Hallo Vielfalt! Diversity-Check
Projektbeschreibung
Kinderbücher begleiten Kinder bei der Entdeckung realistischer oder phantastischer Welten, sie vermitteln Werte, Wissen und Gefühle. Sie bieten Identifikationsfiguren an und vermitteln Vorstellungen über soziale Rollen. Umso wichtiger ist es, dass Kinderbücher die Vielfalt in der Gesellschaft abbilden. Sie sollten niemanden ausgrenzen/diskriminieren und Diversität als Normalität beschreiben.
Der öffentliche Austausch insbesondere über ältere Kinderbuchklassiker wie Pippi Langstrumpf oder Winnetou wird häufig sehr emotional und wenig sachgerecht geführt.
Vor diesem Hintergrund setzen sich Studierende unter wissenschaftlicher Anleitung in einem Kooperationsprojekt mit der Stadtbücherei Augsburg in rassismuskritischer Weise mit Kinderbüchern auseinander.
Die Ergebnisse werden für die interessierte Öffentlichkeit aufbereitet. So erfahren Vorlesende, warum bestimmte Inhalte diskriminierend sind, oder umgekehrt, welche Bücher aus einer rassismuskritischen Perspektive empfehlenswert sind. Über QR-Codes auf den analysierten Büchern gelangen Sie auf die Hinweise, die auf dieser Website zu finden sind.
Die analysierten Kinderbücher (alphabetisch sortiert)
Die analysierten Kinderbücher (nach Bewertung sortiert)
Hintergrund: Warum wir mehr Diversität in Kinderbüchern brauchen
Gesellschaften sind immer vielfältig, weil wir Menschen individuell verschieden sind. Wir haben unterschiedliche Interessen, sehen unterschiedlich aus, haben unterschiedliche Geschlechter, Weltanschauungen, Geschmäcker, Erfahrungen, unterschiedliche Bildungshintergründe, wir unterscheiden uns in unserer körperlichen Verfassung, in unserer sozialen und sozioökonomischen Herkunft und Situation – um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Obwohl Diversität also eigentlich ganz normal ist, ist sie alles andere als selbstverständlich. Viele Menschen können nämlich nicht gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben. Viele machen Ausgrenzungserfahrungen. Ihre Existenzberechtigung, ihre Identität, ihre Persönlichkeit wird infrage gestellt, nur weil sie zum Beispiel nicht weiß sind, keinen deutschen Pass haben oder weil sie homosexuell lieben oder weil sie eine Beeinträchtigung haben oder weil sie nur wenig oder gar kein Einkommen haben.
Wir sind also in unserer vielfältigen Gesellschaft mit Problemen konfrontiert, weil Diskriminierungen stattfinden. Menschen werden teilweise bewusst, teilweise unbewusst benachteiligt. Die Diskriminierungen finden auf unterschiedlichen Ebenen statt. Es gibt zum Beispiel Anfeindungen, im Alltag, im öffentlichen Raum – einfach so, grundlos. Von abfälligen Blicken oder Kommentaren bis hin zu Beleidigungen oder sogar Tätlichkeiten. Menschen werden im Bildungssystem, am Wohnungs- und Arbeitsmarkt häufig aufgrund ihres vermeintlich nicht „deutsch“ klingenden Namens oder aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert. Dadurch entstehen soziale Benachteiligungen, die Lebenswege negativ beeinflussen können.
Warum ist das so? Warum gibt es so viele Menschen und Institutionen, die Menschen entlang bestimmter Differenzkategorien und Zuschreibungen ausgrenzen und benachteiligen?
Ein zentraler Grund liegt in unseren Wissensbeständen. Wir haben Vorurteile und Stereotype erlernt. Wir haben Rassismus erlernt. Es ist Teil unseres Wissens. Und das Wissen wiederum befindet sich nicht nur in unseren Köpfen. Wissen manifestiert sich in vielen Dingen, z. B. in Umgangsformen, in Diskursen, in Kunst und in Literatur und eben auch in Kinderbüchern. Auch Kinderbücher enthalten Wissensbestände. Kinder erlernen durch das Lesen und Betrachten von Kinderbüchern Wissen über die Welt.
Wenn wir als Gesellschaft also sagen, alle Menschen, die hier leben, müssen gleichberechtigt teilhaben können – und das ist nichts weniger als das Versprechen der Demokratie – dann müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie wir Diskriminierungen entgegenwirken. Eine von vielen denkbaren Möglichkeiten besteht in der diversitätssensiblen und rassismuskritischen Betrachtung von Kinderbüchern.
Seit einigen Jahren kritisieren u.a. Wissenschaftler*innen, Rassismusexpert*innen und Menschen die von Rassismus betroffen sind, Inhalte von Kinderbüchern. In der öffentlichen Diskussion geht es meistens um Kinderbuchklassiker, zum Beispiel die Winnetou-Erzählungen von 1875 bis 1910, Tim im Kongo von 1946, Pippi in Taka-Tuka-Land von 1948, Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer von 1960. Diskutiert wird dabei, ob die Bücher umgeschrieben werden müssten oder nicht. Viele wittern Zensur und reagieren emotional und unsachgerecht auf die Kritik an der Tatsache, dass viele Kinderbücher die gesellschaftliche Wirklichkeit der Diversität überhaupt nicht abbilden oder – schlimmer noch – diskriminierende Inhalte transportieren.
Das Argument, es handele sich um Kunst, die man eben in ihrem historischen Entstehungskontext bewerten müsse, greift bei Kinderbüchern nicht, da Kinder Literatur nicht historisch kontextualisieren können. Für sie sind die Inhalte und Darstellungen repräsentativ für die Wirklichkeit.
Rassistische und stereotype Inhalte in Kinderbüchern sind problematisch für alle Kinder:
Weiße Kinder können durch rassistische Kinderbücher lernen, dass Rassismus normal ist und übernehmen möglicherweise diskriminierende Vorstellungen für ihre eigene Vorstellungswelt.
Für nicht-weiße Kinder und ihre vorlesenden Eltern können rassistische Darstellungen in Kinderbüchern sehr verletzend sein. Kinder of Color finden häufig keine positiven Identifikationsfiguren in Kinderbüchern. Gerade solche Identifikationsfiguren sind für die positive Entwicklung von Kindern aber wichtig. Kinder vergleichen sich mit den Figuren und Charakteren. Es kann Kinder stärken und ermutigen.
Für alle Kinder ist diversitätsbewusste Kinderliteratur ein großer Gewinn. Sie können dadurch lernen, dass wir Menschen trotz all unserer Unterschiede auch viele Gemeinsamkeiten haben. Das stärkt letztlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Prof. Dr. Simon Goebel
Die Methodik der Analyse: So sind wir vorgegangen
Um die Kinderbücher systematisch und nachvollziehbar zu analysieren, haben wir einen Kriterienkatalog entwickelt (Link zum Kriterienkatalog). Anhand der Kriterien wird ersichtlich, ob ein Buch rassistische Wörter, Bilder oder Bedeutungen enthält. Die Kriterien sind angelehnt an bereits bestehende Kriterienkataloge.
Nachdem die Studierenden alle Hinweise verfasst haben, wurden die Hinweise begutachtet und redigiert von Anita Calleri, Tanja Fottner, Aisha Gamble-Brodte und Prof. Dr. Simon Goebel.
Um in aller Kürze, einen Eindruck von einem Buch zu erhalten, haben wir ein Bewertungsschema entwickelt, dass den Hinweisen jeweils vorangestellt ist:
-- | - | 0 | + | ++
Klickt man auf die markierte Bewertung, wird man auf die folgenden Erklärungen weitergeleitet:
++ | Sehr empfehlenswert. Das Buch bietet diverse Identifikationsfiguren und spiegelt vielfältige Lebensrealitäten wider. Kinder lernen, dass Diversität normal ist, sie finden empowernde Geschichten oder erfahren, warum Stereotype problematisch sind und wie man gegen Diskriminierung vorgeht.
+ | Empfehlenswert. Das Buch bietet wichtige Impulse für ein rassismuskritisches und diversitätsorientiertes Verständnis. Allerdings ist es nicht ganz frei von stereotypen Darstellungen oder problematischen Inhalten.
0 | Neutral/nicht eindeutig. Das Buch enthält einige positive, aber auch einige negative Inhalte, so dass keine eindeutige Aussage getroffen werden kann.
- | Nicht empfehlenswert. Das Buch enthält Stereotype über Menschen oder Gruppen. Dabei werden "die Anderen" mit eher positiven Eigenschaften beschrieben oder romantisiert ("positiver" Rassismus).
-- | Überhaupt nicht empfehlenswert. Das Buch enthält deutliche Stereotype über Menschen und Gruppen. Die Beschreibung "der Anderen" enthält negative Zuschreibungen, verharmlost die historische Realität (z. B. Kolonialismus) oder wertet Gruppen ab. Das Buch enthält Rassismus.
Rassismuskritisches Glossar
Im Glossar sind in diesem Zusammenhang relevante Begriffserklärungen zu finden.
Weiterführende Literatur
Adolé Akue-Dovi, A. (2022). Kindermedien und Rassismuskritik. Wie Schwarze Kinder die
Reproduktion von Rassismus in TKKG-Hörspielen wahrnehmen. Springer VS.
Apraku, J. & Hong, L. (2022). Wie erkläre ich Kindern Rassismus? Rassismussensible Begleitung und Empowerment von klein auf. Familiar Faces.
Fajembola, O. & Nimindé-Dundadengar, T. (2021). Gib mir mal die Hautfarbe. Mit Kindern über Rassismus sprechen. Beltz.
Ogette, T. (2020). exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen (8. Aufl.). Unrast.
Pychlau-Ezli, L. & Ezli, Ö. (2022). Wer darf in die Villa Kunterbunt? Über den Umgang mit Rassismus in Kinderbüchern. Unrast.
Schipf, P. (2023). Rassismus im Kleinkindalter. Ein Überblick über das Erlernen rassistischer Vorurteile, die Auswirkungen von Rassismus und Ansätze zur Thematisierung von Rassismus. Seminararbeit an der Technischen Hochschule Augsburg (Download).
Rösch, B. (2019). Grundschule Schwarz weiß? Denk- und Handlungsansätze für eine rassismuskritische Grundschule. Mit einem kritischen Blick auf Kinderbücher. Schneider Verlag Hohengehren.
Rosenlehner, M. (2022). Was uns Rassismus nimmt. BoD.