagen, alles in allem ist es ungefähr gleich viel Vorbereitung wie bei einer regulären analogen Lehrveranstaltung. Je mehr Personen beteiligt sind, desto mehr zeitlicher Aufwand entsteht in der Vorbereitung, weil mehr Absprachen getroffen werden müssen.

 

Welches Lehrformat eignet sich Ihrer Meinung nach besonders gut dafür, im digitalen Rahmen auf internationale Elemente und Kooperationen zurückzugreifen?

Aus meiner Sicht eignen sich dafür vor allem Projekte, die stark auf Zusammenarbeit und Kommunikation setzen, frontale Lehrformate eher weniger. Das lässt sich eigentlich in jeder Fakultät und jedem Fach umsetzen, wenn man eine kommunikative Herangehensweise wählt. Ich denke, internationale Kooperation im Digitalen kann auch eine sehr gute Vorbereitung sein für das tatsächliche Zusammenarbeiten, wenn man dann im Ausland vor Ort ist. Ich würde mich freuen, wenn mehr Lehrpersonen an der Hochschule das machen würden und stehe dafür auch als Ansprechperson zur Verfügung. Denn vieles von dem, was wir in den digitalen Sprachtandems ausprobiert haben, lässt sich auch auf andere Gebiete übertragen.

 

Wird das Projekt auch in der Zukunft weiterexistieren und haben Sie schon Pläne für zukünftige Projekte?

Das Projekt der digitalen Sprachtandems wird so, wie es ist, auch in den kommenden Semestern angeboten. Es lässt sich schwer sagen, wie sich das weiterentwickelt, denn das Projekt steht und fällt mit den beteiligten Lehrpersonen. Gerade in Mar del Plata sind die Sprachtandems sehr stark an das Engagement des Kollegen dort gebunden. Er ist derjenige, der das im Bereich Internationalisierung der Universität mit viel Begeisterung unter dem Namen „Internationalisierung zuhause“ vorantreibt. Wenn er oder auch die Kolleginnen in Almería das nicht mehr weitermachen können und niemand anderes das Projekt übernimmt, fehlt dieser Antrieb. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Die Lehrenden, die Interesse haben an der Internationalisierung, bewegen auch etwas in der Internationalisierung. Natürlich muss das nach und nach auch institutionalisiert werden, vor allem muss man aber Freude daran haben und etwas verändern wollen, dann geht auch etwas in diese Richtung voran. Das gilt allgemein für die Internationalisierung, nicht nur in den digitalen Formaten.

 

Wo sehen Sie noch Optimierungsbedarf? Welche Hilfestellung würden Sie sich wünschen?

Damit es in Zukunft reibungsloser klappt, wäre eine Plattform nötig, auf der wir unsere Materialien zur Verfügung stellen können und auf die alle Beteiligten zugreifen können, also nicht nur die Augsburger Studierenden, sondern auch die argentinischen und spanischen Kursteilnehmer:innen. Ich würde mir wünschen, dass wir mit dem Rechenzentrum dafür eine Lösung finden können.

 

Welchen Rat haben Sie für Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls internationale Kooperationen in ihre digitale Lehre einbinden möchten?

Das Wichtigste ist: Kontakte knüpfen! Dazu könnte es auch helfen, beim International Office nachzufragen, ob sie vielleicht wissen, wer von den Partnerhochschulen an solchen Kooperationen Interesse haben könnte. Und natürlich kann ich auch gerne meine Kontaktpersonen fragen, ob es an ihren Hochschulen in anderen Fachbereichen Personen gibt, die ebenfalls an so etwas interessiert sein könnten. Das könnte auch eine Aufgabe für die Hochschulverwaltung sein: Man könnte eine Übersicht erstellen mit allen Hochschulen, die für eine solche Kooperation zur Verfügung stehen, wer die Ansprechperson im entsprechenden Fach ist usw.

Liebe Frau Angrisano, vielen Dank für das Gespräch und die spannenden Einblicke in Ihre Arbeit!