- Geistes- und Naturwissenschaften
- Aktuelles
- News
- Internationaler Austausch im Studiengang Soziale Arbeit
Internationaler Austausch im Studiengang Soziale Arbeit
Sozialarbeiter:innen der Chicago Youth Centers besuchen Veranstaltungen in Augsburg
Zum Ende des Sommersemesters 2024 hatten Studierende aus dem vierten und sechsten Semester nun die Gelegenheit, sich vor Ort in internationale Veranstaltungen einzubringen. Die beiden Sozialarbeiter:innen Tina Ayala, „Senior Director of Program and Operations, School Age and Teens” und Piotr Wojnicz, „Director of Education Support Initiative & Continuous Quality Improvement“ von den Chicago Youth Centers hielten gleich in zwei Veranstaltungen Gastvorträge über ihr Angebot der Sozialen Arbeit in den USA. Wie Tina Ayala und Piotr Woijnicz den Besuch in Augsburg erlebt haben, lässt sich in einem englischsprachigen Beitrag nachlesen.
Das Projekt HSA_sustaIN – gefördert durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und das Bildungsministerium für Bildung und Forschung (BMBF) – finanzierte Maßnahmen zum Kooperationsaufbau mit CYC und die Durchführung der Veranstaltungen. Der Besuch der Sozialarbeiter:innen aus Chicago wurde durch eine Förderung der Hans-Benedikt-Stiftung finanziell unterstützt.
„Chicago Youth Centers meet Youth Council Augsburg“: Ein reger Austausch im “Juze am Schlössle “
Am 12.06.24 begrüßte Prof. Dr. Barbara Rink (THA) zusammen mit Helmut Jesske, Geschäftsführung des Stadtjugendrings Augsburg K.d.Ö.R. (SJR) und Tanja Friedrich, SJR, Regionalleitung West, die Gäste aus Chicago und Studierende der Sozialen Arbeit aus dem vierten und höheren Semestern im Jugendzentrum „Juze am Schlössle“ in Pfersee, einer Einrichtung des SJR.
Miteinander und voneinander lernen – durch den Blick über den Tellerrand und im Austausch mit Fachkräften der Sozialen Arbeit aus Augsburg und Chicago sowie Studierenden der Technischen Hochschule – das war das Ziel der Lehrveranstaltung im Modul Partizipation und Empowerment.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen folgende Fragen: Welchen Auftrag haben die Chicago Youth Centers inne? Welche Rolle spielt der Stadtjugendring Augsburg in der kommunalen Jugendhilfe? Inwiefern unterscheiden sich die Angebote und Maßnahmen der Chicago Youth Centers von jenen der Jugendhäuser des Stadtjugendrings? An wen richten sich die Einrichtungen? Wie werden die Einrichtungen finanziert und was bedeutet das für die Geschäftsführung und Verwaltung der jeweiligen Einrichtungen? Und schließlich, welche Qualifikationen bringen die Fachkräfte mit?
Tina Ayala und Piotr Wojnicz von Chicago Youth Centers führten zunächst in den sozio-strukturellen Kontext der Stadt Chicago ein. Es wurde schnell deutlich, dass die Einrichtungen von CYC vor allem in den städtischen Gebieten liegen, die als Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf betrachtet werden können, in denen sich Armut, Arbeitslosigkeit, infrastrukturelle Mängel konzentrieren und Bandenkriminalität mit Schusswaffengebrauch zu einer gewissen Alltagsrealität der Bewohner:innen gehört. Vor allem der Westen und Süden Chicagos sind besonders betroffen. Chancenungleichheit und Bildungsungerechtigkeit nehmen in Chicago nochmal andere Dimensionen ein als in Augsburg bzw. Deutschland. Für die Studierenden der Sozialen Arbeit in Augsburg war es schwer vorstellbar, unter welch schwierigen Bedingungen ein Teil der jungen Menschen in Chicago aufwächst. Helmut Jesske fasst es zusammen: „Der Bericht unserer amerikanischen Freunde hat mir nochmal vor Augen geführt, dass unsere gesellschaftlichen Probleme, so gewichtig sie auch sein mögen, nichts in Bezug auf Armut, gesellschaftliche Ausgrenzung und Jugendkriminalität zu den US-amerikanischen Verhältnissen sind“ (Helmut Jesske).
Die Studierenden erfuhren, dass unter dem Begriff „Chicago Youth Centers“ verschiedenste Strukturen geführt werden, die von der (früh-)kindlichen Bildung (Kindertagesbetreuung), über kooperative Angebote in Schulen (Hort) bis zur Umsetzung von Jugendhilfemaßnahmen, wie der Begleitung von Pflegefamilien, und Elternbildung reichen. Es kristallisierte sich somit ein großer Unterschied zu den Jugendzentren und der Offenen Jugendarbeit in Augsburg heraus, die ihren Fokus deutlich auf Jugendliche setzt. Die Studierenden diskutierten im Anschluss Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Herangehensweisen mit allen Beteiligten.
Für Tina Ayala und Piotr Wojnicz liegt der Vorteil ihres Ansatzes darin, dass sie bereits im Kindesalter den Kontakt herstellen können, eine frühzeitige Begleitung ermöglichen, und die Adressat:innen bis ins junge Erwachsenenaltern begleiten und unterstützen können, sie sozusagen „von der Straße“ fernhalten.
Für die Leitung des Juze am Schlössle und zugleich Gastgeber:in Tanja Friedrich (SJR) war es ein „Aha-Erlebnis zu erfahren, dass in Chicago die Kinder vom Kindergartenalter bis ins Jugendalter von CYC begleitet werden. Toll, denn hier kann langfristig mit den Menschen gearbeitet werden. Im Gegensatz dazu gibt es bei uns jedoch auch eine Betreuung über das Jugendalter hinaus bis ins junge Erwachsenenleben. Das ist mit Blick auf die Herausforderungen, die da zu bewältigen sind, unglaublich wichtig.“
Auch der große notwendige Anteil an Spendengeldern, jenseits der Kindertagesbetreuung, insbesondere für die Angebote und Maßnahmen der Menschen im Jugendalter und jungen Erwachsenen und somit für das Funktionieren von CYC überraschte die meisten Anwesenden. Ohne eine intensive und erfolgreiche Spendenakquise wären viele Angebote nicht möglich. Eine Tatsache, die nicht nur den Geschäftsführer des SJR beschäftigte: „Was mich am meisten zum Nachdenken gebracht hat war einmal der hohe Anteil an Spenden im Budget der amerikanischen Einrichtung. Müssten wir uns so finanzieren, würde das bei uns nicht funktionieren.“
Neben den Unterschieden gab es durchaus Gemeinsamkeiten, wie das unermüdliche Engagement der Fachkräfte von Chicago Youth Centers aber auch des Stadtjugendring Augsburgs, um junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu begleiten zu fördern und vorhandenen Benachteiligungen entgegen zu wirken, u.a. dadurch dass die Jugendzentren in Chicago als auch in Augsburg einen Raum für junge Menschen bieten, der einerseits ein „Safe-Space“ ist und andererseits ein Ermöglichungsraum jenseits von schulischem Druck. So äußerte sich Tina Ayala zur Arbeit des SJR: „The Youth Council is doing amazing work to support young people and their development. Keep them in safe space with adults that promote growth.” Und ein Fazit aus Sicht von Piotr Wojnic war: “Whether in Chicago or Germany, the needs are the same and the staff makes the difference!” (Piotr)
„Die Bedeutung, die der Sozialraum für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen haben kann und wie wichtig soziale Einrichtungen wie CYC oder Jugendhäuser vor Ort in Chicago aber auch in Augsburg sind, wurde in den Beiträgen der Fachkräfte aus beiden Ländern mehr als deutlich“, so Professorin Rink.
Natürlich wurde auch das „Juze am Schlössle“ besichtigt und die Teilnehmenden hatten die Gelegenheit mit Jugendlichen vor Ort ins Gespräch zu kommen. Alle sind sich einig: to be continued.
„Social work with vulnerable children”: Welche Anforderungen stellen sich an Soziale Arbeit in Augsburg und Chicago?
Welche Herausforderungen stellen sich den Fachkräften in der Sozialen Arbeit mit besonders vulnerablen Kindern und Jugendlichen? Wie sind unterschiedliche Kinder- und Jugendhilfesysteme mit deren Angeboten dafür aufgestellt? Und inwiefern lassen sich durch einen internationalen Vergleich Impulse für die Soziale Arbeit mit vulnerablen Gruppen ableiten? Diese Fragen standen im Fokus des internationalen Workshops „Social Work with “challenging” & vulnerable children and families. Approaches and experiences from Germany & the United States”. Ziel des Workshops, den László Kovács – Vizepräsident für Studium und Lehre der THA – und Adrian Bieniec – stellvertretender Leiter des Internationale Office der THA – eröffneten, war es ein besseres Verständnis für vulnerable Kinder und Jugendliche in herausfordernden Lebenslagen sowie in unterschiedlichen nationalen Kontexten zu erlangen. Durch eine vergleichende Perspektive sowie durch den Austausch von Studierenden, Praxispartnerinnen und –partnern aus Augsburg sowie den Gästen aus Chicago konnten interessante Erkenntnisse aus unterschiedlichen Perspektiven herausgearbeitet werden.
Fachliche Verankerung des Workshops: Das Vertiefungsmoduls „Soziale Arbeit mit vulnerablen Kindern und Familien“
Der Workshop war Bestandteil der Vertiefung, die Prof.in Dr.in Nicole Klinkhammer erstmals in diesem Sommersemester für Studierende des sechsten Fachsemesters im Studiengang der Sozialen Arbeit anbietet. Im Rahmen des Vertiefungsmoduls „Soziale Arbeit mit vulnerablen Kindern und Familien“ haben sich die Studierenden ein Semester mit dem in Deutschland kontrovers diskutierten Phänomen von „Systemsprenger:innen“ auseinander gesetzt. Damit diese Auseinandersetzung nicht nur aus einer theoretisch-wissenschaftlichen Perspektive erfolgt, sondern zugleich anwendungs- und praxisbezogen, wurde eine Kooperation mit dem Amt für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Augsburg (AKJF) sowie den zuständigen Sozialdiensten in den Stadtregionen von Augsburg initiiert. Dadurch wurde – ganz im Sinne der Kasuistik – für die Studierenden die Bearbeitung von konkreten Fällen möglich. Zudem waren im Semesterverlauf junge Menschen aus dem Landesheimrat in Bayern , der Ombudsstelle aus Augsburg sowie Streetworker aus Augsburg-Mitte eingebunden, die mit ihren Erfahrungsberichten den Studierenden wichtige Einblicke ermöglichten.
Das bundesdeutsche Kinder- und Jugendhilfesystem und die Auseinandersetzung mit dem Phänomen von „Systemsprenger:innen“
Am ersten Tag des Workshops stand das deutsche System der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere das System der Hilfen zur Erziehung im Fokus. Prof.in Dr.in Nicole Klinkhammer führte dazu in die Finanzierungs- und Steuerungsstrukturen in Deutschland, die bestehenden Sektoren und Angebotsformen im Kontext der Hilfen zur Erziehung ein. Zudem präsentierte sie aktuelle Daten aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik, die den Ausbautrend der letzten Jahre eindrücklich zeigen, sowie Ergebnisse aus Evaluationsstudien, die einen überwiegend positiven Einfluss der Angebote auf den Hilfeverlauf von jungen Menschen nachzeichnen. Zugleich zeigen die Daten, dass bei einem Anteil von ca. 5% der Kinder und Jugendlichen die Hilfeverläufe von Abbrüchen und Eskalationen gekennzeichnet sind. Damit setzt ein Mechanismus ein, so resümiert es Nicole Klinkhammer, der aus Kindern in schwierigen Lebenslagen vermeintlich „schwierige Kinder“ werden lässt.
Welche komplexen Verläufe und Problemlagen damit einhergehen, arbeiteten die Studierenden nach dem einführenden Vortrag auf Basis von spezifischen Fällen heraus. Sie präsentierten dazu wichtige Aspekte in Einzelgruppen, diskutierten ihre Beobachtungen und entwickelten gemeinsam mit den Anwesenden mögliche Fragen und Perspektiven für die weitere Analyse der Materialien.
Wie Soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in herausfordernden Lebens- und Hilfelagen ganz praktisch aussehen kann, wurde am Nachmittag im Rahmen eines Praxisbesuches deutlich. In der „Individualpädagogische Wohngruppe Riedlerstraße“ des Trägers St. Gregor begrüßte die Gruppe der Teamleiter, Tobias Riegg. Er führte die Teilnehmenden durch das Haus, die Wohngruppe und stellte die interessanten individualpädagogischen Angebote und Projekte vor. Für die amerikanische Kollegin bzw. den Kollegen war dieser Besuch sehr beeindruckend, denn im Kontext des Hilfesystems in den USA und den dort gegebenen Finanzierungsmöglichkeiten, ist ein solches Angebot kaum denkbar.
Die Arbeit mit vulnerablen Kindern und Jugendlichen in den „Chicago Youth Centers“: Soziale Arbeit in den benachteiligten Stadtquartieren
Die bestehenden strukturellen Unterschiede wurden am zweiten Workshoptag in der Präsentation der amerikanischen Referentin Tina bzw. dem Referenten Piotr deutlich. Für die Einordnung ihrer Arbeit mit vulnerablen Kindern in den CYCs gaben sie wichtige Hintergrundinformationen über die Stadt Chicago, wie z.B. die Verteilung der von Armut betroffenen Bevölkerung in der Stadt, der Einfluss von Bandenkriminalität und Waffengewalt auf die Arbeit mit Kindern in sozioökonomisch benachteiligten Stadtteilen und die Herausforderungen, die sich dadurch für die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter stellen. Die verschiedenen Bildungs- und Förderprogramme, die in den CYC angeboten werden, richten sich an Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Altersstufe und reichen demnach von der frühen Kindheit bis ins Jugendalter (s. oben). Interessant war für die Runde, dass die Fremdunterbringung von Kindern außerhalb der Familie in den USA in erster Linie über Pflegefamilien organisiert ist und Adoption wesentlich verbreiteter ist als hierzulande. Stationäre Einrichtungen stellen, auch aufgrund des anderen sozialstaatlichen Systems, eher einen geringen Anteil im Kinder- und Jugendhilfesystem dar.
Diskutiert wurden spannende Fragen, wie z.B. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter mit den Herausforderungen umgehen, die sich durch die Stadtumgebung an sie stellen: Dort, wo es für Kinder und Jugendliche zu gefährlich ist, alleine von der Schule ins Youth Center zu kommen oder, wo Kinder und Jugendliche Augenzeugen von Gewalttaten und Schießereien auf offener Straße werden, fordert die professionelle Kompetenz noch einmal in einer besonderen Weise. Zugleich wurde deutlich, dass jenseits der Unterschiede, die sich aufgrund der verschiedenen Kontexte der Sozialen Arbeit in den beiden Städten ergeben, viele Anforderungen in der Arbeit mit vulnerablen Kindern in gleicher Weise bestehen: der Bedarf nach ausreichend und gut qualifizierten Fachkräften, deren offene Haltung gegenüber den Adressatinnen und Adressaten sowie der Bedeutung von fundiertem Fachwissen über die komplexen Problemlagen von Kindern und deren Familien.
So resümierten Studierende, Praxispartnerinnen sowie die beiden Gäste aus den USA am Ende, dass es sowohl für die Ausbildung von angehenden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ebenso wie für erfahrene Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter enorm bereichernd ist, derartige international ausgerichteten Veranstaltungen für einen Austausch und die Reflektion ganz aktueller Herausforderungen in der Sozialen Arbeit zu nutzen.
Gefördert von
Gefördert von der Hans-Benedikt-Stiftung.