09.02.2022

Prof. Michael Stoll ist Professor für Informationsdesign an der Hochschule Augsburg. Schon vor der Pandemie hat er seine Lehre teilweise digital veranstaltet. Seine internationalen Kooperationsprojekte hat er in den letzten zwei Jahren ebenfalls in den digitalen Raum verlagert. Im Interview mit Elisabeth Hutter erläutert er, welche neue Möglichkeiten sich durch die Digitalisierung der Lehre ergeben, aber auch, welche Probleme und Grenzen er sieht. 

 

Elisabeth Hutter: Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten Jahren mit der digitalen Lehre, insbesondere mit internationaler Ausrichtung gesammelt?

Michael Stoll: Ich gestalte das Praxisseminar, das im Studiengang Kommunikationsdesign das Praxissemester der Studierenden begleitet, schon seit vielen Jahren in digitaler Form. Das liegt daran, dass die Studierenden für ihre Praktika in ganz Deutschland, mittlerweile aber auch weltweit unterwegs sind. An ihren interkulturellen Erfahrungen können sie im Digitalen auch ihre Mitstudierenden teilhaben lassen. Dazu habe ich vor dem Praxissemester eine Infoveranstaltung zu den rechtlichen Rahmenbedingungen des Praxissemesters, vor allem aber auch zu den technischen Abläufen gemacht, damit das Präsentieren im digitalen Raum reibungslos funktioniert. Außerdem habe ich allen Studierenden per Mail eine Form vorgegeben, nach der sie ihre Präsentation gestalten sollen. Da wurde auch konkret danach gefragt, dass sie den Ort, an dem sie sind, vorstellen, dass sie ihre Beobachtungen zu kulturellen Aspekten teilen. Denn bei dem Praxissemester geht es ja neben der tatsächlichen praktischen Erfahrung auch um eine kulturelle Erfahrung. Das Seminar habe ich dann auch für die Studierenden der niedrigeren Semester geöffnet, sodass diese sich auch schon Gedanken zum bevorstehenden Praxissemester machen können.

Vor einiger Zeit habe ich außerdem mit einer guten Kollegin von unserer Partnerhochschule in Venedig ein DFG-Förderprogramm eingeworben. Zuerst waren die Augsburger Studierenden in Venedig, um dort an dem Projekt zu arbeiten, und anschließend kamen die Venezianer:innen nach Augsburg zur Abschlusspräsentation. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Interesse der Eltern und Angehörigen der Studierenden so groß war, dass wir sie digital zugeschaltet haben. Das hat wunderbar geklappt, und die Zuhörer:innen kamen nebenbei gut miteinander ins Gespräch und sind zum Teil heute noch in Kontakt.

Außerdem habe ich gemeinsam mit Kolleg:innen unserer Partnerhochschulen die Visual Discovery Conference ins Leben gerufen, die seit 2018 mit Studierenden und Lehrenden von etwa vier europäischen und vier außereuropäischen Hochschulen stattfindet, zunächst in Venedig, dann in Athens (Ohio) und schließlich im Jahr 2021 pandemiebedingt online über Zoom. Es ist eine selbstorganisierte Konferenz, bei der von jeder Hochschule zwei Lehrende und max. zehn Studierende teilnehmen.

 

Wenn acht Hochschulen aus verschiedenen Ländern an so einer Konferenz beteiligt sind, muss das gut geplant werden. Was gibt es vorab mit den Kolleginnen und Kollegen zu klären?

Wir treffen uns vorab online, um einen thematischen Rahmen und einen Ablauf festzulegen. Denn die Studierenden sollen in ihren jeweiligen Gruppen zu einem vorgegebenen Thema arbeiten. Dann geht es auch darum, zu planen, wie die einzelnen Gruppen zusammengesetzt sein müssen. Wenn wir beispielsweise wissen, dass wir in einer Gruppe eine:n Spezialist:in für 3D-Software oder Ton oder eine:n Videograf:in brauchen, dann müssen wir überlegen, wer von unseren Studierenden dafür in Frage kommen würde. Vor diesem Hintergrund nominieren wir dann Studierende aus unserer jeweiligen Hochschule. Da die Veranstaltung außerhalb des regulären Lehrbetriebs stattfindet, sind die dafür in Frage kommenden Studierenden oft nicht die, die man in dem jeweiligen Semester auch schon unterrichtet. Daher müssen sie sich über ein umfangreiches Formular registrieren; wir schauen nach den technischen und konzeptionellen Fähigkeiten und versuchen, die Studierenden dann sinnvoll in Gruppen einzuteilen.

 

Wie läuft die internationale studentische Konferenz im Digitalen konkret ab?

Bei der Konferenz werden unsere Studierenden in den Fokus gerückt. Sie werden entsprechend ihrer Fähigkeiten und Interessen in internationale Teams zusammengesetzt und arbeiten dann über eine Woche hinweg an einer Aufgabe. Wir haben uns im Plenum getroffen, um Dinge zu klären und um die Projekte am Ende zu präsentieren, aber den Rest haben die Studierenden selbst organisiert. D.h. wir haben sie nicht in Breakout-Rooms eingeteilt, sondern sie haben sich selbst abgesprochen, wo und wann sie sich treffen wollen. Die Arbeit in den Gruppen hat reibungslos funktioniert, da können die Studierenden sich auch ganz anders austauschen, als wenn da eine:r von uns Lehrenden dabei ist. Sie konnten sich bei den Dozent:innen auch Feedback zu ihrer Arbeit holen. Dafür standen die Lehrenden dann zu bestimmten Zeiten für ein Gespräch zur Verfügung. Um das Plenum ein bisschen attraktiver für die Studierenden zu machen, haben wir Lehrenden außerdem Vorträge zu bestimmten Themen gehalten – so wie wir das auch bei den regulären Konferenzen bislang immer gemacht haben. Zum Schluss wurden nicht nur die Ergebnisse im Plenum präsentiert, sondern auch der Prozess, über den die Studierenden zu diesem Ergebnis gekommen sind.

 

Welche Tools wurden von den Studierenden genutzt?

Unsere Hochschule hat den großen Vorteil, dass auch die Studierenden einen vollen Zugang zu Zoom haben, sodass sie auch Meetings hosten, Teilnehmer:innen dazu einladen und sich ohne zeitliches Limit besprechen können. Deshalb haben sie viel über Zoom, aber auch über Microsoft Teams und, für gestalterische Zwecke besonders hilfreich, Miroboard gearbeitet.

 

Haben Sie bei der im letzten Jahr digital durchgeführten Konferenz einen Unterschied in der Motivation der Studierenden wahrgenommen – im Vergleich zu dem sonst analog stattfindenden Format?

Eine große Hürde für die Studierenden war tatsächlich, dass wir in zwei unterschiedliche Zeitzonen mit sechs Stunden Zeitdifferenz waren. Das wurde so gelöst, dass die Augsburger Studierenden, die ohnehin größtenteils gerne abends oder nachts arbeiten, sich der amerikanischen Zeit angepasst haben. Das hat also erstaunlich gut geklappt. Die Rückmeldungen waren insgesamt sehr positiv, da kann ich mich nicht beschweren, selbst wenn ich den goodwill der Studierenden abziehe. Ich muss aber auch sagen, dass ich mich sehr um die Motivation der Studierenden bemüht habe.

 

Worin liegt für Sie der Vorteil einer solchen international ausgerichteten Online-Lehrveranstaltung? Ein Vorteil könnte z.B. sein, dass man keine finanziellen Unkosten hat und dass an so einer internationalen Veranstaltung auch die teilnehmen können, die ortsgebunden sind.

Was die Vorteile einer rein digital stattfindenden internationalen Veranstaltung angeht, muss ich ehrlich gesagt wirklich überlegen. Für mich überwiegen die Nachteile und ich würde, wenn es möglich ist, immer eher auf die tatsächliche Präsenz setzen als auf die Verlagerung ins Digitale. Für uns Lehrende mag es noch machbar sein, unsere Veranstaltungen über Zoom abzuhalten, aber für die Studierenden ist das doch eine enorme Belastung, von früh bis spät in solchen Meetings zu sitzen. Mein Eindruck ist auch, dass das mit frühzeitiger Planung für die meisten auch finanziell zu stemmen ist und ich persönlich kenne wenige Studierende, die familiär so gebunden sind, dass sie nicht für eine Woche wegkönnen.

 

Nach zwei Jahren Pandemie ist momentan sicherlich sowohl bei den Studierenden als auch den Lehrenden die Motivation für noch eine weitere Zoom-Veranstaltung nicht besonders groß. Aber wenn sich der Lehrbetrieb wieder normalisiert, steigt vielleicht auch wieder die Bereitschaft, für eine internationale Veranstaltung ein Zoom-Treffen in Kauf zu nehmen.

Ja, das kann gut sein. Wir Dozent:innen machen ja unabhängig von der Lehre viele Dinge auch weiterhin online, wenn es um unsere Forschung oder um Publikationen geht. Ich werde beispielsweise auch immer wieder eingeladen zu Vorträgen und habe auch schon internationale Kolleg:innen zu meinen Seminaren zugeschaltet. Aber für die Studierenden erscheint mir das nur bedingt zumutbar. Auch bei meinen Vorträgen merke ich, dass diese in Präsenz wirkungsvoller sind. Ich präsentiere häufig historische Informationsgrafik, die auch haptische Aspekte hat, also Aufklappbücher zum Beispiel, und deren Wirkweise beeindruckt bei einem richtigen Vortrag, wo die Zuhörer:innen dann auch selbst einmal ausprobieren können, wie das funktioniert, viel mehr als wenn ich das nur am Bildschirm demonstriere.

 

Worin sehen Sie die Nachteile einer digital stattfindenden internationalen Veranstaltung?

Ein Nachteil ist sicherlich, und das sieht man auch an den entstandenen Arbeiten, dass man sich gegenseitig nicht so einfach auf die Entwürfe schauen konnte, dass der persönliche Austausch nur eingeschränkt funktioniert. Aus fachlicher Sicht geht da einiges an Potenzial verloren. Man schafft es im digitalen Raum einfach nicht, wirkliche Präsenz und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema und miteinander herzustellen. Dazu braucht es einfach den direkten Kontakt, den inoffiziellen Austausch in den Pausen. Und gerade das macht die internationale Zusammenarbeit ja erst richtig reizvoll, dass man auch von den Menschen aus einer anderen Kultur etwas mitbekommt. Auch für mich persönlich ist es im Digitalen schwieriger, die Begeisterung für das Thema rüberzubringen.

Als wir die Konferenz regulär durchgeführt haben, hatten wir immer einen Tag dafür reserviert, dass die Studierenden sich die Zeit frei einteilen konnten, um die Stadt zu erkunden, ins Museum zu gehen, gemeinsam zu essen und sich auszutauschen. Das hat immer hervorragend geklappt. Wir haben letztes Jahr versucht, das aufzufangen, indem wir die Teilnehmer:innen gezielt über diese interkulturellen Unterschiede ins Gespräch gebracht haben. Da ging es dann beispielsweise um Fragen wie: Wie wohnen die Studierenden in einem anderen Land eigentlich? Wann gehen morgens die Kurse los? Wie viele Leute sitzen in einem Seminar? Aber auch das funktioniert online längst nicht so natürlich wie im direkten Gespräch. Deswegen planen wir für dieses Jahr die bevorstehende Konferenz auch als Präsenzveranstaltung bei unserer Partnerhochschule in Luzern.

 

Welche Form der Veranstaltung eignet sich aus Ihrer Sicht besonders gut dafür, digital stattzufinden, welche vielleicht weniger?

Praktische Gestaltungsfächer, Workshops und Gruppenarbeit lassen sich nur schwer umsetzen. Da geht es auch um Kreativität und spirit, und das wandert nicht durch die Kamera. Einen Vorteil sehe ich eher für Lehrende, insbesondere die Jüngeren, die etwas für ihre Reputation tun wollen. Über eine Verlagerung ins Digitale können sie sich mit sehr viel mehr Menschen vernetzen und ihre Forschung einem größeren Publikum präsentieren.

 

Könnten Sie sich vorstellen, ein Seminar auch als Hybridveranstaltung zu machen, dass also ein Teil der Studierenden gemeinsam vor Ort ist und ein anderer Teil digital zugeschaltet wird?

Ja, dazu gibt es Überlegungen, die wir für den Herbst haben. Wir wissen aber noch nicht, ob wir das wirklich machen, weil wir dann als Einzelpersonen an die Grenzen kommen, was wir über unsere eigentliche Arbeit hinaus noch organisatorisch leisten können. Der Mittelbau ist an den Hochschulen eher spärlich und so fehlt uns technisches Personal, das uns die Räume vorbereitet, die Technik vorab testet, mit dem man im Vorfeld eine Konzeption besprechen könnte. Das wäre eine riesige Erleichterung, wenn wir da Unterstützung bekämen. Und der zweite Teil ist die Dokumentation. Wir haben eigentlich immer ein Video-Team, das alles mit Bild und Ton dokumentiert, das dann schneidet und auch Fotos taggenau zur Verfügung stellt. Das gestaltet sich bei einem hybriden Format wesentlich schwieriger als bei einer Präsenzveranstaltung.

 

Wo sehen Sie noch Optimierungsbedarf? Welche Hilfestellung würden Sie sich wünschen?

Das wichtigste, das mir tatsächlich fehlt an unserer Hochschule, ist die Möglichkeit, Räume für einen längeren Zeitraum zu haben, für die Vorbereitung, die Tests, die Durchführung und die Nachbereitung solcher Veranstaltungen. Das Buchungssystem ist auf Effizienz aus, damit alle Räume möglichst dicht genutzt werden, und vor allem von Studierenden genutzt werden können. Wir haben tendenziell zu wenig Räume und da wäre eine Änderung eine ganz große Hilfe. Das zweite ist die technische Ausstattung. Jeder hat spezifische Anforderungen an die Technik, d.h. Technik zentral vorzuhalten ist schon wieder eine Hürde, die ich nicht bereit wäre zu überspringen. Bei uns in der Fakultät für Gestaltung gibt es beispielsweise Kameras, die zoomen können und einem im Raum folgen, es gibt Overhead-Kameras usw. Aber bis ich erst einmal identifiziert habe, ob das für meine Bedürfnisse taugt, bis ich es ausgeliehen, getestet und installiert habe, bis ich es genutzt habe und geprüft habe, ob hinterher alles in Ordnung ist und bis ich alles zurückgegeben habe…das ist zu viel Aufwand. Da halte ich es lieber wie mit meinem Smartphone: Es ist meins, ich weiß wie es funktioniert und ich kann es nach meinen Vorstellungen einsetzen.

 

D.h. Sie plädieren nicht für die Anschaffung von teurer Spezialtechnik, sondern eher dafür, das Bestehende und bereits Bekannte zu nutzen, so gut es geht?

Ja. Ich darf daran erinnern, dass die Hochschule vor ein paar Jahren ein Video Conferencing System für viel Geld angeschafft hat, das bis heute nur sehr spärlich genutzt wird. Das ist ein gutes Beispiel für eine Investition, die zwar gut gemeint war, aber leider am Bedarf vorbei getätigt wurde. Ich bin auch Mentor im HSA_transmitter und dort erlebe ich gerade hautnah, was es bedeutet, diese Technik dann auch zu verwalten. Da komme ich dann – obwohl ich meine, mich sehr gut auszukennen – auch an meine Grenzen. Da braucht man Fachleute. Das ist ein sehr unübersichtliches Gebiet und ein Schuh, den ich mir nicht unbedingt anziehen will. Ich bin für die Lehre berufen und ich mache Lehre und Forschung.

 

Sie haben bereits erwähnt, dass die Visual Discovery Conference auf jeden Fall wieder in Präsenz stattfinden soll, sofern das möglich ist. Aber wie sieht es mit dem Praxisseminar aus, hat sich da die digitale Form bewährt?

Also ganz ehrlich, ich kenne es von einer anderen Hochschule so, dass der Praktikantenbetreuer für die Gestaltung keine andere Aufgabe hatte, als die Studierenden an ihren Praktikumsorten zu besuchen. Mit dieser Prämisse bin ich auch in Augsburg angetreten, aber leider fehlen dafür die Gelder. Damit finden bestimmte Dinge auch einfach nicht statt: Ich kann die Verbindung in die Wirtschaft nicht aufbauen, wozu wir ja eigentlich immer aufgefordert sind. Ich würde nichts lieber tun als in der Weltgeschichte herumzureisen und die Studierenden zu besuchen, um so die Verknüpfung in die Wirtschaft zu verstärken. So könnte man viel für die Fakultät bewirken, indem man da einen Kontakt aufbaut. Unsere Studierenden sind positive Botschafter unserer Hochschule in die Wirtschaft. Dieses Potenzial können wir momentan nicht für die Hochschule nutzen. Also im Prinzip ist das Online-Praxisseminar auch nur eine Notlösung. Aber sie funktioniert ganz gut, das gebe ich gerne zu.

 

Welchen Rat haben Sie für Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls internationale Kooperationen in ihre digitale Lehre einbinden möchten?

Testen, testen, testen. Das würde ich ihnen raten. Denn wenn die Technik nicht mitspielt, dann können Sie das Ganze vergessen und nichts ist peinlicher, wenn die Zoom-Verbindung mitten im Vortrag abbricht und man ist der letzte, der es merkt. Das hängt ja oft auch mit dem Internet zusammen. Wir sind im 21. Jahrhundert, und wenn ich mir anschaue, wie die WLAN-Geschwindigkeiten bei uns an der Hochschule sind, sehe ich da noch viel Potenzial nach oben. WLAN ist auch nicht immer das Gelbe vom Ei, manchmal braucht man auch eine Glasfaser-Verbindung bis an den Schreibtisch, die wir ja haben, die aber überhaupt nicht promotet wird. Da schaue ich schon ein bisschen neidisch auf unsere Partnerhochschulen im Ausland, wo das selbst im kleinsten Nest besser funktioniert als bei uns. Da geht es auch um den Ruf unserer Hochschule, denn wenn es bei uns ruckelt, hinterlässt das keinen besonders guten Eindruck.

Doch auch wenn jetzt vielleicht der Eindruck entstanden ist, dass ich der digitalen Lehre kritisch gegenüberstehe, halte ich es für sehr wichtig, dass wir diesen Bereich weiter ausbauen. Daher stehe ich dafür auch für Rückfragen und für Austausch gerne zur Verfügung.

Vielen Dank für das Gespräch und die spannenden Einblicke in Ihre Arbeit!