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Lernen neu denken – SCALE-UP-Räume der TH Rosenheim

 
29.03.2023

Was auf den ersten Blick wie ein Lerncafé aussieht, ist in Wirklichkeit ein aus den USA stammendes Lehr- und Raumkonzept namens SCALE-UP, welches innovative, aktivierende und studierendenzentrierte Lehrkonzepte (auch für größere Kohorten) ermöglicht wie Inverted Classroom, Peer Instruction oder Just-in-Time-Teaching. SCALE-UP steht für „student-centered-active learning environment for upside-down pedagogies“ und wie der Name schon andeutet, findet hier keine klassische Vorlesung statt, bei der die Lehrperson im Mittelpunkt steht und die Studierenden passiv zuhören. Ganz im Gegenteil – bei dem SCALE-UP-Konzept geht es darum, dass die Studierenden in Gruppenarbeit Lerninhalte selbstständig erarbeiten und vertiefen.

SCALE-UP Räume an der TH Rosenheim

 
Collage SCALE-UP-Raum Rosenheim

Man stelle sich eine Vorlesung mit 100 Studierenden vor - die sitzen aber nicht in einem traditionellen Hörsaal, sondern verteilt an vielen Tischen. Sie packen ihre Unterlagen aus und beginnen, mit ihren Tischnachbar:innen zu arbeiten. Die Dozentin ist dabei ihr Coach. Im Mittelpunkt stehen die Studierenden und deren aktive Auseinandersetzung mit dem Lernstoff. In SCALE-UP-Räumen ist genau dies an der Tagesordnung.

Wenn Sie am Tag der Lehre teilgenommen haben, dann haben Sie den Begriff SCALE-UP-Raum wahrscheinlich schon einmal gehört. Falls Sie den Vortrag hierzu verpasst haben, können Sie ihn sich unter folgendem Link noch einmal ansehen (Vortrag SCALE-UP Raum ab 18:15). Doch auf das Thema SCALE-UP sind wir nicht nur durch diesen Vortrag aufmerksam geworden, sondern insbesondere durch Prof. Dr. Svea Schauffler. Frau Prof. Dr. Schauffler ist SCALE-UP-Enthusiastin und hat einen Besuch des SCALE-UP-Raumes in Rosenheim organisiert. Also haben wir uns zu dritt auf den Weg in das schöne Rosenheim gemacht, um neben dem Wendelstein auch den SCALE-UP-Raum zu bewundern.

Nach anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten haben wir die TH Rosenheim gefunden und wurden dort von Prof. Dr. Claudia Schäfle herzlich empfangen und in den SCALE-UP-Raum geführt. Beim Betreten war sofort klar, dass hier keine traditionellen Vorlesungen gehalten werden. Auch Frau Prof. Dr. Schäfle meinte gleich am Anfang: „Hier kann man alles machen, außer eine Frontalveranstaltung“. Der Grund ist: Der Raum gleicht von seiner Bestuhlung mehr einem Café, als einem Vorlesungssaal. 

Räume der TH Rosenheim

Insgesamt verfügt die TH Rosenheim über zwei SCALE-UP-Räume. Diese bestechen durch ihre besondere Raumgestaltung – anstatt klassischer Sitzreihen findet man hier runde Tische mit jeweils sechs drehbaren Stühlen. Der kleinere der beiden Räume verfügt über sechs Tische und der größere über sieben. Das Hightlight im kleinen SCALE-UP-Raum ist das unverschlossene Sideboard mit Lernmaterial. Alleine schon durch dieses kleine Gimmick, hat uns Frau Prof. Dr. Schäfle erzählt, entsteht eine ganz andere Atmosphäre im Raum. Die Studierenden holen sich ihr Material beim hineingehen selbst aus den Schränken, setzen sich an die Plätze und sind eigentlich schon miteinander im Gespräch. Das Lernen liegt damit im wahrsten Sinne des Wortes bereits in ihrer eigenen Hand.

Highlights der SCALE-UP Räume

Damit es nicht zu laut im Raum wird, verfügen diese über Schallschutzdecken. Ein besonderer Hingucker im großen SCALE-UP-Raum sind die in der Decke eingebauten Laserblades. Diese, eigentlich aus dem Museumsbetrieb stammenden Deckenleuchten, erzeugen ein Spotlight und heben so die einzelnen Lerninseln von der Umgebung visuell ab und verhindern eine Spiegelung auf den Tablets.

Gemeinsam ist den beiden Räumen das Konzept, das dahinter steht. Nicht nur durch das Raumsetting wird bei SCALE-UP das Lernen verändert, auch durch die Werkzeuge die verwendet werden. Mit Tischwhiteboards und Whiteboard-Markern sind die Studierenden quasi zur Interaktion gezwungen. Soziales Lernen und Softskills wie Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit werden gefördert. Daneben stehen den rosenheimer Studierenden auch noch Clicker für Methoden wie z.B. Peer Instruction zur Verfügung. Speziell für Physikstudierende verfügt die TH Rosenheim noch über eine Toolbox für Experimente zur Mechanik. Dadurch Lernen die Studis selbstgesteuert und aktiv. Die Lehrperson schlüpft dann in die Rolle des Lerncoaches und unterstützt die Lernenden bei ihrem individuellen Lernweg.

Whiteboards und Beamer

Damit der Lerncoach auch alle Lernenden erreichen kann und das gemeinsame Lernen leiten kann, verfügen die Räume über 4 Beamer, die an unterschiedliche Wände im Raum projizieren. So gibt es kein klares vorne und die Studierenden können von jedem Platz aus die Präsentation sehen. Neben Steckdosen, befinden sich an jedem Tisch auch noch LAN-Anschlüsse sowie ein HDMI-Anschluss, um den eigenen Screen auf den Beamer zu übertragen. Zusätzlich gibt es auch noch einen ClickShare-Adapter, der es ermöglicht den eigenen Bildschirm Wireless an den Beamer zu übertragen. So kann eine Interaktion zwischen den einzelnen Gruppen erzeugt werden. Jede Gruppe kann ihre Ergebnisse übertragen und so dem gesamten Kurs präsentieren.

Konkretes Anwendungsbeispiel: Workshop mit Lehrpersonen

 

Nachdem wir durch die Räume geführt wurden, hatten wir noch das Glück, dass wir an einem Workshop für Lehrkräfte in einem SCALE-UP-Raum teilnehmen durften. Wir waren ungefähr 40 Leute und auf die Tische im Raum verteilt. In diesem Workshop wurden verschiedene Methoden für SCALE-UP-Räume vorgestellt.

Begonnen haben wir mit einem kurzen Warm-Up, bei dem wir den Unterschied, aus unserer Sicht, zwischen Hörsaal und Studio/Werkstatt-Setting aufschreiben sollten. Dafür haben wir dann die Tischwhiteboards und die Marker verwendet. Ein Gruppenmitglied hat dann in der Präsentationsphase, die Ergebnisse der Gruppenarbeit mithilfe des Whiteboards präsentiert.

Anschließend wurden 3 Lehrmethoden vorgestellt und teilweise angewendet. Die erste Methode war Just-In-Time-Teaching (JITT). Dabei handelt es sich um eine Methode bei der die Studierenden zu Hause Inhalte durcharbeiten und die dabei entstandenen Fragen an die Lehrperson schicken. Diese werden kurz vor Veranstaltung, also just in time, vorbereitet und in der Veranstaltung besprochen. Nachdem diese Methode Vorbereitung auf beiden Seiten bedarf, wurde sie nur beschrieben und die konkrete Umsetzung an der TH Rosenheim erklärt.

Eine weitere Methode, die wir kennengelernt haben, war Peer Instruction. Dazu wurde eine Frage an die gesamte Gruppe gestellt und per Clicker die Antworten gesammelt. Anschließend haben wir in Kleingruppen an den jeweiligen Tischen, die Aufgabe besprochen und uns ausgetauscht. Dabei sind die beiden Dozentinnen durch den Raum gegangen und haben mit Nachfragen die Diskussion der Gruppen gelenkt. Abschließend wurde dann nochmal per Clicker, die Antworten abgefragt. Erstaunlich war dabei, wie deutlich sich die Antworten des ersten Durchgangs von den Antworten der zweiten Abfrage unterschieden haben. Fast alle hatten zum Schluss die richtige Antwort.

Abschließend wurde die Methode Tutorials vorgestellt. Unter Verwendung der Whiteboards haben wir die vorgegebene Fragestellung in Gruppenarbeit eigenständig bearbeitet und die einzelnen Schritte aufgeschrieben.

Weitere Methoden die genutzt werden können sind zum Beispiel Peer-Led Team Learning: Dabei geben Studis, die den Stoff gut verstanden haben, ihr Wissen an ihre Peers weiter. Dazu treffen sich die Peer Leader ein bis zweimal pro Woche für ca. zwei Stunden mit einer kleinen Gruppe Studierender zum Austausch. Der SCALE-UP-Raum ist hierfür ideal geeignet, da der Raum offen und zugänglich für alle ist.

Wandel der Lehre

 

Seit einiger Zeit macht sich ein Umbruch in der Hochschullehre bemerkbar: Anstelle von passiven Lernen steht nun studierendenzentrierte Pädagogik und aktives Lernen im Fokus. Dieses innovative Lehr- und Raumsetting fördert diesen Umschwung. Da die Lehrperson nun als Lernbegleiter fungiert, liegt mehr Verantwortung bei den Studierenden. Das aktive Lernen der Studierenden steht im Mittelpunkt und die Lehrperson stellt sicher, dass die Ziele und Anforderungen erreicht werden.

Erste Untersuchungen bestätigen die Wirksamkeit von SCALE-UP. Die North Carolina State University, wo das Konzept SCALE-UP entwickelt wurde, berichtet über positive Untersuchungsergebnisse. SCALE-UP-Studierende verfügen im Vergleich über eine erhöhte Problemlösungsfähigkeit, weisen ein besseres konzeptionelles Verständnis auf und erzielen bessere Ergebnisse. (Quelle: Beichner et al.(2007). The student-centered activities for large enrollment undergraduate programs (SCALE-UP) project. Research-based reform of university physics, 1(1), 2-39.)

Das Lerncafé schwappt über den großen Teich

 

Der Besuch des SCALE-UP-Raumes in Rosenheim war auf jeden Fall eine spannende Erfahrung. Die Raumgestaltung ermöglicht die Anwendung von facettenreichen Lehrmethoden und fördert somit den Aufbau von sogenannten "working knowledge" bei den Studierenden. Außerdem eignen sich Studierenden durch die aktivierenden Gruppenarbeiten in den SCALE-UP-Räumen nicht nur Fachwissen an, sondern trainieren gleichzeitig unterschiedliche Skills wie Sozialkompetenz oder Teamfähigkeit. Das Lernen der Studierenden ist von Aktivitäten geprägt, weshalb es den Studierenden leichter fällt sich mit anderen auszutauschen und Netzwerke aufzubauen.

SCALE-UP erfordert mehr Flexibilität und ein Umdenken in der Lehre – Frontalveranstaltungen sind hierzu nicht geeignet. Die Vorbereitungen sind zu Beginn außerdem mit einem erhöhten Aufwand verbunden, der sich mit der Zeit allerdings reduzieren lässt. Daneben ist auch eine generelle sowie technische Einweisung in das Konzept SCALE-UP notwendig. Doch dieser zusätzliche Aufwand zahlt sich aus, da sich der Lernprozess der Studierenden nachweislich verbessert.

Aufgrund der positiven Wirkung ist das Konzept SCALE-UP in den USA bereits weit verbreitet, doch auch in Deutschland kommt so langsam dieser Trend an. Vorreiter hierfür sind beispielsweise die FH Kiel oder die Ostfalia Hochschule. Es bleibt auf jeden Fall spannend, ob sich auch hierzulande ein Wandel in der Lehre durchsetzen wird. 

Bianca Fasel und Andreas Geppert