Im Dezember letzten Jahres hatte SearchWing die Gelegenheit, bei einem Einsatz von Mission Lifeline und Sarah Seenotrettung auf den Kanarischen Inseln im Atlantik mitzufahren und die aktuelle Version der Drohne unter realen Bedingungen zu testen. Leon (Mission Lifeline) und Philipp Borgers (SearchWing) erzählen im Gespräch von ihren Erfahrungen während der insgesamt 17-tägigen Mission.
Ihr seid Ende letzten Jahres bei einer Mission von Mission Lifeline und Sarah Seenotrettung auf Teneriffa mitgefahren. In welcher Funktion wart ihr an Bord?
Leon: Ich habe mich schon vorher viel bei Mission Lifeline engagiert. Diesmal bin ich als Maschinist, als Field Media Coordinator und als Drohnenpilot mitgefahren.
Philipp: Ich bin für SearchWing als Testpilot und Testingenieur mitgefahren. Die Idee war, dass ich die Mission begleite und Starthilfe gebe, weil wir uns noch nicht sicher waren, ob man das einer einzelnen Person übergeben kann, die nicht von SearchWing ist.
Wie ist es zu der Zusammenarbeit zwischen Mission Lifeline/Sarah Seenotrettung und SearchWing gekommen?
Philipp: SearchWing hat NGOs gesucht, mit denen man die aktuelle Version der Drohne testen kann. Davor hatten wir schon eine Testfahrt mit Sea-Watch gemacht. Dann hat sich Ende des Jahres die Möglichkeit ergeben, mit MissionLifeline eine Fahrt unter realen Bedingungen durchzuführen, bei der auch wirklich nach Menschen gesucht wird. Da wir den Kapitän schon von einer Testfahrt auf der Ostsee kannten, fiel uns die Zusage leicht.
Die Zusammenarbeit war eigentlich schon das ganze letzte Jahr geplant, aber zu Beginn war das Boot noch nicht einsatzbereit. Das kam uns im Endeffekt entgegen, weil die Drohne auch noch nicht fertig war.
Leon, warst du vorher schon bei SearchWing involviert?
Leon: Das kam erst im Zuge dieser Mission und tatsächlich auch recht unerwartet. Ich habe die Anfrage bekommen, ob ich nicht mitfahren möchte auf die Kanarenmission, und da wurde mir dann schon von Anfang an kommuniziert, dass SearchWing vielleicht bei der letzten Mission dabei ist. Ich hatte von der Gruppe vorher nur ein bisschen was gehört, und als es dann konkret wurde, hab ich gesagt, das klingt ja richtig cool, und 10 Minuten später hatte ich die Nummer von Philipp und habe ihn angerufen.
Wie ging es dann weiter? Du bist die Drohne später auch selbst geflogen. Wie bist du darauf vorbereitet worden?
Leon: Wir haben uns vor der Mission für ein zweitägiges Training in Berlin getroffen. Das fing damit an wie die Drohne aufgebaut ist, was in der Drohne enthalten ist. Und dann ging es schon ums Fliegen lernen. Ich bin davor schon mal Drohne geflogen, aber in dem Fall Quadrocopter, und noch keine, die in Richtung Modellflugzeuge gehen.
Das nächste Mal haben wir uns dann auf den Kanaren gesehen.
Das heißt, nach einem Wochenende konntest du die Drohne bedienen?
Leon: Genau, das hat ziemlich gut funktioniert. Ich war mir in manchen Dingen noch nicht ganz so sicher nach dem einen Wochenende, aber es war genug Sicherheit da, dass man weiß wie man sie landet, wie man sie steuert, und wie man sie die ganze Zeit bedient und mit ihr umgeht.
Philipp: Leon war der erste externe Pilot, der durch SearchWing ausgebildet wurde, an einem Wochenende in Brandenburg auf unserem Flugfeld. Die Ausbildung hat mit einem Theorieteil begonnen. Nach Probeflügen im Simulator haben wir uns am zweiten Tag aufs Flugfeld gewagt.
Die Idee war, dass ich die Mission die ersten Tage begleite und die Drohne dann eigenständig durch die Schiffscrew genutzt wird. Es war klar, dass man nach zwei Tagen nicht 100 Prozent ausgebildet ist und es war, glaube ich, ein ganz guter Übergang, dass wir noch einmal einen Flug vor Ort machen konnten und die Drohne nochmal gemeinsam aufgebaut haben.
Langfristig ist das Ziel, dass immer jemand von den NGOS, wie Leon, zur Pilot*in ausgebildet wird?
Philipp: Das Konzept ist, eine zuverlässige Drohne zu entwickeln, die dann an die NGOs übergeben werden kann. Vorher sollen mindestens zwei Personen, die an einer Mission teilnehmen, von uns in einem 2 bis 3-tägigen Workshop ausgebildet werden, so dass sie dann das System auch ohne uns bedienen können. Zur Zeit sind wir noch in der Erprobungsphase, sodass noch ein Testingenieur von uns dabei ist.
Leon, du hast erwähnt, dass du vorher schon Erfahrung mit Drohnen hattest. Wie machbar ist das aus deiner Sicht für Leute, die damit noch gar keine Berührung hatten?
Leon: Zum aktuellen Zeitpunkt ist es ohne eine Übergangsphase schwierig. Eine Ausbildung von 2 bis x Tagen sollte in Zukunft jedoch Menschen ohne Vorkenntnisse die Nutzung erlauben. Ich denke, dass da noch ein bisschen Arbeit ist, aber ich kann mir realistisch vorstellen, dass das möglich ist.
Wie war der genaue Ablauf der Mission?
Philipp: Die Mission war für den 4. bis 21. Dezember geplant, aber meine Ankunft hat sich coronabedingt verzögert. Dann kam es erstmal nur zu einer kurzen Ausfahrt, weil die Bedingungen wirklich schlecht waren, sowohl für Menschen, die eine Überfahrt wagen als auch für die Suchenden. Wir sind rausgefahren, aber am nächsten Tag schon wieder zurückgekommen.
Allerdings hatten wir dabei die Möglichkeit bei recht extremen Bedingungen, ca. 2m Wellengang und Wind-Böen von bis zu 30 Knoten, den Flieger einmal zu fliegen. Unter diesen Bedingungen zu starten war eine ordentliche Herausforderung, aber wir haben einen erfolgreichen Flug durchgeführt.
Für die nächste Ausfahrt haben wir dann noch eine zweite Drohne präpariert. Diesmal war ich nicht mehr an Bord und Leon hat den Betrieb der Drohne übernommen. Mit Hilfe der Crew hat er unterwegs die Drohne mehrfach erfolgreich eingesetzt.
Leon: Es war richtig gut, dass wir die erste Ausfahrt zusammen hatten und nochmal alles durchsprechen konnten, was wir machen.
Als Philipp dann von Bord gegangen ist, sind wir auf eine zweite Ausfahrt rausgefahren, die auf 4-7 Tage angesetzt war. Wir waren schlussendlich sieben Tage unterwegs. Ich bin die Drohne in der Zeit 10 Mal geflogen und wir haben zum Ende der Mission tatsächlich nachts ein Holzboot mit dem Radar entdeckt und an die lokalen Behörden übergeben, mit 58 Menschen an Bord.
Leider haben wir unterwegs eine Drohne verloren, weswegen es gut war, dass wir zwei dabeihatten.
Das Boot habt ihr nicht mit der Drohne entdeckt?
Leon: Genau. Wir haben es morgens um 4 Uhr auf dem Radar gefunden und sind dann hingefahren. Es hat sich als ein Holzboot herausgestellt, was in Ad-Dakhla gestartet ist. Zu der Zeit hätten wir die Drohne nicht fliegen können, weil sie derzeit noch nicht für den Nachtflug ausgelegt ist.
Wie viel Fläche habt ihr bei den Flügen abgedeckt?
Leon: Das waren pro Flug ungefähr 100 km², also bei 10 Flügen 1000 km².
Der entscheidende Faktor ist, dass die Drohne diese 100 km² in ungefähr einer Stunde überfliegt. Das heißt, wir kriegen ein relativ gutes Bild von dem Bereich den wir abfliegen zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Warum ist es sinnvoll, gerade in diesem Gebiet eine Drohne dabeizuhaben?
Leon: Die geschätzte Seenotrettungszone in dem Bereich zwischen den Kanaren und der westafrikanischen Küste ist ein Drittel so groß wie Deutschland. Das kann man sich so vorstellen, dass man mit Fahrradgeschwindigkeit versucht, die Nadel im Heuhaufen zu finden.
Dadurch, dass das Schiff so langsam unterwegs ist, erweitert die Drohne den Suchradius erheblich. Da ist auch noch Luft nach oben, da in Zukunft drei oder mehr Flüge pro Tag denkbar sind, durch die eine noch viel größere Fläche abgesucht werden kann.
Philipp: Es sind auf jeden Fall nach wie vor ständig Menschen unterwegs in der Gegend. Wenn man da auf dem Schiff unterwegs ist, kriegt man dauernd Durchsagen von der Küstenwache, die einen informiert, dass Menschen on the move sind. Teilweise gibt es auch konkrete Hinweise dazu, wo sich Menschen befinden könnten, aber mit dem Boot ist das Gebiet sehr schwer abzusuchen. In diesem Sinne hat die Drohne in diesem Einsatz die Fläche, die man absuchen konnte, wirklich erhöht und damit einen konkreten Beitrag geleistet, auch wenn auf den übertragenen Bildern noch kein Boot gefunden wurde.
Wie lief ein Flug im Detail ab?
Leon: Es war meistens so, dass die Drohne vorbereitet wurde. Dann sind wir eine Checkliste durchgegangen, um zu überprüfen, ob sie einwandfrei funktioniert.
Im nächsten Schritt sind wir zum Skipper gegangen, oder zu der Person, die gerade Wache hat, um zu klären, wo wir uns in einer Viertelstunde befinden und wo wir uns in 1 Stunde und 15 Minuten befinden. Die beiden Koordinaten werden dann genutzt, um die Flugroute zu planen. Das wird am Computer gemacht und dann auf die Drohne überspielt.
In dem Moment, in dem die Drohne starten soll, wird das Schiff in die Wellen gedreht, damit es nicht so schaukelt, und wir die Drohne in den Wind werfen können.
Ich bin dann meistens zwei Minuten per Hand geflogen, um zu gucken, ob alles Ordnung ist. Wenn das der Fall ist, geht die Drohne in den automatischen Modus und fängt an ihr Suchmuster abzufliegen. Ungefähr eine Stunde später kommt die Drohne an den Zielkoordinaten an und kreist über diesem Punkt.
Dann wird per Fernbedienung wieder die Kontrolle übernommen und die Drohne in der Nähe vom Schiff im Wasser gelandet. Sie wird dann mit einem Kescher eingesammelt und mit Frischwasser gereinigt. Das Landen und Bergen hat ca. 5-10 Minuten gedauert.
Dann fangen wir an die Daten runterzuladen. Ungefähr eine Stunde später haben wir alle Bilder runtergeladen, allerdings können wir währenddessen schon anfangen, die ersten Bilder auszuwerten.
Mit was für einem Boot wart ihr unterwegs?
Leon: Das war eine 15-Meter Sportyacht, also eher klein. Wir waren darauf zu sechst, bzw. mit Philipp zu siebt unterwegs.
Das heißt, es ist gar nicht darauf ausgelegt, Menschen an Bord zu nehmen, sondern Aufklärung zu betreiben?
Leon: Genau. In dem Fall sind wir nur auf Beobachtungsmission bzw. auf Testmission für die SearchWing-Drohnen gewesen.
Wie ist das auf einem größeren Schiff, wie lange dauert es da, die Drohnen aus dem Wasser zu fischen? Philipp, du warst ja schon mal auf der Sea-Watch 4 unterwegs, wie lief das dort ab?
Philipp: Das dauert eigentlich auch nicht so lange, weil die Crew sehr gut darin ist, ihre Beiboote ins Wasser zu lassen und damit die Drohne anzufahren und aus dem Wasser zu holen. Das dauert vielleicht insgesamt 15 Minuten.
Was ist bei der Mission auf den Kanaren besonders gut gelaufen?
Leon: Wir haben auf jeden Fall festgestellt, dass das System funktioniert und die Drohnen für eine Mission genutzt werden können. Das fand ich auf jeden Fall einen riesen Punkt.
Klar gibt es noch ein paar Kinderkrankheiten, aber die Drohne war einsatzfähig und hat, wie Philipp bereits gesagt hat, das Schiff wirklich gut dabei unterstützt Menschen in dieser riesigen Suchfläche zu finden.
Philipp: Für SearchWing war es eine Möglichkeit unter realen Bedingungen sehr viele Erfahrungen zu sammeln, die nicht an Land nachgestellt werden können. Das war auch der Hauptgrund dafür, dass wir zugesagt haben.
Noch mal zurück zu der verlorengegangenen Drohne: wisst ihr, was das Problem war?
Philipp: Das ist nur schwer nachzuvollziehen. In dem Fall kann man auf jeden Fall menschliches Versagen des Piloten ausschließen, da zu dem Zeitpunkt die Drohne in ihrem Auto-Modus geflogen ist. Wir haben versucht, Telemetriedaten auszuwerten, die nahelegen, dass es einen Zeitpunkt gibt, an dem die Drohne versucht hat, ihr Flugmuster weiterzufliegen, aber kontinuierlich an Höhe und Geschwindigkeit verloren hat und die Ansteuerung des Motors sehr untypisch ist. Wir gehen davon aus, dass entweder der Motor oder etwas im Antriebsstrang kaputt gegangen ist, zum Beispiel der Motorregler.
Die Crew hat versucht die Drohne wieder zu finden, aber da es nur eine grobe Positionsangabe gab und die Drohne ja auch recht klein ist und schwer aufzufinden im Wasser, musste die Suche nach einiger Zeit eingestellt werden.
Aus SearchWing-Sicht war der Einsatz trotzdem ein großer Erfolg, schließlich konnten wir an einer realen Mission teilnehmen und einen konkreten Beitrag zur Suche nach Menschen in Seenot leisten.
Auch wenn die Drohne kein Boot gefunden hat, hat sie dafür gesorgt, dass ein gewisser Bereich durch das Boot nicht abgesucht werden musste.
Gab es noch andere technische Schwierigkeiten? Wo seht ihr noch Optimierungspotenzial?
Philipp: SearchWing hat gelernt, dass man an der Zuverlässigkeit des Gesamtsystems nochmal arbeiten muss, das werden wir im neuen Jahr auf jeden Fall angehen. Ein anderes Thema ist Wasserfestigkeit, da die Drohne ja im Wasser landet, da gibt es auch noch Arbeit.
Dann gibt es noch Sachen, die wir in Zukunft gerne einbauen würden, wie Liveübertragung der Bilder, oder Flüge mit Wärmebildkameras in der Nacht. Daran arbeiten wir gerade etwas nachrangig, aber das Feedback von der Mission hat gezeigt, dass das wichtige Themen sind.
Wie war das Feedback von Mission Lifeline/Sarah Seenotrettung und gibt es Pläne, längerfristiger zusammen zu arbeiten?
Philipp: Wir haben sehr positives Feedback bekommen, und wir wollen auf jeden Fall die Zusammenarbeit im neuen Jahr beibehalten und intensivieren. Da sind beide Gruppen gerade noch in der Nachbesprechung.
Uns hat es sehr gefreut, dass es zu diesem Einsatz gekommen ist, und wir bedanken uns auch nochmal ganz herzlich für die Unterstützung, die wir erfahren haben.
Leon: Ich fand es richtig cool, einen Einblick in die Arbeit von SearchWing zu bekommen. Ich bin gespannt, was da in der nächsten Zeit passiert und fände es richtig cool, Teil davon zu sein.
Das Gespräch führte Elena Radwan