Prof. Dr. Dietrich & Prof. Dr. Rainer Großmann
Interview im digitalen Sommersemester
Wie sah denn ein normaler Tag mit im unnormalen Sommersemester 2020 bei Ihnen aus?
Herr Dietrich: Der Tagesrhythmus, z.B. dem Aufstehen, verlief es eigentlich wie üblich, ich hatte mich an den Stundenplan gehalten, das war auch ein Wunsch der Studierenden. Eine kleine Herausforderung war es, eine körperliche Aktivierung morgens unterzubringen, damit man ein wenig fitter ist und frisch ist für die ersten Veranstaltungen. Es war ja mein erstes Semester als Dozent an der Hochschule, so war der ganze Tagesablauf eine Umstellung.
Herr Großmann: Ein Unterschied und auch Vorteil war doch das etwas spätere Aufstehen, da ich mir die Anfahrt von München nach Augsburg sparen konnte. Meine Studierenden haben sich Screencasts gewünscht, so war ich flexibel in der Einteilung der Arbeitszeit und konnte Vorlesungen besser zusammenstellen. Wo man sonst 90 Minuten Vorlesung abhält, konnte man optimieren - man konnte Szenen wiederholen, einzelne Fragestellungen vertiefen... dadurch war es anders - vielleicht sogar wissenschaftlicher als das Vorgehen in Präsenz. Was ich auf alle Fälle vermisst habe, war das Feedback der Studierenden: Man arbeitet alleine am Computer, spricht in ihn hinein – es gibt wenig Feedback, das war schon ungewöhnlich.
Welche Veranstaltungen haben Sie beispielsweise wie digital umgesetzt?
Herr Großmann: Das waren z. B. fortgeschrittene Messtechnik II, da geht es um Vertiefung der Messtechnik I, und Digitale Signalverarbeitung, also Vertiefung von Systemtheorie, und wir hatten unser Praktikum.
Herr Dietrich: Ergänzend zum gemeinsamen Praktikum mit Herrn Großmann, habe ich die Fertigungstechnik-Vorlesung angeboten, das war eine Mischung aus klassischer Präsenzvorlesung entsprechend des Stundenplans, ergänzt mit Flipped-Classroom-Veranstaltungen. Das haben wir gemischt angeboten. Aber die Studierenden haben in meinem Fall die an dem Stundenplan orientierte, klassische Vorlesung vorgezogen.
Wie haben Sie Ihre Lehre online konzipiert? Wie sind Sie dabei vorgegangen? Und wie sahen die Veranstaltungen dann aus?
Herr Dietrich: Nehmen wir das Messtechnik-Praktikum: Ziel war es, dass die Studierenden Erfahrungen bei einer praktischen Tätigkeit sammeln und daher mussten wir ein Konzept finden, wo die Studierenden nicht nur theoretische Arbeiten verfassen und nur Berichte schreiben, sondern wirklich mit Bauteilen zu tun haben. Wir haben uns umgesehen und einige geeignete elektronische Komponenten gefunden, die es inzwischen auf dem Markt gibt. Auf der Basis dieser günstigen Mikrocomputer und Sensoren haben wir ein Praktikum aufgebaut, das bei einem geringen Investitionsbudget durch die Studierenden zu Hause durchgeführt werden konnte. D.h. wir haben es geschafft, den praktischen Arbeitsanteil zu den Studierenden nach Hause zu verlagern und mit einer guten Anleitung die Studenten bei der Durchführung so zu begleiten, dass die Versuche bestmöglich abgeschlossen werden konnten.
Herr Großmann: Die Schwierigkeit ist ja, dass wir im Normalfall ein Labor mit hervorragenden Geräten anbieten, mit welchen man sehr genaue Messungen durchführen kann. Die Herausforderung war dann, wie man mit den verfügbaren Sensoren oder Mikroprozessoren die wesentlich ungenauer messen, etwas Sinnvolles macht. Es sollte ja nicht Spielen sein, sondern einem wissenschaftlichen oder auch einem industriellen Sinne entsprechen. Hierfür die richtigen Bauteile zu finden und vernünftige Versuche zu entwickeln, z.B. Kennlinien aufnehmen, die nicht verwackelt sind - das war eine schöne Herausforderung!
Herr Dietrich: Beim Praktikum sind die Rücksprachen mit den Studierenden sehr wichtig, sonst kann das Frustrationspotential sehr groß sein, wenn die Versuche zu Hause nicht laufen. Daher haben wir versucht unterschiedliche Kanäle für Fragemöglichkeiten anzubieten mit Zoom-Meetings, Foren in Moodle oder auch persönlichen e-Mails. So hatten die Studierenden mehrere Möglichkeiten mit uns in Kontakt zu kommen.
Herr Großmann: Die Studierenden haben das Praktikum völlig selbstständig durchgeführt und einen abschließenden Bericht geschrieben. Die Zoom-Meetings waren dazu da, um Probleme und konkrete Fragen zu klären, z. B. wenn etwas nicht funktioniert hat oder jemand nicht verstanden hat, wie er etwas umsetzen kann. Es gab auch Studierende die von A bis Z komplett selbstständig gearbeitet haben. Da bin ich sehr stolz, dass unsere Studenten das können - sie haben dabei eine große Selbstständigkeit bewiesen!
Herr Dietrich: Die Eigenverantwortung, die die Studierenden in so einer Veranstaltung beweisen müssen, die ist deutlich höher als in einem Präsenzpraktikum, bei dem sie unter Anleitung eines Laboringenieurs und Personal vor Ort mehr oder weniger durch die Versuche begleitet werden. Das war schon beeindruckend, insbesondere bei denen, die alleine gearbeitet haben. Zwar durften die Studierenden auch zu zweit arbeiten, d.h. sie konnten sich online - entsprechend der regulatorischen Vorgaben - abstimmen, aber trotzdem ist die geforderte Eigenverantwortung bei dieser Art von Veranstaltungen deutlich höher. Dieser Umstand fordert und trainierte bei den Studenten zusätzliche Kompetenzen.
Wo gab es dabei besondere Herausforderungen und wenn, wie haben Sie diese gelöst?
Herr Großmann: Da fallen mir technische Details ein, denn im Labor hat man jede Menge an technischen Geräten zur Verfügung, wenn man sie braucht, dann kann man auf 3-4 Spannungsmessgeräte zugreifen, um eine Schaltung komplett zu vermessen. Das haben wir eben nicht; wir haben höchstens Analog-Digital-Wandler und man muss sich überlegen, wie man sinnvoll eine Schaltung messen kann. Das ist durchaus aufwendig und für die Studierenden schwierig, man muss sich überlegen, wo man was anschließt.
Wie haben die Studierenden auf die Online-Lehre reagiert?
Herr Dietrich: Aus meiner Sicht gab es große Bandbreite: Die Studierenden, die die Eigenverantwortung genossen haben, sich ihre Arbeit selbst einzuteilen z.B. beim Praktikum, die ohne Unterstützung alles selbstständig erarbeitet haben - bis hin zu Studierenden, die unser Rückspracheangebot intensiv genutzt haben und gegebenenfalls mit ihren Kommilitonen zu einem guten Ergebnis gekommen sind. Leider muss ich auch sagen, es gab Studierenden, die hatte ich auch in der Vorlesung Fertigungstechnik erlebt, die in dieser Situation stark gefordert waren und an ihre Grenzen kamen. So z.B. bei der eigenverantwortlichen Vorbereitung von Lehrvideos für Flipped-Class-Room-Veranstaltungen. Videos wurden nicht vorbereitet und damit der Anschluss an der einen oder anderen Stelle verloren.
Herr Großmann: Ja, das kann ich bestätigen, dass es die ganze Bandbreite der Empfindungen gibt. Aber es gibt ja die Situation, wo man das messen kann, wie es lief: Die Prüfungen. Da kann ich bisher nur sagen, das lief eigentlich hervorragend. Die Ergebnisse sind nicht schlechter, eher besser als die letzten Semester oder Jahre vorher. Zufrieden oder nicht zufrieden, die Studierenden haben das gut bewältigt - da sprechen die Fakten für sich.
Wovon haben Sie und die Studierenden am meisten profitiert und welche Elemente würden Sie in die “normale” Lehre übernehmen z.B. im nächsten Semester/Jahr?
Herr Großmann: Was bereits als Vorteil angesprochen wurde, war die Möglichkeit sich kompliziertere Vorgänge mehrfach auf einem Video anzusehen. Man könnte sich überlegen, Teile einer Vorlesung aufzuzeichnen und diese weiterhin ins Netz stellen, damit sich Studierenden diese mehrfach anhören können, nicht nur das eine Mal in der Vorlesung. Wenn man ehrlich ist, ist man doch gelegentlich abgelenkt und so hat man die Chance etwas zu wiederholen, wenn man etwas verpasst hat. Ich finde das ganz gut! Diese Möglichkeit der Aufzeichnung haben wir dieses Semester ganz gut geübt und das könnte man weiterhin anbauen. Natürlich nicht 100%, aber doch um Schwerpunkte zu setzen.
Herr Dietrich: Das unterstreiche ich gerne. Ich habe viel mit der Lehre von PE-Fächern (Praxisergänzungsfächer) zu tun, d.h. parallel zu den Praktika in den Firmen. Was ich da nächstes Semester auf alle Fälle sicher anbieten werde ist eine kombinierter Online- und Präsenzlehre. Ein Praktikant, der im Ausland ist oder weiter weg von der Hochschule eine Firma ausgewählt hat, und nicht anreisen kann, der kann dann per Zoom an den Präsenzveranstaltungen teilnehmen und ist somit in der Vorlesung/Seminar mit anwesend.
Was möchten Sie Ihren Studierenden raten, wie man erfolgreich online studiert?
Herr Dietrich: Das Thema Selbstorganisation und Zeiteinteilung ist ein sehr Wichtiges. Der Stundenplan ist eine erste Hilfe, doch man muss sich die weitere Zeit einteilen und diszipliniert an die Zeitfenster halten. Wenn sich erstmal ein Berg an Material aufgestaut hat, der nach- oder vorzubereiten ist, dann wird das schwer diesen abzuarbeiten.
In einer meiner Vorlesungen hat im letzten Semester ein Kommunikationscoach einen Vortrag gehalten, sie meinte, dass bei der Kommunikation zwischen Studenten und Dozenten viel über die Sprache verläuft, doch eben auch über Gestik, Mimik und Körpersprache vermittelt werde. Das geht bei Online-Vorlesungen verloren, insbesondere wenn die Kamerafunktion nicht genutzt wird. Es gibt zwar viele Bedenken, u.a. Persönlichkeitsrechte und deren Schutz, aber es ist wahnsinnig wichtig für eine gute Kommunikation den Gesprächspartner im Bild zu erleben und mehr als die Sprache zu hören. Daher ist meine Empfehlung mit Kamerabild zu arbeiten.
Herr Großmann: Aus den Erfahrung als Vater einer Studentin kann ich direkt berichten: Der Kontakt zwischen den Studenten ist stark erschwert und wenn man es da schafft, den Kontakt zu aktivieren - auch online - das hilft ungemein. Sehr viele Fragen, Unsicherheiten, wenn man z.B. weiß, wo die anderen und man selbst steht - das beruhigt sehr. Also: Versuchen mit anderen aktiv in Kontakt zu kommen!
Wie haben Sie selbst sich bei der Online-Lehre gefühlt?
Herr Großmann: Zu Beginn war es ein seltsames Gefühl, wir waren ja alle überrascht. Anfangs dachten wir, wir dürften keine Zeit verlieren. Dann haben wir erstmal Tools gesucht, und man macht Fehler bei der Bedienung; und man spricht in einen Computer hinein, wo man normalerweise ein lebendiges Gegenüber hat. Das war ein unangenehmes Gefühl. Aber man gewöhnt sich an vieles. Also, vermisst habe ich immer den direkten Kontakt. Ich bin international stark vernetzt und ich weiß, dass einige Universitäten Online-Lehre anbieten müssen, weil ihre Studierenden sehr weit über das Land verteilt sind. Ja, man kann so ein Online-Studium schon zu einer Stärke ausbauen!
Herr Dietrich: Für mich war es insgesamt ein Neustart in ein Online-Semester. Was schwierig war, war die Anonymität. Man wählt sich morgens in den Vorlesungsraum ein, sieht vereinzelt Gesichter, aber man spürt keine Interaktion. Mit der Anonymität habe ich lange, ja, bis zum Schluss gekämpft. Zwar habe ich den Kontakt gesucht, z.B. einen "Guten Morgen" gewünscht, doch vereinzelt kam nicht mal eine Reaktion per Chat. Auf der anderen Seite bin ich von der Hochschule, sei es durch die Fakultät oder das DMZ, hervorragend begleitet worden. Fragen - fachlicher, technischer oder organisatorischer Art - sind in sehr kurzer Zeit beantwortet worden. Ich habe mich nie im Stich gelassen gefühlt, die Einarbeitung und Unterstützung waren wirklich hervorragend!
Welches sind aktuell Ihre Lieblingstools für Ihre digitale Lehre?
Herr Dietrich: Das, was ich am meisten genutzt habe, ist Zoom für die Online-Vorlesungen, aber was ich auch sehr gerne einsetze ist Umfragetools wie z.B. Pingo. Ein Kollege hat mich darauf gebracht, nicht nur selbst Fragen einzustellen, sondern auch Fragen der Studierenden. Das heißt, ich motiviere die Studierenden selbst Fragen, auf Basis der vermittelten Inhalte, zu generieren. Die Studierenden stellen sich am Ende des Tages gegenseitig Fragen, die dann in einer interaktiven Runde, d.h. in einem Zoom-Meeting, besprochen und weitergehend diskutiert wurden. Das waren für mich die fruchtbarsten Veranstaltungen... Das ergab eine sehr tiefgehende Reflexion des Lehrstoffes.
Herr Großmann: Ich würde sagen, es ist die Kombination aus verschiedenen Tools: Zoom ist sehr wichtig, um in Echtzeit zu kommunizieren und mit Moodle als Plattform, die sehr vieles darstellen kann, nicht nur um Dokumente zu hinterlegen, man kann u.a. Tests zur Lernzielkontrolle entwickeln. Aber ich bin auch begeistert, wenn ich von neuen Ideen höre, wie z.B. Pingo, die man über die neuen Kollegen entdeckt.
Was wünschen Sie sich für die zukünftige Hochschullehre? Wie sieht - Ihrer Meinung nach - die Hochschullehre der Zukunft aus?
Herr Großmann: Eine gute Frage. Sie sieht auf jeden Fall persönlich aus: da sehe ich Präsenzen. Aber eine digitale Unterstützung, d.h. eine gute Aufzeichnung von vorhandenem Material ist sicherlich wichtig. Und ich denke, die Möglichkeit während des Semesters mehrmals den Wissensstand zu testen, anstatt nur einmal am Ende des Semesters. Das würde ich mir wünschen.
Herr Dietrich: Ich denke auch, dass das Optimale eine Kombination ist: Man braucht die Präsenzlehre, und die wünschen sich auch die Studierenden. Andererseits das, was an Zusatzkompetenzen in diesem Semester erlernt wurde, durch die Nutzung der Online-Formate - das sollte man unbedingt beibehalten! Das ist, glaube ich, auch etwas, was die gefragten Persönlichkeiten, die wir ausbilden, wahnsinnig gut für das weitere Leben qualifiziert, auch für den beruflichen Einsatz! In Online-Konferenzen miteinander umzugehen, Inhalte zu erarbeiten, digitale Plattformen zu nutzen - das ist eine Stärke, die sollten wir auf jeden Fall weiterhin vermitteln, auch wenn wir zukünftig wieder in Präsenz lehren können. Das wäre eine gute Kombination für unsere zukünftigen gefragten Persönlichkeiten der Hochschule!